Asylpolitik anders?
Wir kommen mit dem Teil 8 nunmehr zum Ende des ersten Kapitels der Serie: Spiel mit dem Leben Anderer. In diesem Kapitel möchte ich einige Denkanstösse geben, wie eine nationale wie internationale Flüchtlingspolitik im 21. Jahrhundert und darüber hinaus, aussehen könnte, die auch den internationalen Grund- und Menschenrechtspakten, sowie der Europäischen Menschrechtskonvention (EMRK) und der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) gerecht wird, auf Massenfluchtbewegungen adäquat reagiert und die Systematiken, die in den Kapiteln zuvor schon behandelt worden sind, in Handlungsanleitungen und konkrete Projekte umsetzen kann.
Vorausgeschickt dazu muss werden, dass bei den völkerrechtlich verbindlichen Pakten immer auch eine Weiterentwicklung mit gedacht und diskutiert werden muss. So ist es zweifellos richtig, dass die GFK aus dem Jahr 1951 (siehe Gulis, Kapitel 1, Teil 2, 2022) in manchen Fragen reformbedürftig ist und dass dem internationalen Pakt eine sture rechtspositivistische Haltung nicht gut tut.
Zuviele Ereignisse und Aspekte, die die GFK betreffen, haben sich mittlerweile verändert und weiter entwickelt. So ist zwischenzeitlich die Europäische Union entstanden; der Begriff Rasse, wie er etwa in der GFK verwendet wird, ist nicht länger haltbar, auch die Frage der Definition des Flüchtlingsbegriffs, sowie die Einzelfallprüfung, die die GFK und die nationalen Asylgesetze vorsehen, ließen sich debattieren und würden anzupassen sein.
Gleichzeitig ist es aber auch nicht so, wie manche meinen, dass an der GFK starr festgehalten wurde. Im Gegenteil, die Artikel der GFK wurden und werden ständig neu interpretiert und angepasst; auch die dazugehörigen nationalen Asylgesetze sind einem ständigen Wandel unterlegen. So ist sowohl die innerstaatliche Fluchtalternative in den letzten Jahren genauer interpretiert worden, ebenso wie das Refoulement Gebot oder die Bestimmungen, was Verfolgung durch einen Staat bedeutet und viele andere Fragen.
Das Problem dabei ist also nicht die Reformfreudigkeit der Politik, der Expert*innen und der Verantwortlichen, sondern viel eher die Richtung der Reformen, die im Asylrecht und dem damit verbundenen Fremdenrecht in nahezu allen Ländern der EU eingeschlagen worden ist.
Seit den frühen 1990er ist die „Asylagenda“ unter den Fittichen der Innenminister* und der Sicherheitspolitiker*innen. Asyl wird als Sicherheitsproblem verstanden, das mit militärisch-polizeilichen Mitteln „bekämpft“ werden muss. Dementsprechend wurde nicht nur Ausrüstung angeschafft und Aufrüstung betrieben, sondern auch im politischen Diskurs eine herrschende Meinung vorgegeben. Dazu gehörten auch neue und/oder verändernde juristische Maßnahmen, die es ermöglichten, immer schärfer und härter gegen Asylwerbende vorzugehen. Auf den Punkt gebracht: Es werden die Asylwerbenden bekämpft und bestraft und nicht die Ursachen, die sie zu Flüchtende gemacht haben (siehe Gulis, Kapitel 1, Teil 1, 2022).
Politischer Diskurs
Auf der publizistisch-kommunikativen Front wird sehr viel getan, um bestimmte Narrative – vorherrschende Meinungen – durchzusetzen. Dazu ist die Auseinandersetzung um Begriffe ein wichtiges Feld. Es macht eben einen Unterschied, ob ich eine Person als „Flüchtling oder Asylant, als Wirtschaftsflüchtling oder Illegalen“ bezeichne. In einem Fall – dem Flüchtling — fällt das öffentliche Urteil tendenziell positiver aus; in den anderen Fällen gibt es wenig bis gar keine Akzeptanz. Die Meinung ist negativ und einhellig gegen „diese Leute“.
Zu diesen Framings und Narrativen gehört dazu, in welchem Kontext sie gestellt werden. Sind das lautere Menschen, die legitime, anerkannt Rechte besitzen; also eben vor Verfolgung fliehen oder sind das Menschen, denen nicht zu trauen ist, weil sie unlautere, finstere Hintergedanken hegen, wenn sie hier in Österreich auftauchen, die „unseren Leuten“ etwas wegnehmen wollen. Die negativen Assoziationen hatten breiten Erfolg und setzen sich durch. Das Narrativ, dass Asylanten (sic!) mit Sozialmißbrauch, Kriminalität und den Mißbrauch von Asyl und Aufenthalt in Verbindung zu bringen sind, ist wirkmächtig und das nicht nur bei der FPÖ.
Ein Nebenaspekt dabei ist, dass niemand sagen kann, welche rechtliche Definition ein „Asylant“ hat und daher jeweils der Situation angepasst verwendet werden kann, weil er alles und nichts ist (siehe auch Gulis, zebratl 5/2006).
Flüchtlinge werden zwar als schutzbedürftig angesehen und erhielten in der Vergangenheit immer wieder große Hilfsbereitschaft und Unterstützung, sind jedoch auch bestimmten Narrativen unterworfen; wie etwa Hilfsbedürftigkeit auszusehen hat. Wenn Flüchtlinge diesem Bild nicht entsprechen oder gar der Hilfe nicht bedürfen, dann schlägt die Unterstützung auch schnell in Ablehnung um.
Bei allen Flüchtlingsbewegungen in den letzten Jahrzehnten versuchten rechtsextreme, rechte und rechtskonservative Gruppierungen und Parteien, allen voran die FPÖ in Österreich die jeweiligen rassistischen Sterotype zu bedienen und zu fördern. Bei manchen Gruppen und Fluchtbewegungen fiel das leichter, etwa bei den Tschetschen*innen, bei anderen schwerer, wie etwa im Moment bei den ukrainischen Flüchtlingen.
Hier ist nicht nur der Krieg hautnah, sondern auch die rassistischen Stereotypen sind nicht so ausgeprägt, wie etwa bei dunkelhäutigen Flüchtlingen aus Afrika, den alleinstehenden Afghanen oder den Flüchtlingen aus den ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken. Es konnte auf viele rassistische Stereotype und Vorurteile zurückgegriffen werden, die sich bereits durch die „Gastarbeiterbewegungen der 1960er“ entwickelt hatten.
Auf der zweiten, größeren publizistisch-öffentlichen Kommunikationsebene sind ähnliche Mechanismen zugange. Asyl und Migration wird generell als etwas bedrohliches dargestellt, das das „politische und soziale Gefüge des jeweiligen Landes bedroht, dass ein Sicherheitsrisiko darstellt, das Sozialsystem überfordert und Kriminalität importiert“.
Hier soll nicht verleugnet werden, dass es tatsächlich in manchen Bereichen problematische Entwicklungen geben kann und gibt. Dis steht jedoch in keinem Verhältnis zu dem Mißverhältnis, dass ihnen an bedueutng geschenkt wird. (Siehe auch Goebel, 2017) Insbesondere dann, wenn es den Herrschenden gerade in den Kram passt und öffentlich forciert wird, wie dies etwa im Jänner 2022 durch veröffentliche Chats publik geworden ist. Darin zeigte sich, wie ÖVP Politiker und Mitarbeiter das Asylthema zur Diskreditierung des politischen Gegners benutzt hatten[1] oder einfach nur um von heiklen eigenen Themen abgelenkt hatten.
Oft spielt aber auch die Untätigkeit der Politik eine wichtige Rolle. So manche Zustände, die die Politik einfach zuließ und nichts dagegen unternahm wider bessseren wissen – wie etwa das Abdrängen aufgrund von gesetzlichen Arbeitsverboten, fehlenden Integrationsmaßnahmen in die Kriminalität – entstanden dadurch erst.
Es braucht also dringend eine Asylpolitik, die den Namen auch verdient und die das Themen seriös (sprich nicht populistisch), nachvollziehbar, langfristig, auf ein Ziel ausgerichtet und umfassend bearbeitet und auf der Grundlage des Völkerrechtes und der Grund- und Menschenrechte handelt. Das fehlt in Österreich ebenso wie in den anderen EU-Staaten, als auch auf EU-Kommissionsebene.
Es gilt eine Politik der reichen westlichen Staaten zu etablieren, die die Verantwortung für die Konflikte in den verschiedenen Weltregionen (Folgen des Kolonialismus, Primat der Wirtschaft, Rohstoffsicherung, Durchsetzung der jewiligen Interessen) nicht verleugnet und jeden Zusammenhang der eigenen Politik mit kriegerischen Auseinandersetzungen oder Unterdrückungsregimen negiert und davon ablenkt. Es gilt sich davon abzuwenden, Flüchtlingsbewegungen als Sicherheitsrisiko zu verstehen, das abgewehrt werden muss[2], nur um das eigene Versagen zu verschleiern.
Nur einige Gedanken dazu; wie würden ein anderer Nachrichtenfokus und Narrativlage die Debatten doch verändern und wie würde die politische Einschätzung anders verlaufen? Wir wissen es nicht, Medien und soziale Plattformen tragen jedenfalls wesentlich dazu bei.
Flüchtlingsbewegungen könnten unter ganz anderen Blickwinkeln betrachtet und damit umgedeutet werden. Dieser andere Rahmen – „framings“ (Siehe auch Wehling 2016, S. 167 ff) würde auch die Sicht auf das „Problem“ ändern und zu ganz anderen öffentlichen Debatten und möglicherweise zu Lösungen führen.
Ein Beispiel dazu: Im Syrien Krieg werden Themen, wie die Waffenlieferungen/ -verkäufe[3], die Geldströme[4], die diesen Konflikt anheizen oder die Brandbeschleuniger des Krieges[5] kaum öffentlich benannt und diskutiert, damit werden auch dahinter liegende Interessen und Profiteure nicht offen gelegt. Je nach Betrachtungsweise verändert sich auch unser Verständnis von Ursache und Wirkung und unsere Meinung zu den Ereignissen. Möglicherweise würden dann nicht die Flüchtlinge im Fokus stehen, sondern die internationale Politik und deren rücksichtloses Durchsetzen ihrer Interessen, oder – oft Hand in Hand gehend – ihre Ignoranz, ihre Untätigkeit gegenüber Menschenrechtsverletzungen, ihr imperialen Machtansprüche, und ihr totalitäres, gewaltsames Regieren.
Dann wäre wohl auch ein Handeln gegenüber Russland anders ausgefallen und es hätte nicht erst der Überfall auf die Ukraine zu einem entschiedenerem Engagement geführt, sondern schon der eigentliche Kriegsbeginn im Donbass 2014/2015, der Krieg in Südossetien (2008) und der Krieg in Tschetschenien (1999 – 2009) die Alarmglocken gegenüber den Großmachtsideen Russlands schrillen lassen.
[1] https://www.puls24.at/news/politik/oevp-chats-fremdenrechtliche-knaller-zur-stimmungsmache-fuer-kurz/254623
[2] https://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/wie-der-fluechtlingsandrang-aus-syrien-ausgeloest-wurde-13900101.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2
[3] Als Beispiel sei hier genannt: https://www.tagesschau.de/inland/ruestung-export-101.html
[4] Etwa der Terrrormiliz IS: http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-10/islamischer-staat-geld-finanzierung-vermoegen-oel
[5] Etwa der Kampf um die Ressource Wasser: http://www.deutschlandradiokultur.de/nahost-experte-sieht-in-wasserfrage-einen-grund-fuer.1008.de.html?dram:article_id=260980 oder die Kürzungen der Hilfsgelder an die UNO: http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-10/welternaehrungsprogramm-kuerzungen-syrien
Perspektiven für eine neue Asylpolitik
Genug der Analysen und Beschreibungen der herrschenden Zustände. Im letzten Kapitel skizziere ich nunmehr einige Punkte, die für eine Neuorientierung der Asylpolitik in Österreich und insbesondere auch in der EU dringend erforderlich wären.
Im Gegensatz zu einer Migrationsagenda, die tatsächlich nach bestimmten Regeln und Erfordernissen gereglt werden könnte, ist das Asylsystem in manchen Bereichen unberechenbar, zumindest quantitativ nicht eingrenzbar. Eine Quote kann es nicht geben. Kein Staat kann sagen, bis 60.000 Flüchtlinge nehmen wir auf, danach gilt die GFK nicht mehr. sagen kann r es schon, aber er verstößt damit gegen die GFK.
Migration hingegen kann bis zu einem gewissen Maße geregelt werden, etwa nach Bedürfnissen für den Arbeitsmarkt – etwa eine Reaktion auf Facharbeiter* innen- oder Hilfskräftemangel, Frage nach Quoten für Studien-, Ausbildungsplätze, udgl. Zumeist erfolgen solche System nach einem Kriterienkatalog, gepaart mit einem Punktesystem und einer Aufnahmequote.
Faktum ist, dass weder die EU noch die österreichische Bundesregierung vorhersehen kann, wieviel Flüchtlinge im nächsten Jahr kommen werden, dafür gibt es zuviele Unwägbarkeiten. Daher braucht es flexible Systeme, die auf möglichst viele Eventualitäten reagieren kann.
Zuständigkeit der EU, Zuständigkeit anderer Fachbereiche
Mit der Europäischen Integration ist das Asyl- und Migrationsthema an die Spitze der Agendas gerückt. Gleichzeitig hat die EU – und das mag einigermassen absurd erscheinen – keine Kompetenzen in Sachen Asyl, obwohl sie immer wieder im Zentrum der Kritik steht. Sie kann koordinieren, sie kann Vorschläge machen, sie kann Geld zur Verfügung stellen. Damit ist es jedoch im Wesentlichen auch schon getan. Das Gesetz des Handelns, was in der Praxis geschieht, was umgesetzt wird, das haben die Nationalstaaten in den Händen.
Daher erscheint die EU auch handlungsschwach, bis unfähig. So zumindest wird so von den Nationalstaaten und bestimmten politischen Strömungen gerne dargestellt. Gleichwohl sind es gerade die Nationalstaaten, die gemeinsame Aktivitäten (wie etwa die Flüchtlingsverteilung) verhindern oder verzögern. Die EU wird dafür hart kritisiert und mitunter sogar in Frage gestellt, die Nationalstaaten bleiben meist außen vor und spielen ihre eigenen kleinen Spiele, Populismus und billiger Nationalegoismen inbegriffen. Das passiert auf dem Rücken der Flüchtlinge.
Eine Lösung wäre, dass die EU mehr Entscheidungskompetenzen erhält. Staaten müssten dafür Teile ihrer Verantwortung abgeben und damit den Weg freimachen für eine stärker harmonisierte europäische Asylpolitik.
Das ist aber nur ein Aspekt zur Verbesserung. Es müsste auch die Verantwortung für das Asyl und Migrationsthema innerhalb der EU verteilt werden. Nicht alleine der Sicherheitsapparat (Innen- und Verteidigungsminister*innen) sollte in Zukunft die Agenda vertreten, sondern Gesundheits-, Außen-, Sozial-, Bildungs- und Arbeitsminister*innen müssen ein gewichtiges Wörtchen in einem Asyl-Gesamtplan Mitsprachrechte besitzen. Nur ein einfaches Beispiel: Damit würden automatisch Gelder der „Flüchtlingshilfe“ dann nicht nur in Aufrüstung, Militärapparate und Frontex fließen, sondern eben auch in andere wichtige Bereiche der Flüchtlingsaufnahme, -versorgung, -unterbringung und -integration.
Massenzustromrichtlinie
Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte – insbesondere der Sezessionskriege in Jugoslawien – waren Ausgangspunkt einer EU weiten Richtlinie, die nunmehr in Falle der Ukrainischen Flüchtlingen zum Tragen gekommen ist. Die „Massenzustromrichtlinie“ [6] wurde für Fälle von Kriegsflüchtlingen beschlossen, die in kurzer Zeit in großer Anzahl flüchten – wie dies in Österreich wiederkehrend vorgekommen ist und vorkommt (1956, 1968, 1982, 1989, 1992-1996, 2015, 2022).
Sie definiert Mindeststandards für solche außerordentliche Ereignisse und sieht vor, dass den „Kriegsvertriebenen“ Schutz und Aufnahme gewährt wird, eine innereuropäische Verteilung stattfinden kann, gleiche bis ähnliche Bedingungen gesichert werden, die Ankommenden kein Individualasylverfahren durchlaufen müssen, sondern Erstunterbringung, befristeten Aufenthalt und den Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten.
Die Richtlinie 2001/55/EG – wurde 2022 bei den ukrainischen Flüchtlingen erstmals europaweit eingesetzt und hat sich vorerst einmal bewährt. Die ukrainischen Kriegsvertriebenen können befristet hier bleiben, vorerst auf ein Jahr, mit Verlängerungsmöglichkeit; in andere Länder weiter reisen – etwa wenn sie zu Verwandten wollen – oder wieder heimkehren; und können den Zugang zum Arbeitsmarkt nutzen, was nach etwas mehr als 2 Monate nach Beginn des Krieges bereits vielfach gelungen ist.
Man stelle sich vor – ohne dieser Richtlinie – wären zum jetzigen Zeitpunkt bereits mehr als 80.000 Asylanträge zu bearbeiten. Diese könnten eben nicht weiterreisen oder auch nicht zurückehren, wie dies vereinzelt auch bereits wieder stattfindet; keinen Zugang zum Arbeitsmarkt hätten und womöglich noch die Dublin Richtlinie zum Tragen gekommen wäre und nunmehr langwierige Verfahren zur Rückschiebung nach Moldawien, Polen, Ungarn oder Slowakei am Laufen wären.
Zu bedenken gilt es auch, dass die ukrainischen Flüchtlinge bei einem etwaigen Kriegsende, wenn sie Flüchtlinge nach dem Asylgesetz wären, nicht mehr zurück in ihr ursprüngliches Heimatland dürften und somit den Flüchtlingsstatus wieder ablegen müssten. Alles in allem ein langwieriges und bürokratisches Verfahren. Die Vertriebenrichtlinie macht es möglich, wenn es eine Rückkehroption in Zukunft geben sollte, diese relativ leicht zu bewerkstelligen sein wird. Was laut letzten Meldungen auch jetzt bereits immer wieder passiert[7].
Resettlement Programme[8]
Mit zu einer neuen EU-Asylarchitektur gehörte, sogenannte Resettlement Programme wieder aufgelegt werden. Das sind Maßnahmen der Wiederneuansiedlung von Flüchtlingen, die geflüchtet oder vertrieben worden sind. Wichtiger Aspekt der Resettlement Idee ist, dass die Flüchlinge im Erstaufnahmeland geprüft und ausgewählt werden, sodann mittels sicherem Geleit ins Land gebracht werden. Die Länder legen selbst die Höhe, der ins Land zu bringenden Flüchtlinge fest und bestimmen mit, welche Kriterien für die Aufnahme maßgeblich sind; das sind etwa Sprachkenntnisse, Ausbildung, Beruf, Verwandschaftsverhältnisse und humanitäre Aspekte.
Die Programme zeichneten sich in der Vergangenheit vor allem deswegen aus, da die Flüchtlinge vom ersten Moment an im jeweiligen Aufnahmeland Integrationsmaßnahmen zur Verfügung gestellt bekommen und Maßnahmen zur (Aus-)Bildung, zum Spracherwerb, für die Arbeitsvermittlung oder Beihilfen zur Selbständigkeit uvm. sofort in Anspruch nehmen können[9].
Diese Angebote sind Aufgaben des jeweiligen Staates und werden zum Teil von staatlichen Einrichtungen (Schule) und NGO bzw. NPOs umgesetzt. Es gibt also nicht die, wie bei den Individualverfahren im Asylverfahren, lange Wartezeiten, in der – zumindest so laut österreichischem Innenministerium – keine Integrationsmaßnahmen vorgenommen werden sollen, da die Asylwerbenden möglicherweise gar kein Asyl erhalten und dann wieder das Land verlassen müssten, die Integrationsmaßnahmen daher umsonst seien. Die Maßnahmen greifen vom ersten Tag der Ankunft an.
In der Vergangenheit sind derartige Programme vor allem aus Überseeländern wie USA, Kanada, Australien und Neuseeland bekannt und wurde immer wieder aufgelegt. In den letzten Jahren kamen sie jedoch sehr selten zur Anwendung, da auch transatlantischen Beziehungen (Trump/USA) gestört waren und die jeweiligen Migrationsregime (Australien) deutlich restriktiver geworden sind.
Resettlement wäre bei großen Flüchtlingsbewegungen jedoch ein taugliches Instrument, da sie die Verteilung und Entlastung der Erstaufnahmeländer erheblich beeinflussen würden. Im Falle der aktuellen Ukraine Flüchtlinge könnte das – wenn der Konflikt nicht in wenigen Wochen beendet ist – eine Option für viele Ukrainer*innen sein, die Option Rückkehr fallen zu lassen und weiter auszuwandern.
Resettlement wäre aber nicht nur mit Übersee zu forcieren, sondern insbesondere auch innerhalb der EU. Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass die verschiedenen Fluchtbewegungen Länder unterschiedlich stark betroffen hatten. Waren im Jahr 2014/15 die Ländern am Westbalkan, Ungarn, Österreich und Deutschland stark betroffen, so ist nunmehr 2022 Polen, Moldawien, Rumänien, Slowakei und Ungarn mit einer großen Zahl von Flüchtlingen beschäftigt
Mit der Umverteilung – auch innerhalb der EU – könnte der Druck auf die Erstaufnahmestaaten verringert werden und es würde die Solidarität untereinander gestärkt. Aber der Versuch ein Umverteilungssystem EU-weit zu etablieren im Rahmen der Flüchtlingsbewegung 2015/16 scheiterte kläglich. Was aber nicht heißt, dass daran nicht in Zukunft weiter zu arbeiten ist, um es zu realisieren.
Ein weiterer Vorteil dieser Programme wäre die Verringerung der gefährlichen Fluchtrouten. Wenn der Transport und die Reise durch das Resettlement Programm gedeckt wäre, dann würden all die gefährlichen illegalen Wege durch die Länder hindurch wegfallen. Das Geschäft der Schlepper/Fluchthelfer mit all den negativen Konsequenzen wurde deutlich eingedämmt werden (Siehe auch BpB Bonn 2015.)
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Richtlinie_2001/55/EG_(Massenzustrom-Richtlinie)
[7] https://kurier.at/politik/ausland/erste-fluechtlinge-kehren-in-die-ukraine-zurueck/401984096
[8] https://www.unhcr.org/dach/at/was-wir-tun/resettlement
[9] https://rcusa.org/resettlement/resettlement-process/
Let them fly
Richten wir den Blick noch etwas weiter auf den globaleren Kontext, so schließt sich hier eine Forderung an, die insbesondere aufgrund der Flüchtlingsbewegung 2015/16 erhoben worden ist und darauf abzielte, dass die Flucht mit Fluchthelfern und Schleppern gefährlich ist und besonders Frauen, Kinder und ältere, kranke Menschen benachteiligt und eine soziale und ökonomische Auslese erzeugt (siehe Gulis, Kapitel 1, Teil 6, 2022).
Daher wurde die Forderung erhoben, Flug- und Fluchtkorridore zu eröffnen, unter dem Titel „Let them fly“[10]. Damit würde man den Mißstand und die himmelschreiende Ungerechtigkeiten in den Chancen in ein sicheres Land zu gelangen, auch beseitigen, zumindest jdoch verringern und lenkend eingreifen können. Dahinter steht die Idee, das Menschen, die in Lagern in Erstaufnahmeländer – wie dies etwa im Libanon, Türkei oder Jordanien der Fall war und ist – per Flug freies Geleit nach Europa zu gewährleisten. Damit könnten auch Familienverbände außer Land geschafft werden, die sich eine Schlepperroutenfahrt niemals leisten könnten. Damit würde das Gleichgewicht der weltweiten Flüchtlingsbwegung gerechter verteilt werden können und es wäre eine wirkungsvolle Maßnahme gegen die Tatsache, dass es keine legalen Fluchtmöglichkeiten derzeit nach Europa gibt.
Botschaftsasyl
Diese Maßnahme wäre auch in Verbindung mit dem sogenannten Botschaftsasyl einzuführen, das schon einmal bestanden hat. Die Schutzsuchenden könnten über die jeweiligen Botschaften vor Ort (also etwa in der Türkei oder Jordanien), um Asyl ansuchen – und damit bei positiver Prognose legal über sichere Reiserouten nach Österreich kommen. Voraussetzung wäre natürlich dafür, dass sich das externe Asylverfahren in den Botschaften qualitativ an europäischen Standards anpasst und wenn möglich sogar darüber hinaus geht. Geschulte und ausgebildete Beamte des Asylwesens überprüfen dabei das Ansinnen. Dieses Botschaftsasyl gab es bereits, wurde jedoch 2001 wieder abgeschafft. Gewährleistet muss dabei eben sein, dass entsprechende internationale Standards bei der Beurteilung umgesetzt werden und etwa UNHCR oder Grundrechtsagenturen das Verfahren begleiten dürfen, um den Rechtsschutz für Flüchtlinge zu gewährleisten.
Notlager zu Städten machen
Millionen Flüchtlinge auf der Welt kommen nicht in die bevorzugte Behandlung der EU Massenzustromrichtlinie oder einem regulären Asylverfahren, das positiv ausgeht. Sie leben in Lagern und Camps, fernab der medialen Aufmerksamkeit; und das nicht nur wenige Monate sondern oft viele Jahre. Diese Lager sind in der Regel für Notaufnahme und Erstversorgung vorgesehen. Die Realität schaut aber für Millionen von Flüchtlingen anders aus. Sie müssen ihr Leben darauf einrichten, in diesen Lagern zu leben.
Sowohl die internationale Staatengemeinde und deren multilateralen Organisationen als auch die nationalen Verantwortlichen müssen sich davon verabschieden, dass diese Infrastruktur nur zwischenzeitlich benützt wird, die Realität ist anders. Sie müssen sich damit abfinden, dass es diese Lager über Jahre hinweg gibt, warum also nicht den Blickpunkt darauf richten, dass richtige Städte werden. In wenigen Ansätzen gibt es das schon, so etwa das Lager Zaatari in Jordanien[11].
Viel ist darüber – auch international – berichtet worden. Im wesentlich steckt die Idee dahinter, dass aus den Notfallzeltstädten, sobald als möglich Städte werden, mit infrastruktureller Versorgung, also Wasser, Strom, Strassen und befestigten Häusern. Dazu kommen oft Container und Leichtbauhäuser zum Einsatz. Dies geht einher mit dem Aufbau einer politischen Selbstverwaltung (Stadtverwaltung) und Administration, sowie einer gesundheitlichen Versorgung (Krankenhaus, Ambulanzen) und Schulen. Ebenso wird die gründung von Läden und kleinen Firmen, Verkaufsständen und ähnlichem unterstützt. Mit Anschubfinanzierungen und Krediten werden solche Entwicklungen in Gang gesetzt. Mittlerweile gibt es mehr als 3.000 Geschäfte in Zaatari, 22.000 Schüler*innen, die in 29 Schulen unterrichtet werden. Natürlich kostet das erstmal Geld, aber die Versorgung von tausenden Menschen über Jahre hinweg, kostet dies ja auch.
Nationale Perspektiven
Auch auf der Ebene der Nationalstaaten lässt sich eine Menge an Reformen skizzieren, die uns dem Ziel näher bringen, das Asylsystem menschenrechtskonform und trotzdem belastbar zu machen. Wären all die Maßnahmen in Umsetzung, die zuvor schon auf EU-Ebene skizziert wurden, so wären bereits die Flüchtlingsbewegungen 2015/2016 in Qualität und Quantität anders ausgefallen. Beginnen wir beim wichtigsten in den verschiedenen Phasen von Flüchtlingsbewegungen und deren Aufnahme und Versorgung.
Nahezu alle Innenminister*innen der österreichischen Bunderegierungen, seit den 1990er, predigen ein Dogma: Man müsse die illegale Migration bekämpfen. Diese öffentlichen Verlautbarungen finden reglmäßig statt. Zahlreiche weitere Maßnahmen gegen illegale Migration werden ständig ergriffen – insbesondere gesetzliche –, um Ankommende leichter zurückzuweisen (push backs), sie für mehr Delikte zu bestrafen und sie wieder in ihre Heimatländer zurück führen zu können. So wurden etwa im Jahr 2021 mehr Menschen abgeschoben, als im Jahr 2020. Insbesondere auch nach Afghanistan, was angesichts der Machtübernahme durch die Taliban besonders erschreckend ist[12].
Wo aber massiv ausgebaut und aufgerüstet wird, dass sind militärische Maßnahmen (Hubschrauber, Patrouillienboote, Nachtsichtgeräte, Aufstockung der militärischen Grenztruppen, Co2-Messgeräte usw.). Zwar werden mehr Menschen aufgegriffen, es kommen jedoch trotzdem immer mehr und immer mehr sterben auf der gefährlichen Flucht, insbesondere bei der Überfahrt über das Mittelmeer, jüngst aber auch an der Polnisch-belarussischen Grenze. Zwar werden auch Schlepper immer wieder verhaftet, aber zumeist sind das die „kleinen Fische“. Die großen Capos und jene, die die Fäden ziehen, bleiben unbehelligt. Das ganze Entwicklungsszenario und die nahezu nicht vorhandenen Erfolge, erinnern fatal an den aussichtslosen „Kampf gegen die Drogen“, wie sie etwa die USA in den 1990er in Latein- und Mittelamerika ausgerufen haben[13].
Nachgewiesen werden kann auch, dass jede verschärfende Maßnahmen an den Grenzen oder behördlicherseits die Einreisemöglichkeiten zu verschärfen, zu mehr illegaler Migration führt, den absurden und menschenfeindlichen Migrationsmarkt stärkt und die Preise steigen lässt[14]. Daher wären all jene Maßnahmen auch nationalstaatlich mitzutragen, die auf EU Ebene dazu führen, das Flucht möglichst sicher erfolgen kann, also durch Resettlement Prgramme, die Vertriebenen Richtlinie und „Let them Fly“ Hilfen. Das sind Maßnahmen, die am besten wirken, die illegale Migration zu verkleinern und den Markt und die Anwerbefelder für Schlepper auszutrocknen.
Das Asylverfahren beschleunigen
So wie das Mantra der Regierungen lautet, man müsse die illegale Migration bekämpfen, so gibt es ein zweites Mantra, ebenso lange und ebenso unerfüllt. Die Innenminister*innen der letzten 30 Jahre versprachen immer wieder, die Asylverfahren zu beschleunigen. Dass ist nie gelungen. Tatsache ist, dass die Dauer von Asylverfahren in Österreich eine große Bandbreite besitzen. Tausende Verfahren dauern einige Jahre, viele sogar mehr als 10 Jahre.
[10] https://www.deutschlandfunk.de/schweden-fluechtlings-airline-soll-sicheren-weg-garantieren-100.html
[11] https://oe1.orf.at/artikel/642560/Im-Fluechtlingslager-Zaatari
[12] https://www.derstandard.at/story/2000135160724/2021-wieder-mehr-abschiebungen-die-meisten-innerhalb-europas
[13] https://de.wikipedia.org/wiki/War_on_Drugs
[14] https://www.derstandard.at/story/2000021691506/das-geschaeft-mit-der-flucht
Schnell und positiv
Aber es gab und gibt immer wieder Phasen der raschen Bearbeitung, die auffälligerweise immer auch mit positiven Asylbescheiden einhergingen – also schnell und positiv. Das war in den Jahren 2002 bis 2005, als ein deutliches Ansteigen der tschetschenischen Fluchtbewegung nach Österreich bemerkbar wurde, zu beobachten. 2004 und 2005 wurden bis zu 90% der tschetschenischen Flüchtlinge positiv anerkannt. Viele von ihnen hatten Anerkennungsverfahren von wenigen Tagen (Siehe auch Gröller, Zebratl Doku, S. 13-16).
Die Antwort der Politik? Es folgte ein Stakkato an Gesetzesverschärfungen, Reformen, Novellen und neuen Gesetzen, die den großen Auftrag Menschenrecht auf Asyl und Schutz vor Verfolgung in kleine Portionen zerteilte und immer tiefer nivellierte. Dort eine Einschränkung, da ein Passus oder eine einengende Frist, hier ein Bestrafungsparagraph, die erfunden wurden. Das geht bis heute so[15].
Doch Schuld an der Misere mit den langen Verfahren waren nach Lesart der Innenminister*innn natürlich die Asylwerbenden selbst! Diese würden die Verfahren unnötig in die Länge ziehen, indem sie ihre Identitäten verschleierten, Asylanträge in mehreren Ländern gleichzeitig stellten (seit Eurodac unmöglich) und Rechtsmittel einlegen, so als wäre das Ergreifen von Berufungsmöglichkeiten ungehörig (Siehe auch Arnim-Ellison, 2012).
Eine ähnliche Entwicklung – wenn auch nicht ganz so rasch – nahmen die Anerkennungsverfahren vieler syrischer Flüchtlinge, die in großer Zahl ebenfalls in kurzer Zeit positiv beschieden werden[16]. Es gibt einen Zusammenhang zwischen bestimmten ausgewählten, aktuell im öffentlichen Fokus stehenden Gruppen, die rasch und positiv bearbeitet werden und Gruppen, die nicht nur lange warten müssen, sondern meist auch abgelehnt werden.
Asylverfahren – ein Lotteriespiel
Der Ruf nach Beschleunigung greift jedoch insgesamt zu kurz. Untersuchungen der Asylverfahren in den letzten Jahren und Jahrzehnten sind im Kern zu immer gleichen Ergebnissen gelangt[17]. Die Anerkennung hängt von vielen Faktoren und Zufällen ab, die weder von den Antragsstellenden noch von Betreuer*innen beeinflusst werden können. Etwa, wo man den Asylantrag stellt, welche/n Referent*in man zugeteilt bekommt, welche Dolmetscher*innen zur Verfügung stehen, aber auch und insbesondere welcher öffentliche Diskurs gerade mächtig ist und was von der Politik implizit vorgegeben wird.
Bis vor kurzem standen die Chancen für Antragsteller*innen aus Afghanistan schlecht. Die politische Vorgabe ging europaweit in Richtung: Afghanistan sei ein sicheres Herkunftsland. Daher könne man nach Afghanistan zurückschieben. Diese Vorgangsweise ging solange und darüber hinaus, bis die Taliban bereits die Macht wieder übernommen hatten.
Die Vielzahl an Asylrechtsreformen und -änderungen, die seit 1992 das Parlament passiert haben, konnten – bis auf wenige Ausnahmen – nicht zur Verbesserung und Beschleunigung beitragen[18]. Sie haben sich vielmehr längst selbst zum Problem entwickelt. Selbst für profunde Asylrechtsexpert* innen in und außerhalb der Behörden ist das Dickicht unentwirrbar geworden.
In dieser Periode (1992-2017) wurden die zuständigen Behörden drei Mal neu strukturiert. Das Vorverfahren für Dublin[19] wurde eingeführt, dem eigentlichen Asylverfahren vorgeschoben. Das alleine dauert bereits bis zu sechs Monate, in denen nur die Frage geklärt wird, welches Land zuständig ist. Dann – wenn Österreich ins Verfahren eintritt – beginnt das Warten auf die Einvernahme; ein Jahr ist dabei keine Seltenheit. Danach dauert es nochmal Monate (im günstigsten Fall) bis zu einem Entscheid. Zwei Jahre für die erste Instanz kann man im Verfahren als rasch bezeichnen. Danach – sollte es etwa zu einer Berufung kommen – kann man nochmal mindestens ein Jahr für die zweite Instanz anberaumen.
Wichtig ist jedoch, dass Beschleunigung und Qualitätsverbesserung der Verfahren müssen Hand in Hand gehen. Nur schnell sein ist zu wenig und außerdem gefährlich. Gerade im Asylrecht muss peinlich genau auf Qualität geachtet werden. Oder vielmehr: müsste. In einem höchst sensiblen Feld, wo schwerwiegende Entscheidungen über den anstragstellenden Menschen, auf der Basis von Grund- und Menschenrechten, gefällt werden, ist es elementar, dass eine genaue und faire Prüfung mittels eines rechtsstaatlichen Verfahrens erfolgt – ohne Einfluss durch die Politik.
Nicht verwunderlich daher, dass es an der Dauer der Asylverfahren ebenso Kritik gab und gibt, wie an der Qualität, insbesondere an der ersten Instanz. Denn knapp 45 % der rund 17.000 Entscheidungen der ersten Instanz wurden im Jahr 2019 von der zweiten Instanz, dem Bundesverwaltungsgericht aufgehoben oder abgeändert[20]. Abgeordnete Stefanie Krisper (Neos) brachte es in ihrer Stellungnahme auf den Punkt. „Das ist nicht nur teuer, das ist inakzeptabel“. Denn eine Berufung aufgrund von schlechter Qualität der erstinstanzlichen Entscheidung verzögert die Dauer des Asylverfahrens deutlich[21].
Mit der Dauer des Asylverfahren hängen weitere Aspekte zusammen. Solange man im Status des Asylwerbenden ist, sind die Rechte eingeschränkt. Als Asylwerbende/r erhält man bei Mittellosigkeit zwar eine Unterkunft und Versorgung, die zumeist sich im Mindest-standardbereich bewegt, bis auf wenige Ausnahmen darf man jedoch nicht arbeiten und hat kein Anrecht auf „Integrationsmaßnahmen“.
Wenn also diese Phase Jahre dauert, so ist das für Alle schlecht; zuallererst für die Betroffenen selbst, jahrelanges erzwungenes Nichtstun kann dramatische psychische und physische Auswirkungen haben, aber auch für uns als Gesellschaft. Es wird den Menschen die Möglichkeit genommen, sich hier eine Existenz aufzubauen, jeder Integrationsschritt wird um ein vielfaches erschwert. Die Kosten, die der Bund für Asylwerber*innen aufbringen muss, sind ineffizient eingesetzt und für die soziokulturelle regionale Struktur, dort also wo Asylwerber*innen untegebracht werden und für das öffentlich-kommunikative Bild, das entsteht, ist das vorkommen kontradroduktiv (siehe auch Gulis, Kapitel 1, Teil 5, 2022).
Ein letzter Aspekt sein noch erwähnt; bis zum Jahre 2014 wurden nie mehr als 30.000 Entscheidungen pro Jahr gefällt. In den Jahren 2015 und 2016 steigerte sich der Output der Asylbehörde der ersten Instanz auf 41.312 (2015) und 72.299 (2016). Diese Steigerung ist auffällig.
Zurückzuführen ist sie auf 206 (2015) bzw. 389 (2016) neu eingestellte MitarbeiterInnen[22]. Und siehe da, das führte sofort zu einer Verkürzung der Verfahrensdauer auf 6,5 Monaten in erster Instanz. Genau das – die Personalaufstockung, eine Maßnahme die immer wieder gefordert wurde, um den Anfall an Asylantragsstellungen zu bewältigen – wurde bis 2015 von seiten des Innenministeriums immer verweigert. Mit dem Flüchtlingsanstieg Sommer 2015 wurde der Druck immer höher, sodass eine Personalaufstockung unausweichlich wurde und der Rückstau an Verfahren wäre schier unermesslich geworden.
[15] Vgl. etwa die Stellungnahme der Antidiskriminierungstelle Steiermark vom 17.3.2015, die einen kleinen Überblick über die kontinuierlichen Verschärfungen der österreichischen Asylgesetze gibt: http://www.antidiskriminierungsstelle.steiermark.at/cms/beitrag/12226156/118195471/
[16] Siehe BMI Asylstatistik, 2015 – 2020
[17] Sowohl der UNHCR hat auf der Ebene der EU die Verfahren in verschiedenen Ländern analysiert, also auch österreichische NGO-Zusammenschlüsse haben die Problemzonen des Asylverfahren immer wieder thematisiert (2003, 2006).
[18] Das Asylgesetz allein wurde 9x wesentlich verändert, u.a. neugeschrieben, inklusive einer dreimaligen Neuordnung der Behörden.
[19] Dublin I-IV bezeichnet die Regelung, dass jenes Land das Asylverfahren abzuwickeln hat, in dem der/die Asylwerbende zum ersten Mal registriert worden ist.
[20] https://www.derstandard.at/story/2000116209191/asylbehoerde-entschied-in-45-prozent-von-rund-17-000-faellen
[21] https://kurier.at/chronik/oesterreich/asylbescheide-wuerfeln-waere-richtiger/400021009
[22] Statistiken des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA).
Leider wurden die Mitarbeiter*innen in den letzten Jahren auch wieder langsam aber stetig zurückgebaut. Aber diese Episode zeigte, schnellere Verfahrensabläufe und damit kürzere Asylverfahren sind machbar, wenn mehr qualifiziertes Personal bessere Bescheide, die nicht beeinsprucht werden müssen, produziert.
Ein letzter Aspekt, der unter dem Titel: Dringende Reformen zu erwähnen gilt, betrifft die sogenannten Dublin Verfahren. Bereits im Kapitel 5 der Serie näher beleuchtet, sei nur nochmal erwähnt, dass das Dublin System als gescheitert betrachtet werden muss. Es hat die Verfahrensdauer verlängert, ist unsagbar kompliziert und bürokratisch, führt zu heftigem Reiseverkehr zwischen den Staaten, mit einem Ungleichgewicht zwischen den Staaten des Nordens und des Südens, jene, die als EU-Ankunftsstaaten bei den Fluchtrouten schon stärker belastet sind und hat nichts zur Qualität der Verfahren beigetragen.
Hier ein neues System zu finden, wäre dringend an der Zeit. Unter Bedachtnahme der bereits vorgeschlagenen Änderungen würde sich vieles was Dublin vorgibt zu lösen, gelöst (etwa Familienzusammenführungen und verteilung von Flüchtlingen in der EU) und stellt sich nach Abzug aller anderen Maßnahmen, ob Dublin dann überhaupt noch notwendig wäre.
Ich mache nunmehr Halt, weil es natürlich noch viele Aspekte der nationalen und internationalen Asylpolitik gäbe, die es zu beleuchten und entsprechende Veränderungsvorschläge zu erörtern gäbe. Aber die aufgeführten Punkte dienen auch nur dazu, den Blick darauf zu öffnen, dass eine andere Asylpolitik durchaus möglich wäre. Das heißt natürlich nicht, dass sie erstens in absehbarer Zeit umgesetzt werden oder auch nur in die Nähe einer Verwirklichung rücken, aber es gilt dennoch die Alternativen und die Möglichkeiten der Trendwende immer wieder in der Öffentlichkeit zu deponieren.
Zweitens, auch diese Maßnahmen kosten Geld. Keine Frage. Aber im Zusammenhang mit der Frage, was denn die bisher eingesetzten Mitteln des Grenzschutzes, der Frontex Aufrüstung und der Abschreckungspolitik, die enorm sind, tatsächlich etwas nachhaltig verändert haben, fällt das Ergebnis ziemlich klar aus. Die Ergebnisse sind bescheiden bis katastrophal.
Eher ist es doch so, dass der Preis der vielen Toten auf der Flucht, der dramatischen Fluchtgeschichten rund um Ablehnungen, Zurückschiebungen und Abschiebungen, Auseinanderreißen von Familien und verschwundenen Kindern, Menschenhandel und Prostitution in keinem Verhältnis den Aufwand gerechtfertigt: Im Gegenteil die EU- Asylpolitik ist in manchen Bereichen sogar zum Brandbeschleuniger geworden.
Die Öffentlichkeit hat nie danach gefragt, nie Rechenschaft eingefordert, welche Ziele die Asylpolitik haben soll und was mit den eingesetzten Mitteln erreicht werden soll. All das ist – kurzum – weder effektiv noch effizient.
Daher, warum nicht neue Wege einschlagen? Man könnte neu gesetzte Maßnahmen wie etwa ein EU-weites Resettlement Programm mit genaueren Zielvorgaben austatten, den Einsatz und die Ergebnisse der Maßnahmen prüfen und dies in einem Vergleich mit den bisherigen eingesetzten Mitteln und Zielen vergleichen. Mit großer Sicherheit – so meine Behauptung – würden wir alle sehen, dass das derzeitige System ineffizient, inffektiv und teuer ist und den Rechtsstaat und einen großen Schaden hinsichtlich der beschädigung der Rechtsinstitute der Demokratie, der Menschen- und Grundrechte anrichtet. Aufrüstung und einen Militärapparat gegen Flüchtlinge in Stellung zu bringen, werden den Werten der EU-Staatengemeinde nicht gerecht.
Diese Artikelserie diente dazu, das Thema Asyl umfassender zu beleuchten und stellte trotzdem nur einen Überblick der einzelnen Unterkapitel dar. Das Thema der globalen Minimierung und Gedanken zur Reduzierung von Flüchtlingsbewegungen weltweit wurde hier nicht behandelt. Wenngleich es eines der wichtigsten Aspekte und Themen wäre, die es politisch zu bearbeiten gälte, ist es gleichzeitig ein ausuferndes, weit verzweigtes Thema, das mit dem Gesamtzustand der globalen Machtverhältnisse, des Wirtschaftens und mit Entscheidungen der Politik zusammenhängt, die vordergründig mit Asyl nichts zu tun haben, etwa die EU Agrarpolitik oder die Waffenproduktion in den reichen G7 Länder. Am ende des 2. Kapitel wird jedoch auf die globalen Zusammenhänge und die Ursachen von Migrations- und Fluchtbewegungen eingegangen.
Anregungen, Ergänzungen und Gegenargumente sind herzlich willkomen. Im September 2022 folgt das 2. Kapitel, in dem es in mehreren Teil um das Thema Migration gehen wird, jenen Formen, die vordergründig freiwillig oder scheinbar freiwillig erfolgen, also nicht durch Gewalt, Vertreibung, Verfolgung entsteht und eine ebenso lange Tradition in Österreich bereits geniest.
Literatur:
Arnim-Ellisen, Jakob: „Asylmißbrauch – Kampfbegriff der österreichischen Asyldebatte?“ . Diplomarbeit, Politikwissenschaften, Universität Wien, 2012.
BpB – Bundeszentrale für politische Bildung: Samariter, Schlepper, Straftäter: Fluchthilfe
und Migrantenschmuggel im 21. Jahrhundert. Bonn 2015.
[http://www.bpb.de/apuz/208009/fluchthilfe-und-migrantenschmuggel?p=all] (Zugriff am 28.04.2022)
BpB – Bundeszentrale für politische Bildung: Samariter, Schlepper, Straftäter: Fluchthilfe und Migrantenschmuggel im 21. Jahrhundert. Bonn 2015.
Gulis, Wolfgang: Rechte Meinungshegemonie. In: zebratl 5/2006. S. 19-20.
Gulis, Wolfgang: „Die Anfänge“. In Serie: Spiel mit dem Leben Anderer, Kapitel 1, Teil 1, Graz 2022. Online: https://gulis.at/schreiben/spiel-mit-dem-leben-der-anderen-kapitel-1-teil-1/
Gulis, Wolfgang: „Die GFK und ihre Regeln“. In Serie: Spiel mit dem Leben Anderer, Kapitel 1, Teil 2, Graz 2022. Online https://gulis.at/schreiben/spiel-mit-dem-leben-anderer/
Gulis, Wolfgang: „Das österreichische Versorgungssystem.“ In Serie: Spiel mit dem Leben Anderer, Kapitel 1, Teil 5, Graz, 2022. Online: https://gulis.at/schreiben/spiel-mit-dem-leben-anderer-teil-1-kapitel-5/
Gulis, Wolfgang: „ Selektion nach ökonomischen Kriterien“. In Serie: Spiel mit dem Leben Anderer, Kapitel 1, Teil 6, Graz 2022. https://gulis.at/schreiben/spiel-mit-dem-leben-anderer-teil-1-kapitel-6/
Gröller, Alexandra: „Zur Integration anerkannter Flüchtlinge in Österreich. S. 13-16. In: Zebratl Sonderheft, Dokumentation zur Tagung: „In Zeiten des Terrors“, Graz 2006
Goebel Simon: Politische Talkshows über Flucht. Wirklichkeitskonstruktionen und Diskurse. Transcript, Bielefeld, 2017
Wehling, Elisabeth: Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht. Edition Medienpraxis, Köln 2016.