Beitrag zum Tagungsband, anläßlich des 5-jährigen Bestehens von Ikemba:
„Fit für Vielfalt?“
Graz, 24. Mai 2012
Workshop 2:
„Strukturelle Diskriminierung als Verhinderung der Partizpation und Inklusion“.
Weitreichendes Phänomen:
Diskriminierung ist ein weitreichendes, gesellschaftliches, politisches und soziales Phänomen. Gesellschaften haben in unterschiedlichen Abstufungen und Dimensionen mit den Problemen von Benachteiligung, Herabsetzung, Ausgrenzung, Verunglimpfung zu kämpfen und stellt kein alleiniges Merkmal von autoritären Transformationsstaaten dar.
Nun gibt es Formen der Diskriminierung, die relativ leicht sichtbar und erkennbar sind, wie etwa der blanke, offene Rassismus in Verbindung mit persönlicher Beleidigung, Aggression und Gewalt. Der Hintergrund für solche persönlichen Haltungen sind zumeist ein Bündel an politisch-ideologischen Vorstellungen, sozioökonomischen Rahmenbedingungen und vermeintlichen „Wahrheiten“ in der Gesellschaft, die mehr oder weniger salonfähig sind. Wie sehr das gesellschaftlichen Prozessen unterworfen ist, erkennt man, wenn man in die nahe Vergangenheit zurückblickt. Antisemitismus wurde – etwa in der Zwischenkriegszeit– als völlig normal angesehen oder die Ungleichbehandlung von Frauen war selbst in den 1960er und 1970er in Österreich noch gesetzlich verankert. Der gesellschaftliche Rahmen bestimmt also die Haltung des Einzelnen mit.
Erkennen tun wir Diskriminierung dann relativ einfach, wenn diese weit außerhalb der Norm erfolgt und wenn sie von einer einzelnen Person oder einer kleinen sichtbaren Gruppe (z.b. Hooligans) ausgeführt wird. Mit dieser Sichtbarkeit lassen wir uns aber gerne dazu verleiten, Diskriminierung auf einer persönlichen Ebene zu verhandeln und ausgrenzende, rassistische Motive den einzelnen Personen zu unterstellen; was ja nicht gänzlich falsch sein muss. Konfrontationen, Problemstellungen werden auf Mißverständnisse und Kommunikationsprobleme (Sprachschwierigkeiten) oder individuelle „Befindlichkeiten“ reduziert.
Jedoch hat diese eingeschränkte Sicht erhebliche Auswirkungen auf die Lösung des Problems, denn wesentliche Aspekte der möglichen Dimensionen und Ursachen für Diskriminierung bleiben unbeachtet; und das sind eben strukturelle Bedingungen. Darunter versteht man im weitesten Sinne Rahmenbedingungen, unter den Menschen aufeinandertreffen ; etwa auf Ämtern, in der Schule, in der Arbeit. Strukturelle Diskriminierung bezeichnet alle Formen, die aufgrund bestimmter Normen – sprich Normalität – und Wertvorstellungen in der Gesellschaft vorhanden sind und sich durch Gesetze, oft aber auch nur durch interne Regeln, administrative Normen manifestieren.
Administration, Verwaltung ist oft betroffen und gefährdet, aufgrund von allgemeinen für Alle gültige Regeln, Ausschlußmechanismen zu produzieren. Denn die Regel „für Alle“, ist in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle auch auf eine bestimmte homogene Dominanzgruppe abgestellt. Als Beispiel sei „Deutsch als Amtssprache“ genannt, die für Behörden und Ämter, Einrichtungen der Verwaltung und Versorgung gilt und damit all jene ausschließt, die nicht oder nur ungenügend Deutsch sprechen. Dahinter steht auch ein bestimmtes, vorherrschendes Bild von der österreichischen Bevölkerung, die weiß, katholisch und deutsch spricht. Seit 1961 beginnt dieses Bild jedoch immer rascher zu zerfallen, immer größere Gruppen werden durch diese Regel diskriminiert.
Interessant wird das Thema dann, wenn es sich um „Beziehungen“ handelt, die durch Macht und Rollen konstituiert werden; wie etwa im KlientInnenkontakt[1] bei Ämtern, Behörden oder in der Schule. Analysiert man die Konflikte so kommt zu Tage, dass sie rasch individualisiert und, sobald es sich um einen „Migrationshintergrund“ handelt, oft kulturalisiert[2].
Die Herausforderung der strukturellen Diskriminierung besteht darin, die oft naheliegendste Erklärung (Konflikt zwischen zwei Personen, aufgrund der Kultur) und damit verbundene Lösung (Kommunikation verbessern, interkulturelle Kompetenz, Mediation…) zu hinterfragen und sich auf eine tiefere, differenzierte Ursachenforschung zu begeben. Beispiele aus der Praxis gibt es dazu zu hauf, etwa die Tatsache, dass, durch die Ökonomisierung und Rationalisierungstendenzen von öffentlichen Diensten, die Arbeitsbedingungen von MitarbeiterInnen drastisch verschärft wurden und es durchaus üblich ist, dass ihnen Zeitkontingente pro Klientinnen vorgeschrieben werden. Derartige Tatsachen, werden selten im Zusammenhang mit MigrantInnen thematisiert, haben jedoch auf das Verhalten und das Verhältnis zwischen BearbeiterIn und KlientIn erhebliche Auswirkungen. Für NormklientInnen – wie auch immer diese/r in der konkreten Institution aussehen mögen – wird die Zeit gerade reichen; für jeden etwas komplizierteren „Fall“ wird diese Regel zu einem „Problem.“ In Verbindung mit der Norm „Deutsch als Amtssprache“ erhöht sich für den/die MitarbeiterIn, der Zeitdruck und führt zu verschiedenste Formen von Ausgrenzungsstrategien[3]. MigrantInnen sind davon häufig betroffen, weil sie rasch nicht „NormalklientInnen“ sind. Jedoch auch anderer Personengruppen können rasch in „den Genuß“ der Auswirkungen derartiger Regeln kommen.
Beginnt bei der Planung
Zum Abschluß sei noch ein weiterer Aspekt auf die strukturelle Dimension gerichtet, der das Thema noch etwas komplizierter macht und in das Feld der Strategie/Politik/Führung weist. Strukturelle Diskriminierung beginnt oft noch viel früher, dort nämlich, wo Planung beginnt. Denn in der Aufstellung der Regeln, in der Konzeption von Gebäuden, Infrastruktur, Stadtteilen u.v.m. beginnt bereits oft der Ausschluß von gesellschaftlichen Gruppen, die an der Nutzung gehindert werden. Wie dies etwa bei der Konzeption von Straßenbahnganituren in den 1970-1990er sichtbar geworden ist. Sie waren so konzipiert, dass Menschen, die nicht der Norm entsprachen – und die lautete: männlich, berufstätig, ohne körperliche Einschränkungen, allein unterwegs und ohne größere Gepäckstücke (Aktenkoffer) – größte Schwierigkeiten hatten, die Straßenbahn zu benützen. Ohne andere Fahrgäste, die behilflich waren, ging gar nichts, wenn man RohlstuhlfahrerIn war oder mit einem Kinderwagen von der Tram mitgenommen werden wollte.
Als ein anderes noch grundlegenderes Beispiel sei die Stadt Graz genannt, die bei näherer Betrachtung in zwei Städte zerfällt, in die rechts und links der Mur. An nahezu allen infrastrukturellen Eckdaten[4] kann man die strukturelle Benachteiligung des rechten Murufers ablesen. Diese strukturelle Diskriminierung ist eine gezielte, politische und gemachte.
Im folgenden seien einige weitere exemplarische, strukturelle Diskriminierungsmuster aufgezählt.
Formen von struktureller Diskriminierung:
- Ungleichbehandlung per Gesetz (z.b. Ausländerbeschäftigungsgesetz)
- „vermeintlich objektivierte Rekrutierungsverfahren“ (z.b. Auswahlverfahren)
- Formale Regeln und Normen (z.b. Nostrifizierungsverfahren von Bildungsabschlüssen)
- lang eingeübte und erprobte, unveränderliche Arbeitsabläufe und interne Vorgaben (Formulare, Zeitvorgaben…)
- Intransparenz und Informalität (Netzwerke, Informationskanäle, persönlicher Kontakt)
In den letzten Jahren entstand vor allem durch die Anti-Diskriminierungsrichtlinie der EU (RL 200/43/EG und RL 2000/78/EG), die seit 1. Juli 2004 auch in Österreich in Kraft getreten ist; ein positiver Trend, Diskriminierung nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Wenngleich die österreichische Umsetzung der beiden EU-Richtlinien kritisiert werden kann und muss, so sind dennoch zahlreiche Veränderungen in Österreich auf den veränderten gesetzlichen Rahmen zurückzuführen, insbesondere im Bereich der Stellenausschreibungen und der gleichen Bezahlung bei gleicher Arbeit.
Im folgenden seien noch mögliche zukünftige Aktionsfelder und Potenziale[5] genannt, die in der Auseinandersetzung mit Diskriminierung bearbeitet werden und noch weiter ausgebaucht werden müssen:
- Sensibilisierung/ Bewusstseinsarbeit.
- Diskriminierung auf Führungsebene stärker thematisieren und Strategien dagegen fördern, insb. Öffnungsprozesse und Organisationsentwicklungsprozesse.
- Evaluation der bestehenden Gesetze und etwaige Präzisierungen, Effektivierungsmaßnahmen von Antidiskriminierungsbestimmungen beschließen.
- Verstärkte Forschung und Untersuchungen von strukturellen Diskriminierungspotenzialen, fächerübergreifend fördern.
- Antidiskriminatorische Bildungsarbeit (Schule und Erwachsenenbildung)
- Antidiskriminierungsstellen, -büros als wichtige Anlaufstelle u.v.m….
[1] Der Begriff KlientIn wird hier als Generalbegriff verwendet, da in den verschiedenen Themenfeldern (Soziales, Gesundheit, Jugend, Arbeitsmarkt) verschiedene Begriffe verwendet werden, wie etwa: KundInnen, PatientInnen…
[2] Mit Kulturalisierung und Ethnisierung wird ein politischer Prozess beschrieben, der dazu führt, dass Unterschiede betont und fixiert werden und eine Problemsicht dieser Unterschiede entsteht. Die kulturellen Unterschiede werden schließlich als die Hauptursache für Konflikte udgl. ausgemacht.
[3] Diese etwas vereinfachte und schematische Darstellung wurde im Workshop durch zahlreiche konkrete Fallbeispiele aus der Praxis näher und differenzierter dargestellt. Auf die ausführliche Beschreibung muss hier jedoch verzichtet werden.
[4] Diese sind etwa: Anzahl der verschiedenen Schultypen, insb. Gymnasien, sonstige Bildungseinrichtungen , Kulturstätten, praktizierende ÄrztInnen, Parkflächen u.v.m.
[5] Ohne Anspruch auf Vollständigkeit dabei zu erheben.