Thema Extremismus VII

Die Kunst Demokratie zu verteidigen

Im 7. Teil der Serie zu Extremismus beschäftigen wir uns nun mit dem Gegenpol zum radikalen Islamismus, den Rechtsradikalismus bzw. -extremismus, beide Extreme ergänzen sich leider „wunderbar“ und befördern sich gegenseitig.

Eine kurze Einornung

Bevor wir uns das Feld genauer anschauen, sei eine Übersicht vorangestellt, um zu klären wovon wir da eigentlich reden. Denn eines ist ein Kennzeichen der „Szenen“, die hier ins Blickfeld gelangen. Sie haben sich weit auseinandergespreizt und aufgesplittert. Bei der Auseinandersetzung mit den extremistischen und radikalen Erscheinungen spielen die öffentliche Wahrnehmung und das vermittelte Bild bzw. der Mythos, der sich im Laufe der Zeit entwickelt, eine nicht unerhebliche Rolle.

Der sogenannte Rechtsextremismus ist bei weitem keine einheitlich abgrenzbare und klar definierbare Bewegung. Sie hat eine unglaubliche Fülle an Abzweigungen und Unterbewegungen hervorgebracht und es bildeten sich auch von Land zu Land unterschiedliche Stränge aus, die mal stärker, mal schwächer sind.

Was sie vereint und verbindet …

…sind einige politische Auffassungen und Zielsetzungen. Ein zentrales Element dabei ist eine Gesellschaftsordnung, die von Ungleichheit geprägt ist. Rassistische, antisemitische, minderheiten- sowie frauenfeindliche Weltbilder bestimmen die Szenen gleichermaßen, wenn auch in unterschiedlicher Intensität.

Weiters ist der liberale, demokratische Rechtsstaat bzw. Sozialstaat ein – sozusagen ideologisches – gesellschaftliches Feindbild, der durch einen autoritären Führerstaat, mit einer streng-hierarchischen sozialen und politischen Ordnung abgelöst werden soll.

Gewaltentrennung, Antidiskriminierung, sowie Gleichheits- und Gerechtigkeits-vorstellungen, soziale Wohlfahrt und die Vorstellung von einer Freiheit des Einzelnen und der Heterogenität der Gesellschaft und damit verbunden der Schutz von Minderheiten sind rechtsextremistischen Bewegungen fremd und eint sie auch in der Ablehnung gegen diese „vermeintliche“ Weltordnung, die sich als Nachkriegs-ordnung mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte[1], der Europäischen Menschenrechtskonvention[2] und weiterer folgender Grundrechte insbesondere in Europa und dem nördlichen Amerika als Vorbild herauskristallisiert hat.

[3]

Wichtig ist bei all den Unterarten des Rechtsextremismus der Bezug zu einem Prinzip der Natur/Natürlichkeit, die als absolut angesehen und daher auch nicht in Frage gestellt wird. Ausgeblendet wird, was denn dann die Evolution in der Natur insgesamt und des Menschen im speziellen für eine Rolle spielt und was denn dann eigentlich natürlich sei. Aber mitunter spielen da auch „göttliche“ Ordnungen eine Rolle.

Eng damit zusammen hängt das Volk, die Volksgemeinschaft, die in ähnlich absolutierter und idyllischer Vorstellung dargestellt wird. In dieser streng hierarchischen Gesellschaft hat jede/r seinen Platz. So auch sind die Rollen von Frau und Mann streng geordnet und werden als nahezu „sakrosankte“ Leitbilder verbreitet.

Dieses idyllische, überhöhte und mit der Realität nicht zusammenpassende Kollektiv und dessen Ordnung wird jedoch als Ziel auserkoren – wenn es sein muss – auch mit Gewalt durchgesetzt. Überdies ist Gewalt generell ein legitimiertes, akzeptiertes Mittel zur Durchsetzung der Interessen, nicht nur gegenüber außenstehenden, sondern auch gegen innere Feinde und abweichenden Meinungen[4].

Eng in Verbindung mit den zuvor genannten Prinzipien steht aber auch ein idealisierendes, nationalisierendes Geschichtsverständnis, das davon ausgeht, dass das eigene Volk, von dem „wir abstammen würden“ – da ist der Weg zu einer Mystifizierung der Reinheit der Abstammung nicht weit – ein besonderes sei, ein überlegenes, besseres, ja manchmal dann auch göttliches ist.

Neben der Überhöhung der eigenen Geschichte und der vermeintlichen Berufung auf einen „auserwählten Status“ gibt es auch die Hervorhebung eines Opfermythos: „Wir werden verfolgt, wir wurden unterdrückt, wir müssen leiden, wir müssen uns dagegen wehren, um zu wahrer Größe zu gelangen. Andere „Völker“ wollen uns böses, hindern uns an unserer Entfaltung.“[5]

Entsprechende problematische Entwicklungen in der Vergangenheit der Bewegungen (die Faschisten in Italien) oder des Landes (NS Zeit Österreich, Deutschland) werden bagatellisiert, verharmlost oder gar negiert und zu einer Heroengeschichte umgedeutet. Dieses Phänomen ist aber kein rechtsradikales Merkmal allein, sondern zeigt sich auch in Länder mit demokratischerer Tradition, die meist ihre Kolonialgeschichte nicht oder nur ungenügend aufgearbeitet haben (Belgien, England, Frankreich, Holland u.a.) und daher Kriegsverbrecher, Eroberer und Sklavenhändler als Statuen und Denkmäler verewigt haben[6].

[1] https://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf

[2] https://www.echr.coe.int/documents/d/echr/convention_deu

[3] Kasten zur Definition von dem Verfassungsschutzbericht des BM f. Inneres entnommen

[4]https://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/rechtsextreme-organisationen/zum-begriff-des-rechtsextremismus

[5] Siehe auch: Kaufmann, Albert; Wassermann, Heinz: „Die neue Rechte“. In: Raus aus dem Ghetto. Retzhofer Schriften. 22/1996.

[6] Als ein Beispiel sei hier der holländische Volksheld Piet Hein stellvertretend genannt: https://www.derstandard.at/story/2000092837259/die-unaufgearbeiteten-graeueltaten-der-niederlande

Nazi – Neonazi

Nach dem 2. Weltkrieg erfolgte die Unterscheidung in Nazis und Neonazis; also Personen und Vereinigungen, die sich direkt aus dem NS-Staat – der Ideologie und den Organisationen – in die Nachkriegszeit transformierten. Dabei spielte das mittlere Management, wie Gerhard Sälter dies in einem Vortrag nannte, Funktionsträger des NS Staates und der Partei eine wesentliche Rolle, die unter anderem auch in der Gründung des VDUs (Verband der Unabhängigen)[7] im Jahre 1949 mündete.

Er wurde rasch ein Sammelbecken der ehemaligen NS Kader und Anhänger, auch wenn es ursprünglich die Intention der Gründer (Reimann und Kraus) war, die Partei nationalliberal aufzustellen, so war dieser „liberale“ Flügel immer recht schwach und konnte sich nicht richtig durchsetzen.

„Über 500.000 NS-Belastete waren 1945 von den ersten Wahlen der Zweiten Republik ausgeschlossen worden. Mit dem Nationalsozialistengesetz von 1947[8] wurde aber der weitaus größte Teil als „minderbelastet“ eingestuft und erhielt das aktive und durch die Amnestie im Folgejahr auch das passive Wahlrecht zurück. Der VDU wurde deren Auffangbecken und zur politischen Heimat[9].

Nach anfänglichen Erfolgen bei Landtagswahlen wurden die NS-Umtriebe in der Partei allzu deutlich, da sie oft direkten Bezug zur NSDAP und/oder SS bei Veranstaltungen nahmen. Parteiverbote durch das Innenministerium standen im Raum, da die Alliierten diesen Entwicklungen nicht länger zusehen wollten. Aufgrund von internen Querelen, Spaltungen und unterschiedlichen Bündnissen mit anderen Kleinparteien und Bünden und der Gründung der FPÖ 1955, löste sich der VDU nach der Vereinigung mit der FPÖ auf.

Da die FPÖ für viele der alten Kader zu reformorientiert und „liberal“ war; unter anderem wurde der demokratische Rechtsstaat, im Wesentlichen doch anerkannt, entstand 1967 die Nationaldemokratische – NDP[10], die von Norbert Burger geführt wurde, der 1980 sogar für die Bundespräsidentschaft kandidierte. Die NDP orientierte sich stark an der NPD – Nationaldemokratische Partei Deutschland[11].

Beide Parteien enthielten in ihren Programmen wesentliche Teile der NSDAP Ideologie und bewegten sich ganz bewusst immer am Rande des Verbots- bzw. des deutschen Grundgesetzes.

Gegen die deutsche NPD gab es Anträge auf ein Verbot der Partei, die jedoch scheiterten. Die deutsche NPD sah sich auch als Unterstützer von Entwicklungen in Österreich. In weiterer Folge brachte sie zahlreiche Ableger hervor, die bis zu terroristischen Vereinigungen (etwa der NSU[12]) reichte. Aber auch die zwischenzeitlich rein quantitativ starke Bewegung Pegida[13] und folgend die AFD[14] speisten sich später aus dem Umfeld und der ideologischen Basis.

1988 wurde die NDP vom österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfgH) verboten. Aber für den österreichischen Raum erschien insgesamt die FPÖ wesentlich relevanter. Bis zur Machtergreifung von Jörg Haider[15] war die FPÖ auf einem strategischen Schlingerkurs und blieb bei Wahlen immer unter 10%. Das sollte sich erst mit Haider ändern. Die Basis war großteils rechtsextrem und neonazistisch infiltriert, jedoch ein kleiner Kader bestand aus rechts-liberalen Honoratioren, die die Partei einigermaßen salonfähig und damit auch in den Regierungen mit der SPÖ hielten.

Friedrich Peter[16], ihr langjähriger Obmann und Vorsitzender repräsentierte wohl am besten diese Phase und die schwierige Positionierung der Partei. Selbst Mitglied der NSDAP und SS war er im Ostfeldzug der Einsatzgruppe C zugeordnet und an Kriegsverbrechen beteiligt, stellte sich aber als liberales Element in der FPÖ dar und führte die FPÖ – zuerst in die Duldung einer SPÖ Minderheitsregierung – später in einer Koalition.

Dieser strategische Schlingerkurs der FPÖ führte zu zahlreichen Ausschlüssen und Abspaltungen. Insbesondere im studentischen Umfeld entwickelte sich wesentlich jüngere und radikalere Kader, die sich etwa auf universitärem Boden mit Aufmärschen, Veranstaltungen und Wahlwerbung für die ÖH Wahlen manifestierten. Neben der Jugendorganisation ist die Aktion Neue Rechte ANR[17] zu nennen, die sich von der NPD abspaltete und auch zu ÖH Wahlen antraten.

[7]https://ihsf.at/Projekte-u-Publikationen/Projekte/Vortragsnachlese_Der-NS-Untergrund-in-Oesterreich-nach-1945.html

[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Entnazifizierung#Entnazifizierung_im_besetzten_%C3%96sterreich

[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Verband_der_Unabh%C3%A4ngigen.

[10]https://de.wikipedia.org/wiki/Nationaldemokratische_Partei_(%C3%96sterreich,_1967%E2%80%931988)

[11] https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/500796/nationaldemokratische-partei-deutschlands-npd/

[12]https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/500799/nationalsozialistischer-untergrund-nsu/

[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Pegida

[14] https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/handwoerterbuch-politisches-system/511455/die-afd/

[15] https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%B6rg_Haider

[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Peter_(Politiker)

[17]https://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/neues-von-ganz-rechts/archiv/mai-2000/rechtsextremer-hintergrund-eines-ministersekretaers-fpoe

Bildquelle: Verfassungsschutzbericht 2022 des BMI

In den 1960ern und -70ern entstanden neue Organisationen, die als Neonazis bezeichnet wurden. Sie waren sowohl ideologisch als auch personell von den alten Kadern beeinflusst, hatten jedoch in der Regel die NS Zeit und den 2. Weltkrieg nicht mehr selbst miterlebt, höchstens als Kinder/Jugendliche. Die Kader waren also deutlich jünger. Nicht selten spielte dabei die Familiensozialisation und die Netzwerke eine erhebliche Rolle; wie dies etwa anhand der Familie Schimanek[18] exemplarisch dargestellt werden kann.

Diese zweite Generation bezog sich eindeutig auf den Nationalsozialismus und auf eine Wiedererrichtung des NS-Staates, inklusive all der Mythen, die in Österreich populär waren. Leugnung und/oder wahlweise Verharmlosung des Holocausts, Kampf gegen das Verbotsgesetz, extremer und gewalttätiger Antikommunismus – damit auch Legitimierung des Vernichtungskrieges gegen Russland. Gerade unter den Jungen traten antikapitalistische (weil eben jüdisch) und antiklerikale Töne wieder öfters zu Tage und erinnerten damit an die frühen Jahre der SA und der NSDAP.

Neue Rechte – außerparlamentarische Extremisten

Sie markierten aber auch eine neue Entwicklung, denn ihre Kader waren jung, aus den Burschenschaften kommend und von „alten Herren“[19] beeinflusst, jedoch im gesamten Auftritt und Gehabe nicht mehr „honorig“, sondern militant, gewaltbereit, sich an den frühen Jahren der SA und SS orientierend. Ihr Interesse an parlamentarischer Arbeit war ebenfalls enden wollend, außer es diente strategischem Kalkül; so war auch die Teilnahme an ÖH Wahlen zu verstehen. Man konnte damit Infrastruktur nutzen, erhielt Zugang zu Ressourcen, konnte Sitzungen und Gremien beobachten, aber auch stören und Entscheidungsprozesse verzögern.

Sie wollten den Umsturz durch Aktionen, durch die „Macht der Straße“.  Eine konstruktive demokratische Arbeit lag nicht ihrem Sinn, sondern lediglich die Blockade, die Provokation und die Bühne der ÖH zu nutzen, um Aufmerksamkeit zu erzielen. 1979 wurde die ANR von der Wahlkommission der Hochschülerschaft von den ÖH Wahlen ausgeschlossen. Einem drohenden Verbot nach dem Wiederbetätigungsparagrafen entging die ANR durch Selbstauflösung.

Zahlreiche Kader der ANR zog es in der Folge in den Dunstkreis der FPÖ, wurden etwa Sekretäre des Ringes freiheitlicher Wirtschaftstreibender oder gründeten neue Organisationen wie die VAPO – Volkstreue außerparlamentarische Opposition[20]. Bekanntester VAPO Mann war Gottfried Küssel. Ebenso bekannt wurden die „Wehrsportübungen“, die die VAPO organisierten[21].

Ebenso einen gewissen Einfluss – insbesondere in dem rechtsextremen, neonazistischen und rechtskonservativen Milieu – erlangte die AFP – Aktions- oder Arbeitsgemeinschaft für Politik[22]. Sie traten durch Veranstaltungen und der Einladung von kontroversiellen Rednern, wie etwa dem Holocaustleugner David Irving[23] hervor und gaben die Kommentare zum Zeitgeschehen heraus[24].

Mit der Machtübernahme durch Jörg Haider verbesserte sich das Verhältnis der radikalen außerparlamentarischen Gruppierungen mit der Parlamentspartei FPÖ wieder. Sie rückten näher aneinander, auch für die Öffentlichkeit sichtbar. Personell gab es ja ohnehin immer enge Verknüpfungen und Beziehungen (siehe auch die Familie Schimanek).

Mit diesen „neuen“ Bewegungen verbreiterte sich auch das Spektrum des Rechtsradikalis-mus. Die starke Rückbesinnung auf die NS Zeit und den 2. Weltkrieg rückte in den Hintergrund. Die neuen Organisationen und Personen – fest auf dem alten Fundament des Faschismus stehend – orientierten sich stärker an der Gegenwart.

Sie kritisierten schon früh die Migrations-politik, die Integration der Länder in die EU (damals noch EG genannt), den amerikanischen Multikulturalismus und -kapitalismus, der als Codierung immer mit Antisemitismus verbunden war. „Die Ostküste“ galt als Codewort für antisemitische Weltverschwörung. Sie griffen kultur- und identitätspolitische Themen auf, wie etwa die Kritik an der 68er Bewegung oder am Feminismus, später dann an der hochstilisierten sogenannten “Woke Bewegung“[25].

Strategisch geschickt, führten sie neue Begriffe ein und verstanden moderne Kommunikationsformen für sich zu nutzen und erkannten die Wichtigkeit von Begriffen und bestimmten Erzählungen, die damit verknüpft werden für den öffentlichen Diskurs.

So trommelten sie schon früh den Begriff „Asylant“, um einen diffusen unklaren Begriff zu etablieren, diesen mit negativ konnotieren anderen Begriffen in Verbindung zu bringen, wie etwa „Sozialschmarotzer“ oder Kriminalität[26]. Bis in die 1990er Jahre war nämlich das offizielle Österreich durchaus stolz auf seine „liberale Flüchtlingspolitik“ Politiker (sic!) in dieser Zeit sprachen davon, was „der Schweiz das Rote Kreuz sei, wäre für Österreich die Flüchtlingspolitik[27]

[18] https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_J%C3%B6rg_Schimanek

[19] https://de.wikipedia.org/wiki/Studentenverbindung

[20] https://de.wikipedia.org/wiki/Volkstreue_au%C3%9Ferparlamentarische_Opposition

[21] https://de.wikipedia.org/wiki/Volkstreue_au%C3%9Ferparlamentarische_Opposition

[22] https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitsgemeinschaft_f%C3%BCr_demokratische_Politik

[23] https://de.wikipedia.org/wiki/David_Irving

[24]https://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/rechtsextreme-organisationen/arbeitsgemeinschaft-fuer-demokratische-politik-afp

[25] https://de.wikipedia.org/wiki/Woke

[26] Siehe auch: Gulis, Wolfgang: Rechte Meinungshegemonie. S. 19-20. In: Zebratl 5/2006, Graz.

[27] C.E.D.R.I.: Asylrecht ist Menschenrecht. Internationales Symposium in Memoriam Christian Broda. Eigenverlag C.E.D.R.I., Basel, 1987.

„Identitäre Scharfmacher im lockeren Gewand“

Mit dem Aufkommen der Neuen Rechten und der „identitären Bewegung“ vervielfältigte sich das Spektrum der rechtsextremen bzw. -radikalen Bewegungen. Die Identitären etablierten sich als jung, modern, dynamisch, digital und öffentlichkeitsaffin. Sie scheuten sich nicht, Aktions- und Auftrittsformen zu kapern, die eher linken Protestformen zugeordnet waren.

Selbst, immer ein kleiner Kreis an Mitglieder bleibend, erlangten sie durch die Protestformen und ihre Social-Media Aktivitäten jedoch erhebliche politische Relevanz und Aufmerksamkeit[28]. Aufgrund dessen musste sich die FPÖ positionieren und ihre „Nähe oder Distanz zu den Identitären klären“. Das waren jedoch lediglich strategische Äußerungen. Norbert Hofer und einige andere FPÖ Funktionäre, während der Regierungszeit 2017-2019 mit der ÖVP[29], distanzierten sich formhalber von den Identitären in den Jahren 2019/2020[30].

Spiel-Standbein Taktik


Dies ist mittlerweile jedoch längst aufgehoben; mit der Machtübernahme von Herbert Kickl ist nicht nur das interne, personelle, inhaltliche, sondern auch das öffentliche Band zwischen der Partei und den Identitären und anderen rechtsextremen
Organisationen wieder deutlich sichtbarer und offenkundiger.

Die Strategie dabei ist eine offenkundige – entlehnt vielen linken und später
grün-alternativen Bewegungen, die sogenannte Stand- und Spielbeintheorie. Damit meint man die Verbindungen und Abstimmung zwischen parlamentarischen
Initiativen und Parteien und außerparlamen-tarischen Organisationen.

Dabei geben die außerparlamentarischen Aktionen das Tempo vor. Sie initiieren und legitimieren den Protest auf der Straße. Die nahestehenden Parlamentsparteien über-setzen diesen auf die öffentliche – legistische – demokratische Ebene. Heute ist
nicht allein die Straße ausschlaggebend, wie dies etwa noch in den 1960ern ff der Fall war, sondern heute spielen viele digitale Formen der Verbreitung, Skandalisierung und Provokation eine weitaus stärkere Rolle.

Beobachtbar war dies in den 1960er mit der sogenannten Studentenbewegung, der sogenannten APO[31], später konnte man das auch an der aufkeimenden Umweltbeweg-ung[32] sehen, die folgend die Grünen als Partei hervor- und ins Parlament -brachte und die die Anliegen der Umweltbewegungen auch im Parlament eine Stimme verliehen.

Die Identitären verstehen sich in dieser Tradition, wenngleich inhaltlich völlig anders gepolt. Ihr Nutzen und ihre Strategie sind jedoch ähnlich. Sie breschen mit Aktionen und Begriffen vor, erzeugen Aufregung und nicht selten auch Empörung und Abgrenzung. Die FPÖ als parlamentarische und demokratisch
legitimierte Organisationen folgt, verteidigt, legitimiert und verbreitet die Anliegen. Am Beispiel des Begriffes „Remigration“[33] kann das strategisch-politische Vorgehen der Rechtsextremen gut nachvollzogen werden.

„Internationale Nationalist*innen“


Eine erwähnenswerte Entwicklung im Rechts-extremismus ist auch die zunehmende Internationalisierung der Bewegung. Die österreichischen Erscheinungsformen lassen sich von anderen nicht mehr abkoppeln.

Waren früher gerade die rechtsextremi-stischen Strömungen wenig vernetzt. Abgesehen von den traditionell und ideologisch nachvollziehbaren starken Banden nach Deutschland, operieren und agieren die unterschiedlichsten rechts-extremen und neonazistischen Strömungen mittlerweile zunehmend international und vernetzt.

Insbesondere die starken Bewegungen in den USA, die mit dem Kursschwenk der Republikaner unter Donald Trump sich immer näher an rechtsextreme Positionen annäherten und auch keine Scheu hatten, sich mit weit rechtsstehende, neonazistische und gewaltbereite Gruppen zu vernetzen, haben deutlichen Einfluss und bescherten dem Spektrum einen deutlichen Aufschwung. Dies wurde besonders beim Sturm auf das Kapitol deutlich[34].

Sektierer* und Obskurant*innen

Mit dieser Internationalisierung verstärken sich aber auch Kleinbewegungen und Sektierer, die früher als obskur zu bezeichnen waren; wie etwa die Q-Anon Bewegung[35] oder alle möglichen Unterordnungen und Abzweigungen von Staatsverweigererbewe-gungen[36], die traditionell in den USA eine gewissen Bedeutung hatten. Jedoch auch in Deutschland und Österreich nicht nur stärker werden, sondern auch gewaltbereiter[37]. Durch die Digitalisierung und Vernetzung gewinnen Bewegungen, die sich früher eben am Rande, nahezu bedeutungslos waren, mehr an Gewicht.


[28] https://www.derstandard.at/story/2000034332475/graz-identitaere-klettern-auf-dach-der-gruenen

[29] https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesregierung_Kurz_I

[30] https://orf.at/stories/3191787/

[31] https://de.wikipedia.org/wiki/Au%C3%9Ferparlamentarische_Opposition

[32] In Österreich war dies der Widerstand gegen das AKW-Zwentendorf und
später die Besetzung der Hainburger Au.
[33] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/remigration-rechtsextremes-framing-fuer-deportations-fantasien-108077/

[34] https://www.sueddeutsche.de/politik/usa-kapitol-sturm-mob-einordnung-1.5167230

[35] https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/glossareintraege/DE/Q/qanon.html

[36] https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsverweigerer

[37] https://orf.at/stories/3109042/

Heimatidylle wird groß geschrieben…

Schließlich gehören auch noch Abzweigungen erwähnt, die sich in Alien- und Reptiloidenfantasien ergehen. Zumeist und in der Regel sind dabei aber wichtige faschistoide und rechtsextreme Elemente enthalten; wie etwa antidemokratisch, staatsverleugnend, -ablehnend, autoritär und antisemitisch, verschwörerisch und gewaltbereit.

Dieses bunte und obskure Sammelsurium erlangte durch die digitalen Plattformen in den letzten Jahren ein ideales Feld der Verbreitung, da regulatorische Mechanismen und journalistische Sorgfaltspflichten im digitalen Raum ausgeschalten sind. Nach dem Motto: „Jeder darf verbreiten, was er will.“

Diese Laissez Faire Haltung wird aber politisch instrumentalisiert und führt zu immer stärker werdenden rechtsextremen, rassistischen, antisemitischen und misogynen Positionen, die mehrheitsfähig erscheinen. Im digitalen Raum entfällt der legistische und demokratische Rahmen, sowie die Bedeu-tungslosigkeit kann durch Algorithmen aufgehoben werden. 

Eine andere Richtung von Einflüssen kann als esoterische Rechte bezeichnet werden. Der Bezug zur „Mutter Natur“ ist dabei ein wichtiges Einfallstor. Vor allem gibt es einen Konnex zu natürlichem, einfachem Leben. Da ist einerseits die Natur- und Umweltbewegung anfällig, sich etwa gegen „Chemie“ zu wenden und in weiterer Folge dann auch ein tiefes Mißtrauen gegen den Staat, Phamakonzerne und dem „System“ allgemein zu entwickeln.

Ein weiterer Strang kann eine rückwärtsge-richtete Bewunderung der alten – archai-schen, vorindustriellen – Zeiten sein, in der die „natürlichen Ordnungen“ – mit allen dazugehörigen Mythen und Rollenklischees und -bilder – noch gegolten haben. Da kann dann mitunter auch eine Bewunderung und einem Nacheifern von alten Germanen-, Normannen-, Wikingerkulten dazu kommen und/oder ein Aussteigertum, das mitunter an alte ländliche Hippiekommunentraditionen erinnern.

Diese Formen wiederum knüpfen an Staatsverweigerer- und Prepperbewegungen[38] an, die für sich schon ein apokalyptisches Bild der Gesellschaft zeichnen und nicht selten, sich auf einen Bürger- oder Endzeitkrieg vorbereiten, in der die jetzigen Gesellschaften hinweggefegt werden und ein neues „Gottes- oder Königreich“ errichtet werden kann, nicht selten aber auch die Wiedererrichtung des „3.Reiches“ fantasiert wird.

Wichtig zu betonen ist, all diese kursorisch aufgezählten Richtungen für sich keine rechtsextremen Bewegungen. Es gibt aber zahlreiche einzelne ideologische Versatzstücke – wie etwa der Bezug zur Natur oder die Ablehnung von staatlichen Institutionen sowie das Schüren von Misstrauen gegenüber etablierten Medien, Zeitungen, Radio und TV Stationen – die von rechtsextremen Bewegungen benutzt werden, um dort Zustimmung und Unterstützung zu finden und die gezielt auch angesprochen und aktiviert werden.

Corona Pandemie – rechtsextremer Brandbeschleuniger

Ein weiterer Faktor der Dynamisierung erfolgte durch die Corona Pandemie, die als ideales Feld für allerlei „antistaatliche Propaganda“ diente. Durch die Einschrän-kungen der Regierungen und den Maßnah-men gegen die Ausbreitung der Pandemie (Lockdowns, Besuchsbeschränkungen, Impfprogramme und Impfpflicht) fanden rechtsextreme Gruppen ein ideales Feld vor, allerlei Propaganda und Falschmeldungen in die Welt zu setzen, die in den Zeiten der Verunsicherungen und Angst auf großen Zuspruch und Verbreitung trafen: Von antisemitischer Weltverschwörung, Übernahme der Weltherrschaft durch Pharma-Konzerne, jüdischen Globalisten oder Reptiloiden, globalen Multis oder Chips Implantaten, die mit der Corona Impfung eingepflanzt würden.

Der Bogen von verschiedensten Erzählungen war breit und für alle war etwas dabei. Manches klang dabei absurd, bizarr und überzogen, manches hatte davon einen kleinen Kern von Wahrheit oder zumindest den Anschein davon, dass daran etwas richtig sein könnte.

Eine Diskussion über die besten und richtigen Maßnahmen gegen eine Ausbreitung einer Pandemie ist ja an sich weder rechtsextrem noch obskurant, wurde jedoch von den rechtsextremen Milieus genutzt, um zu überzeichnen, Falschmeldungen herzustellen, absurde Behauptungen aufzustellen und den öffentlichen Diskurs ihren Intentionen gemäß zu steuern.

Aufgrund dessen, dass auch gezielt Medien (Zeitungen, Radios und TV Stationen, wie der ORF) angegriffen und als Teil von Verschwör-ungen und Kampagnen gesehen wurden, gleichzeitig jedoch auch über die digitalen Netzwerke und Plattformen „eigene Kanäle“ aufgebaut wurden, die ungefiltert ihre eigenen rechtsextremen Narrative und Behauptungen verbreiten konnten, geriet auch die öffentliche, politische Kommuni-kation und in Folge dessen auch die öffentliche Meinung in eine Schieflage[39].

Faktum ist, dass nahezu alle rechten, rechtspopulistischen, rechtsextremen und neonazistischen Parteien und Gruppierungen von diesem Trend profitieren konnten. Es gelang ihnen, weit in Bevölkerungskreise vorzudringen, die sie bis dato nicht erreicht werden konnten und die für rechtsradikales Gedankengut nicht anfällig schienen.

Die Verteufelung von „Mainstreammedien“ und der gleichzeitige Aufbau von „Alternativmedien“ – beides Begriffe, die aus dem rechtsextremen Milieu stammen, jedoch dort nicht entstanden, sondern lediglich von alternativ-grün-linken Bewegungen aus dem 1970er – 90er abgekupfert wurden – führte dazu das immer mehr Menschen sich nur mehr über bestimmte Kanäle informieren – wie etwa dem Medienkanal des Red Bull Konzerns Servus TV[40], der professionell den Anschein von Seriosität erweckt, aber in Wahrheit das Bindeglied zu den Verschwörungs- und rechtsextremen Medienprodukten darstellt.

[38] https://de.wikipedia.org/wiki/Prepper

[39] Siehe auch Teil IV und V der Serie.

[40] https://de.wikipedia.org/wiki/ServusTV

Nach dem Abebben der Corona Pandemie waren jene zuvor beschriebenen Kreise weiter aktiv und bemühten sich das Thema für die Öffentlichkeit wach zu halten. Dies gelang durch die oben erwähnten Unterstützer leidlich. Insbesondere die FPÖ Regierungsbe-teiligungen hielten das Thema in der Öffent-lichkeit; etwa durch die Installierung eines Hilfsfonds für Corona Folgen[41].

Aktueller Schlusspunkt: Die Klimakrise

In den letzten Jahren wurde jedoch – inter-national koordiniert – die „Klimakrise – der Klimawandel“ zum Hauptthema von rechter – bis rechtsextremer Politik auserkoren. Insbesondere dort, wo grüne Regierungsbe-teiligungen einen stärkeren Fokus auf das Thema legten, wurde auch der Widerstand stärker. Wobei auch innerhalb dieser Backlash-Bewegungen eine ziemliche Bandbreite vorhanden ist.

Von eher wirtschaftsliberal-konservativen Positionen, die sich Sorgen, um die schlingernde Autoindustrie machen und die Maßnahmen lindern wollen, bis zu Leugner*innen der sich verschärfenden Klimakrise, finden sich zahlreiche Abstufungen.

Auch russlandfreundliche Positionen sind darin zu finden, die einen Ausstieg aus Kohle und Gas zwar nicht öffentlich verhindern, jedoch ihn solange wie möglich hinaus-schieben versuchen und allerlei Beweise und Fürsprecher*innen finden, dass die Klimakrise keine von Menschen gemachte sei, sondern bestimmte natürliche Schwankungen der Temperaturen sei, die es immer schon gegeben habe. Wiederum Andere wiederum leugnen den Klimawandel nicht, sind jedoch überzeugt, diesen durch neue Technologien bewältigbar zu machen.

Rechtsextreme und Putin

Wir haben also eine Reihe von neuen Einflussfaktoren, die den Rechtsextremismus zu neuen Höhenflügen verholfen haben. Neben der Internationalisierung, der digitalen Expansion und Nutzung – unser Leben hat sich ja zusehends in die virtuelle Welt verlagert – und der damit verbundenen Gesetzlosigkeit oder fehlender oder zu schwacher Regularien und der politischen Krisen, die in den letzten Jahren kumuliert sind (Ukraine Krieg, Corona, Wirtschaftskrise etc.) ist ein wesentlicher Aspekt dazu gekommen.

Die russische Diktatur und Oligarchie führt nicht nur richtige Kriege in Tschetschenien, Georgien, Syrien und Ukraine[42], sondern auch hybride – offene und verdeckte – gegen den Westen im Allgemeinen und gegen pluralistische, demokratische, rechtsstaat-liche Systeme im Besonderen[43].

Dabei bedient er sich unterschiedlichster Aktivitäten, teils öffentliche Propaganda, teils verdeckte Geheimdienstoperationen. Hinzu gekommen sind in den letzten Jahrzehnten auch sogenannte Troll Fabriken[44]; also gut ausgestattete und bezahlte IT-Zentren, die hauptsächlich damit beschäftigt sind, Falschmeldungen, Deep Fake Videos, Denunziationskampagnen zu starten und zu verbreiten, aber auch Hacker Angriffe durchzuführen.

Zum Repertoire gehören auch Weiterleitung von vermeintlichen Meldungen und Nachrichten, die im Netz kursieren. Dazu werden auch massenweise Fake Accounts – also falsche Accounts, hinter denen keine Personen stehen – und Social Bots[45] in Anwendung gebracht.

Zahlreiche Länder sind damit befasst, sich dagegen zur Wehr zu setzen, was jedoch gar nicht leicht ist, da man die Dimension der hybriden Angriffe, insbesondere von der Politik lange unterschätzt hat. Ein Ziel der Putin´schen Aktivitäten ist auf jeden Fall (potenziell) antidemokratische Kräfte in den jeweiligen Ländern zu unterstützen und damit die verschiedenen Institutionen und demokratischen Einrichtungen auch von Innen her zu schwächen und angreifbar zu machen.

Großen rechtsextremen Parteien wie der AFD, dem französischen Rassemblement National[46] oder der FPÖ konnten in der Vergangenheit immer wieder derartige Kooperationen nachgewiesen werden[47]. Viel verdeckter sind jedoch die finanziellen und operativen Unterstützungen von weit rechts- und linksstehenden Organisationen, die gezielt von Putins Schergen unterwandert werden und finanziell bedacht werden[48].

Was auf den ersten Blick absurd erscheint, macht jedoch in der Logik von Putin und anderen Diktatoren sehr wohl Sinn; Kräfte innerhalb der „westlichen Welt“ zu fördern und zu unterstützen, die den Diskurs wesentlich beeinflussen und demokratische Prinzipien in Frage stellen und Institutionen angreifen.

Insoferne sind die stark auseinandertrei-benden Kräfte, die in den letzten Jahren allseits bekritelt werden, auch Entwicklungen von globalen Machtkämpfen, die durch extremistische und rechtsextreme Strömun-gen maßgeblich beeinflusst worden sind.  

[41] https://transparenzportal.gv.at/tdb/tp/leistung/1063817.html

[42] https://zdfheute-stories-scroll.zdf.de/putin-kriege-ukraine/index.html

[43] https://www.derstandard.at/story/3000000262567/marsalek-spione-fuehrten-anti-ukrainische-einflussoperation-in-wien-durch

[44]https://www.profil.at/investigativ/projekt-factoryoffakes-maschinenraum-putin-propagandafabrik/402948710

[45] https://www.bsi.bund.de/DE/Themen/Verbraucherinnen-und-Verbraucher/Informationen-und-Empfehlungen/Onlinekommunikation/Soziale-Netzwerke/Sichere-Verwendung/Exkurs-bots/social-bots.html

[46] https://de.wikipedia.org/wiki/Rassemblement_National

[47] https://www.diepresse.com/5136136/fpoe-schliesst-fuenf-jahres-vertrag-mit-kreml-partei

[48] https://www.dw.com/de/afd-und-bsw-zwei-freunde-f%C3%BCr-russland/a-70028502

…auch wenn sie mit der Realität kaum noch was zu tun hat.