Intro: Spiel mit dem Leben der Anderen

Beim Nationalteam gibt es 8 Millionen Teamchefs im Land“. Ähnlich verhält es sich auch mit den Themenkomplexen „Migration – Flucht – Asyl“. Kaum jemand, der/die sich nicht dazu äußert und es ganz genau weiß, wie das mit den „Asylanten“ oder den „Wirtschaftsflüchtlingen“ sei und dementsprechend auch eine „schnelle, einfache Lösung“ parat hat, was zu tun sei.

In den mehr als 34 Jahren, in denen ich mich mit den Themen beschäftige, bleibt mir eine zentrale Erfahrung: Es gibt keine „schnellen“ und schon gar keine „einfachen“ Lösungen. Die Sachlage ist viel zu verworren und kompliziert. Individuelle Befindlich-keiten spielen ebenso eine Rolle wie lokale Bedingungen. Föderale Vorgaben haben manchmal große Auswirkungen, nationale, wie internationale Gegebenheiten sind unterschiedlich und/oder ziehen sich durch die jeweiligen Konfliktgeschichten und -ursachen, die zu Migration im weitesten Sinne führen. Denken Sie nur an die letzten großen Migrationsströme, die Österreich bewegt hat: Die Diaspora aus den Ex-Jugoslawien Kriegen, die tschetschenische Fluchtbewegung oder jene aus Syrien und Afghanistan. Wirtschaftliche Ausbeutung, Entwicklungshilfe, grassierende Ungleichheit, Folgen des Kolonalismus, Globalisierung, ethnische, religiöse Konflikte spielen ebenso wichtige Rollen wie öffentlich, politisches Kalkül und strategische Diplomatie und Machtinteressen im Inneren[1].

Eigentlich ein ideales Feld Mehrdeutigkeit aus zu halten, Widersprüchlichkeiten zu akzeptieren.

Doch genau damit haben wir so unsere Probleme. Wir wollen es lieber eindeutig, klar: Ja oder Nein. Aber es geht immer auch um Menschen, um Lebensentwürfe, um Schicksale, zerstörte Hoffnungen auf eine bessere Zukunft und auch die Verwirklichung eines Traumes. Davon ist jedoch zumeist nicht die Rede.

Alle die so tun, als hätten sie die Lösung („Alle Ausländer raus“) haben in Wahrheit nur Lösungen auf einzelne, aktuelle Fragen. Die Wirklichkeit, die Vielschichtigkeit werden verkannt. Lösen wir ein Problem, tun sich viele andere auf. Die Schaumschläger*, Angeber*, Politinszenierer*innen sind überall und sind an langfristigen, nachhaltigen Lösungen nicht interessiert, das würde Arbeit bedeuten. Deswegen eignet sich das Thema für Populismus aller Art.

Die österreichische Migrationspolitik ist von Parolen durchzogen, trieft von Stehsätzen – etwa: „Integration vor Neuzuzug“ oder „die Schlepper-kriminalität bekämpfen.“ Diese werden seit Jahr-zehnten getrommelt und wurden nicht gelöst; im Gegenteil, es wurde nur noch schwieriger.

„Die österreichische Migrationspolitik“ exisiert nicht. Es ist vielmehr ein Reagieren auf Schlagzeilen und sich verlassen darauf, dass sich das Problem schon irgendwie lösen wird und wenn das nicht geht, hoffen, dass es jemand anderer löst (Griechenland, Türkei, der Nachbar, die USA, die NATO…). Lösungen brauchen Expertise, eine Zielvorstellung unter den Rahmenbedingungen, die Demokratie ausmachen (etwa Menschenrechtskonform), Einsatz von Geld, internationale Vereinbarungen, Ressourcen und Personal. Dazu kommen ein paar unbequeme Wahrheiten, die öffentlich gemacht werden und diskutiert werden müssen. Doch wer will das angesichts der „Öffentlichkeit“[2] schon?

Meine Expertise basiert darauf, dass ich das gesamte Feld „von der Pike auf“ erfahren und kennenlernen durfte; zuerst als Berater, als Helfer, als Organisator. Damit einherging das Aneignen von Wissen, Daten, Fakten; immer im Abgleich und Austausch mit der Praxis und den realen Zuständen und Hintergründen, die vorzufinden waren.

Die Fähigkeit, politische, wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge zu entdecken und zu entschlüsseln, braucht auch die Reflexion über eigene Bilder, Mythen, Vorurteile und Annahmen und die der Gegenüber und Andersdenkenden.

Ich bin auf Podien gesessen, habe Interviews gegeben, Workshops, Vorträge und Lehrveranstaltungen abgehalten, gestritten und überzeugt, polemisiert und sachlich erläutert. Aus diesem Fundus speist sie die mehrteilige Serie „Spiel mit dem Leben Anderer“. Sie unterteilt sich ganz grob einerseits in das Kapitel „Asyl und Flucht“ (Kapitel 1) und andererseits in den Themenbereich „Migration und Zuwanderung“ (Kapitel 2), wohl wissend, dass diese Einteilung fließend und durchlässig ist, auch wenn uns die Politik gerne weismachen würde, dass das klar unterscheidbar wäre. Aber es ist nunmal eine Kategorisierung, die es gibt und die wirkmächtig ist.

Wenn Sie sich darauf einlassen, der Serie zu folgen, was ich hoffe, dann sei Ihnen gesagt: Es wird nicht einfacher. Es wird nicht leichter. Im Gegenteil.

Es ist keine easy going Serie, bei dem sie nach jedem Kapitel, einen Handwerkskoffer und Ratschläge erhalten und danach wissen, wie es geht. Der Realität ist dem nicht beizukommen. Sie erfordert Anstrengungen, sowohl intellektueller als auch politischer, sozialer und wirtschaftlicher. Sie erfordert auch emontionale Anstrengung, sich den eigenen Annahmen oder Überzeugungen zu stellen, sie zu überprüfen, zu hinterfragen. Und ich hoffe sehr, dass Sie sich dieser Ochsentour unterziehen. Ich kann versprechen, es bleibt nicht nur spannend, sondern auch bereichernd.

Also, sind Sie bereit? Dann legen wir mit dem ersten Teil der Serie: „Die Entstehung der GFK“. Los.


[1] Hier sei auf die Aussagen der jeweiligen Bundesregierung zu den Flüchtlingsquartieren in Griechenland oder den Abschiebeflügen nach Afghanistan verwiesen.

[2] Alle Arten der digitalen Öffentlichkeiten sind hier ausdrücklich mit gemeint.