Wir müssen die illegale Migration bekämpfen! Müssen wir?

Die von rechtsextremen, -populistischen Politiker*innen gesetzten Themen halten uns als Gesellschaft auf Trab,  in die falsche Richtung, das ist gewiss. Details aus dem Asylmaschinenraum.

Seit Anfang der 1990er Jahre inszenieren sich die jeweils an der Macht befindlichen Herrschenden, als jene, die dem „Schlepperwesen“ oder der „Schleppermafia“ das Handwerk legen wollen.  „Illegale Migration“ bekämpfen, kommt im Boulevard und dem Mainstream gut an; beschäftigt die Medienleute, gibt Politiker*innen Redezeit in Talkshows, lässt die imme gleichen Expert*innen auftreten, die ihren Senf für und wider dazu geben können und bietet diversen Scharfmacher*innen die entsprechende Welle, auf der sie dahin reiten können. Vor allem aber befördert es ein bestimmtes öffentliches Narrativ, worüber wir also eigentlich – nach Meinung der Rechtsextremen diskutieren sollen. Dabei geht unter und wir merken es nicht, wogegen wir eigentlich etwas unternehmen sollten.

Schließlich fragen die wenigsten (Medien und Wähler*innen) ein zweites Mal nach, wie es eigentlich bisher funktioniert hat – denn Flüchtlingsbewegungen gibt es ja nicht erst seit 2015 – und was die Ergebnisse sein sollten?

Symptome – völlig uninteressant?

Gut, die letzte Frage scheint noch am einfachsten zu beantworten zu sein: Flüchtlingsbewegungen unterbinden, insbesondere jene, die illegal sind, also ohne ausreichende Dokumente und Berechtigungen erfolgen. Wollen wir doch alle! Niemand will Flüchtling sein, fast niemand kann wollen, dass Menschen von zu Hause vertrieben werden und Angst um ihr Leben haben müssen. Aber warum, die Frage sei erlaubt, werden dann nicht die Ursachen bekämpft, sondern die Menschen, die Opfer der Umstände, des Systems (autoritäre Regime, alle Arten von Kriegen und Bürgerkriegen, devastierte Ökonomien, grassierende Korruption) geworden sind und das seit mehr als 30 Jahren[1]. Und noch seltener wird gefragt: Wie es bisher funktioniert hat? Welche Mittel wurden bisher eingesetzt, was hat man in der Vergangenheit unternommen und was ist dabei raus gekommen? Tut niemand, denn das Ergebnis wäre erschreckend.

Schon die UNO-Vollversammlung hat bei der Ratifizierung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)[2] betont, dass Flucht fast immer und überwiegend illegal sein wird, ja sich dies zwingend aus der Logik der Verfolgung durch den Staat ergibt. Daher sagt die GFK auch, die illegalen Aktivitäten (Grenzübertritt, gefälschte Pässe …) auf einer Flucht sind nicht strafbar. Schlepper[3] hängen ursächlich mit Fluchtbewegungen zusammen, das ist so alt, wie das Thema selbst. War 2015 – am Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung auf der Balkanroute aus der Türkei und Griechenland nach Westeuropa – die Fluchthilfe sogar staatlich organisiert und auf breiter Basis von privaten Initiativen[4] unterstützt, so hat sich mittlerweile das Abschottungsregime und die Militarisierung  der Grenzkontrolle wieder durchgesetzt[5]. Die Debatte entlang der verschiedenen Formen von Schlepperei kann hier nicht weiter ausgeführt werden, denn unbestritten ist, sobald der Staat seine Strategie änderte und Abschottungspolitik betrieb, waren die klandestinen und profitorientierten „Firmen“ im Schlepperwesen auch wieder da. Und dass es diese gibt, steht außer Streit. Und dass diese Systeme brutalste Ausbeutungsverhältnisse erzeugen, ist ebenso evident.

 Schlepperei gestiegen

Fakt ist, trotz all der massiven sicherheitspolitischen und militärischen Gegenmaßnahmen[6], die Schlepperkriminalität[7] ist in den letzten 30 Jahren nicht gesunken. Sie hat sich professionalisiert, ausgeweitet und mit anderen kriminellen Handlungsfeldern (Drogenschmuggel, Waffen- und Menschenhandel) verknüpft. Wir finden in allen Krisengebieten und auf  allen wichtigen Hauptrouten, an denen Formen der Migration und Flucht stattfindet, ein ausgeklügeltes Anwerbe-, Fahrten- und Unterbringungsnetzwerk. Neben diesen firmenartigen professionellen Großstrukturen, gibt es auch kleine private, nicht vernetzte, nicht profitorientierte Helfer*innen vor Ort, die Flüchtenden helfen, aus Mitgefühl, aus Empathie, aus Wut, das Flüchtende gezwungen, diese Gefahren auf sich zu nehmen.

Kosten explodieren

Die Mittel, die gegen Schlepperei eingesetzt worden sind, stiegen konjunkturell (je nach Flüchtlingsbewegung) an, ohne irgendeinen sichtbaren Nutzen erzielt zu haben[8]. Dazu, ein kleines Beispiel. Das Frontex[9] Budget, also jener Grenzschutzagentur, die so oft als Problemlöser gegen die illegale Migration angeführt wird, hatte 2014 ein Budget von 97 Millionen Euro. 2017 lag das Frontex Budget schon bei 302 Millionen Euro. Tendenz weiter steigend. Geht es nach dem neuen Migrationsplan der EU, soll Frontex ja auf 10.000 Mann (sic?) aufgestockt werden. Geld ist dabei kein Problem. Wenn sie es brauchen, dann kriegen sie es. Und dabei ist Frontex[10] nur die supranationale Agentur für Grenzschutz. Die einzelnen Staaten haben ihre eigenen Budgets für den Grenzschutz. Also, wirklich viel Kohle, die da fließt, für die Agenda[11] Grenzschutz.

Das Sterben hält an

Das Sterben auf den diversen Routen ist deswegen nicht kleiner geworden, im Gegenteil: Obwohl es keine wirklichen genauen Zahlen gibt, weil man ja nicht weiß, wie viele den gefährlichen, illegalen Weg der Flucht über die diversen Routen, etwa über das Mittelmeer auf sich nehmen, wie viele es schaffen, kann man anhand der zumindest offiziellen vermissten und toten Personen  ermessen, welches Leid sich Tag für Tag abspielt und wie groß die Not ist[12]. Fast 40.000 Tote seit 1993, das ist ein horrible Zahl des Versagens.

Jede sicherheits-, militärpolitische Abwehrmaßnahme löst das Problem nicht, sondern verschärft es, verlagert es höchstens. Jüngst sterben immer mehr Menschen, weil die europäischen Regierungen auf den  italienischen Weg der Hafensperren und der Rettungsverhinderung eingeschwenkt sind. Diese Art von Sterben – im Angesichts einer möglichen einfachen Rettung – wird noch häufiger werden, trotz des massiven Mitteleinsatzes und der immer hochtechnisierteren Gerätschaften, die die Grenzregime zur Verfügung  haben.

Hohe Margen möglich

Je „enger Grenzen abgeriegelt werden, je intensiver nach Schleppern gefahndet wird“, desto teurer wird die illegale Flucht, hat das Journalistenkollektiv Migrants files[13] bestätigt. Aber auch desto höher sind die Gewinnmöglichkeiten. Die Preise von Schleppungen sind variabel und ändern sich nicht selten auch während des Fluchtprozesses, der von wenigen Wochen bis Jahren dauern kann. Je mehr Geld zur Verfügung steht, desto komfortabler und sicherer. Je weniger, desto unbequemer, ausgelieferter und gefährlicher. Das ist die Grundlage für den geschützten Markt der dauernde Abhängigkeit, sklavenähnliche Zustände und Zwang zur Prostitution kreiert. Wenn der Preis der Fahrt während der Fahrt sich verdoppelt, wenn der „Kredit“, den Flüchtende per Handschlag erhalten haben, um die Reise zu finanzieren, nicht kleiner wird, sondern noch anwächst und diese Schuld nur durch die eigene Arbeitskraft zurückgezahlt werden kann, dann kann man von sklavenartigen Abhängigkeitsverhältnissen sprechen, die nicht selten vorkommen und noch Jahrelang nach der Flucht anhalten.

Jede Grenzabriegelung, jede neue Mauer, jeder Militäreinsatz erhöht den Preis, macht die Schlepperei teurer, führt jedoch nicht dazu, dass deswegen weniger Schleppungen passieren, die Umstände werden nur prekärer und oftmals tödlicher.

Der Weg, welche die EU und die europäischen Staaten seit Mitte der 1980er eingeschlagen haben, ist von Grenzschutz- und Sicherheitsdenken geprägt und folgt militärischen Routinen. Dazu gehört auch, dass der Industriezweig, der dazu gehört, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist und nebenbei auch hohe Innovation besitzt. Das neueste Gerät, aktuelle Technologien können im Grenzschutzmanagement erprobt werden. Ein guter Teil des Geldes der Frontex Anschaffungen und die der nationalen Grenzschutzeinheiten geht in hochtechnische, militärische Gerätschäften[14].

Zusammengefasst: Das System ist teuer, ineffektiv (was für ein furchtbarer Begriff in diesem Zusammenhang) und menschen- und grundrechtlich eine Katastrophe. Es nützt bestimmten Zweigen der Politik (Rechtsextremen, -populistisch-nationalistischen Strömungen) und Wirtschaft (Militär-industrieller Komplex).

Keine legalen Fluchtmöglichkeiten

Ähnlich wie in anderen Politikfeldern, etwa bei den „Feldzügen gegen Drogen“, sind diese militärisch-sicherheitspolitischen Kampagnen „Brandbeschleuniger“ im Feld, welches eigentlich „bekämpft“ werden soll, so auch bei der illegalen Migration. Nicht nur, aber auch, weil es nur sichtbare Symptome mit militärischen und juristischen Mittel bekämpft und nicht die Ursachen.

Zum Abschluss sei noch auf einen Umstand hingewiesen. Es gibt keine legalen Fluchtwege und -möglichkeiten. Als Flüchtender kann man sich nur in die Illegalität begeben. Das sogenannte Botschaftsasyl, das schon einmal bestanden hat – man konnte über die jeweiligen Botschaften vor Ort, um Asyl ansuchen – und damit bei positiver Prognose legal nach Österreich zu kommen, wurde 2001 wieder abgeschafft. Das wäre nur einer von vielen Vorschlägen, der allerdings einen Kurswechsel der Politik nach sich ziehen müsste. Am Geld scheiterte es nicht, davon ist – wie man sieht – genug vorhanden. Aber das ist schon wieder ein anderes Thema.

Wenn man die neuere europäische Flüchtlingszeitrechnung mit dem Zusammenbruch des Kalten Krieges starten lässt.

[2] Ratifiziert am 28. Juli 1951 durch die Mitglieder der damaligen UNO Generalversammlung (Österreich war da damals noch nicht dabei)

[3] …oder Schmuggler, oder Fluchthelfer, oder Schleusser oder Menschenschmuggler. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Begriffen finden Sie u.a. bei https://www.vice.com/de_at/article/5g4qz8/schlepper-oder-fluchthelfer-124

[4] http://bordermonitoring.eu/analyse/2015/10/die-nationalstaaten-werden-zu-den-besseren-schleusern/

[5] Verschiedene Formen des Widerstandes dagegen gab es zahlreiche, eine davon sei hier als pars pro toto erwähnt: https://www.heise.de/tp/features/Fluchthelfer-Schlepper-und-Schleuser-3376193.html?seite=all

[6] Grenzzäune, Sicherheitskräfte an die Grenzen, Hochrüstung der Grenzsicherung…

[7] Damit ist nun wirklich die professionelle, organisierte Schlepperei gemeint, die profitorientiert ist

[8] Abgesehen davon, dass die Flüchtlingsschicksale nicht mehr vor unseren Augen stattfinden.

[9] Dazu das sehr informative Dossiers der Bundeszentrale für politische Bildung Deutschland zu Frontex: https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/179679/frontex-fragen-und-antworten?p=all

[10] Nebenbei mit keiner demokratische Legitimation ausgestattet und vom Europäischen Parlament auch nicht kontrollierbar, da es sich um eine privatrechtliche Agentur handelt. Siehe auch Hofmann, Robin: Flucht, Migration und die neue europäische Sicherheitsarchitektur, Springer Verlag, 2017

[11] https://derstandard.at/2000017367872/Festung-Europa-Kosten-Wege-und-Strukturen

[12] Fatal Policies listet jede/n einzelne/n nachweisbaren Tote/n in einer 56 seitigen Liste auf und kommt dabei auf 34,361 Tote Menschen, die auf der Flucht seit 1993 gestorben sind. http://unitedagainstrefugeedeaths.eu/about-the-campaign/

[13] https://derstandard.at/2000021691506/Das-Geschaeft-mit-der-Flucht

[14] Darunter sind nicht nur gepanzerte Fahrzeuge und Schiffe, sondern auch Infrarotkameras, CO² und andere Messgeräte,  Drohnen-Technologie u.v.m.