The never ending story
Individuelle Antworten auf …
Trotz einer beeindruckenden Fülle an „antirassistischen Maßnahmen“ (siehe Teil III der Serie) auf unterschiedlichen Ebenen, sollte der Blick auch darauf gerichtet werden, was alles an weiteren Gegenmaßnahmen fehlt.
Es gibt einen reichen Fundus an theoretisch-inhaltlichen Analysen von und zu Rassismus. Diese sind aber auf bestimmte wissenschaftliche Gebiete beschränkt; diese sind insbesondere Soziologie, Kulturanthropologie, (Sozial-)Psychologie und Migrationsforschung konzentriert, in anderen Feldern kommen Forschungsarbeiten jedoch nur vereinzelt vor.
Anwendungsorientierte begleitende Forschung ist vorhanden, jedoch quantitativ überschaubar und vorwiegend auf die Bildungspraxis bezogen. Die Empfehlungen und Handlungsanleitungen bleiben oft im Allgemeinen stecken und wiederholen moralisch, ethische und politische Positionen, gehen jedoch selten auf konkrete Verhaltensänderungen, politische Strategien oder Bildungsaktivitäten ein, die Rassismus – insbesondere strukturellen – einzudämmen vermögen.
Die Evidenz und die Datenlage sind also nicht so stark ausgeprägt, wie man meinen möchte. Insbesondere in der Sozial-, Beratungs- und Erwachsenenarbeit gibt es wenig verlässliche Daten, die eine Aussage darüber erlauben, welche Maßnahmen und Interventionen tatsächlich erfolgreich waren und sind.
… strukturelle Entwicklungen
Eines ist jedoch bei Durchsicht der unterschiedlichen antirassistischen Strategien und Angebote offensichtlich. Die unter Punkt 3 (siehe Teil III) aufgeführten Bildungsaktivitäten zielen überwiegend auf das Individuum ab. Die Kernbotschaft lautet bei vielen Projekten: „Ihr müsst entsprechend aufgeklärt, sensibilisiert werden, um weniger rassistisch zu sein.“
Der Ansatz ist zwar gutgemeint und in der Bildungspraxis häufig zu finden, besitzt aber nur wenig empirischen Rückhalt. Salopp gesagt, er funktioniert selten. Insbesondere dann, wenn Einstellungsänderung das Hauptziel der Aktivität ist und nicht auf das Verhalten abgezielt wird.[1]
Eine frontal oder „von oben herab“ geführte – aufklärerisch motivierte, auf ein „neues Bewusstsein“, ja sogar auf einen „neuen Menschen“ abzielende – Pädagogik ist generell schon kritisch zu hinterfragen, ist aber umso mehr zum Scheitern verurteilt, wenn nicht eine Reihe von Variablen[2] in die Planung mit einbezogen worden ist. Ebenso sind Selfempowerment-Strategien ein erster wichtiger Schritt für bestimmte minorisierte Gruppen, sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass weitere qualitativ auf andere Aspekte abzielende Aktivierungsschritte und Bildungsangebote notwendig sind.
Ebenso wenig erfolgreich hat sich erweisen, den Teilnehmer*innen von solchen Bildungsprojekten den Spiegel vorzuhalten und sie – durchaus gutmeinend – aber sie mehr oder weniger offen als unwissende, -bewusste „Rassist*innen“ zu entlarven und damit zu erhoffen, dass „sie sich mit entsprechender Aufklärung“ ändern würden. Die Daten zeigen, dass dies vielmehr Widerstände entstehen lässt, denn eine ernsthafte, selbstreflexive und inhaltliche Auseinandersetzung nach sich zieht.
Unterstützt durch frontal – machtasymmetrische – Formate gehen derartige Aktivitäten eher „in die Hose“. Es entsteht Widerstand, Bildungsverweigerung oder innere Emigration, wenn etwa Mitarbeiter*innen an antirassistischen Seminaren verpflichtend teilnehmen müssen.[3]
Umso mehr auch,wenn in Seminaren „political correctness“[4] – als zwar wichtiges Element einer diskriminierungsarmen Gesellschaft – „gepredigt“ wird. Diese jedoch apodiktisch auch für den eigenen Bildungsraum – sprich Workshop – vorgeschrieben wird. Dies führt dazu, dass nicht nur Sprachmuster eingeschränkt werden, sondern auch inhaltliche und emotionale Selbstzensur entsteht und nicht mehr über das gesprochen wird, was den Teilnehmer*innen wichtig ist, weil Angst vor Beschämung und Bloßstellung entsteht, sondern über das gesprochen wird, was erlaubt ist und sozial akzeptabel erscheint.
Ein freies und ungezwungenes, wertschätzendes aber offenes Arbeitsfeld für antirassistische Bildungsarbeit ist unerlässlich und das bedeutet eben auch „unkorrekte, rassistische, diskriminierendes besprechen zu dürfen. Gerade die Analyse mit dem speziellen Blick durch die „rebellierenden Selbstunterwerfungsbrille“ zeigt, dass rassistische Denkmuster mit Denkverboten und offensichtlichen Umdeutungen im Sprachgebrauch einerseits wenig Wirkung zeigen und andererseits den tatsächlichen Kern der Ursachen für rassistisches Denken und diskriminierendes Handeln nicht erkennt. So konzipierte Bildungsaktivitäten bleiben denn oft auf der appellativen, symbolischen Ebene stecken und gehen an den „eingemachten Themen“ vorbei.
Es bedarf auch eines speziellen Blickes auf die Gruppe der Migrant*innen[5]. In den verschiedenen Bildungsprogrammen sind sie entweder Ziel von Bildungsmaßnahmen, zumeist um sie im Sinne einer „Leitkulturumerziehung“ zu lenken und ihnen „Integration[6] angedeihen zu lassen“. Oder sie erhalten Bildungsmaßnahmen, um sie rasch für den Arbeitsmarkt zu befähigen; oft um beides zu erzielen. Als selbständige Subjekte werden sie nicht wahrgenommen, die potentiell auch Opfer von Diskriminierungen am Arbeits-, am Wohnungsmarkt etc. sind.
[1] Siehe auch Georg, Krämer: Von antirassistischen Denkverboten. Anmerkungen zur Rassismus Debatte in der entwicklungspolitischen Bildung. In: ZEP – Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik 36, S. 32-34, 2013.
[2] Gruppengröße, sozioökonomische Zusammensetzung, Dauer der Intervention, Gruppendynamik, externe Faktoren, Freiwilligkeit u.v.m.
[3] Ausführlich mit dem Phänomen der Bildungsverweigerung beschäftigt hat sich: Holzer, Daniela: Weiterbildungswiderstand. Eine kritische Theorie der Verweigerung. Transcript Verlag. Wien 2017.
[4] Siehe auch den hervorragenden Beitrag von Iris Forster: https://www.bpb.de/themen/parteien/sprache-und-politik/42730/political-correctness-politische-korrektheit/
[5] Siehe dazu die Definition der Statistik Austria: https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/bevoelkerung/migration-und-einbuergerung/migrationshintergrund
[6] Etwa im Rahmen von Deutsch und Integrationskursen; https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/bevoelkerung/migration-und-einbuergerung/migrationshintergrund
Gleichermaßen jedoch auch Täter*innen sein und werden können. Denn das Label „Migrant*in“ befähigt ebenso wenig zu einem moralisch, einwandfreien, besseren Menschen“, wie es gerne stereotyp in vereinfachten „Multi-Kultiphantasmen“ aufkeimt, wie das sie das an sich „Schlechte/Böse“ sind, wie es rechtsextreme „Überflutungsphantast*innen“ gerne propagieren. Angebote der Reflexion und Auseinandersetzung über Identität, Rassismus, Stereotypen und Vorurteile könnten lohnenswerte und differenzierte Ergebnisse einbringen.
Dazu gehört auch Migrant*innen als selbständige politische und gesellschaftliche Subjekte wahrzunehmen und ihnen entsprechende repräsentative quantitative und qualitative Vertretungsmöglichkeiten zuzuerkennen. Damit kann eine Differenzierung gelingen, abseits der bipolaren Vorstellungen „für oder gegen“, „Gut oder Böse“ oder „fleißig oder faul“. So gelingt ein differenzierterer, vielfältigerer und der Komplexität der Realität angepassterer Diskurs.
Dies wäre eine (von vielen) Möglichkeiten, die Vorurteilsbildung in der Gesellschaft differenzierter zu gestalten, weil Migrant*innen selbst sich vertreten und wehren sollten und Teile einer inklusiven Bildungspolitik werden müssten und ein Faktor der politischen Kräfte werden. In diesem Zusammenhang muss wohl die Anmerkung folgen, dass selbst die Bezeichnung „Migrant*in“ oder „Menschen mit Migrationshintergrund“ der kritischen Betrachtung unterzogen werden muss und da sie immer auch als Grenzziehung zu den „Anderen“ zu werten ist und daher den Ausschluss mit begünstigen kann.
Gleichzeitig jedoch das Dilemma offenbart, dass man die Problemstellung von Migration und Zuwanderung und die damit verbunden politischen Aufgaben irgendwie benennen sollte, ja muss. In dieses Dilemma der Bezeichnungspraxis (siehe auch Fußnote 3 im Teil III) Menschen mit Migrationshintergrund stärker mit einzubeziehen, wäre ein wichtiger Aspekt.
Ungeachtet dessen ist dies eine Frage der Machtverhältnisse und diese haben sich in den letzten Jahren stark nach rechts verschoben. Befeuert durch digitale Plattformen und Trash Massenboulevardprodukten, die von Skandalisierung, Emotionalisierung, Trivialisierung und Stereotypenbildungen leben. Das ist ihr Geschäftsmodell, neben dem Absaugen von Steuergeldern durch staatliche Förderungen, Inserate und „Medienpartnerschaften“[7].
Ähnliche Anwandlungen, wie zuvor in der Ausrichtung von Bildungsangeboten beschrieben, haben immer wieder auch Politiker*innen, wenn sie etwa Extremismus oder Antisemitismus „bekämpfen“ wollten und daher auf die Idee kommen, Seminare, Begegnungen mit „anderen Kulturen“ oder Besuche von Orten des Holocausts verpflichtend einzufordern [8].
Nicht, dass das nicht durchaus helfen, Betroffenheit auslösen, Kontaktängste abbaut und Denkprozesse anstoßen könnte. Wenn jedoch nach dem durchlaufenen Bildungsprogramm auf dem Arbeitsplatz etwa alles beim Alten bleibt und man am nächsten Tag in dieselben Strukturen wieder zurückkehrt, verpuffen die guten Vorsätze und Ideen rasch und es kehrt der übliche Trott – auch bei den Vorurteilen und Stereotypen – zurück.
Wenn sich das mehrmals wiederholt und trotz der Anregungen zur Veränderungen der Strukturen und des politischen Konsenses nichts ändert, dann führt das oft zu Resignation und Frustration und zum gegenteiligen Effekt.
Elitendenken vorherrschend
Was ebenso auffällt, Programme und Angebote für „Führungskräfte“ und Leitungsfunktionen sind spärlich gesät, ja in allgemeinen Bildungsprogrammen von großen Bildungsanbietern fehlen diese oft gänzlich. Mitglieder der Leitungsebenen sind offensichtlich keine prioritäre Zielgruppe in Bildungssettings der antirassistischen Arbeit. Woran das liegt, darüber kann man nur spekulieren.
Vielleicht hängt es damit zusammen, dass jene, die die Geschicke der jeweiligen Organisation in Händen halten und Bildungsprogramme einfordern, nicht an sich selbst dabei denken und dass sie ein wichtiger Teil von Veränderungen und der Problemlösung sein könnten. „Rassisten sind immer die Anderen“. Möglicherweise spielt auch eine Rolle, dass diejenigen, die Bildungsprogramme entwickeln und umsetzen, davon ausgehen, dass besser Gebildete, die eine Führungsfunktion innehaben, weniger rassistisch sind bzw. mit Rassismus besser umzugehen wissen, weil sie das „gelernt“ haben.
Vielfach offenbart sich dahinter ein „Elitendenken“ – eine Art von Bildungsrassismus[9]. Dieser geht – simpel ausgedrückt – davon aus, das höher Gebildete, Mitglieder einer höheren Klasse (Kassier*in vs. Ärzt*in[10]) auch moralisch und ethisch höher stehen würden, sie daher gar nicht rassistisch sein könnten, da sie ja entweder aus „feinerem Hause“ stammen und/oder eine entsprechende Bildung, entsprechendes „Benehmen und die dazu gehörigen „Werte“ genossen hätten.
Fatale und durch die Praxis vielfach wiederlegte Annahmen. Rassismus ist ein System, das sich quer durch alle Schichten, Klassen, Ebenen der Gesellschaft zieht. In Ausbildungscurricula (etwa den Studien der Wirtschaftswissenshaften, der Medizin, im Jus Studium und vielen anderen) findet sich vergeblich eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit Rassismus und Diskriminierung.
[7] Siehe dazu: https://kobuk.at/2024/06/so-viel-oeffentliches-geld-bekamen-medien-2023/
[8] Wie unlängst die Landeshauptleutekonferenz am 02.04.2024, https://www.kleinezeitung.at/service/newsticker/innenpolitik/18330122/lh-konferenz-mit-beschluessen-zu-wohnen-und-ehrenamt
[9] https://www.migazin.de/2017/05/30/bildungsrassismus-klassismus-und-sozial-protektionismus/
[10] Dabei handelt es sich auch um einen interjektionellen Aspekt, der sei hervorgehoben.
Fortsetzung nach dem Bild!

Mitarbeiterer*innenschulung verordnet
Vielfach in der Praxis zu beobachten, ist die Tatsache, dass bei auftauchenden Problemen[11] schnell geschlossen wird und die Lösung rasch zur Hand ist: Die Mitarbeiter *innen seien schuld. Ihnen werden rassistische Einstellungen und fehlende Kompetenzen unterstellt. Unmittelbar auf diesen Trugschluss folgt dann auch die – sozusagen „erstbeste Idee“ – die häufig umgesetzt wird. Es wird eine „Mitarbeiter*innenschulung verordnet“, die „deren Einstellung“ verändern könne, „Kompetenzen stärken“, sie eben „sensibilisiert“ würden.
Dieses immer gleiche Prozedere, legt den Schluss nahe, dass auf der Programmentwicklungsebene der jeweils anbietenden Organisationen ebenso das Bild: „Rassismus sei eine moralische Verfehlung des Einzelnen“ – der „individuellen Rassismen“ vorherrsche und nicht an einen institutionellen, strukturellen Rassismus gedacht wird. Es gibt wenig relevante Auswertungen, abseits der üblichen Evaluationsbögen bei Bildungsveranstaltungen, die der Frage nachgehen würden, wie erfolgreich sind solchen Angebote tatsächlich!
Schnelle Lösungen bei der Hand
Die Punkte 1 und 2 (siehe Teil III: Demonstrationen und Appellative Kampagnen) der Auflistung von antirassistischen Strategien und Bildungs-/Aufklärungsmaßnahmen sind, wie schon erwähnt, wichtige „Aufmerksam Macher“ in einem öffentlich-diskursiven Umfeld. Sie signalisieren so etwas wie Grenzen, Mauern und Eckpfeiler der Demokratie, wie die Demonstrationen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus in Deutschland und Österreich im ersten Viertel des Jahres 2024 verdeutlichten.[12]
Sie verpuffen aber recht rasch. Dies hängt oft eng mit der nachlassenden öffentlichen Aufmerksamkeit zusammen. Wenn die Neuigkeit, die Aufmerksamkeit und die Emotionalisierung weg ist. Dann wird auch nicht mehr oder weniger darüber berichtet. Das Interesse lässt damit automatisch nach.
Ähnliches Muster ist auch bei Bildungsmaßnahmen zu verzeichnen, die in einem Rahmen stattfinden, der sich nicht verändert. Um beim Beispiel („Ein Beispiel aus der Praxis“ im Teil II) zu bleiben, würden Seminare für die Mitarbeiter*innen wohl wenig nützen, wenn sich an der Situation und den Vorgaben für ihre Arbeit nichts ändert. Insoferne wäre es erforderlich, dass Führungskräften in Verwaltung, Organisationen und Unternehmen auch die Perspektive eröffnet wird, dass Seminare und Schulungen im Bereich der Antidiskriminierung und des Rassismus eine wichtige Zusatzqualifikation bedeuten, die für den Alltag bedeutsam sind. Denn sie sind es, die nachhaltige Strukturveränderungen in Gang setzen könn(t)en. Das ist nicht nur für die Mitarbeiter*innen gedacht, sondern auch für sich selbst.
Verhalten ändern und nicht die Einstellung
In einer durch Politiker*innen und Parteien aufgeschaukelten öffentlichen Stimmung konnte man in den letzten Jahren eine zunehmende Polarisierung im Denken ausmachen: Angriffe – Verteidigung, Gegenangriff – Verteidigung. Beschämung der Person, persönliche Angriffe, Diskreditierung u.v.m. „Freund – Feind“. Diese „Schwarz-Weiß“ Dogmatik ist für den öffentlichen Diskurs schädlich, für den privaten noch viel mehr. Wenn sich das Schema auf alle Bereiche des Lebens überträgt, dann gibt es nur mehr ein „Gewinnen oder Verlieren“. Letztlich verliert die Gesellschaft insgesamt damit. Wobei es Hinweise gibt, dass die Polarisierung nicht an sich stärker wird, sondern vielmehr die medienkommunikativen Rahmenbedingungen dies suggerieren[13].
Gerade in der Bildungslandschaft, in wissenschaftlichen Feldern, aber auch und insbesondere in der Praxis der Arbeitswelt ist es doch immens wichtig, dass Differenzierung, Austausch und Reflexion gefördert wird, eine Kultur des kritischen Denkens und Zulassens von Widerspruch. Kritik sollte immer auch ein Anlass sein, sich über das eigene Verhalten Gedanken zu machen, könnte die Gelegenheit bieten, über Strukturen und Regeln nachzudenken, neuen Sichtweisen gewahr zu werden und in Folge auch Veränderungen in Gang zu setzen. Dafür ist im öffentlichen Diskurs immer seltener Platz. Genau diese Denkformation sollte in Bildungssettings nicht Platz greifen. Eine Fehlerkultur ist immens wichtig.
Ein differenziertes Nachdenken zuzulassen und Argumente der Gegenseite Raum zu bieten, ist oft nicht erwünscht, führt dazu, dass man eigeteilt wird, zu einer/einem Rassist*, Sexist*, Österreichhasser*in, Wissenschaftler*in, Ausländerfreund*in etc. was folgt ist dazu noch digitaler „Shitstorm“. Nicht selten überträgt sich das auch auf andere (analoge) Sphären. Personen werden niedergeschrien, Diskussionen verunmöglicht.
Rassismus und diskriminierende Haltungen leben auch davon, dass Vorurteile zu Stereotypen werden, dass die eigene Gedankenwelt unbedingt richtig ist und wenn sie angegriffen wird, man zurück zu schlagen habe. Damit hält ein Absolutheits- und Missionierungsdrang in der eigenen Welt Einzug. Schritt für Schritt vollzieht sich die Abgeschottetheit und schließlich im Verlauf der Eskalation führt dieser Kreislauf auch direkt zu Gewalt.
[11] Rassistische Beschimpfungen, diskriminierendes Verhalten zwischen Klient*/Kund*innen oder unter Mitarbeiter*innen
[12] https://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/18047226/auch-in-graz-ruft-eine-breite-front-zur-demo-gegen-rechts-auf
[13] https://www.kleinezeitung.at/oesterreich/18179519/wieso-die-polarisierung-zurueckgeht-gendern-und-klimakleber-aber
Alles beim Alten
Antirassistische Bildungssettings können und müssen genau das Gegenteil bewirken, in Organisationen Austausch und Reflexionsräume bieten. Es sollte eine Feedback- und Fehlerkultur entstehen, in der die Maxime gilt, das Verhalten zu ändern und nicht die Einstellung ändern zu müssen. In Verbindung damit müsste in Organisationen die kooperative Arbeitsweise stärker werden, Selbstrepräsentation gestärkt, die Hierarchie vermindert und Kooperation und Austausch erleichtert und Formen der Zusammenarbeit etabliert werden.
Die Thesen, die in dieser Serie ausgebreiten wurden, geben Hinweise darauf, dass der Schwerpunkt der antirassistischen Arbeit auf bessere Arbeitsbedingungen, auf einen gemeinwesenorientierten Sozialstaat, bessere egalitärere Bildungseinrichtungen, besonderes Augenmerk auf die Schere zwischen Arm und Reich zu legen wäre; die Teilhabemöglichkeiten der Menschen zu entwickeln, die damit einhergehen müssen, diese Möglichkeiten auch nützen zu können. Dazu gehört eine Medien- und Kommunikationsbildung, sowie eine Verständnis für demokratisches Verhalten.
Wenn Rassismus das politisch-ideologische Ventil der rebellierenden Selbstunterwerfung ist, dann sollten wir den Äußerungen der Rebellion mehr Beachtung schenken. Sie geben uns Auskunft über den Zustand der Gesellschaft und zeigen uns die Dysfunktionalitäten überdeutlich auf. Die Lebensbedingungen der Menschen verbessern, die Chancen für sie in den Mittelpunkt stellen und sie ernst zu nehmen, die Gesellschaft demokratisch zu gestalten, den Sozialstaat auszubauen und die Kluft zwischen „Arm und Reich“ in Balance zu halten u.v.m., wäre mittel- und langfristig lohnenswerter im Kampf gegen Rassismus, als all die bisherigen symbolischen Aktivitäten und Bildungsmaßnahmen.
Ein letzter Punkt:
Von der Notwendigkeit über die öffentlich-politische Kommunikation nachzudenken.
Wir können praktisch nicht ohne öffentlich politische Kommunikation – Propaganda – Beeinflussung leben. Je komplexer die Welt geworden ist, desto weniger unmittelbare „Augenzeugenberichte“ stehen uns zur Verfügung und gerade diese sind ja auch unzuverlässige „Fakten“ wie wir aus einer Vielzahl an Studien und Erfahrungen wissen. Wir erhalten Tatsachen, Information, Interpretation, Fakten und Daten über verschiedenste Massenkanäle. Wir bilden uns damit unsere Meinung. Es geht gar nicht ohne, wie auch?
Ebenso ist die Zeit vorbei, an dem Radio, TV und Printmedien wichtige und zentrale Datenträger für die Bildung öffentlicher Diskurse verantwortlich waren. Die „Zeit im Bild“ des ORF´s um 19:30 Uhr war früher ein zentrales Informationsmedium, zu der sich die Familie vor den TV Geräten versammelte, das große Reichweite besaß und die wichtigen Themen für die Nation aufbereitete. Am nächsten Tag wurde über die Berichte der ZiB in der Schule, auf der Uni und der Arbeitsstelle weiter diskutiert.
Diese Epoche ist vorbei. Durch die digitalen Plattformen hat sich der öffentliche politische Diskurs dezentralisiert, die Systeme sind horizontaler organisiert und demokratisiert. Jede/r kann Teil der Meinungsmaschinerie werden. Es bedarf dazu nur Accounts bei diversen sozialen-digitalen Medien. Meinung, Behauptungen, Gerüchte sowie überprüfbare und recherchierte Fakten sind nahezu nicht mehr unterscheidbar. Ebenso findet keine Filterung der Themen mehr statt.
Die Überprüfung der Fakten gerät in den Hintergrund, eine Aufbereitung in wichtig und unwichtig, Gemeinwesen relevant oder nicht, wird durch die Algorithmen von privaten Plattformen bestimmt und ist nicht der Information der Bevölkerung geschuldet, sondern ausschließlich privaten Profitinteressen. Algorithmen zielen auf Reichweite ab, auf möglichst viel „Traffic“. Skandalisierung, Emotionalisierung, ethische und moralische Entrüstung spielen dabei eine wichtige Rolle.
Politik-, Kommunikations-, Sprachwissenschaften, Psychologie und Neurolinguistik haben in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Mittlerweile wissen wir viel mehr über die Möglichkeiten der erfolgreichen Übertragung von politischen, gewollten Informationen und Nachrichten, als früher. Und nicht zuletzt sind auch die Möglichkeiten der Produktion von Propaganda, irreführender und gefälschter Nachrichten rapide gestiegen und sie werden weiter steigen, mit den Instrumenten der Künstlichen Intelligenz.
Mittlerweile weiß man über die Zusammenhänge von Narrativen – sprich Erzählungen – Bildsprache und Metaphern sowie Sprachbildern viel mehr, als früher und kann dieses Wissen in die Praxis der öffentlichen-politischen Kommunikation und Werbung und Propaganda einbringen.
Damit wissen wir mittlerweile auch, dass das ständige Wiederholen von bestimmten Sprachmustern und -bildern bestimmte Wirkungen hat. Bereits in den frühen 1990ern haben Margret und Siegfried Jäger am Duisburger Institut für Sozial- und Sprachwissenschaften in Forschungsarbeiten herausgearbeitet, wie der öffentliche, rassistische Diskurs entsteht, konstruiert und weiterentwickelt wird[1].
[14] Siehe auch: Jäger, Margret: Antirassistische Diskursstrategien im Netz des Rassismus. S. 15-19. In: Zebratl Sondernummer: „Aus der Geschichte lernen, die Zukunft gestalten.“ 4/96.

Im Sinn des Axioms von Watzlawik „wir können nicht nicht kommunizieren“[15] ist es auch auf der öffentlichen politischen Ebene so, dass immer wenn wir über Rassismus reden, eigentlich die „Idee der Rasse“ weiter tragen.
Heutzutage wird viel von Narrativen und der großen Erzählung in der öffentlich-politischen Kommunikation debattiert. Und ein wichtiger Ansatzpunkt ist dabei immer wieder, dass man das Thema, gegen das man eigentlich auftritt, also in unserem Falle etwa Rassismus, nicht durch Weiterverbreitung des Frames, des Erzählrahmens (Rasse) noch aufwertet.
Damit sind wir zu einem Punkt eines kommunikativen Dilemmas gelangt. In dem Antirassist*innen[16] sich andauernd über Rassismus beschweren, aber genau das tun, was uns die Wissenschaft sagt, es sollte nicht getan werden: nämlich die haltlose und ungustiöse Erzählung dass es „menschliche Rassen“ gäbe, indirekt und unbewusst weiter voranzutreiben. Umso deutlicher wird dies, wenn in vielen Segmenten der verschiedenen Subkulturen des Aktivist*innenspektrums und der antirassistischen Aufklärungsarbeit die Hautfarbe als ein dominantes Element der Auseinandersetzung wieder zurückkehrt und damit neu fokussiert und sogar verlängert wird.
Auch und besonders unter diesen Aspekten erscheint die Suche nach alternativen Ansätzen und neuen Methoden dringend geboten zu sein. Es gilt die strukturellen, politischen, gesellschaftlichen Ursprünge von Rassismus erneut in das Blickfeld zu nehmen, weiter zu entwickeln, unter dem Aspekt von neuen Erkenntnissen und Techniken.
Ziel von antirassistischer Gegenstrategien muss es wohl sein, die gesellschaftlichen Kontinuitäten von Rassismus zu bergen, zu entlarven, zu analysieren und sie politisch-öffentlich zu untergraben und damit eine große, wirkmächtige und falsche „Erzählung“ nicht mehr in die politische Arbeit aufzunehmen und perpetuieren zu müssen.
Ein allerletzter Punkt:
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF)?
Im Zuge der Forschungsaktivitäten zu Rassismus, Rechtsextremismus und Diskriminierungsformen tauchte der Begriff der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) immer häufiger auf. In einem Beitrag von Beate Küpper und Andreas Zick[1] unter dem Titel Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – die Abwertung und Ausgrenzung schwacher Gruppen – wird der Begriff wie folgt erklärt:
„Als Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bezeichnen wir abwertende und ausgrenzende Einstellungen gegenüber Menschen aufgrund ihrer zugewiesenen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe.“[18]
[15] https://www.paulwatzlawick.de/axiome.html
[16] Ähnlich gestaltet sich das auch bei der Haltung des Antifaschismus.
[17] https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/214192/gruppenbezogene-menschenfeindlichkeit/#footnote-target-2
[18] Ausführlich u.a. Zick, Andreas/Küpper, Beate/Heitmeyer, Wilhelm: Vorurteile als Elemente Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit – eine Sichtung der Vorurteilsforschung und ein theoretischer Entwurf. In: Anton Pelinka (Hrsg.), Vorurteile: Ursprünge, Formen, Bedeutung. Berlin: deGruyter 2012, S. 287-316.
Eine in diesem Sinne menschenfeindliche Haltung kann sich auch in ausgrenzender oder sogar gewalttätiger Handlung zeigen oder Einfluss auf die Gestaltung von diskriminierenden Regeln und Prozessen in Institutionen und den Aufbau von diskriminierenden Strukturen nehmen.
Ähnlich wie schon bei der Unterscheidung von Rassismen und Rassismus wird auch bei der GMF in Formen von Ausgrenzungen unterschieden, die von einzelnen Personen ausgeübt werden; wie etwa bei Mobbing. GMF liege jedoch dann vor, wenn sie durch eine Ideologie der Ungleichwertigkeit unterfüttert und angetrieben werde und die Abwertung und Ausgrenzung sich nicht individuell begründen, sondern sich gegen Menschen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit zu einer Gruppe richte, so Küpper/Zick.
Aber leider ist es nicht so leicht, wie es auf den ersten Anschein klingt. Denn hinter einer individuellen Handlung von GMF – etwa bei häuslicher Gewalt – kann und wird in der Regel eine sexistische Rollenvorstellung und ein tief eingebettetes Vorurteil gegenüber Frauen eine Rolle spielen.
„Abwertende Einstellungen gegenüber Gruppen bzw. Personen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit werden in der Sozialpsychologie als Vorurteile bezeichnet. Sie können sich in Hass, stereotyper Wahrnehmung und/oder diskriminierendem Verhalten zeigen. Vorurteile sind dabei nicht einfach vorschnelle Urteile. Sie sind vielmehr unzulässige Übergeneralisierungen, die nach der Methode „pars pro toto“ von Einzelnen auf alle schließt.
Dabei werden tatsächliche oder auch nur vermeintliche Eigenschaften und Verhaltensweisen einiger weniger Personen auf die von allen anderen Menschen, die anhand eines gemeinsamen Merkmals der gleichen sozialen Gruppen zugewiesen werden, übertragen (im Sinne von „alle Frauen sind …, alle Muslime sind…“).“ Diese Darstellung von Küpper/Zick ähnelt doch frappant, an das, was auch Rassismus prägt und ausmacht.
Und noch ein weiteres Merkmal ist bei GMF zu finden, das wir bereits bei Rassismus diagnostiziert hatten: „Darüber hinaus können Personen zugleich Subjekt und Objekt von Abwertungen sein. Selbst einer diskriminierten Gruppe anzugehören macht Menschen nicht vor der Übernahme menschenfeindlicher Haltungen gefeit.“[19]
Die Ähnlichkeiten und Überschneidungen, die bei den beiden Theorie Begriffen Rassismus und GMF könnten ein Hinweis darauf sein, dass für die Bezeichnungspraxis und dass Dilemma im antirassistischen Diskurs (siehe Ausführungen im Teil 2) die GMF ein Ausweg darstellen könnte, um der Diskursfalle „Rassismus“ zu entkommen. Nicht ohne jedoch darauf zu verweisen, dass man dabei wachsam bleiben sollte, Unterscheidungsmerkmal nicht einzuebnen, nur der Einfachheit halber.
Das ist wohl ein wissenschaftlicher Diskurs, denn wir hier nicht weiter zu verfolgen brauchen. Für die Praxis bedeutet es aber auch, der vorauseilenden wissenschaftlichen Evidenz den notwendigen Raum zu geben, um diese Erkenntnisse auch in die Lebensrealität einbauen zu können; anstatt „more of the same“ zu tun und sich dann darüber aufzuregen, dass die Wirkung gering ist.
[19] Kahane, Annetta: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – Chancen und Herausforderungen in der lokalen und pädagogischen Praxis. In: Amadeu Antonio Stiftung (Hg.): Die Theorie in der Praxis. Berlin 2011.