Reichtum durch Migration

In den letzten Tagen und Wochen tauchte immer wieder die Diskussion auf, welche Auswirkungen die steigenden Flüchtlingszahlen in Österreich auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt haben werden.

Dabei wurde die Sorge geäußert, dass der Druck auf den Arbeitsmarkt steigen werde, die sogenannten Ausländer die Arbeitslosenzahlen noch weiter hinauftreiben, uns die Arbeit wegnehmen würden und wir um unsere wirtschaftliche Leistung fürchten müssten.

Nun, eines steht fest: Die Rechnung, die schon von Hitler aufgestellt wurde (so viele Arbeitslose, so viele Ausländer[1]: Schmeißt man die Ausländer raus, haben die Inländer einen Job.) und regelmäßig nachgebetet wird, ist vielfach bewiesen und nachweislich falsch. Die offenen Stellen bzw. nachgefragten Qualifikationen stimmen mit den Arbeitssuchenden und ihren Ausbildungen vielfach nicht überein. Mit dem Slogan „Solange wir Arbeitslose haben, dürfen Ausländer bei uns nicht arbeiten“ wird das simple Wirtschaftscredo des Angebotes und der Nachfrage außer Kraft gesetzt. Ganze Wirtschaftszweige würden so ohne die benötigten Arbeitskräfte dastehen und entweder aus Österreich dorthin abwandern, wo es entsprechend qualifizierte oder billige Arbeitskräfte gibt, oder sie müssten mit falsch oder gar nicht ausgebildeten Arbeitskräften arbeiten, was wiederum die Qualität der Produkte und die Konkurrenzfähigkeit beeinträchtigen würde.

Der Vorschlag beinhaltet darüber hinaus einen versteckten – totalitären – Hintergrund. Er würde nämlich nur dann funktionieren, wenn ein totalitäres Zwangssystem eingeführt würde, das Menschen – egal welchen Berufes – über Vermittlungszwang in die Jobs treibt. Jede/r Österreich/in, der/die Arbeit sucht, würde dann auch einen Job nehmen müssen. Ob dies seiner/ihrer Ausbildung und seiner/ihrer sozialen Lage (Entfernung, Kinderbetreuung usw.) entspräche oder nicht. Damit müssten alle erkämpften Errungenschaften[2] des Sozialstaates über Bord geworfen werden und die Leute mit Zwang in jeden, gerade freien Job hineingezwängt werden. Was in einer Demokratie und einen Sozialstaat weder wünschenswert noch hoffentlich wirklich realisierbar ist.

Aufgrund der sozialen und ökonomischen Schichtungen in der Arbeitswelt sollte man aber nicht verhehlen, dass es Verdrängungswettbewerbe am Arbeitsmarkt in bestimmten Segmenten gibt. Diese betreffen aber vor allem niedrig qualifizierte „Hilfs“arbeiter-jobs. In diesen tummeln sich schlecht ausgebildete inländischen Arbeitskräfte und MigrantInnen, die schon länger in Österreich sind sowie Neuzugewanderte. Dieses Faktum wird regelmäßig durch die laufenden statistischen Daten des Arbeitsmarktservices[3] untermauert und durch entsprechende Studien belegt, ändern tut sich daran jedoch wenig. Dies liegt einerseits an den restriktiven Beschränkungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, das MigrantInnen in bestimmten Branchen fest hält, in denen sie auch dann noch fest stecken, wenn sie schon Jahre da sind.

Andererseits liegt es an den Regelungen und Vorgangsweisen, die zur Dequalifizerung führen. Die ursprünglich im Herkunftsland erworbenen Fähigkeiten werden im Zuge der Arbeitsvermittlung nicht systematisch abgefragt bzw. erhoben. Um sie für den Arbeitsmarkt nutzbar zu machen, müssen sie erst im Nachhinein und in einem bürokratischen und langwierigen Spießrutenlauf anerkannt werden. Über einen längeren Zeitraum nicht adäquat eingesetzte Qualifikationen verfallen nach einer gewissen Zeit, wenn sie kein „Update“ erhalten bzw. praktisch nicht eingesetzt werden können. Fakt ist jedoch auch, dass die heutige Zuwanderungspopulation im Durchschnitt wesentlich besser ausgebildet, als jene, die in den 1960-90er zugezogen ist bzw. geholt wurde. Es gelingt ihr jedoch noch immer sehr unzureichend, in der Arbeitsmarkthierarchie aufzusteigen.

Integration heisst auch Aufstieg

Zieht man den diffusen Begriff Integration heran, so lässt sich dieser im Hinblick auf den Arbeitsmarkt etwas vereinfacht mit Aufstieg übersetzen. Gemeint ist dabei nicht nur das, was man üblicherweise im Laufe eines Arbeitslebens an finanziellen Zugewinn schafft, sondern auch der hierarchische Aufstieg innerhalb einer Firma; oder durch Fortbildung den Aufstiegs im Beruf (von Arbeiter zum Vorarbeiter usw.). Hier zeigt sich, dass die Schere zwischen In- und AusländerInnen nach wie vor weit auseinander klafft. Jene MigrantInnen, die als angelernte HilfsarbeiterInnen begonnen haben, obwohl sie nicht selten ausgebildete Fachkräfte waren, sind Jahre und Jahrzehnte später noch immer HilfsarbeiterInnen und nicht wie es zu erwarten wäre, nach einer gewissen Zeit zum Facharbeiter, zum Vorarbeiter, zum Partieführer (Polier), zum Meister[4] usw. aufgestiegen. Die Karriere haben andere – nämlich InländerInnen – gemacht.

Das hängt überwiegend nicht mit der Arbeitsleistung, den Fähigkeiten zusammen, sondern mit den Ausschlussmechanismen innerhalb der Arbeitswelt. Solange es einen Österreicher, eine Österreicherin in der Arbeitstruppe gibt, den/die man befördern kann, wird das auch getan. Und so ist es nicht verwunderlich, dass in migrantischen Arbeiterhaushalten nur bescheidener Wohlstand erarbeitet werden konnte. Den Aufstiegsbemühungen auf der einen Seite stehen die Abstiegsängste gegenüber. Doch anders, als gerne propagiert wird, sichert gerade die Anwesenheit der MigrantInnen und ihre systematische Benachteiligung am Arbeitsmarkt den Aufstieg der InländerInnen, aus dem Hilfsarbeitersegment, aus der Arbeiterschicht also, in den Angestelltenstatus – in die Mittelschicht.

In Erinnerung gebracht werden sollte – und auch dies widerspricht der These der Belastung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt durch Zuwanderung – dass Österreich in den letzten 50 Jahren viel reicher geworden ist, als es irgendjemand zu prognostizieren gewagt hätte. Österreich gehört heute zu den reichsten Gesellschaften der Welt. Angesichts der vielen verschiedenen Migrationsbewegungen nach Österreich in den letzten Jahrzehnten liegt die Vermutung nahe, dass der Aufstieg Österreichs nicht trotz sondern aufgrund der Migration gelungen ist.

August Gächter[5] erläutere die These anhand eines Beispiels aus der Vergangenheit.[6] „Nach drei wachstumsstarken Jahren sagten die Wirtschaftsforscher für 1992 eine Krise voraus: Die Wirtschaft würde um rund ein halbes Prozent schrumpfen. Bei dieser Prognose blieben sie bis September des Jahres. Das wäre typischerweise die Situation, in der die EntscheidungsträgerInnen in Österreich gegen Einwanderung dichtmachen würden. Nun war aber im April 1992 der Krieg in Bosnien losgegangen und damit der Flüchtlingsstrom nach Österreich. 1992 und 1993 dürften jeweils, grob gesagt, um die 40.000 Kriegsflüchtlinge eingetroffen sein, vielleicht auch etwas mehr. Die Männer hatten öfter, die Frauen seltener eine mittlere Ausbildung. Der Anteil mit höchstens Pflichtschule lag aber dennoch selbst bei den Männern über 40 %. Die Flüchtlinge wurden vom Innenministerium über das Bundesgebiet verteilt, untergebracht waren sie häufig in sehr ländlichen Gebieten. Was geschah? Die Gemeinden und auch die Bevölkerung in Privatinitiative gingen auf die Neuankömmlinge zu und trugen sie sozusagen auf Händen in Beschäftigung, wo immer das nur irgendwie möglich war. Am Ende des Jahres, sicherlich zumindest zum Teil durch diese ungewöhnlichen Ereignisse bedingt, war die Wirtschaft nicht geschrumpft, sondern um 1,6 % gewachsen.“

Ist Ähnliches für die Jahre 2015 und 2016 zu erwarten? Würden zumindest diese Fakten und Erfahrungen in die Überlegungen der Migrations- und ArbeitsmarktpolitikerInnen mit einfließen, müssten sie den Schluss ziehen, so rasch als möglich Geld für die Unterbringung, Versorgung, Ausbildung und Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge in die Hand zu nehmen. Es wäre also im Sinne aller, wenn Vernunft und Fakten Oberhand gegenüber dumpfen Ressentiments gewinnen würden.

[1] Hitler brachte das Beispiel bezogen auf die jüdische Bevölkerung

[2] Wie etwa den Berufsschutz bei der Vermittlung

[3] Siehe auch http://www.ams.at/ueber-ams/medien/arbeitsmarktdaten

[4] Zur besseren Lesbarkeit wurde in dieser Passage auf die weiblichen Formen verzichtet.

[5] Migrations- und Arbeitsmarktforscher am ZSI, https://www.zsi.at/users/153

[6] Anlässlich einer Tagung von Ikemba 2013, siehe auch: http://www.ikemba.at/145.0.html