Serie: Allen was gemeinsam, Teil 5: Radikal subjektiv?

Im fünften Teil und letzten Teil vor der Sommerpause der Serie „Allen was gemeinsam“ geht es um die ungleiche Verteilung in der Stadt. Check it out.

Radikal subjektiv?

17 Jahre genoß ich es, in einer Maisonettenwohnung im 4./5. Stock eines alten Palais, im Grazer Bezirk „Innere Stadt“. Eine überwiegend herrliche Zeit, weil es viele Vorteile, die hier gar nicht alle aufzuzählen sind, hatte, so nah am Zentrum und an der Mur zu wohnen. Aber auch ein paar Nachteile.

Durch die immer größer werdenden und länger dauernden „Volks-Feste“, Laufevents, Formel I Boliden Auftritte, Altstadtradmeetings, begann die Innenstadt sich sukzessive in eine Partymeile zu verwandeln. Sonst eine tote Zone, in der kaum noch Menschen lebten, wurde bei – staatlich hochsubventionierten – Festen, wie „Kronen Zeitungsstadtfest“ und „Aufsteirern“, die Stadt gestürmt. Die bleiben in besonders unangenehmer Erinnerung. Im Winter war die Innenstadt verhüttelt und es brach regelmäßig die „ruhige“ Adventszeit aus.

Nicht nur das über der Innenstadt der Lärm der Formel 1 Autos und das Dröhnen der volkstümlichen Musik und Schlager bis weit in den Abend zu hören waren, besonders unangenehm waren die Kollateralschäden während und danach. Nichts blieb verschont: Kellerfenster, Hausecken, Bäume, Gehsteige, aber auch in den Hauseinfahrten oder in Innenhöfen, jede frei zugängliche Ecke oder Kante waren angepisst, voll gekotzt, die Stadt mit Müll überschwemmt. Das war nicht das junge studentische Partyvolk, das regelmäßig für ihre nächtlichen Exzesse durch die Medien geschleift wurde, sondern „normale“ BürgerInnen – aus den Außenbezirken von Graz und aus dem Umland, das konnte man an den Auto-Kennzeichen unschwer erkennen. Als wäre das Motto ausgegeben: Kotze deine Landeshauptstadt zu.

Aus der Dichte der Absonderungen an den Mauern und in den Ecken konnte man den exzessiven Konsum von Alkoholika und Fast Food erkennen, bzw. das Getrunkene/Gegessene analysieren – wenn man das wollte. War es rot-bläulich, was da an der Hausmauer schimmerte, wusste man, es war Glühwein und Punsch.

Was dabei immer außerordentlich war, war die Straßenreinigung. Die war immer zur Stelle. Es dauerte oft nur wenige Stunden, bis zwar nicht das gräuliche Gemisch an den Wänden und in den Ecken wegfegt war, jedoch der restliche Dreck, der zurückgeblieben war – die Flaschen, das Papier, die Plastikverpackungen, die Dosen eines Zuckerwassergetränkekonzerns, Zigarettenschachteln. Während der Nacht arbeiteten die Kehrtrupps ununterbrochen. Die Straßen waren am nächsten Tag wieder sauber.

Aber auch das hatte den Nachteil, dass praktisch keine Nacht verging, bei der wir nicht die Säuberungsmaschinen der Holding, mit ihren großen rotierenden Kehrvorrichtungen und die Spritzwagen hörten, wie sie die Exzesse der Nacht hinweg spritzten und dann bei der Auffüllstation wieder Wasser nachtankten. In den 17 Jahren, die ich dort verbrachte, wurde das deutlich stärker und häufiger: Die Feste nahmen zu, die Verdreckung und die Aufräumarbeiten in der Nacht ebenso.

 Keine Kollateralschäden

Seit knapp 1 ½ Jahren lebe ich im Bezirk Lend, in der Nähe des Bahnhofes. Hier ist es ganz anders. Ganz selten, dass man hier die typischen Geräusche von Stadtfesten hört. Höchstens manchmal vom fernen Schloßberg, wenn wieder einmal 1970er -´80er Austropop runter plärrt oder ein Pfarrfest in der Umgebung, ein Kindergartenfest bei den naheliegenden Kindergärten ist. In der Nacht ist es ruhig, dann und wann einmal Jugendliche auf dem Nachhauseweg lauter reden, lachen. Es gibt am nächsten Tag auch keine Kollateralschäden an den Häuserecken und Eingängen. Und trotzdem ist es sichtbar viel schmutziger auf den Strassen in der Umgebung, als in der Innenstadt. Es liegt viel mehr umher, Zeitungspapier, Flaschen, Dosen, Bananenschalen, Zigarettenschachteln. Es ist auffällig, wirklich auffällig.

Diese Diskrepanz fiel mir deswegen auf, weil ich gestern abends nach Hause radelnd, eine Kehrmaschine sah, die im Viertel kehrte und bemerkte, wie selten ich in der Nacht die Kehrtrupps und Spritzwagen höre. Und weil das so selten ist, habe ich es gleich wahrgenommen. Und da kam mir der Gedanke, dass es sein kann, dass der Einsatz der Trupps in Graz erheblich ungleich verteilt ist? Dass es für die Stadtregierung und die Holding „wichtigere Vierteln“ und weniger wichtige gibt! Die Innenstadt ist wichtiger. Es flaniert dort ja auch das Bürgertum und die internationalen Gäste – die Fremden, die uns genehm sind –, die unter dem Label Tourist*innen unsere schönen mediterranen Gässchen durchstreifen und bei einem Prosecco in einem der Gastgärten verweilen. Warum also Bezirke wie Lend/Gries gleichwertig zu bedienen, die ja sowieso als Scherbenvierteln denunziert werden und es nicht wert sind, gereinigt zu werden? Da beginnt sich dann das Bild von den dreckigen Ausländervierteln zu bestätigen. Das Experiment wäre zu machen, wie die Innenstadt aussehen würde, wenn einmal mit der gleichen Intensität in der Innenstadt geputzt werden würde, wie hier im Lend, wie die dann ausschauen würde? Von einem Innenstadtfest, bei dem danach nicht gleich geputzt werden würde, will ich gar nicht reden!