Schreibkraft #33: Anlegen
Ein nie gedrehter Film
Manifeste Irritation
Ich werde einen Traum gehabt haben, der sich in meinem Gehirn wie ein Film abgespult haben wird. Szene für Szene, realistisch, wie es immer heißt – keine surrealen Verzerrungen, keine endlosen Wiederholungen, kein Kippeffekt ins Alptraumhafte – wird dieser Traum – oder Film? – abgespult werden. Zu Beginn wird die feine Gesellschaft gesehen worden sein, die sich, ihre Koffer, ihre Gepäckstücke und ihre Abendgarderobe unter Plastikhüllen geschützt, vom Personal an Bord getragen haben lassen wird. Alle werden sie angetan gewesen sein, mit dem feinsten Tuch und prächtigsten Stoffen, das ihnen mit ihren – durchaus nicht ganz kleinen — Gehältern bezahlbar erschienen war. Prächtige Gestalten werden sich da in der Szenerie bewegen, aufgeregt über den Aufbruch zur großen Kreuzfahrt, die sie an fremde Gestade gebracht haben wird, zu der sie sonst nie gekommen wären. Bis eine Stimme mich erinnert, dass sich in der Anlage das gewünschte Dokument befindet. Ich schrecke auf und wusste, dass die Basis eine Szene aus meiner Vergangenheit war …
Wie vorhergesagt
Der „Präsident“ rief und „wachelte“ mit seinen Armen. Er stand neben dem Tor im 16er und rief uns zusammen: „Genug aufgewärmt – Kommt her!“ Unser Aufwärmprogramm – so auch heute – bestand darin, den Torhüter „warm zu schießen“, was immer das heißen mochte. Torhüter! Klingt hochtrabend, die Wahrheit war, wir hatten keinen fixen. Es ging irgendwer ins Tor. Einer, der sich breitschlagen ließ und nur mit dem Versprechen, dass er nach einiger Zeit „ganz sicher“ abgelöst werde. Undankbarer Job.
Ich muss mich korrigieren, eine Zeit lang war bei unserer Truppe auch ein richtiger Goalie – wie wir die Torhüter zu nennen gepflegt hatten – dabei. Der kam tatsächlich, um im Tor zu stehen, hatte Tormannhandschuhe mit, entsprechende – an den Hüften wattierte – Torhüterhosen und war mental gerüstet dafür, sich auch mal in den „Gatsch“, direkt vor dem Tor, zu werfen. Man konnte sehen, dass der das gelernt hatte, sich nach dem Ball zu „schmeißen“. Aber das war nur eine Phase, die ging vorbei, wie alles.
Wir hatten keinen Präsidenten. Das war nur sein Spitzname. Wir waren in unseren besten Zeiten nicht mal ein Verein. Wir waren einfach eine lose, ungeordnete und anarchische Truppe von jungen und nicht mehr ganz so jungen Leuten, die gerne in der Freizeit kickten.
Der Haufen war undiszipliniert und unberechenbar. Wenn du zum Platz kamst, wusstest du nie, was dich erwartete: Gähnende Leere oder wildes Gewusel. Manchmal standen wir zu zweit da, das andere Mal hätten wir 11 gegen 11 spielen können; was aber für den Platz eh zu viel gewesen wäre. So groß war der nicht. Wer kam, kam. Je schlechter das Wetter wurde, desto kleiner wurden die Tore und das Feld. Dann ging es oft nur mehr 3 gegen 3.
Heute war es anders. Wir spielten gegen eine andere Mannschaft, was bei uns selten vorkam. Meistens ging´s ja einfach gegeneinander, in zwei Teams aufgeteilt. Zwei wählten die Leute aus, mittels „Heu – Stroh“. Irgendwer blieb dabei über, als Letzter geholt. Ich war glücklicherweise nie darunter, war gut genug, dass ich bald einmal gewählt wurde. Aber den Moment, an dem man als Letzter da stand und gnadenhalber genommen werden musste, den möchte keiner haben, darauf konnte ich gerne verzichten.
„Also – Leute – wie legen wir es denn heute an?“
„Na, flach spielen, hoch gewinnen“. Kurzes Gelächter. Einer schimpfte:
„Phrasenschwein“.
„Okay, lustig ja, aber wenn wir bestehen wollen, und ihr wisst die sind gut, wir haben schon einmal verloren gegen sie…“ eine dramaturgische Pause, verstärkte die Information,
„…dann müssen wir taktisch klug spielen und eine Ordnung hineinbringen.“
Er blickte Charles an, der ihm gegenüber stand.
„Du gehst bitte wieder ins Tor.“ Charles war wie immer alles andere als erfreut, empörte Körperbewegungen machten das deutlich. Obwohl er sich mittlerweile schon Tormannhandschuhe gekauft hatte.
Er schaute in die Runde, erblickte die beiden.
„Gernot, Gerd, ihr im Mittelfeld?“ Mit einer fragenden Satzmelodie. Ein leichtes Nicken – eher ein zu-Boden Blicken war die Folge. Wie immer man das zu interpretieren hatte.
„Aber bitte mit noch hint´n a gehen und defensiv arbeiten!“ Dann wanderte sein Blick:
„Peter! Mitte – rechts vorne und Alfi, du links vorne. Kurt, ich und Paul, wir machen hinten dicht.“ Kurze Pause, Rundumblick.
„Leo, Heinz und Güllit, ihr kommt rein, wenn die ersten müde werden.“ Er ließ die Info sacken.
„Wir spielen zuerst einmal abwartend. Schau ma, dass ma gut stehen, nix zulassen und dann schnell nach vor. Aber net zuvü hohe Bälle, ihr wisst da Peta hat´s mit dem Stoppen net so.“ (Gelächter). Peter lacht mit.
„Die sind jünger und schneller. Wir haben die Erfahrung, also spielen wir sie aus. Keine unnötigen Dribblings, lasst´s den Ball laufen. Füße schonen und bitte alle drauf gehen, wenn sie den Ball haben…Okay?“
„OKAY?!“ Einige ließen sich zu einem müden Okay verleiten. Andere schauten skeptisch.
„Gut, dann gemmas an.“ Alle klatschen in die Hände und es ging zum Mittelkreis.
Als wir auseinander gingen, wussten viele, dass die Ordnung nicht lange halten wird. Nach ein paar Minuten taten wieder alle, was sie immer taten, nämlich dass, was sie wollten oder glaubten, am besten zu können. Dementsprechend rannten die einen – überall und immer – dem Ball nach. Die anderen wollten immer und jederzeit angespielt werden, tricksten dann, bis sie den Ball verloren hatten und wieder andere blieben stehen und warteten, bis sie angespielt wurden, weil sie ja die große Chance auf ein Tor haben würden. Und von wegen „größere Erfahrung“. Wir spielten aus Spaß, jeder für sich, die Idee des Mannschaftssportes nicht verstehend. Es war so wie immer. Man lernt den anderen am besten am Fußballplatz kennen. Das ist gut, tut aber auch weh. Von der taktischen Überlegung war das Ganze in der Theorie nicht schlecht. Aber es kam so, wie vorhergesagt. Es hielt sich niemand dran. Wir verloren 3:5.
Nie gedreht
Doch in all der geschäftigen Vorfreude und dem hektischen Gewusel der aufgeregten Passagiere wird sich ein Riss eingeschlichen haben, der anfangs gar nicht bemerkt werden, sich aber ständig verbreitert haben wird. Anfangs wird er nur durch eine leise musikalische Andeutung gekennzeichnet worden sein und sich schließlich zu einer manifesten Irritation ausgewachsen haben. Es wird Bezug auf das Ende der Reise genommen und deutlich gemacht werden, dass diese Kreuzfahrt so nicht enden wird, wie es der Anfang versprochen und wie es der Autor angelegt gehabt haben wird.
Es wird ein Film (oder Traum?) gewesen sein, der nie gewesen, der nie gedreht worden ist, weil die Mittel dafür fehlten und das Geld für den Spielfilm nicht aufgebracht werden konnten. Es wird ein Film gewesen sein, der äußerst spannend begonnen haben wird, jedoch ab der Mitte nicht konsequent zu Ende geführt werden wird. Das dringlichste Problem, das der Film gehabt haben wird, so die einhellige Meinung des Fachpublikums, wird sein unklarer Schluss gewesen sein. Denn so spannend der Aspekt gewesen wäre, dass das Schiff in keinem Hafen in der Nähe anlegen wird können, weil über das Kreuzfahrtschiff die Quarantäne ausgerufen worden sein wird. So wenig werden die Hintergründe beleuchtet geworden sein. Der Drehbuchautor hätte zum Beispiel auf gruppendynamische Prozesse eingehen können, die es in der kritischen Situation auf engem Raum mit vielen Menschen, die sich fremd gewesen sein werden, entspinnen hätte können. Als Zuseher wäre man ziemlich im Dunkeln gelassen worden. Zur Orientierung wenigstens in der Anlage, die Skizze des Schiffes und die Liste der zu spielenden Personen.
Nach vor, kein Zurück
Am späten Vormittag sahen wir die Silhouette von Mombasa. Erleichterung machte sich breit und der Gedanke machte sich breit, wir hätten das ärgste überstanden. Tags zuvor, am Nachmittag waren wir, ich, Michael und Heidi – im Hafen von Sanzibar auf die Dau gestiegen. Nicht weil es so geplant, sondern das der schon dringlichen Situation geschuldet war. Bis dahin saßen wir auf der Insel fest und wir ja mussten zu unserem Flieger nach Mombasa, wofür wir Tickets hatten, zurück nach Europa.
Es war der Endpunkt einer fünf Wochen langen Tour durch Ostafrika, angefangen in Nairobi, über Arusha. Von dort aus organisierten wir drei Safaris in den Nationalparks von Lake Manyara, dem Ngorongoro Krater und der Serengeti. Am zweiten Tag am Zeltplatz wurden wir fast das Abendessen eines Rudels Löwinnen. Wirklich, kein Scherz, ich hab etwa ein Meter vom Zelt entfernt die frischen Löwentatzen gesehen. Die Fahrer der Jeeps waren geistesgegenwärtig genug und verjagten sie.
Dann wollten wir unbedingt auf den Kilimandscharo. Aufgrund des schlechten Wetters musste die Mission auf 6.100 Meter abgebrochen werden. Ich war da gar nicht mehr mit, mich hatte die Höhenkrankheit nieder gestreckt und ich konnte um 1 Uhr früh nicht aufbrechen und im eisigem Schneesturm zum Gipfel aufsteigen. Das war zu viel. Wir waren auch nicht richtig ausgestattet und vorbereitet auf die Mission. Aber auch professionelle Bergsteigergruppen hatten an diesem Tag einfach Pech, es ging nicht. Minus 15 Grad und 150 Kilometer Windspitzen.
Als Belohnung der Strapazen hatten wir uns einen Bungalow direkt am Meer gegönnt und wollten uns dort erholen und die Seele baumeln lassen. Aufgrund der Einnahme von Malaria Prophylaxe Mitteln hatte ich jedoch nicht viel davon. Inmitten der schönsten Sommerurlaubsidylle – paradiesisches weiße Strände, türkis-blaues Meer – hatte ich Depressionen, melancholische Anfälle und Einsamkeitsschübe. Michael und Heidi ging es besser, die tollten am Strand und im seichten Wasser umher, spielten exzessiv Karten, Streitpatience, salopp „Schikanieren“ genannt und tranken sich am Abend die Welt schön.
Irgendwann – so nach einer Woche – wurde uns bewusst, dass wir unsere Rückreise nach Mombasa/Kenia noch nicht organisiert hatten. Daher machten wir uns nach Sanzibar Town auf, um das zu erledigen. Wir dachten, wir könnten von Dar es Salaam aus mit Bussen, die Küste entlang nach Mombasa, kommen. Doch das war ein kolossaler Irrtum; das war kompliziert und dauerte viel zu lange – da hätten wir gestern schon los fahren müssen. Bis wir das heraus hatten, war ein Vormittag weg. Also Variante 2 – der Schiffsweg nach Mombasa! Nahm wieder viel Zeit in Anspruch. Die Passagierschiffe fuhren zwar regelmäßig, aber Tickets zu bekommen, war nicht leicht. Nach stundenlangem Herumstehen, anstellen, warten, verhandeln, das eine und andere Schmiergeld verwenden, darüber möchte ich mich aber nicht weiter auslassen, hielten wir schließlich nach weiteren vier Stunden, Tickets für eine Schiffpassage in der Hand.
Zurück ins Hotel, gemütlichen letzten Abend verbringen, an der Bar, die unten am Eck Alkohol ausschenkte und zwei provisorische Tischchen im Freien stehen hatten. Praktischerweise stand am nächsten Eck gleich ein Hendl-Griller. Der Abend wurde lang, richtig lang, weil Matrosen ebenfalls ihren letzten Abend feierten und uns okkupierten. Das war eine Zeitlang ziemlich lustig und schräg. Die meisten waren aus Pakistan und ließen es nochmal richtig krachen. Ab einem gewissen Alkoholpegel wurde es aber mühsam. Die hatten nämlich vor, alles zu ficken, was irgendwie verfügbar war und das waren mitunter auch wir. Bis wir uns aus ihren Avancen, Umarmungen befreit und ihre Schnapsrunden abgewehrt hatten, war es 3 Uhr. Wir kamen halbwegs heil aus dem Schlamassel und fanden uns rechtzeitig und am richtigen Tag am richtigen Pier im Hafen ein.
Wir warteten am Hafen. Es war drückend heiß, der Kopf waberte, der Kreislauf rotierte. Schweißgebadet standen und saßen wir herum. Kein Schiff in Sicht, niemand wusste was. Angeblich habe es Verspätung. Stunden vergingen. Was tun? Es waren viele Leute, die warteten. Nervosität breitete sich aus. Wir würden den Flieger versäumen, wir würden den Flieger versäumen! Irgendwann kam ein Hafenbeamter und erklärte, das Schiff könne nicht fahren, weil es eine Havarie habe. Morgen zu Mittag würde ein Frachtschiff fahren, da könnten wir dann mit. Havarie, Frachtschiff – klang alles nicht sehr vertrauenserweckend.
Also stolperten wir zurück in die Stadt. Verzweifelt waren wir, hatten einen Hangover. Aber wir mussten darauf vertrauen, dass das stimmte, was der Kollege in Uniform uns sagte. Der stammte übrigens aus einem alten Kolonialfilm – „der Saustall“ mit Philippe Noiret. Wir quartieren uns in einem sehr billigen Zimmer ein, auf einem Matratzenlager zu Dritt am Boden liegend.
Tatsächlich fuhr das Frachtschiff am nächsten Tag. Es war eine große alte Schaluppe, eine Dau, wie in der Gegend gebräuchlich. Es war völlig überladen, nicht nur mit Fracht, sondern auch mit Passagieren. Alle jene, die gestern nicht weggekommen waren, tummelten sich heute auf der Dau. Es war ein wüstes Gedränge, Gerenne und Geschiebe. Alle versuchten einen halbwegs guten Platz zu ergattern, um die Überfahrt zu überstehen. Kabinen gab es keine, alle an Deck. Überall lagen Ballen, standen Benzinfässer, große Kiste herum. Dazwischen lagerten die Passagiere. Irgendwann – es schien endlos – waren dann alle an Bord, hatten einen Platz und es konnte losgehen.
Daus sind Segelschiffe. Dieses hatte einen kleinen Manövriermotor, um aus dem Hafen raus zu kommen. In der Mitte war es flach und breit. Dickbäuchig könnte man sie nennen und spitz und hoch an den beiden Enden. Das WC – eine kleine Hütte, die nach hinten offen war – stand am äußersten Ende hoch oben. Wie beschrieb das Michael so schön, wenn ein Schiff dahinter fahren würde, hätte es hoch oben die nackten Ärsche jener sehen können, die sich gerade erleichterten.
Die Dämmerung begann, endlich ging es los. Aus dem Hafen draußen, blähte der Wind die Segel und die Dau nahm Fahrt auf. Allerdings wurde der Seegang auch rauer. Die Fahrt durch die Nacht wurde zu einem wüsten Ritt durch den Indischen Ozean, die Küste entlang Richtung Norden, gen Mombasa. Kaum jemand an Bord, der nicht seekrank war. Ich lag durch eine Palette etwas erhöht am Boden – was gut war, denn das Wasser sollte ein Problem werden – neben Dieselfässern und Ballen, die irgendetwas weiches beinhalteten, man konnte sich als ganz gut drauf bequem machen. Überall lag irgendwer, Kinder, die weinten oder kotzten, oft beides oder hing über der Reeling und machte das vertraute Geräusch.
Das schwere und ungelenke Schiff taumelte durch die riesigen Wellenkämme und -täler. Unten am Boden liegend, sah man die nächste Welle sich vor einem auftürmen und auf einen zu rasen, oben am Kamm blickte man – einer Achterbahn gleich – in die Tiefe. Bis zum Morgengrauen war alles nass und verdreckt. „Und jetzt stellen Sie sich vor, dass sie da aufs Klo gehen müssen; in die Hütte hoch hinauf, auf das letzte rausragende Brett und versuchen dort ihr Geschäft zu machen!“ Auf dem Weg dorthin warf es einem irgendwo hin, auf einen anderen Menschen, gegen ein Fass oder einen Ballen. Wenn das Schiff nach vorne taumelte, kam einem das Wasser entgegen geschossen. Die Höhe – war man endlich angelangt – war beängstigend, da musste man gar keine Höhenangst haben. Der Blick allerdings hinaus aufs Meer, hoch oben, der war atemberaubend. Wenn man ihn genießen hätte konnte.
Als der Morgen graute, wurde es nicht besser, weil man mit dem heller werdenden Tag das Ausmaß des Seegangs zu sehen bekam. Irgendwann am Vormittag kam Land in Sicht. Die See wurde ruhiger. Der Motor wurde eingeschalten und wir tuckerten auf Mombasa zu. Das war kein normaler Hafen, wie wir uns das so als Europäer*innen vorgestellt hatten: Keine richtigen Anlegestellen, keine betonierten Ladestationen, nichts von all dem. Und als das Schiff neben zwei anderen Schiffen zum Stehen kam und am nächsten festgezurrt wurde, da wurde mir bewusst, dass wir jetzt über zwei Schiffe hinweg, mit unserem Gepäck aussteigen mussten. Ich glaubte es anfangs nicht. Aber die anderen Passagiere begannen bereits ihre Hab und Gut, ihre Bündel, Taschen, Säcke und Koffer, aufzusammeln und es zur Backbord Seite zu tragen.
Sobald das Schiff verzurrt war, begannen sie ihre Sachen über die hölzerne Schiffswand zu wuchten und auf sie zu steigen, holten die Kinder hoch und reichten sie rüber, aufs andere Schiff. Dann sprangen sie selbst rüber. Das blüht uns auch, dachte ich mir und verfluchte den Tag, an dem wir auf dieses Boot stiegen. Die Schiffswand war etwa 30 Zentimeter breit, auf dem man stehen konnte; wie ein – sich in alle Richtungen bewegender – Schwebebalken. Der Spalt zwischen den Schiffen war oft bis zu einem Meter breit. Alles war ständig in Bewegung und nicht immer synchron. Wir bereiteten uns vor. Michael, der Größte von uns machte, machte den Anfang. Er kletterte rauf, wir hielten ihn. Er wartete einen günstigen Moment ab und sprang auf die Bordwand des anderen Schiffes.
Das alles mit einem 25 Kilo Rucksack am Rücken. Er fand das Gleichgewicht, sprang ins Innere des Bootes. Dann folgte Heidi, ihren Rucksack warfen wir rüber. Sie schwankte da oben, stand mit schlotternden Knien und hatte fast den Moment verpasst, an dem die Schiffe einigermaßen synchron waren. Aber sie schaffte es auch. Ich als letzter, das gleiche Prozedere. Ich blickte zwischen den beiden Booten in die Tiefe und mir stockte kurz der Atem. Was passierte, wenn ich auf dem nassen Holz ausrutschte oder den Halt verlöre, was wenn ich da in die Brühe hinunter stürzte? Würde ich zerquetscht werden, oder mit dem Kopf an einen der Wände aufschlagen und das Bewusstsein verlieren und ersaufen? Aber so durfte ich nicht weiter denken. Augen voraus, Konzentration auf die Aufgabe. Den richtigen Zeitpunkt abwarten und…
Wir schafften es, alle drei. Wir überquerten auch noch das zweite Schiff, machten die gleiche Prozedur nochmal mit, bis wir endlich an Land waren. Nur eine Thermoskanne lockerte sich aus dem Rucksack und fiel in die Tiefe. Das war verschmerzbar. So eine Form von anlegen, hatte ich nie wieder und werde es wohl auch nie mehr wieder haben.
Dramaturgische Konstellationen
So unklar wird sich das ganze Dilemma in einer kuriosen und bizarren Schlussszene aufgelöst haben, ohne weitere Informationen für die Zusehenden oder Zuhörenden, was eigentlich der Grund für die Quarantäne tatsächlich gewesen sein wird. Aber alle, die den Film nicht gesehen haben werden, weil er nie gedreht werden konnte, jedoch ihn erzählt bekommen haben werden, werden von der Grundkonstellation angetan gewesen sein. Insbesondere die klaustrophobische Situation auf dem Schiff und die zunehmende Aufhebung der Hierarchien und gesellschaftlichen Normen, sowie die Rationierungen der Essensversorgung und die Einschränkung des Wassers hätten interessante dramaturgische Konstellationen hervorrufen können. Doch, wie gesagt, es wird alles nur ein Hirngespinst und ein Traum gewesen sein. Daher wird es auch kein weiteres Attachment geben. Der Text wird verschollen bleiben. Nur zwei Szenen werden übrig geblieben sein und die werden vordergründig nichts mit dem Film gemein gehabt haben, aber dennoch der Link gewesen sein, worin sich der Film angelegt haben wird. Mehr gibt es darüber nicht mehr zu sagen.