Der heilige Gral?

Wissenschaft in Zeiten der Corona Pandemie

Das Problem besteht schon seit längerem. Nur bisher hat es kaum jemanden interessiert. Die Corona Pandemie jedoch rückte es ins Zentrum der Aufmerksamkeit, dadurch wurde es deutlicher.

 

Die Rede ist vom problematischen Umgang der Medien und Öffentlichkeit mit Wissenschaft und dem damit vermittelten Bild, was Wissenschaft sei. Einige Widersprüche dabei seien im folgenden Beitrag kurz zusammengefasst.

Wissenschaft wird in Medien fast synonym mit naturwissenschaftlicher Forschung gleichgesetzt. Es wird gemessen, quantitativ erhoben und in Labors untersucht. Dazu gibt es die dazugehörigen Bilder; Menschen in weißen Kitteln, mit Masken, Handschuhen sind über Mikroskope gebeugt und hantieren mit Proben. Dass es andere Forschungsdisziplinen auch gibt, die mit Menschen und deren Verhalten zu tun haben, wird nicht verhandelt und kommt auch niemanden in den Sinn.

War die Ausrichtung des Beraterstabes des österreichischen Gesundheitsministers Anschober (Grüne) erstmal auf epidemiologische, virologische und medizinische Expertise ausgerichtet und grundrichtig, so fällt mit zunehmender Dauer auf, dass andere Wissenschaftszweige in der Beurteilung und Bewertung der weiteren Vorgangsweise weitgehend fehlen oder anderswo bearbeitet werden (bei der Wirtschaftsministerin, beim Kanzler,…). Sozial-, Gesellschafts-, Politik-, Kultur- oder bildungswissenschaftliche und noch weitere dringend benötigte Themenexpertise kommt kaum vor.

Es ist aber nicht so, dass Medizinische Forschung gleich Medizinische Forschung wäre. Darin gibt es erhebliche Unterschiede und damit auch Spannungsfelder. Wenn also Christian Drosten[1], Virologe an der Charitè Berlin darauf hinweist, dass das Expert*innentum mittlerweile soweit ausgereift ist, dass Virolog*in nicht gleich Virolog*in ist und er vor allem deswegen öffentlich ins Blickfeld geraten sei, weil er sich mit neuauftretenden (insbesondere Corona) Viren im speziellen seit Jahren beschäftige, so zeigt das nur, wie weit verzweigt und speziell die Wissensgebiete mittlerweile geworden sind.

Epidemiologische Entscheidungen (etwa Kontaktsperre) haben nicht nur auf das einzelne Individuum Auswirkungen, sondern auf uns als Gesellschaft insgesamt. Virologisch implizierte Entscheidungen (wie etwa die 1 Meter Abstand Regel) haben eine Vielzahl von Folgewirkungen; etwa auf die Psyche des Menschen, ökonomische, sozio-kulturelle, arbeitsmarkt-, wohnungspolitische und viele weitere. Diese Folgeketten lassen sich nicht alle von Beginn weg bedenken und planen. Viele davon zeigen sich oft erst nach Wochen, Monaten. Aber je früher unterschiedliche Ergebnisse erkannt, durch Expert*innen eingebracht und bedacht werden können, desto eher sind sie auch politisch organisierbar und können abgemildert oder vermieden werden. Und nicht alle Themen sind durch Wissenschaftler*innen beantwortbar, sondern es braucht auch Expert*innen aus der Praxis, etwa aus psychosozialen, arbeitsmarktpolitischen Feldern, aus der Jugendarbeit u.v.m. 

In ein Raster pressen: Schwarz – Weiß!

Wissenschaft wird gerade in der Covid-Pandemie mit einem Absolutheitsanspruch präsentiert. Dass, was Wissenschaftler*innen verkünden, sei gültig, ja endgültig. Das entspringt auch dem Bedürfnis von Politik und Medien alles in ein Raster zu pressen, als richtig und falsch darzustellen, die „Sache simpel zu halten“.

Typisch dafür die Aussage von Fußballer Marc Janko, ehemaliger Nationalspieler und Weltenbummler: „Jede Woche kam ein angesehener Epidemiologe und präsentierte eine Studie, dann kam ein paar Tage später der Nächste und sagte etwas anderes. Ich dachte, dass Wissenschaft immer schwarz oder weiß ist. Da lag ich wohl falsch.“ Gerade in der Corona Pandemie, die als Ausnahmesituation anerkannt werden muss, wird von Medien, Öffentlichkeit und Politik Absolutheit in den Daten, Fakten beansprucht.[2]

Doch genau diese Sicherheit gibt es nicht. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass divergierende Meinungen, unterschiedliche Einschätzungen, Diskussionen und verschiedene Blickwinkel, aus der jeweiligen wissenschaftlichen Profession heraus getätigt, in der Öffentlichkeit schnell zu Streit, zu Hader, zur Unterdrückung von Meinung uminterpretiert wird.[3]

Unterschiedliche Zugänge und Meinungen, verschiedene Interpretationen und Hypothesen, Grundelemente der wissenschaftlichen Auseinandersetzung hält die Öffentlichkeit schwer aus und kann damit auch nicht umgehen, in Zeiten von digitalen Medienlattformen und deren ausuferndem Missbrauchs, umso weniger[4].

„Heiliger Gral“

Wissenschaft wird nicht als ein Prozess dargestellt, in dem Menschen mit ihrem Wissen und ihrer Neugierde, sich daran beteiligen, Unbekanntes zu erforschen und neue Erkenntnisse, neues Wissen über Vorgänge in der Welt erlangen wollen, sondern als „quasi heiliger Gral“ der Wahrheit, als das Produkt sowie Endergebnis der Forschung und als Hüterin dieser Wahrheit.

Umso verstörender wirkt es für viele Rezipient*innen dann, wenn deutlich wird, dass Wissenschaft weder alles erklären kann, noch sich darin einig ist, wie dies – was wir gerade erlebten und erleben und damit auch in Erfahrung bringen – zu verstehen ist, und im Falle einer Virus Erkrankung, zu bekämpfen ist.

Wissenschaft – so eine der Erklärungen für sie – wäre als ein Handeln und Haltung gegenüber den Rätseln und Vorgängen in der Welt zu verstehen, das sich auf die Suche nach mehr und mehr gesichertem Wissen begibt und nach Erklärungen sucht. Da ist der Unterschied dann erheblich, etwa auf der Basis von nachvollziehbaren Daten und Fakten zu Erkenntnissen und Verständnis zu gelangen, gegenüber Vermutungen, Glauben und unbestätigten Theorien. Und wie Florian Aigner, Physiker, Buchautor und Wissenschaftserklärer[5] erläutert, ist Wissenschaft genau das Gegenteil von dem was in der Öffentlichkeit so gerne präsentiert wird; als Einzelkämpfer*innentum, ganz im Sinne des „genialen Wissenschaftlers“, der im Kämmerlein die allumfassende Formel (und damit Erklärung) findet.

Der Wissenschaftsalltag ist ein Gemeinschaftsprozess. Es baut auf Kooperation, auf bereits vorhandenen Erkenntnissen, auf Austausch auf, benötigt Kritik, Diskussion und Feedback. Das Gedankengebäude der Wissenschaft sei so groß und komplex, so Aigner, dass niemals ein/e Einzelne/r eine Chance hätte, das für sich allein zu errichten. Umso absurder ist es natürlich, dass die globale Wissenschaftswelt von extremer Konkurrenz, Individualisierung, Rankings, Previews und Listungen geprägt wird. Aber das ist wohl mehr eine Systemfrage, die der neoliberale, patriarchale Kapitalismus hervorgebracht hat und der sich in der Organisation und den Spielregeln von globaler Wissenschaftsproduktion wiederspiegeln,  als eine Frage, die der Wissenschaft an sich anzulasten ist.  

Wissenschaft sollte das Suchen nach Erkenntnis sein, sollte von der Neugierde getrieben sein, das Unbekannte zu entdecken und zu entschlüsseln. Wissenschaft heißt auch, sobald etwas gewusst, etwas bestätigt und daraus eine Regel geboren wurde, bereits diese Gewissheit wieder in Frage zu stellen. Wissenschaft sollte das Streben nach dem Nicht-Wissen beinhalten, wie es schon Sokrates[6] formuliert hatte (Ich weiß, dass ich nichts weiß) und damit die Elemente der Weisheit zu beschreiben begann. Wenn manche Politiker*innen, viele Medien und die Akteur*innen auf den digitalen Plattformen das Bild von Wissenschaft bestimmen, dann erscheint das sokratische Prinzip nahezu unerreichbar, und gerade deshalb ist es so wichtig, darauf hinzuweisen.


[1] Bekannt geworden durch seine NDR Podcasts – Corona Virus update.

[2] https://www.derstandard.at/story/2000117687291/janko-die-vorbildwirkung-ist-desastroes

[3] https://www.falter.at/zeitung/20200512/was-passiert-wenn-es-eng-wird

[4] https://www.brodnig.org/buch-luegen-im-netz/

[5] https://oe1.orf.at/artikel/661284/Florian-Aigner-Wissenschaft-und-Bloedsinn

[6] https://www.planet-wissen.de/geschichte/antike/das_klassische_athen/pwiesokrates100.html

 

 

 


 

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