Sozialwissenschaftliche Befunde
Herbert Langthaler, langjähriger Mitarbeiter der Wiener Dachorganisation asylkoordination[1] stellte gemeinsam mit dem Sozialwissenschaftler und Co Autor Bernhard Perchining am 1. Dezember in Graz sein Buch „Integration in Österreich“ vor.
Das Fachbuch ist eine Zusammenstellung von aktuellen Beiträgen aus verschiedenen Wissenschaftsrichtungen; der Soziologie, der Politik- und Sprachwissenschaften und der Sozialanthropologie. Bernhard Perchinig, Thomas Schmidinger und Christof Reinprecht arbeiten sich im ersten Teil des Buches an den Begriffen ab, die derzeit in den Medien inflationär verwendet werden und stellen einen historischen Kontext für die Debatte her.
Damit wird einem beim Lesen deutlich, wie überzogen und aus dem Kontext gerissen, die meisten öffentlichen Aufreger sind. Denn abseits der medialen Bilder lässt sich beweisen, dass in den letzten 40 Jahren viel auf dem Gebiet der vermeintlichen Integration[2] passiert ist. Heute ist es selbstverständlich, dass die Bevölkerung auf den Straßen der österreichischen Städte bunt geworden ist; dass Türkisch, Serbokroatisch-Bosnisch und viele andere Sprachen ganz selbstverständlich im öffentlichen Raum gesprochen werden und dass 40% der Heiraten binationalen Hintergrund haben. Das sind alles Faktoren, die kaum erwähnt werden, aber deutlich machen, dass Diversität Einzug gehalten hat. Langthaler: „Die Gastarbeiter in den 1970er Jahren trauten sich in der Öffentlichkeit nicht, ihre Muttersprache zu sprechen.“
Zwischen den hysterischen, öffentlichen Debatten und der „wirklichen Welt des Zusammenlebens vor Ort“, klaffen erhebliche Wahrnehmungslücken. Gerade auf lokaler Ebene sind die Probleme weitaus geringer, als immer wieder dargestellt wird, so Perchinig: „Dass sich die Verwaltung der Migranten annehmen muss, ist mittlerweile keine Frage, die nur ExpertInnen oder NGOs diskutieren, sondern das ist den Bürgermeistern längst bewußt“. Einig ist man sich aber, dass die öffentliche Diskussion Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen hat. Als Beispiel wurde genannt, dass es vor zwanzig Jahren positiv war, dass die Frauen und Kinder nachgekommen sind, weil man meinte, die alleinstehenden Männer würden stabiler werden. Heute sieht man Familiennachzug vielfach als Gefahr an.
Bildung allein macht auch noch keinen Aufstieg
Einen interessanten Beitrag im Buch lieferte August Gächter (ZSI[3]), der seit vielen Jahren zu Migration und Arbeitsmarkt forscht und der Frage nachgeht, in welchen Rollen und Positionen Zuwanderer am Arbeitsmarkt stehen und welche Bildungsverläufe Angehörige der zweiten und dritten Generation nehmen und genommen haben. Gächter macht deutlich, dass der Ruf nach mehr Bildung am Arbeitsmarkt alleine nicht ausreicht, damit Aufstieg dieser Gruppen gelingen kann. Um einen der Ausbildung entsprechenden Job zu bekommen, bedarf es wesentlich mehr, als nur gute Ausbildung. Den MigrantInnen fehle es an zahlreichen anderen Faktoren (Netzwerk, Mentoren/Freunde, institutionelle Zugänge udgl.) und über die Vielzahl an informellen Diskriminierungsfaktoren, die sie behindern, wird nicht gerne gesprochen, ergänzt Langthaler im Zuge der Diskussion.
Am Ende des Buches erhellt Andrea Götzelmann die unübersichtlichen Kompetenzen und Strukturen des österreichischen Integrationsregimes und macht deutlich, dass Integrationspolitik nicht erfolgreich betrieben werden kann, weil es ein zersplittertes Feld sei, in dem sehr viele Akteure unterschiedlichste Interessen verfolgen. Damit fehle es an Zielen, Leitlinien, klaren Strategien und eindeutigen Verantwortlichkeiten. Integrationspolitik bleibt Stückwerk.
Ein aufschlußreiches Buch, das für die Versachlichung der Zuwanderungs- und Integrationsthematik erhebliche Dienste leisten kann. Zu befürchten ist aber auch, dass es eines mehr der Bücher sein wird, das von der Politik und den EntscheidungsträgerInnen nicht gelesen wird und daher sein Ziel der Aufklärung verfehlen wird.
Ein Manko weist das Buch jedoch auf. Fragen des städtischen Wohnbaus, der Stadtteilentwicklung und der Stadtplanung insgesamt sind gänzlich ausgespart geblieben. Obwohl die Themen angesichts ofensichtlicher Problemfelder (sozial vernachlässigte Viertel, hoher MigrantInnenanteil in bestimmten Schulen, fehlender billiger und qaulitätsvoller Wohnraum u.v.m.) nach Analyse, Diskussion und Lösungen schreien, fehlen sie auch in dem sonst so ausführlichen Buch; was den Schluss zuläßt, dass es für beide Seiten – da die IntegrationsexpertInnen, dort die StadtplanerInnen und Architekturzunft – kaum oder zuwenig Verbindungen gibt und die jeweilig andere Expertise ein Nogo Area zu sein scheint. Umso wichtiger wäre es, diese Mauern abzubauen. Denn wie sagte ein hochrangiger WHO[4] Experte anläßlich des Weltkongresses der Urban Health Vereinigung[5] in Amsterdam 2006: „Die Architekten können oft mehr für die Gesundheit der Menschen in der Stadt tun, als Ärzte!“
[1] Die Asylkoordination Österreich trägt den Titel: Verein von AusländerInnen und Flüchtlingshilfsorganisationen und -betreuerInnen und wurde als österreichweiter Dachverband im Jahre 1991 gegründet.
[2] siehe auch „Kommentar der Anderen im der Standard vom 9. November, „Schluß mit der Integrationsdebatte“.
[3] Zentrum für Soziale Innovation, Wien
[4] WHO – Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen
[5] ICUH – International Congress on Urban Health, Internationaler Kongress über Gesundheit in der Stadt.