Wahlkampf ist in Österreich! Eine Zeit, in der Gerüchte, Halbwahrheiten, Vereinfachungen und Verleumdungen aller Art Hochkonjunktur haben; ebenso wie diskriminierende, rassistische und hetzerische Aussagen. „Das Ausländerthema“ steht bei Wahlkämpfen seit den späten 1980er in schöner Regelmäßigkeit im Mittelpunkt. Der folgende Beitrag richtet die Aufmerksamkeit auf die Berichterstattung und geht der Frage nach, ob nicht bereits in der Betrachtungsweise des Themas die Verzerrung liegt.
In der öffentlichen Debatte besitzt die FPÖ zwar das Alleinstellungsmerkmal für rassistische und hetzerische Wahlwerbung und Wahlkämpfe. Dies hat sie in der Vergangenheit eindrucksvoll bewiesen. Als relevanter Teil des rechtspopulistisch-rechtsextremen Spektrums besitzt sie wirksame Mittel, die Themen Migration/Asyl/Zuwanderung mit Missbrauch (des Asyl- und Sozialsystems) und Kriminalität zu verknüpfen und so einen mächtigen öffentlichen Diskursstrang zu etablieren.[1] Freilich ist die FPÖ nicht alleine dafür verantwortlich, aber doch wesentlich daran beteiligt. Das ist an sich nichts wahnsinnig Neues, verblüffend ist jedoch, wie in schöner Regelmäßigkeit und daher prognostizierbar diese Strategie bei Wahlkämpfen eingesetzt wird, so auch in diesem Nationalratswahlkampf 2013.
Dabei spielen die hohe Konzentration von Boulevardmedien, die geringe mediale Vielfalt insgesamt und die kartellartigen Strukturen in der Medienlandschaft eine große Rolle und sind als österreichische Besonderheit festzuhalten. Nicht nur, dass der Bouleveard – quasi seinem „natürlichen Skandalisierungsdrang“ folgend – „Ausländerkriminalität“ aufspürt und in den Vordergrund der Berichterstattung rückt, er greift auch die Parolen und Berichte der FPÖ (Presseaussendungen, -konferenzen, Reden) gerne auf und wälzt diese aus. Nicht selten gelangen diese „Behauptungen“ unhinterfragt und beinahe unrecherchiert in die jeweiligen Formate und Ausgaben der Massenmedien. Damit entsteht ein unverhältnismäßiges und verzerrtes Bild der Realität.
Doch auch die justiziellen Einrichtungen und Strafverfolgungsbehörden sind an der Blickrichtung, also wie das Thema betrachtet wird, bewusst oder unbewusst mit beteiligt. Mit ihren Erhebungsabteilungen[2] und den von ihnen verwendeten statistischen Kategorien bieten sie die Grundlage dafür, dass der Blick auf „Ausländerkriminalität“ in dieser Form möglich wird.
Spielen wir das Gedankenspiel einmal durch: Gäbe es die Kategorie „Fremde“ in den Statistiken nicht, worauf würde dann der Fokus gelegt werden? Auf andere Kategorien wie etwa auf Bildung, Beruf, die Kriminalitätsbelastung der Eltern, Alter, Geschlecht, die politische Zugehörigkeit? Auf diesen Aspekt der Richtungsweisung von Statistiken und der öffentlichen Rezeption von Kriminalität im Konnex mit anderen „Themen“ oder Gruppen wies bereits Pilgram 1992[3] hin.
Exkurs: Ausländerkriminalität
Hier ist ein kurzer Exkurs zum Thema Ausländerkriminalität notwendig, um nicht in den Geruch von Schönfärberei zu geraten. Tatsache ist, dass es überproportional viel Straftaten von bestimmten Gruppen von „Ausländern“[4] gibt und Tatsache ist auch, dass die Gefängnisse[5] in Österreich überproportional von ausländischen Häftlingen belegt sind.
Aber die ethnische und nationale Zugehörigkeit ist eben nur einer von vielen „Markern“. Die Frage des Geschlechtes und des Alters spielen bei der Kriminalitätsbelastung[6] – nicht zu verwechseln mit der Kriminalitätsstatistik – ebenfalls eine wichtige Rolle. Fakt ist, dass die Altersgruppe der 15-40 jährigen Männer eine deutlich höhere Kriminalitätsbelastung aufweist, als etwa gleichaltrige Frauen. Ebenso sind bestimmte sozioökonomischen und rechtliche Faktoren zu beachten, dies gilt bei den verschiedenen Ausländergruppen ebenso. Geht man bei den zur Verfügung gestellten Statistiken ins Detail, so fällt auf, dass jene Gruppen von Zuwanderern, die bereits lange da sind, eine Zugang zum Arbeitsmarkt besitzen und über einen gefestigten Aufenthalt verfügen, sogar geringer belastet sind, als vergleichbare österreichische Gruppen[7].
Wäre eine andere Debatte!
Im Umkehrschluss müssten Politik und Sozialpartner also viel eher darüber diskutieren, inwieweit die geltenden ausschließenden Regelungen von Fremden-, Ausländerbeschäftigungs- und Asylgesetz genau zu dieser erhöhten Kriminalitätsbelastung beitragen, bestimmte Gruppen in eine „graue Ökonomie“[8] einsickern und dort ihren Platz finden lassen. Auch wiederum keine wahnsinnig neue Erkenntnis, den jedes Gesetz zieht die Linie zwischen legal und illegal, zwischen Recht und Unrecht. Wären die Fremdengesetze anders gestaltet, als sie es sind, wären andere Gruppen und Teile der Zuwanderer ausgeschlossen und würden daher als weniger oder mehr kriminalitätsbelastet eingestuft sein. Alles also auch eine Frage der Diskursmacht in der Öffentlichkeit!
Oder Öffentlichkeit und Politik könnten auch diskutieren, welche präventiven Maßnahmen man für die gefährdeten männlichen Jugendlichen setzt, um ihre Belastung zu verringern! Diese Beispiele sollen nur verdeutlichen, dass es auch und insbesondere um hegemoniale Diskursverhältnisse geht, die bestimmen, was in der Öffentlichkeit wichtig ist, was Angst macht und was geahndet wird.
Eine Vielzahl von weiteren Gründen wären noch zu diskutieren, etwa dass es eine Vielzahl von Gesetzen[9] gibt, die nur MigrantInnen übertreten können und dadurch ihr Anteil an den Möglichkeiten von Delikten steigert. Die Entwicklung der Fremdengesetze in Österreich sind zudem eindeutig. Zahlreiche Novellen und Reformen führten dazu, dass immer mehr Regeln, Restriktionen und Verschärfungen vorgenommen wurden und in den letzten 20 Jahren ein Dickicht an Bestimmungen entstanden ist, das selbst für ExpertInnen nicht mehr zu durchschauen ist. [10]
Ein anderer Fokus der Debatte könnte darauf liegen, dass unbescholtene Ausländer härter bestraft werden als Inländer und damit auch häufiger in Strafhaft landen. Auch die U-Haft wird bei Ausländern häufiger angewandt, da die Gerichte eine größere Gefahr des Untertauchens – sprich der Fluchtgefahr – generalpräventiv annehmen.
Man könnte schließlich noch insgesamt die Datensammlung näher ins Auge fassen und feststellen, dass die meisten Daten auch als „Tätigkeitsausweise der Strafverfolgungsorgane“[11] zu verstehen sind und daher zur Analyse von Kriminalitätsentwicklungen und Prognosen zu bestimmten Gruppen nur mit großer Vorsicht anzuwenden sind. Denn sie sind auch Ausdruck von Eigeninteressen, in Zahlen gegossene Legitimation und Selbstdarstellungen der Institutionen. All diese und noch weitere genauer aufzuschlüsselnden Faktoren könnte man diskutieren und würde zu wesentlich anderen Aussagen gelangen und damit auch zu anderen Maßnahmen.
Qualitätsmedien[12] versuchen dies mitunter, aber viel zu selten und viel zu wenige. Würde diese qualitative Auseinandersetzung im größeren und breiteren Umfang erfolgen, dann würde die Bevölkerung möglicherweise mit anderen Fakten und Fragen konfrontiert sein und damit anders umgehen. Die Debatte würde den Blick darauf legen, welche Probleme hausgemacht und strukturell bedingt sind – sprich Fehler und Mißstände im System – und welche sind bewusst politisch geschürt und instrumentalisiert.
Höhere Opferbelastung
Durchforstet man die Literatur, das Internet und die mediale Berichterstattung zu dem Thema, so sticht ein deutliches Übergewicht des Thema „Ausländerkriminalität“ ins Auge, Beiträge über AusländerInnen als Opfer finden sich jedoch kaum.
Im aktuellen Jahrbuch migration.integration[13] findet sich auf den Seiten 72-73 unter dem Titel „Sicherheit“ Daten zur Kriminalität von Ausländern. 4/5 der insgesamt wenigen Seiten zum Thema, beschäftigt sich mit der Kriminalität von Ausländern. Ein Absatz verweist auf die Tatsache, dass Zugewanderte[14] 2x so häufig Geschädigte und Opfer von Straftaten sind (23,4% zu 11,6%). Immerhin wird der Umstand erwähnt.
Nennenswerte Daten und Hinweise liefern lediglich die alljährlich herausgegebenen Antirassismus Reporte von ZARA[15] und der Antidiskriminierungsstelle des Landes Steiermark – früher helping hands Graz[16]. Beide Berichte geben anhand von dokumentierten rassistischen und diskriminierenden Vorfällen, mit denen MigrantInnen konfrontiert sind, einen Einblick in die verschiedenen Bereiche des öffentlichen Lebens (etwa im Bereich Wohnen oder Arbeitsplatz). Eine Vielzahl dieser Übergriffe und Vorfälle kann nicht durch eine Anzeige und gerichtliche Verfolgung gesühnt werden, bleibt daher strafrei, kann lediglich dokumentiert und veröffentlicht werden. Es fehlt jedoch eine systematische, österreichweite und vergleichbare Erhebung der Opferbelastung, der Übergriffe und Straftaten, die an AusländerInnen begangen werden.
Daniela Grabovac, Leiterin der Antidiskriminerungsstelle des Landes Steiermark verwies auf einen weiteren wichtigen Umstand. Laut ihren Beobachtungen und Aufzeichnungen steigen die rassistisch motivierten Übergriffe, Beschimpfungen und tätlichen Angriffe in Wahlkampfzeiten um bis zu 12% an[17]. Ein deutlicher Hinweis darauf, wie das individuelle Verhalten und die Meinungen des/der Einzelnen durch den öffentlichen Diskurs beeinflusst und gewalttätige, rassistische Handlungen dadurch befördert werden.
Diesem regelmäßig wiederkehrende Umstand der Verhetzung, Anstiftung und Unterstützung von Gewaltakten und Straftaten wird jedoch in einer Kriminalitätsbelastungsdiskussion kein Augenmerk geschenkt. Denn wäre dem so, würde nicht vorrangig über Ausländerkriminalität zu diskutieren sein, sondern die Öffentlichkeit wäre beispielsweise mit Kriminalität im Kontext von Wahlwerbung beschäftigt.
[1] Siehe auch Gulis, Wolfgang: Rechte Meinungshegemonie. In: Zebratl 5/2006.
[2] Polizeiliche Kriminalstatistik, Staatsanwaltsstatistik, Gerichtliche Kriminalstatistik, Vollzugsstatistik u.a.
[3] Pilgram, Arno: Ausländerkriminalität – Soziologische Weltsichten und Angstwelten. In Althaler/Hohenwarter (Hg.) Torschluss. Wanderungsbewegungen und Politik in Europa. Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1992
[4] Hier wird aufgrund des deutlich männlich dominierten Phänomens der „Kriminalität“ auf die gendergerechte Formulierung bewußt verzichet.
[5] Damit sind nicht nur die Strafhaft sondern auch die U-Haftgefängnisse sowie Schubhaft und Verwaltungsstrafhaft gemeint.
[6] Die Kriminalitätsbelastung berechnet die Anzahl von strafbaren Handlungen je 1.000 BewohnerInnen, die Statistik im Gegensatz weist nur die Delikte ohne Rücksicht Alters-, Geschlechtsstrukturen oder sonstigen Kategorien.
[7] Siehe auch die jüngste Studie von Pilgram, Fuchs, Leonhardmair „Welche Aussagen über die Migranten und Ausländerpopulation in Wien erlaubt die Kriminalstatistik?, Inst. f. Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS), Wien 2012
[8] Fuchs, Walter: In „Über das Etikett Ausländerkriminalität“ in „der Standard“ online (5.9.2013). Der Graue Markt bezeichnet einen Fluss von Gütern über Vertriebswege, die nicht vom Gesetzgeber autorisiert sind.
[9] Etwa das Fremdengesetz, das Ausländerbeschäftigungsgesetz, Asylgesetz u.a.
[10] Gulis, Wolfgang: Migratuionsdiskurs in Österreich. Entstehung eines Migrationsdiskurses in der zweiten Republik Österreichs. S. 112-116. Akademiker Verlag, Saarbrücken 2013
[11] Siehe Fußnote 7
[12] http://derstandard.at/1369362961278/Ueber-das-Etikett-Auslaenderkriminalitaet
[13] BMI, Statsitik Austria, Österreichischer Integrationsfonds (Hg.): Migration&integration. zahlen.fakten.indikatoren 2012, Wien 2013
[14] Ohen nähere Angaben, welche Gruppen darin zusammengefasst wurden.
[15] http://www.zara.or.at/_wp/wp-content/uploads/2013/03/ZARA_Rassismus_Report_2012_Web.pdf
[16] http://www.antidiskriminierungsstelle.steiermark.at/cms/dokumente/11758063/992cf001/jahresbericht%202012.pdf und helping hands Graz (Hg.): Jahresbericht 2011. Eigenverlag Graz 2012.
[17] http://steiermark.orf.at/news/stories/2540418/