Zwischen Diskriminierung und Anerkennung

Diese Buchrezension von Wolfgang Gulis erschien in aktuellen Zebratl 1/12, Seite 16.

„Zwischen Diskriminierung und Anerkennung“

Weiterbildung in der Migrationsgesellschaft

Annette Sprung, außerordentliche Universitätsprofessorin am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Grazer Karl Franzens Universität hat mit ihrer Habilitationsschrift, die nunmehr als Buch vorliegt, einen Meilenstein der kritischen Weiterbildungsforschung vorgelegt.

Sprung stellt die Partizipationschancen und Handlungsmöglichkeiten von Menschen mit Migrationsgeschichte in Österreich in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen und lotet die Möglichkeiten und Bedingungen aus, die am Arbeitsmarkt bzw. in bestimmten, arbeitsmarktnahen Weiterbildungssegmenten bestehen. Anhand einer empirischen Studie beleuchtet Sprung die Situation und Bedingungen von MigrantInnen, die höher qualifiziert sind und „das Glück hatten“, in einem innovativen Kursprojekt in Wien, das explizit für Migrantinnen konzipiert worden war, aufgenommen zu werden. Trotz der relativ günstigen Bedingungen, zeigt die Untersuchung deutlich, dass es eine Reihe von formellen-institutionellen aber auch informellen-strukturellen Bedingungen und Hürden gibt, die MigrantInnen zu Ausgeschlossenen machen.

Sprung schreckt auch nicht davor zurück, struktureller Rassismus und gesetzliche Diskriminierung als das zu benennen, was es ist; in Österreich wird das ja gerne etwas verschämt mit Fremdenfeindlichkeit umschrieben. Dies drückt sich etwa in einem rassistisch-kulturalisierenden Diskurs über die „Anderen“ aus, führt aber auch zu einem stereotyp wiederholenden Mantra der Kernbegriffe „Integration“ und „Deutschlernen“, die als Bringschuld der MigrantInnen verstanden wird. Damit geht einher, dass Migration defizitär,  als Problem betrachtet und zu einem ausschließlichen Sicherheitsthema stilisiert worden ist. Trotz des neu errichteten Staatssekretariats für Integration ist dieser Blickwinkel auf das Thema Migrationsgesellschaften Ausdruck der Dominanz- und Machtverhältnisse.

Karotte vor der Nase

Die Integrationsleistung wird von der Mehrheit bestimmt und bewertet und eine Integration bleibt unerreichbar. Hinzu kommt ein Individualisierungsdiskurs, so  als würde es ausschließlich darauf ankommen, „es mit Fleiss und Leistungsbereitschaft zu schaffen“. Einzelne Rolemodels bestätigen dies dann auch. Das Bild des Esels drängt sich auf, dem die Karotten vorgehalten wird und sobald er los traben beginnt, sie nie erreicht.

Zahlreiche Barrieren und Hindernisse sind in Österreich nicht nur in den verschiedenen Gesetzeswerken verankert (Ausländerbeschäftigungsgesetz, Staatsbürgerschaftsgesetz, Nostrifikationen/Berufsanerkennungen, u.a.), sondern auch in den Institutionen zu finden, die es MigrantInnen ungleich schwerer machen, gleichen Chancen und Bedingungen vorzufinden. Dabei spielen Weiter- und Erwachsenenbildungseinrichtung eine wichtige Rolle, ebenso wie Einrichtungen, die an der Schnittstelle zwischen Fortbildung und Arbeitsmarkt stehen, wie etwa das Arbeitsmarktservice (AMS).

Sprung wäre jedoch weithin nicht so bekannt und anerkannt, wenn sie in diesem Kontext zwischen den Bedingungen auf Mikro- und Makroebenen nicht sehr differenziert und detailliert auf die Mechanismen fokussieren würde. Ihr kritischer Blick und breit abgesicherte Analyse, der sich in diesem Buch vor allem auf den Begriff der Anerkennung konzentriert, breitet ein fein gewebtes Daten- und Argumentationsnetz aus, das durch umfangreiches Fachwissen, zahlreichen Bezügen zu anderen wissenschaftlichen Ergebnissen und Studien analysiert und aufgegliedert wird. Sie beforscht die Bedingungen, die in der Erwachsenenbildung vorgefunden werden, und stellt sich die Frage nach der Erweiterung der individuellen Handlungsmöglichkeiten und Gleichstellungschancen, die durch (formelle und informelle) Anerkennung und Wertschätzung erweitern werden könnte, ja müsste. Sie analysiert aber auch das Konzept/Prinzip des  Lebenslangen Lernens (LLL), das als Bildungsdogma –grundsätzlich klug und weitsichtig konzipiert – in der praktischen Ausformung oft einem „neoliberalen“ Trend der Individualisierung das Wort redet und jeden zu „seines Glückes Schmied macht“. Nicht zuletzt ist die Ökonomisierung des Bildungsmarktes, um auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen zu haben, für bestimmte, strukturell benachteiligte Gruppen – und dies sind Migrantinnen – eine Mär. Nur der ideologisierte, vereinfachende Blick auf eine Seite – das Individuum – verstellt die Sicht auf die politische Makroebene; umgekehrt gitl dies ebenso. Sprung fordert die Verantwortung des/der Einzelnen ein, für die Bedingungen und konkreten Ausformungen ein, in denen Bildungsverantwortliche, ArbeitsmarktberaterInnen und andere Fachkräfte Handlungsmöglichkeiten ausloten können und mehr oder weniger Anerkennungskultur einführen können.

Das Feld der schier unüberblickbaren heterogenen Landschaft der Erwachsenenbildungseinrichtungen könnte – so Sprung – durch ein Curriculum der Anerkennung viel zur migrationssensiblen und rassismuskritischen Auseinandersetzung beitragen. Aber eben nicht alles und auch das ist Sprung wichtig, zu verdeutlichen. Das was die Politik, die Gesetze, der informelle ideologische Konsens verhindern, kann durch Weiterbildung nicht alleine kompensiert werden. Da bedarf es auch politischer Initiativen.

Kein Bedarf

 In einer Befragung gaben eine erhebliche Anzahl (30%) von Erwachsenenbildungseinrichtungen keinen Bedarf an Hinwendung zur Zielgruppe der MigrantInnen an. In den Angeboten würden sie nicht auftauchen und sie seien auch keine „zahlungskräftige Kundengruppen“. Annette Sprung beweist mit ihrer Forschungsarbeit, das genaue Gegenteil und stützt den Auftrag, eine migrationssensible und rassismuskritische Weiterbildungsarbeit zu etablieren, um den konsequenten Ausschluß von großen Teilen der Bevölkerung nicht weiter und länger fortzusetzen. Als Lektüre für den aktuellen Stand der Inklusions- und Bildungsdebatte kann man es getrost als das aktuellste und umfassendste Werk in Ösetrreich benennen. Kategorie: Pflichtlektüre.

Sprung Annette: „Zwischen Diskriminierung und Anerkennung. Weiterbildung in der Migrationsgesellschaft.“ Verlag Waxmann, Münster, München, Köln, New York. Graz 2011.