Vorparlamentarismus

Wir nehmen es nicht so genau.

Die Schritte der Demokratisierung Österreichs sind zaghaft. Seit Jahrzehnten sind Anläufe zu verzeichnen, dass starre System aufzubrechen, der Weg ist ein langer und manchmal sehr verschlungener. Amtsverschwiegenheit, Wahlrechtsreform, Transparenz und Beteiligung, Mitbestimmung um nur einige Schlagworte zu nennen. Doch warum in Österreich undemokratische, autokratische, intransparente Entscheidungen fröhliche Urstände feiern und viele anstehenden Reformen (Gesundheit, Bildung…) sich nicht wirklich vom Fleck bewegen, das bedarf einer genaueren zeit- und politikgeschichtlichen Analyse.

Vier Bereiche sind in Österreich besonders stark ausgeprägt.

1)  Das Staatsverständnis der BürgerInnen, der Medien und nicht zuletzt der PolitikerInnen selbst, ist noch immer stark in der Metternichtschen Beamtenstaatsmentalität – oder auch Obrigkeitsgläubigkeit – verhaftet. Der/die BürgerIn ist BittstellerIn. Der Staat ist ein Gebilde, dass die Macht ausübt, der uns beherrscht und von dem/der BürgerIn nur Gutes bekommt, wenn es ihm – dem Staat – gefällt. Dass BürgerInnen Rechte und Ansprüche haben, dass sie Auskunft und Mitspracherecht besitzen, das sie eigentlich die Auftraggeber (Wahlvolk) sind, kommt selten zu Tage.

2)  Transparenz versus Amstverschwiegenheit. In wenigen Staaten Europas ist die Amtsverschwiegenheit, die mangelnde Auskunftsfreude und -pflicht so ausgeprägt wie in Österreich. Auch hier ist der kaiserlich-königliche Hofstaat an allen Ecken und Enden zu spüren. Das Motto: „Wir entscheiden, was die Untertanen erfahren.“ Transparenz bedeutet, dass Handlungsabläufe, Entscheidungsprozesse, Gremien, die entscheidungsbefugt sind, tatsächlich entscheiden und nicht woanders; wie oft vermutet in Redaktionsstuben, Bankengremien und beim Opernball. Nachvollziehbar, verständlich und öffentlich zugänglich sollten die Debatten sein, was uns angeht; also die Verwendung des öffentlichen – also unser aller – Geldes und die öffentliche Sache (res publica) an sich.

3) Schlampiges Verhältnis zur Demokratie. Da braucht man jetzt nicht allzu in die Tiefe gehen, das ist in vielen Kommentaren und Analysen bereits weit detaillierter passiert. Auf die Zeitlinie und Kontinuität der autoritären und antidemokratischen österreichischen politischen Kultur:  Metternich – Kaiser – autoritärer Ständestaat – Nationalsozialismus muss dennoch hingewiesen werden, um zu verstehen, dass das demokratische Bewußtsein in Österreich einem Eichhörnchen gleicht, das sich mühsam von Nüssen nährt.

4) Vorparlamentarismus: Offensichtlich liebt es der Österreicher/die Österreichin aus all diesen genannten Gründen, die offiziellen Wege, Regeln, Gremien – ein bisserl schlaucherlhaft zu umgehen. Entscheidungen werden immer woanders getroffen, als sie sollten und das mit einem Augenzwinkern und Schulter heben.

 Zwei österreichtypische Beispiele: 

Der Bundesrat. Als zweite Kammer im demokratischen, parlamentarischen System  installiert – vegetiert er im wahrsten Sinne seit Jahrzehnten vor sich – mit wenig Kompentenzen ausgestattet, demontiert er sich auch noch durch das Parteisystem selbst. Zweit- bis drittklassiges Personal wird in der Regel in den Bundesrat entsandt, entweder als Altenteil oder als Sprungbrett für die Amateure, die ins Profiteam aufsteigen werden, wahrgenommen. Schon die grundsätzliche Konstruktion – indirekte Wahl durch die Wahlgänge der Landtage begünstigt, dass die wenigsten wissen, wer da für uns wirklich drinnen sitzt und unsere Landesinteressen vertritt.

Das andere, aber viel gewichtigere ist, dass es für die Interessen der Länder eine Landeshauptleutekonferenz gibt, die viel prägnanter und öffentlich wirksamer die Interessen der Länder (nämlich ihre eigenen) zu vertreten wissen. In Österreich weiß jede/r, dass die Landeshauptleutekonferenz mächtiger ist, als jede Bundesratinitiative, sofern es diese jemals gegeben haben mag.

Das absurde dabei ist, die Landeshauptleutekonferenz hat im real politischen Agieren eine wichtige und dominante Funktion, in der Verfassung, als Organ des Spiels der demokratischen Kräfte existiert sie schlichtweg nicht. Wenn jüngst Nationalratspräsidentin Prammer (SPÖ) über die Abschafffung des Bundesrat eine neue Debattenrunde eingeläutet hat und dabei der Vorschlag von den Landeshauptleuten Haslauer (Salzburg) und Pühringer (OÖ) gekommen war, die Landeshauptleutekonferenz möge doch die Agenden übernehmen, die der Bundesrat habe, so zeugt das davon, wie wenig demokratisches Denken verankert ist. Nur nebenbei: Die Landeshauptleutekonferenz ist eine Zusammenkunft der Exekutivorgane und der Bundesrat ist ein Instrument der Legislative. Die LH-Konferenz kann diese Agenden gar nicht wahrnehmen.

Nur eines sei dabei auch erwähnt! Das Abputzen an der Politik greift da nicht. Denn da tragen schon auch wir BürgerInnen unser Scherflein dazu bei, dass dies in Österreich möglich ist. Das Hinnehmen von selbst Inkraftsetzen der Mächtigen (Landeshauptleute) geht nur durch die stillschweigende Zustimmung durch das Wahlvolk!

Ein zweites Beispiel, das ja fast jeder/r gelernte Österreicher/in tief inhaliert hat, ist die sogenannte Sozialpartnerschaft.

Die österreichische Sozialpartnerschaft ist eine informelle, also nicht durch Gesetze geregelte Zusammenarbeit der wichtigsten ArbeitgeberInnen- und ArbeitnehmerInnenorganisationen untereinander und mit der österreichischen Bundesregierung. Ihr Ziel ist es, durch Konsens für alle Beteiligten akzeptable Lösungen in Wirtschafts- und Sozialthemen zu erreichen. Vor allem bei Lohnverhandlungen (z.B. Aushandlung von Kollektivverträgen) haben die Sozialpartner eine besonders wichtige Rolle. [1]

Ausgehend nach 1945 von den insgesamt 5 Lohn-Preis Abkommen wurde 1957 die Paritätische Kommission für Lohn- und Preisfragen gegründet. Aus diesem zweifellos wichtigen wirschafts- und sozialpolitisch Gremium, das wesentlich zur Stabilität und der Entwicklung Österreichs beigetragen hatte, begann sich die Sozialpartnerschaft in nahezu alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens auszubreiten. Dementsprechend wurden auch immer mehr Themenfelder kontrolliert und gesetzliche Vorlagen von der Sozialpartnerschaft eingebracht.  Erst mit Aufkommen der Grünen rückte die Sozialpartnerschaft ab Mitte der 1980er erstmals stärker ins Blickfeld; als intransparentes, vorparlamentarisches, nicht demokratisch gewähltes Instrument. Stärker noch wirkte der Angriff der rechtspopulistischen Kräfte unter Jörg Haider, die die Sozialpartnerschaft nicht nur zurückdrängen bzw. öffnen – wie dies etwa die Grünen forderten, sondern sie zerschlagen wollten. Inhaltlich wurde augenscheinlich, dass neue Themen (Energiefragen, Umweltschutz, Nachhaltigkeit, Konsumentenschutz, Migration u.v.m.) in der Sozialpartnerschaft wenig bis gar nicht beachtet und aufgegriffen wurden und daher die Sozialpartnerschaft von Außen, durch neue Organisationen kritisiert und kontrolliert werden musste. An Einfluß verlor die Sozialpartnerschaft in der Schwarz-Blauen Phase (2000-2006) kurzzeitig, erlangte jedoch danach einen umso stärkere Aufwertung, hatte doch die SPÖ/ÖVP Koalition im Jahre 2007 mit ihrer bestehenden Zweidrittel-Mehrheit sie in den Verfassungsrang erhoben. Zweifellos ist die Sozialparnterschaft heute in vielen Bereichen, vor allem jene, die nicht den Kern der Aufgaben betreffen, zurückgedrängt worden. Jedoch bleibt ein System das nicht vom Volk gewählte (Interessens-)Vertreter durch Verhandlungen am „grünen Tisch“ zu Lösungen kommen. Das Parlament dient da oft nur mehr als Erfüllungsgehilfe.

Nicht einfach die Diskussion, denn  die Sozialpartnerschaft hat unbestreitbare Verdienste. Abschaffen alleine ist zu wenig. Es wäre Transformation nötig, das gute bewahren und das undemokratische, mauschlerische, zirkelhafte beenden. Es gälte Gremien zu schaffen, die Legitimität besitzen, mit tatsächlicher Macht in einem demokratischen Gefüge ausgestattet sind und deren VertreterInnen direkt gewählt sind. Fürstlich anmutende, vorparlamentarische Gremien müssen der Vergangenheit angehören.


[1] aus: Polipedia, die multimedia Wiki Plattform (http://www.polipedia.at/tiki-index.php?page=Sozialpartner),