Im sechsten Teil der Serie „Allen was gemeinsam“ geht es um eine Episode, mit dem System Krankenhaus.
Angefangen hatte es mit Schüttelfrost, als ich mit dem Rad nach Hause gefahren bin. Anschließend lag ich mit hohem Fieber im Bett. Als es nicht besser wurde, wurde ich vom Hausarzt ins Spital überwiesen, um mich durchzuchecken, wie er sagte.
Der diensthabende Arzt in der Ambulanz, ging von einer Lungenentzündung aus. Nach den ersten Untersuchungen und einer Blutabnahme wurde ich „über Nacht einmal da behalten“. Und landete auf der Onkologie! Als ich von der Ambulanz kam, registrierte ich das gar nicht so genau. Ich war zu fertig. Aber am nächsten Tag erschrak ich, mit Fieber eingeliefert und auf der Onkologie aufzuwachen, lässt allerlei wilde Spekualtionen wuchern. Der Arzt beruhigte. Das sei nur, weil jede Abteilung gewisse Notbetten der Ambulanz zur Verfügung stellen müsse, damit diese die rasch zuteilen könne. Mir ging es nur langsam besser. Man wisse nicht genau, war die Aussage. Nein, das Röntgen sei ohne Befund und nein, es sei keine Lungenentzündung. Am dritten Tag war das Fieber weg.
Annamnesebögen verfolgen mich
Bis ich nach sieben Tagen mich entlassen hatte, hatte ich in der Zwischenzeit zwei Mal den Anamnesebogen ausgefüllt, vier verschiedene Oberärzte, die mir – als für mich verantwortlich –vorgestellt wurden und nie mehr gesehen waren. Dafür wußte der jeweilig neue Arzt, auch zwei Ärztinnen waren dabei, nicht auch nur annähernd über mich Bescheid; weder was wirklich los war, noch kannten sie den aktuellen Stand der Behandlungen und welche Untersuchungen schon erfolgt sind und auf welche Befunde man warte. Da ich zwei Jahre zuvor in Lateinamerika war, wurde immer wieder gemunkelt, dass mein Zustand damit etwas zu tun haben könnte. Das klang verschwörerisch, als hätte ich einen Voodoo Zauber oder ein Alien aus dem Amazonas mitgebracht. Es wurde aber nichts unternommen. Dafür hatte ich zahlreiche Unterschungen, von denen zwei Tage später niemand mehr wußte, warum sie in Auftrag gegeben worden waren, geschweige denn, was das Ergebnis dazu war. Einige Ergebnisse erfuhr ich nie.
Bei einer Visite, ganz nebenbei fiel dann das Wort Biopsie, die ich am nächsten Tag machen sollte: Auf intensivem Nachfragen erfuhr ich von der Krankenpflegerin, dass auf meiner Leber ein nicht identifizierbarer Fleck gefunden worden war. Das hatte mir bis dorthin niemand gesagt. Also gab es doch etwas, was aufklärungsbedürftig war.
Da hatte ich schon den dritten Anamnesebogen ausgefüllt und vier Mal Blut hergeben. Jedesmal standen mir junge Ärzte und Ärztinnen gegenüber, die schüchtern ihre ersten Patientenkontakte abarbeiten mussten. Beim dritten Mal war ich der Profi, hätte ihnen ein Seminar „Patientenkontakte leicht gemacht“ anbieten können, war hingegen vielmehr ungehalten und unfreundlich – obwohl die Armen ja nichts dafür konnten.
Ziegelsteine können nicht reden
Mein Vertrauen sank. Da wußte die eine Hand nicht, was die andere tat. Dort ein CT, da ein Röntgen, auch eine Koloskopie, und eine Gastro… schließlich noch eine Magnetressonanz… das ging so weiter. Warum und welchen diagnostischen Pfaden das folgte, wußte keiner oder es wollte mir keiner sagen. Schließlich war ich ja nur Patient und nicht Arzt. Dabei war ich nicht mal Klassepatient, bei denen sonst alles ausprobiert wird, was gut und teuer ist.
Ich bin keiner, der sich nicht zu wehren weiß. Ich getrau mich schon fragen. Aber bei den täglichen Visiten hatte ich keine Chance. Ich dachte nicht nur, ich sei ein Ziegelstein, ich war auch einer. Die Frage, „na wie geht’s uns den Heute?“, meist vom Primar gestellt, war reine Rhetorik. Niemand erwartet sich da eine Antwort, der Primar am allerwenigsten, denn Ziegelsteine können nicht reden. Antworten und Fragen wurde überhört, weil zwischen all den Gesprächen unter Kollegen, den Telefonaten am Handy, den Paraphieren von Papieren auf Clipboards, blieb keine Zeit für mich, den Patienten.
Mit Nadel im Oberbauch
Inzwischen willigte ich zur Leber-Biopsie ein, weil sie mir glaubhaft machen konnten, dass sich auf meiner Leber etwas befand, das einem Fleck glich und ein Pseudotumor oder ein richtiger sein konnte. Und nach dem Operationscheck und der Paraphierung der Einwilligung lag ich dann da, mit einer langen Nadel in meinem Oberbauch und wurde fast ohnmächtig, als sie mir Stücke aus der Leber tackerten.
Schließlich ging ich, ich glaube es war der siebente Tag, nach Hause, nicht ohne eine Reihe von weiteren Untersuchungen auf meinem Zettel zu haben, die ich noch zu absolvieren hatte. Die Entscheidung des Patienten wurde deutlich mißgebillgt. Etwa zwei Wochen später sollte ich nochmal für 2 Tage hineinkommen. Der Fleck auf der Leber – soweit gab es ein Ergebnis – war kein Tumor. Irgendetwas anderes, seltsames. Was es war, das konnte keiner so genau sagen. Nach drei Monaten war er weg.
Erinnert an all das, wurde ich durch eine Ö1-Sendung, die nebenbei während der Arbeit lief und in dem es ums Zuhören ging und ein Arzt aus der Lehre, über das so wichtige „Arzt-Patientengespräch“ sprach. Er beschrieb diverse Formen des Zuhörens und der Fragestellungen. Zuerst musste ich lachen, weil es einerseits richtig war, was er erzählte und gleichzeitig so fern der Realität war, die ich erlebt hatte.
Hinter vorgehaltener Hand
Jene, die kurzzeitig ein wenig Empathie übrig hatten, waren manche Krankenpfleger und -innen. Die hatten ein wenig Zuspruch im Repertoire übrig und von denen erhielt ich Antworten auf Fragen zu meinem Zustand. Dies geschah aber nur hinter vorgehaltener Hand. Denn offiziell durften sie das ja nicht.
Alle anderen – zu aller erst die behandelnden Ärzte und Ärztinnen – waren nicht in der Lage mit Patienten sich normal zu unterhalten. Nach allem, was wir mittlerweile über Selbstheilungskräfte, Mitwirkung des Patienten und Placeboeffekten wissen, ist diese Art der Behandlung umso absurder.
Das Gesundheitssystem, insbesondere das stationäre, ist extrem hierarchisch organisiert, mit ausgeprägtem Standesdünkel („Der Herr Primar, der Herr Doktor“…) ist streng reglementiert und abgegrenzt. Seit Jahrzehnten bewegt es sich vom Patienten weg; hin zu noch mehr Diagnosemöglichkeiten und High-Tech. Die Ausbildung setzt falsche Prioritäten. Die zukünftigen Fachkräfte werden nach Organen (Teilen) geordnet und spezialisiert. Das Ganze – nämlich der Mensch – geht in dem segmentierten System verloren. Es fehlt vielen Ärzt_innen an Grundfertigkeiten im kommunikativen und sozialen Bereich; in der Ausbildung ein stark unterbelichtetes Thema.
Ein System, das nebstbei auch noch nach betriebswirtschaftlichen Kennzahlen funktioniert und in dem die Berufe abgegrenzt sind, kaum Teamkultur und wenig Fehlermanagament vorhanden ist, ist zum Scheitern verurteilt. Dabei wäre schon viel geholfen, wenn das Case Management in den Händen der Stationspfleger_innen wäre, denn die lesen nicht nur Befunde, sondern kennen auch die Patient_innen.
In der Zeit, in der ich die „Leber mit unklarem Fleck“ war, hasste ich die handelnden Personen und hatte eine Wut auf sie. In Wahrheit lag und liegt es aber am System, dass Fachkräfte zu Rädchen in einer Maschine machen. Gut sind sie nur, wenn es was zu reparieren gibt, Gipsen, nähen, operieren. Bei allem anderen stochern sie schnell im Nebel oder wie bei mir im Oberbauch herum.
Mehr dazu unter: Dramolett in sechs Patientenakten in Schreibkraft 14.