Die Widersprüchlichkeit bei ausgerufenen internationalen „Aufmerksamkeits“-Tagen ist augenscheinlich und der Drang zu wiedersprechen ebenfalls. Das Interesse an der Lösung der Flüchtlingskrisen ist uns allen gemein und dennoch zieht es uns immer tiefer in die Auseinandersetzungen hinein. Ein Versuch des Perspektivenwechsels.
Der 20. Juni ist der „Internationale Tag des Flüchtlings“, von der UN-Vollversammlung ausgerufen, um „auf die besondere Situation und die Not von Millionen Menschen auf der Flucht aufmerksam zu machen“ (UNHCR, 2016). Zum Feiern gibt es da nichts; vielmehr sollte es ein Tag zum innehalten, zum Bedenken, zum Aufmerksam machen sein. Die Gefahr dabei ist, dass Öffentlichkeit, Medien, Politik sich in Betroffenheitsbekundungen und Appellen ergehen und alle, die sich zu Wort melden, Bekenntnisse zu den Werten der Europäischen Gemeinschaft, den Menschenrechten zu dem Recht auf Asyl usw. ablegen. Dies hält allerdings nicht allzu lange. Tage später geht der übliche Lauf der Politik weiter, wie bisher. Und dieser heißt leider eine Politik der Konfliktdynamik und ein militärisches Abhalteregime gegen Flüchtlinge auszubauen.
Und so kommt es, dass seit Jahren der Widerspruch an diesem einen Tag immer krasser und deutlicher wird. Auf der einen Seite wird intensiv öffentlich der Flüchtlingsschicksale gedacht und gleichzeitig steigt aber die Zahl der Flüchtlinge von Jahr zu Jahr und die Repression gegen Flüchtlinge wird größer, ebenso wie die Toten, die auf der gefährlichen Flucht ihr Leben lassen müssen. Denn Flüchtlingen wird auf ihrer Flucht nicht geholfen[1]. Sie erhalten kein freies Geleit und sie werden nicht beschützt. Sondern sie werden bestraft und bekämpft, entweder durch Grenzzäune, militärische Maßnahmen oder durch gesetzliche Maßnahmen, die ihnen den Zugang zu einem fairen, rechtsstaatlichen Verfahren immer schwerer macht. In illegalen Lagern an den Grenzen, in Internierungslagern auf Inseln oder riesigen Zeltstätten – nahe der Kriegszonen – kann von diesen Rechten keine Rede sein.
2016 war ein Jahr in der ein trauriger Rekord an Flüchtenden auf der Welt gebrochen wurde. Laut UNHCR (UNO – Hochkommissar für Flüchtlinge) waren damals mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Erschreckende Zahlen, angesichts des Krieges in Syrien und de nach wie vor gespannten Lage in Afghanistan und vielen anderen Brennpunkten, nicht unerwartet. Angesichts der politisch-militärischen Entwicklungen in vielen Teilen der Welt hat sich nicht geändert; ganz im Gegenteil. Ende 2020 ist laut UNHCR die lage noch schrecklicher geworden. 82,4 Millionen Menschen sind schon auf der Flucht.
Petitionen
Auch heuer zum Tag des Flüchtlings am 20. Juni wird es wieder zahlreiche Appelle, Aufrufe und Petitionen[3] zur „Solidarität mit Flüchtlingen“ und Aufrufe zur gemeinsamen Verantwortung der Staatengemeinde, Flüchtlinge aufzunehmen und sie menschenrechtskonform zu behandeln, zu versorgen. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, dass ist wichtig und richtig und ist bedeutsamer als je zuvor, wollen wir – als Demokrat*innen und den Menschenrechten verpflichtete – dieses Ringen nicht verlieren. Doch es muss Skepsis im gleichen Atemzug Skepsis geäußert werden.
Die Solidarität mit Flüchtlingen reicht nicht aus. Ein solche Haltung muss zwangsläufig in die Defensive geraten, wenn nicht den Ursachen für Konflikte und Kriege entgegen getreten wird und es muss der Zivilgesellschaft die Luft ausgehen, wenn nicht wirksame Maßnahmen zur Reduktion von Flüchtlingsbewegungen gefordert und umgesetzt werden. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass es eben 80 und mehr Millionen Flüchtlinge auf der Welt gibt. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass europäische, amerikanische, russische Rüstungsbetriebe[4] an dem grausamen Treiben der Kriegsparteien riesige Gewinne machen und damit Konflikte befeuern und am Leben erhalten werden und diese – ihre Gewinne – sogar noch ausbauen können.
Scheinwerfer auf die tatsächlichen Lösungen
Daher wäre es an der Zeit, den Tag zu nutzen, die Scheinwerfer auf die Hintergründe und Ursachen zu richten und daraus neue Schlüsse zu ziehen und mit Nachdruck Forderungen zu erheben, deren Umsetzung Flüchtlingsströme nachhaltig reduzieren würden und nicht permanent Scheinlösungen produziert.
Diese wären etwa, den Verkauf von Waffen an kriegsführende Gruppen und Parteien wirksam einzustellen; die Geldflüsse von Milizen, paramilitärische Gruppen und Terrororganisationen, die bekannt sind, zu unterbinden[5]. Deren Geschäftsfelder (illegaler Öl-Verkauf, Verkauf von antiken Kulturgütern, Erpressung, Lösegelder) trocken zu legen und mit ihnen und ihren Förderer und Handlangern keine Gschäfte mehr zu machen. Allein in diesen drei Bereichen könnte eine gemeinsame klare und rigorose EU-Politik (Waffenembargo und gemeinsame Kontrollen) erheblichen Einfluß[6] auf die Krisenentwicklung in den einzelnen Regionen nehmen, wenngleich dies nicht alles lösen wird.
Nicht die Flüchtlinge bekämpfen, sondern die politischen, ökologischen und wirtschaftlichen Ursachen.
Auf der Seite der Lösung der Flüchtlingskrise müssen sich die Forderungen in Richtung europäischer sowie globaler Lösungen richten und verstärken. Dies kann nur durch einen Paradigmenwechsel in der EU-Politik erzeugt werden. Nicht die Flüchtlinge bekämpfen, sondern die politischen, ökologischen und wirtschaftlichen Ursachen. Weiters muss der gezielte, gemeinsame und strategisch eingesetzte Druck auf andere – wichtige und beteiligte – Länder wie etwa den USA erhöht werden und darf sich nicht in einzelnen Appellen erschöpfen.
Es braucht Möglichkeiten Asyl möglichst nahe vor Ort (krisennah) zu erhalten, und damit im freien Geleit (let them fly) und legal nach Europa/Übersee zu gelangen. Das würde auch und vor allem den Frauen, Kindern und gehandikapten Menschen auf der Flucht nützen, die sich nicht länger den gefährlichen, illegalen Routen und Schleppern aussetzen müssten. Es braucht eine Umschichtung der Gelder für die Flüchtlingshilfe von den militärischen Abwehrmaßnahmen (nationale Armeen und Frontex) an den jeweiligen Grenzen hin zur Versorgung vor Ort, um Lager, die nur als Notfall gedacht sind, in funktionierende stadtähnliche Gebilde[7] umzuwandeln, in denen es mittelfristige Arbeits-, Wohn- und Lebensperspektiven für die Exilierten gibt. Und schließlich wird es ohne die Neuauflage von Resettlement Programmen[8], die ja in der Vergangenheit bereits erprobt und zielführend waren und sind, nicht gehen.
Es bedarf also vieler neuer Ideen aber auch bereits erprobter alter Lösungen, um die Herausforderungen zu bewältigen. Der Blick, mit der die Öffentlichkeit auf die Phänomene blickt – EU-Migrationsregime (Schengen, Dublin, Frontex, Internierungslager, wo auch immer und der Aufbau von Mauern der einzelnen Länder) richtet sich definitiv in die falsche Richtung und führt uns dazu immer mehr falsche oder nicht brauchbare Lösungen zu finden. Dies sollte an diesem Tag ins Bewußtsein gerufen werden, denn das Interesse an der Lösung der Flüchtlingskrisen ist uns allen gemein.
[1] Der Sommer 2015 bildete da eine kurzfristige Ausnahme
[2] Gescheiterter Staat, die damit ist auch gemeint, dass Institutionen (Verwaltung, Justiz, Polizei usw.) nicht mehr funktionieren.
[3] http://www.unhcr.org/refugeeday/de/petition/, https://www.amnesty.at/de/menschenrechtasyl/, https://www.facebook.com/events/1065945873484677/#
[4] http://monde-diplomatique.de/artikel/!5292347
[5] http://www.tagesspiegel.de/politik/dschihadisten-im-irak-und-in-syrien-woher-das-geld-fuer-die-gotteskrieger-von-is-kommt/10253368.html
[6] Das löst das Problem nicht endgültig, aber es würde den Druck auf die anderen Beteiligten etwa USA, Russland und die Golfstaaten erheblich erhöhen.
[7] http://foreignpolicy.com/2013/10/30/the-last-refugee-camp/
[8] http://www.unhcr.org/en-us/resettlement.html