Spiel mit dem Leben Anderer, Teil 2, Kapitel 8

Und zu guter Letzt: Ein Ausblick

Wir sind beim letzten Kapitel im Teil 2 der Serie „Spiel mit dem Leben Anderer“ angekommen und darin setze ich zwei Schwerpunkte, die wir etwas näher beleuchten sollten.

Zum einen kann und muss man sich dem Thema Migration auch auf einer globaleren Ebene – über dem Tellerrand Österreichs, ja selbst der EU hinaus – nähern. Denn immerhin leben geschätzt mehr als 280 Millionen außerhalb ihres Heimatlandes, das sind 3,6% der Weltbevölkerung[1]. Hierin sind die innerstaatliche Migrationsformen, die zwischenzeitlichen Pendel- und Transmigrationen, sowie die Tourismusbewegungen nicht mit inbegriffen. Es ist also eine nicht unerhebliche Daseinsform von Menschen, zwischenzeitlich und/oder längerfristig nicht in derem Ursprungsland zu leben.

Damit hängt eng zusammen – zweitens – dass  wir auch über das globale Wirtschaftssystem reden müssen, was absurd ist, aber extra betont werden muss, denn in den aktuellen, öffentlichen Debatten kommen die eigentlichen Ursachen und Hintergründe für Migration ja kaum vor. Die Dynamisierung der globalen Wirtschaft, die Deregulierungen, die Globalisierung, der finanzmarktge-triebene Turbokapitalismus, die weltweiten Produktions- und Lieferketten, die durch Forschung, Innovation und Entwicklung erzielten Ergebnisse und deren Umsetzungen; all diese und einige mehr Faktoren  führen zu immer schnellerer und engerer Vernetzung, zu immer größeren Umweltverschmutzung, zu einem radikalen Raubbau an Natur und Ressourcen und zu einem zutiefst unfairen System des Mißverhältnisses von Besitz und Gewinn. Die immer niedrigeren Kosten von Dienstleistungen, Telekommunikation und Transport sind weitere Parameter, die Migration beeinflussen[2].


„It´s the economy, stupid“, könnte man also den Spruch des damalig wahlkämpfenden Bill Clinton[3], der sich um das  US-Präsidentenamt erfolgreich bewarb, auch für die Migration anwenden. Unser aller System bedingt, fördert und braucht Migration; und das in all seinen „positiven wie negativen“ Formen.

Zu guter Letzt zum Abschluß des 2. Teiles der Serie ist auch noch ein Ausblick möglich, der mit einigen Skizzen, einen konstruktiven und gelingenden Weg aufzeigen soll, um nicht allzu sehr in der tristen Analyse der österreichischen Migrationspolitik verhaftet zu bleiben. Perspektiven und Alternativen aufzuzeigen ist wichtig, um die Hoffnung auf konstruktive Lösungen beim Thema nicht zu verlieren.


Weltweit gedacht

Wie schon im ersten Kapitel des 2. Teils erwähnt, gibt es durch die Fortschritte der Globalisierung, der Technisierung und der Vernetzung immer öfter hybride Formen der Migration. Das früher bestehende Bild, der Einmaligkeit von Migration – also Menschen entscheiden sich für die Auswanderung und lassen ihr Heimatland  dauerhaft zurück – ist vielfältigen Formen von verschiedenartigen Migrationsformen gewichen (siehe auch Gulis 2022b).

Migration von Hochqualifizierten hat dabei ebenso seine Bedeutung, wie eine zeitweilige Pendelmigration oder eine Transmigration zwischen verschiedenen neuen Ländern (etwa bei Montagen, Projektaufträgen u.v.m.) sowie mit anschließender Rückkehr ins Ursprungsland; und mittlerweile gibt es viele weitere Varianten, wie etwa die Expats[4] oder die „digital nomads“[5].

Aber die grundsätzliche leichte Verfügbarkeit von billigen Arbeitskräfte ist ebenso ein nicht unerhebliches – zutiefst kapitalistisches – Element bei der Frage, waum es Migration gibt. Darauf wurde im Zuge der Serie schon mehrmals hingewiesen (siehe auch Parnreiter, 1992).


Die Motive für diese Entwicklungen sind vielfältig. Das Zusammenwachsen des europäischen Kontinents unter dem Label der EU hat einen wesentlichen Anteil daran. Die Harmonisierungen der verschiedenen Systeme (etwa durch den Bologna Prozess[6]) und den Abbau von Schranken und Bürokratie, die innerhalb der EU erfolgten, haben ebenso zu Vereinfachungen und bessere Bedingungen für eine größere Wanderungsbereitschaft geführt wie die IT-Revolution und die sozialen Medien, die Eindrücke, Information und Austauschmöglichkeiten quer über den Globus erleicherten.


Gleichzeitig schritt in den letzten Jahrzehnten die wirschaftliche Entwicklung nicht immer so gleichmässig voran, wie dies gedacht war. Die Länder des EU-Raumes und des gesamteuropäischen Raumes zeichnet doch noch immer erhebliche ökonomische Unterschiede aus. In einem kapitalistischen Gesamtsytem ist das nicht verwunderlich, widerspricht jedoch dem Narrativ der Angleichung der Länder in der EU. Zwischen Deutschland und Bulgarien oder Österreich und Griechenland bestehen nach wie vor erhebliche Einkommens-, Arbeitsmarkt-, Technologie- und soziale Sicherungssystemunterschiede.

Diese sind auf beiden Seiten wesentliche Triebfedern. Die Durchlässigkeit ist größer geworden, die reichen Länder brauchen Arbeitskräfte und es gibt genug ausreisewillige, junge Menschen, die aufstiegsorientiert sind und nicht selten von ihrem Ursprungsland enttäuscht sind, weil „nichts weiter gehe“. Denn auch die Information über andere Länder ist leichter zugänglich, als dies vor 30-40 Jahren noch der Fall war; daher ein Vergleich möglich.

Daher spielt Bildung generell und Ausbildung speziell oft eine große Rolle. Das Studieren, längerfristig oder vorübergehend, im Ausland ist ebenso zur Normalität geworden, wie die Pendler*innen, die als Pflegekräfte ins Land kommen, eine Zeitlang hier bleiben und anschließend wieder zurück gehen.

Die reicheren EU-Staaten haben ihren Wohlstand in den letzten Jahrzehnten aufgrund von genügend billigen Arbeitskräften erhalten und manchmal auch weiter ausbauen können, ebenso wie die Arbeitsmigrant*innen aus den ärmeren Ländern mit der Migration versucht haben, ihre persönliche wirtschaftliche und soziale Situation zu verbessern (siehe Gächter, 2008). Ob das rumänische Pflegekräfte in Österreich waren oder polnische Handwerker* und LKW Fahrer*innen in Großbritannien, solange UK bei der EU war. Die Systematiken waren immer die gleichen.


[1] https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/bevoelkerung-arbeit-soziales/bevoelkerung/Migration.html

[2] https://www.bpb.de/mediathek/video/274748/zahlen-und-fakten-globalisierung-vernetzung/

[3] https://politicaldictionary.com/words/its-the-economy-stupid/

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Expatriate

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Digitaler_Nomade

[6] https://www.oesterreich.gv.at/themen/bildung_und_neue_medien/universitaet/Seite.160125.html

Eine nationale Wirtschaft hat großes Interesse, die Kosten für das Personal zu senken. Eine aufstrebende Arbeiter*innenschaft hat Interesse, höhere Löhne zu erhalten, als dies in ihren Heimatländern möglich war. Eine billige Reservearmee war der Unternehmer* innenschaft immer schon recht. Daher fordern Arbeitgeber- und Unternehmer*inneninteressens-verbände regelmäßig „leichtere Bedingungen für die Zuwanderung“ (siehe auch Gächter, 1992).

Diesen Forderungen bedingungslos nachzugeben, wäre für die arbeits- und sozialrechtlichen Standards in Österreich katastrophal und würde die Situation der arbeitenden Menschen weiter verschlechtern und die Standards unter Druck setzen, die die Gewerkschaften in den letzten hundert Jahren mühsam erkämpft hatten. Doch dieses Schutzdogma der Gewerkschaften hat – zumindest in Österreich – auch zu einer geteilten und ungleichen Arbeiter*innenschaft geführt (siehe auch Gulis, 2023); in jene, die Restriktionen unterliegen und daher benachteiligt sind und jenen, die sich frei am Arbeitsmarkt bewegen können (siehe auch Gulis 2022c, Teil 2, Kapitel 2).

Noch schärfer und widersprüchlicher wird es im Bereich der illegalen Migration, bzw. Beschäftigung. Was ja nicht das gleiche darstellt, das sei an dieser Stelle betont, weil es auch oft vermischt wird. Zwar ist es in den EU-Staaten gang und gäbe – man möchte sagen – es  ist Staatsdoktrin, dass Schwarzarbeit aber insbesondere vor allem illegale Migration Teufelswerk ist und vom Staat mit allen Mitteln unterbunden werden müsse.

Bei näherer Betrachtung beschleicht einem jedoch das Gefühl, dass hier das Motto: Je lauter gebrüllt wird, desto stärker sind Gier und brutale Ausbeutungsverhältnisse akzeptierter Teil des Wirtschaftskreislaufes, gilt. Quer durch den Kontinent gibt es einen Sockel an „Illegalen“, der erstens seit Jahrzehnten nicht kleiner wird und zweitens einen beständigen Strom an Neuen zuläßt, die zur Verfügung stehen[7].

Unter prekärsten Lebensbedingungen, unter Plastikbehausungen und Wellblechhütten, ohne Strom und Wasser am Rande der Plantagen lebende Erntehelfer in Süditalien oder Spanien, sind ebenso Teil dieser „Wahrheit“, wie aus dem unmittelbaren benachbarten Ländern einpendelnde Erntehelfer*innen oder Saisonarbeiter*innen in Österreich, die in abgewohnten Massenquartieren und Fremdarbeiter*innenheimen, Gemeinschaftsduschen, WCs und Mehrbettzimmern wohnen, zu horrenden Mieten, ja hausen.

Das zynische daran ist, dass niemand großes Interesse daran hat, irgendetwas an dem System zu ändern, denn alle – zumindest nur hinter vorgehaltener Hand geäußert – profitieren davon. Selbst die unter prekären Bedingungen Lebenden erhalten mehr Lohn, als wenn sie zu Hause geblieben wären und selbst wenn ihnen durch Vermittler* und skruppellose Dienstgeber*innen allerlei vorenthalten bzw. abgeknöpft wird (Miete für Unterkünfte, Transport, Schutz usw.).

Im Rahmen der Covid Pandemie und der verschiedenen Beschränkungen tauchte auch zeitweilig und kurzfristig die Lage der Erntehelfer*innen und Prostitutierten in den öffentlichen Medien auf. Darin wurde deutlich, wieviele Tätigkeiten unter der Wahrnehmungsschwelle das Gesamtsystem am Laufen halten und das nicht selten als ein System der Rechtlosigkeit und Ausbeutung[8].


Brain Drain

Eine Systematik von Migration ist auch, vielfach untersucht, das der Wunsch von Migration auch mit den Möglichkeiten zusammenpassen muss. Um den Wunsch der Auswanderung und damit Verbesserung der Lebenssituation wahr werden zu lassen, brauchen die Auswanderungswilligen Ressourcen, Wissen, Netzwerke, Kapital und schließlich auch die entsprechenden Ausbildungen. Dieses Phänomen – als Brain Drain bekannt[9] – ist einer der besonders nachhaltig und negativen Entwicklungen für Staaten, die von Auswanderung bzw. Anwerbung aus anderen Staaten betroffen sind.


Nicht nur, dass besser ausgebildete Berufe, Wissenschaftler*, Akademiker*, Facharbeiter*innen das Land schneller und leichter verlassen, es ist auch ein enormer langfristiger Ressourcenverlust. Die Zuwanderungsländer erhalten oft fertig ausgebildete Fachkräfte, müssen für deren Fähigkeiten also nur mehr wenig Aufwand betreiben; Sprach- und Orientierungskurse eventuell, das eine oder andere Update für neue Methoden/Maschinen. Aber sonst trugen die Ursprungsländer die Ausbildungskosten. Viele der Zugewanderten erhalten trotz der Nichtanerkennung ihrer mit gebrachten Ausbildungen mehr Geld in den niedriger eingestuften Jobs, die sie in Österreich dann ausüben, als wären sie zu Hause geblieben.

Und schließlich bekommen die Arbeitgeber*innen höher ausgebildete Kräfte für weniger Geld. Ausgebildete Elektriker oder Maurer sind dann angelernte Hilfskräfte, machen aber den Job der Fachkräfte. Ein System, das schon seit Jahrzehnten funktioniert. Anhand dessen es eine nachhaltige Verweigerung von Aufstiegsschancen und Unterschichtung[10] gegegeben hat (siehe Fassmann 1992).

Wir kennen einige Aspekte dieser Debatten, anhand des Ärzt*innenmangels. Obwohl Österreich (aber auch etwa Belgien) ausreichend Ausbildungsplätze für das Ärzt*innenstudium zur Verfügung stellt, leidet Österreich unter der Abwanderung von Ärzt*innen, insbesondere nach Deutschland. Ein ähnliches Phänomen gibt es in Belgien mit dem Nachbarn Frankreich. Die Sprachnähe, die Verdienstmöglichkeiten und der größere Markt (für Ärzt*innen) sind dabei wesentliche Triebfedern. Die großen Länder ersparen sich erhebliche Kosten, für die Ausbildung von Mediziner*innen.

Sind diese Tendenzen nicht nur in einigen, kleinen Nischen der Wirtschaft vorhanden, sind sie langfristig für die Länder ein immenses strukturelles Problem und mitunter die Ursache für eine nachhaltig rückständige Entwicklung der Länder.

[7] https://dsv-europa.de/de/news/2020/04/europaeische-kommission-sagt-der-schwarzarbeit-den-kampf-an.html

[8] https://www.hopeforthefuture.at/de/das-unsaubere-geschaeft-mit-dem-spargel-systematische-ausbeutung-von-erntehelfern-in-europa/

[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Talentabwanderung

[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Unterschichtung

Griechenland ist ein gutes Beispiel dafür, hatte es doch mehrere Exodusse zu verkraften. Zuerst die Phase nach dem 2. Weltkrieg, als viele das Land aufgrund der tristen wirtschaftlichen Situation verliessen und um dem anhaltenden Bürgerkrieg[11] zu entfliehen.  Dann folgte der Putsch der Militärs (1967 – 1973) und deren Diktatur[12]. Viele Oppositionelle – gerade Studierende, die gegen das Regime waren – flüchteten nach Mitteleuropa. Nach einigen Jahren der Hoffnung und des Aufschwungs, der auch mit dem EU-Beitritt[13] in Verbindung stand, erwischte die Finanzkrise das Land heftig und neuerlich entschieden sich viele Griech*innen auszuwandern[14].

Anknüpfungspunkte gab es ja genug, denn die alten Migrationslinien in andere Ländern, waren ja von früheren Emigrationswellen noch intakt. So verließen viele ihr Land Richtung Deutschland, aber auch nach Übersee, USA und Australien. Ähnliche Entwicklungen kann man auch in Kroatien oder etwa Polen nachverfolgen. Die Phasen mögen unterschiedlich lang dauern, die Migrationszeiten unterschiedlich sein und auch die Migrationslinien nicht die gleichen, aber die Systematik blieb bei allen die Gleiche.

Des einen Freud, des anderen Leid

Der Vollständigkeit halber müssen wir auch einen noch etwas genaueren Blick auf die Abhängigkeiten und wirtschaftlichen Verhältnisse richten. Diese führen dazu, dass reiche und mit viel Geld ausgestattete Ketten und multinationale Betriebe, lokale Märkte und kleinere Produzenten in den Ruin treiben, oder einfach aufkaufen und danach liquidieren. Insbesondere die europäische Agrarpolitik (GAP) und der Internationale Währungsfonds (IWF) übten im Zuge der Liberalisierungspolitik und der Deregulierung, erheblichen Druck auf Länder des afrikanischen Kontinents und anderer Regionen, aus.

Unter dem Titel der Strukturreformen werden günstige Bedingungen für Importe aus dem Westen (der EU) ausverhandelt; etwa Zollsenkungen. Viele sprechen dabei auch von erpresserischen Methoden, weil die Macht bei den wirtschaftlich potenten Staaten liegt[15].

Eine Reportage von Mathilde Auvillain und Stefano Liberti, die in der Le Monde Diplomatique im Jahre 2014[16] erschienen ist, zeugt von den zerstörerischen Praktiken und der fehlgeleiteten EU-Agrarpolitik, die mit ein Grund für die Entstehung von Armutsmigration ist. Sie zeichnen das auf Ausbeutung beruhende Desaster anhand eines ghanaischen Migranten, im Artikel Prince Bony genannt,  nach, der zum damaligen Zeitpunkt seit 7 Jahren in Süditalien (Kampanien) als Erntehelfer, illegal, im Akkord, ohne Versicherung, ohne Arbeitsschutz, ohne Rechte arbeitete; unter anderem, um Tomaten zu ernten. Italien ist der zweitgrößte Produzent von konservierten Tomatenprodukten; vieles davon ist Tomatenmark.

Das gesamte System sagte der interviewte Yvan Sagnet, ein Kameruni, der mittlerweile als Gewerkschafter für die Rechte der afrikanischen Immigranten tätig war, beruhe „auf der Ausbeutung dieser Leute, die ohne Vertrag und unterbezahlt arbeiten“. Die Tomatenverarbeitung ist ein italienisches Riesengeschäft. Es ist nach Kalifornien der zweitgrößte Produzent und überwiegend Exporteur. Die Steigerungsraten beliefen sich damals auf +8,3% pro Jahr.

Mithilfe der oben erwähnten Unterstützung der EU und des IWFs sind die Produkte für Märkte in Afrika, wie etwa Ghana, um ein Vielfaches billiger, als jene, die in Afrika selbst produziert werden. Also haben die konservierten und billigeren Tomatendosen den ghanaischen Markt  geflutet, die Preise gedrückt und den lokalen Bauern ihre Existenz zerstört. Zwischen 1998 und 2003 war eine Zunahme der Tomatenimporte nach Ghana um 650% zu verzeichnen und der Marktanteil der heimischen Tomaten ging von 92 auf 57% zurück.

Dieser fatale Kreislauf produziert in den Ländern Arbeitslosigkeit, Schulden und Hoffnungslosigkeit. Die jüngeren versuchten oft ihr Glück im Ausland und endeten auf Feldern in Italien oder Spanien. Nur die Spirale geht noch um eine Drehung weiter.

Nun steckt Prince Bony aber erst recht in der Zwickmühle, denn nach vorne ging es nicht. Er verdiente zuwenig, um sich eine neuerliche Reise, in ein anderes europäisches Land zu leisten, in der Hoffnung dort eine legale Arbeit zu ergattern. Seine Familie konnte er auch nicht nachholen; ohne Papiere hätten sie keine Chance und die Lebensbedingungen, unter denen er hauste, waren alles andere als besser, als in Ghana.

Bony konnte aber auch nicht zurück, denn im Heimatland hat sich seitdem vieles verändert. Die lokalen Märkte waren zusammengebrochen. Er würde dort ebenso ohne Arbeit da stehen, wie Tausende andere. Und das bittere und zynische daran ist, dass Prince Bony indirekt mit seiner Arbeit in Kampanien mitgewirkt hatte, dass der Tomatenmarkt in Ghana den Bach runter ging.

Dieses Beispiel ist als Teil des Ganzes nur eines von vielen. Solche Beispiele gibt es dutzende, ja hunderte und sie fußen auf einem zutiefst unfairem System des internationalen Kapital- und Warenaustausches, in dem die Länder des reichen Norden ihre Macht und Geld gnadenlos ausgenutzt haben, um sich Profitvorteile zu verschaffen und dies nach wie vor tun.

Es ist also insgesamt mehr als zynisch und insbesondere auch kurzsichtig den Blick nur auf einen kleinen Ausschnitt der Symptome zu richten, wenn doch das Geflecht an politischen Handlungen, Verträgen, Marktungleichheiten und ausbeuterischen Machen-schaften das System eigentlich bestimmen. Die Dysfunktionalitäten des Kapitalismus werden verschleiert und ignoriert. Die das ausbaden müssen, sind arbeitende Menschen des Südens und Migrant*innen, die sich in den Ländern, in denen sie sich aufhalten schließlich auch noch rassistisch beschimpfen lassen müssen und Opfer von politischen Kampagnen werden.



[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Griechischer_B%C3%BCrgerkrieg

[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Griechische_Milit%C3%A4rdiktatur

[13] https://european-union.europa.eu/principles-countries-history/country-profiles/greece_de

[14] https://www.derstandard.at/story/2000095052708/360-000-griechen-sind-wegen-der-finanzkrise-ausgewandert

[15] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/freihandel-eu-importe-torpedieren-afrikas-wirtschaft-1.3314106-2

[16] https://monde-diplomatique.de/artikel/!313481

Zu guter Letzt: Die Perspektiven

Es wäre wohl fatal, wenn wir die zweiteilige Serie „Spiel mit dem Leben Anderer“ derart enden lassen und die Möglichkeiten von Veränderungen nicht noch einmal komprimiert ins Auge fassen würden. Selbstverständlich sind Systemveränderungen alles andere als einfach und sie lassen sich nicht von heute auf morgen umsetzen. Dennoch gibt es auf den verschiedenen Ebenen der Migrationspolitik eine Vielzahl an Einflußmöglichkeiten und Vorschlägen, die es umzusetzen gälte, um eine menschengerechtere und sozialere Migrationspolitik umzusetzen. Diese etwas näher zu skizzieren, darum wird es im Abschluß gehen.

  1. Auf der lokalen Ebene

Auf dieser Ebene wären wahrscheinlich die Auswirkungen von Veränderungen als erstes zu spüren und am einfachsten zu bewerkstelligen. Dabei geht es vor allem einmal um eine quantitative Aufstockung der zuständigen Behörden, die für Aufenthaltstitel, die fremdenrechtliche und die staatsbürgerschaftlichen Agenda zuständig sind.

Chronisch unterbesetzt ist der Arbeitsanfall in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer größer geworden; unter anderem auch deswegen, weil die Gesetzesmaterien und deren Umsetzungen nicht einfacher, sondern durch permanente Gesetzesbeschlüsse und Verordnungen  immer schwieriger geworden sind. Das gilt vor allem für den gesamten Komplex der Asylverfahren, wirkt aber auch in die Aufenthaltsberechtigungs- und Nieder-lassungsverfahren hinein, von den umständlichen, schikanösen, teuren und langwierigen Staatsbürgerschaftsverfahren, wurde an anderer Stelle bereits berichtet (siehe auch Gulis 2023a).

Eng damit zusammenhängt die Tatsache, dass die Abteilungen generell in der Verwaltung unbeliebt waren und sind. Viele Mitarbeiter*innen empfanden die Fremdenrechts- Staatsbürgerschafts- und Einwanderungs-abteilungen als „Strafversetzung“ und wenig attraktiv. Es war daher schwer, qualitativ gut geschultes Personal bei so wichtigen und komplexen Materien zur Verfügung zu haben.

Nur wenn die Mitarbeiter*innen gerne in der Abteilung arbeiten, wird eine persönliche Karriere- und Aufstiegschance ins Auge gefasst und wird Weiterbildung in Anspruch genommen. Wenn Mitarbeiter*innen das Telefon nicht mehr abheben, um nicht noch mehr Arbeitsanfall zu haben, wie in der Wiener MA 35[17] geschehen, dann wird es auch schwierig, gut geschultes Personal in der Abteilung zu behalten[18].

Diese Kulturänderung geht natürlich eng mit den öffentlichen Diskursen einher. Wenn „Ausländer“ als Sündenböcke und als nicht zugehörig wahrgenommen werden, diskriminiert und rassistisch beschimpft werden, fällt das auch auf eine generelle Stimmung und grundsätzliche Haltung zurück, die dazu führt, dass sich auch Mitarbeiter*innen in diese Kultur der Ablehnung, des Mißtrauens, der Verdächtigungen  miteinfügen[19]; ja sich sogar rechtfertigen müssen, wenn sie Klient*innenorientiert tätig werden. Wenn überall in der Bürokratie Serviceorientierung und ein Dienstleistungsgedanke Einzug hält oder zumindest Einzug halten sollte, bei den „Ausländerbehörden“ ist das nie als wichtig empfunden worden.

Wesentliche behördliche Vorgaben aber auch gesetzliche Vorschriften sind von pauschalen Unterstellungen, Ausländer würden betrügen, belügen, hintergehen und den (Sozial)-Staat mißbrauchen, durchwirkt.


Dieses Credo und Anleitung für die Praxis, in weiten Teilen der Gesellschaft verankert, hindert auch, die Dinge einfach zu halten und Serviceorientierung, Verfahrenseffizienz und Transparenz herzustellen. Dies behindert seit Jahrzehnten das Thema nachhaltig, ob es das AMS ist, die Bürgerservicestellen, die Sozialversicherungseinrichtungen – um nur einige aus der Vielzahl zu nennen – oder die für Zuwanderung relevanten Einrichtungen bei den Behörden.

Es ist offensichtlich eine Mär, dass die Politische Ebene und die öffentlich geführten Debatten keine Auswirkungen auf die behördliche Praxis und in weiterer Folge auf die expliziten und impliziten Abläufe in den Behörden haben. Wenn die Stimmung aufgeheizt gegen Migrant*innen ist und Hass und Zwietracht geschürt werden kann, so schlägt sich das auch im Umgang mit den Klient*innen in der Behörde nieder und wird zur impliziten Handlungsanweisung und Richtschnur.

2. Die Bundesebene

Die zweite und schon wesentlich schwierigere Ebene für Umsetzungen ist die der österreichischen Innenpolitik, die für Gesetzesneuordnungen verantwortlich ist. Hier ist leider in den nächsten Jahren auf wenig Fortschritt zu hoffen. Nichstestotrotz gibt es gerade auf dieser Ebene den größten Hadlungsbedarf. Eine Neuregelung, welche die legale und gewollte Einwanderung erleichtern und ermöglichen sollte, wäre dringend geboten. Aufenthaltsrecht, Rot-Weiß-Rot Karte, Visa Bestimmungen, alles juristische Bereiche, die es in Österreich schwer machen, Fuß zu fassen[20].

Mittelfristig wäre eine große und gemeinsame Reform aller relevanten Gesetzesbereiche dringend erforderlich, um den juristischen und bürokratischen Aufwand zu verringern und den Gesetzesgesamtkontext miteinander besser zu gestalten; das gilt etwa auch für die Digitalisierung und den notwendigen Unterlagen, die für Verfahren notwendig sind. Denn Migration betrifft ja nicht alleine den aufenthaltsrechtlichen Aspekt, sondern hängt eng mit Sozial-, Arbeitsmarkt-, Bildungs-, Gesundheits- und Familienpolitik zusammen.


Die Grundintentionen der Gesetze sollten nicht auf Abschreckung, sondern auf ein wohlwollendes Willkommen ausgerichtet werden, sodass Fachkräfte und Spezialist*innen aus den verschiedensten Bereichen gerne nach Österreich kommen würden. Österreich ist derzeit im Raking von beliebten Ländern, in denen Menschen mit Auswanderungswillen kommen wollten, weit abgeschlagen und wenig attraktiv[21]


[17] https://www.wien.gv.at/kontakte/ma35/

[18] https://kurier.at/chronik/wien/ma-35-stadtrechnungshof-kritisiert-bekannte-vorwuerfe/402293120

[19] https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/wien-politik/2153699-Drei-Jahre-Verfahrensdauer-bei-der-MA-35.html

[20] https://www.sosmitmensch.at/oesterreich-schlusslicht-beim-zugang-zur-staatsbuergerschaft

[21] https://www.swissinfo.ch/ger/gesellschaft/einwanderungs-serie-teil-2-_welches-land-hat-die-meisten-der-weltweit-244-millionen-einwanderer/42441706

Aber die Gesetze zu vereinfachen und klar zu machen, ist das eine, das andere ist auch die politische Kultur zu verändern und nicht den Hasspredigern der Rechtsextreme zu folgen. Nicht zuletzt herrscht in Österreich eine Anlaßgesetzgebungskultur und eine Tendenz, jedes einzelne Detail in Gesetzen zu regeln, sodass jede Novelle und Änderung die Sachlage nur noch weiter verkompliziert.  

Zu diesem Themenkomplex gehörte auch eine breite Diskussion aller beteiligter und relevanter Einrichtungen und Organisationen (Bund, Land, Gemeinde, Sozialpartner, Interessensvertreter*innen, Vereine), die verschiedenen Ministerien, die damit befasst sind (Arbeits- und Sozial-, Bildungs-, Familien- Jugendministerien) und die die Vor- und Nachteile von einer mittlerweile dringend benötigten Zuwanderung sachlich diskutieren müssten und das jenseits der primitiven „Freund-Feind“ Argumente, die derzeit abgehalten werden und zur Lösung nichts beitragen.

Österreich bräuchte dringend einen „Zielkatalog und einen Fahrplan für eine Migrationstrategie Österreichs“, der in enger Abstimmung mit der EU-Politik erarbeitet wird.  Migration ist in Österreich so genuin normal und alltäglich,  dass es absurd ist, einen anderen Zustand herbei führen zu wollen. Abgesehen davon, dass es faktisch nicht möglich ist, ist es auch in vielen Belangen zum Schaden Österreichs.

Wir brauchen verschiedene Gruppen von Arbeitskräften, im Gesundheits- und Pflegebereich, in der Gastronomie und im Tourismus, in international tätigen Organisationen und Unternehmen, die Mehrsprachigkeit und Netzwerkkenntnisse in den verschiedenen Ländern besitzen; und vieles mehr. Wir brauchen junge Menschen, die vielsprachig sind, bildungshungrig und aufstiegsorientiert sind.

Jene Formen der Migration sind von Nützlichkeitsüberlegungen geprägt; die inbesondere wirtschaftliche Aspekte beinhaltet. Diese sind ganz nüchtern betrachtet, ein wichtiger Teil der Migrationsdebatte. Aber welche Form der Wirtschaft und wie diese Wirtschaft aussieht und wie sie umgestaltet werden kann, etwa in Richtung eines ressourcenschonenden, nachhaltigen und sozialen Weges, lässt sich auch anhand von Migration beeinflussen; etwa wenn es um ökologische und innovative Forschung, um international vernetzte Entwicklungen und deren konkreten praxisbezogenen Umsetzung geht.

Strikte Trennung ist absurd

In Österreich herrscht das Dogma, das es eine fluchtrelevante und eine arbeitsbezogene Migration gibt und diese beiden Bewegungen gehörten getrennt, so die in der Praxis nahezu undurchführbare Leitlinie und ideologisch, einzementierte Position, die „auf Teufel komm´ raus“ umgesetzt werden soll. Die Fluchtbewegung wird über die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und die nationalen Asylgesetze abgewickelt; das ist richtig und die Migrationsbewegung, die über anderer Gesetze geregelt wird, etwa über die Rot-Weiß Rot Karte oder über den neu zustande gekommenen UN-Migrationspakt. Auch das ist richtig: Beides dem Völkerrecht und den international geschuldeten Pakten und Entwicklungen geschuldet. 

Nur was in der Theorie richtig ist, für das Recht eine notwendige Unterscheidung darstellt und zur wissenschaftlichen Untersuchung und Einteilung nützlich ist, erweist sich in der Praxis als bei weitem nicht so klar und streng, wie vorgesehen. Dementsprechend haben wir es mit dem Paradoxon zu tun, dass die tatsächlichen realen Verhältnisse auf das Recht und die juristische und politische  Praxis angepasst werden soll, „koste es, was es wolle“. Und genau das ist es, was nicht funktioniert.

Das fängt schon bei der Beurteilung, was Verfolgung ist, an. Inwieweit etwa der Entzug der ökonomischen Grundlagen durch Bürgerkrieg, durch Naturzerstörung, durch gezielte ethnische Vertreibung von Grund und Boden nicht ebenso zur Flucht führt. Wenn ein*e Asylwerber*in aus Afghanistan im Asylverfahren angibt, dass die Taliban der Familie alle wirtschaftlichen Grundlagen vernichtet haben, so ist das Ergebnis der Asylprüfung vohersehbar: Negativ.

Auf die kompliziertere Recherche der Zusammenhänge lässt sich die österreichische Asylbehörde gar nicht mehr ein. Wir erleben es auch auf den Fluchtrouten. Da sind plötzlich Migrant*innen aus der Türkei, Indien und Marokko Seite an Seite mit syrischen und afghanischen Flüchtlingen unterwegs. Politisch motiviert nennen die einen diesen Treck, also ist alles weitere „illegale Migration“. Die anderen nennen sie Flüchtlinge und schutzbedürftig, wohlwissend dass darunter auch viele sind, für die diese Kategorisierung nicht zutreffend ist. Damit stecken wir in starren „Schwarz-weiß“ Denken fest, das praktikablere, flexiblere Lösungen ausschließt. Der Beton ist angerührt.

Dazu kommt auch die völlig verfehlte Asylpolitik der EU hinzu, die diese Trennung deshalb auch mit Zähnen und Klauen verteidigt und vor Toten und militärischen Kampfmaßnahmen gegen Zuwanderer nicht zurückschreckt, weil das Eingeständnis des Scheiterns auch weit reichende Folgen hätte.

Es wäre ein neuer Kurs zu bestimmen, einer, der den tatsächlichen realen Verhältnissen besser entspräche und die tausenden Toten auf den illegalen Migrationsrouten unterbindet und die prekären ausbeuterischen illegalen Arbeitsverhältnisse unterbindet. Denn und das wäre eines der schnell umsetzbaren Maßnahmen und ist einer der schwerwiegendsten Versäumnisse der EU-Staaten: Es gibt keine legalen bzw. keine relevanten Migrationsmöglichkeiten nach Europa.

Das zu ändern könnte man in kürzester Zeit bewerkstelligen, in Form von Kontingenten, im Form von Wiederansiedlungs- oder in Form von gezielten Einwanderungsprogrammen. Auch die erstmals beim Russland-Überfall auf die Ukraine europaweit angewandte „Massenvertreibungsrichtlinie“ (siehe auch Gulis 2022a), bietet hier sachdienliche Hinweise darauf, wie Flucht und mittel- bis langfristiger Aufenthalt in der EU unter einem Hut zu bringen wären und sie tut genau das.

Sie akzeptiert die Realität und die hybriden Formen von Flucht, Migration, zeitweiser Vertreibung und zwischenzeitlichem (längerdauerndem) Aufenthalt mit Integrationsmöglichkeiten, gewährt ukrainischen Flüchtlingsfamilien, dorthin zu reisen, wo sie Anknüpfungspunkte bereits besitzen, gewährt in einen Aufenthalt in EU-Europa und unterstützt sie aber gleichzeitig, mit Sprachkursen, mit Arbeitsunterstützung, mit Integration in die Schulen und den Arbeitsmarkt.

Die Trennung von Asyl und Migration geht aber auch in den jeweiligen Ländern weiter. Ein Umstieg ist in Österreich verpönt. Jemand, der/die als Asylwerber*in gekommen ist und in diesem Verfahren steckt und damit auch nicht arbeiten darf, darf nicht plötzlich eine Arbeit annehmen und so sich seinen Unterhalt verdienen und vielleicht auch das Asyl früher oder später einfach fallen lassen, weil der Aufenthalt über Arbeitsmarktpolitische Integration erfolgt ist. Auch das ist in der Vergangenheit immer wieder der Fall und möglich gewesen.

Daher kommen auch diese absurden Fälle von jahrelangem Aufenthalt dauernd, oft mit plötzlicher Abschiebung endend, vor, weil etwa das Asylverfahren rechtskräftig beendet ist, eine selbsttätige Beschäftigung jedoch verboten war und selbst wenn sie Arbeit hatten, wie unlängst eine Inderin mit zwei Kinern, die als Köchin gearbeitet hatte und als Fachkraft dringend benötigt wurde. Nein, da gilt das Wechselverbot. Sie musste aus Österreich geschafft werden, weil ihr Asyl zu Ende ist – sprich ihr Asylverfahren letztinstanzlich negativ abgelehnt wurde. Vermutlich, ohne den genauen Inhalt des Antrages zu kennen, zu Recht.

Damit werden Härtefälle en masse produziert, die aus keiner Betrachtungsweise irgendeinen Sinn ergeben. Nicht umsonst entsteht Widerstand aus der Bevölkerung, von den Unternehmen, die die Leute ausgebildet haben und dringend gebrauchen können[22].


[22] https://www.derstandard.at/story/2000145436607/warum-eine-koechin-und-eine-altenpflegerin-vor-der-abschiebung-stehen

Um es zu verdeutlichen, das besondere Schutzbedürfnis von Flüchtlingen zu prüfen, ist absolute Notwendigkeit, denn so sieht dies auch die GFK vor und jene heraus zu trennen, davon, die diesen Schutz nicht bedürfen. Das heisst aber nicht, dass man sich damit auf die Suche des absolut „guten Flüchtlings“ begegeben muss, der unsere Barmherzigkeit bedarf und alle anderen „böse“ sind, weil sie sich etwas erschlichen hätten oder es versucht haben könnten. Neben dem schützenswerten Opfer von Verfolgung, gibt es dutzend andere, ebenso legitime Migrationsformen, auf die wir entsprechende Antworten finden müssen.

Anerkennung der Realität?

Es wäre angebracht, etwas mehr kühlen Pragmatismus walten zu lassen und jenen Personen, die bereit sind, sich einem Assimilisations- bzw. Integrationsprozess zu unterwerfen, die Möglichkeit zu bieten, in Österreich durch Arbeit und Eigenständigkeit, eine Existenz aufzubauen. Ein bis dato völlig ausgeschlossener Umstieg, wie das derzeit in Regierungskreisen genannt wird, sollte möglich gemacht werden. Ein fließender Übergang zwischen Asyl- und Arbeitsaufenthalt war in der Vergangenheit immer wieder möglich und wurde auch praktiziert. Das ist also nichts absurdes oder verbotenes.

Die österreichische Politik und Öffentlichkeit arbeitet sich leidenschaftlich an der Asylpolitik ab. Das ist jedoch jener Teil, der nur im geringen Maße von der österreichischen Politik beeinflussbar ist; vielleicht auch gerade deswegen? Da kann man dann entsprechend auftreten und Forderungen erheben, die man selbst nicht umsetzen muss. Für Asyl darf es weder Quoten noch Höchstbeschränkungen geben und die jeweils aktuellen Flüchtlingsbewegungen können von Österreich wenig beeinflusst werden. Wenn also wie im letzten Jahr mehr als 112.000 neue Asylanträge gestellt wurden, dann darf Österreich dagegen nichts unternehmen (was jedoch immer wieder hintergangen wird; siehe Push Backs und Nichtannahme von Asylanträgen, Zurückweisungen und Untätigkeit bei der Aufnahme).

Politik hat dafür sorgen, dass die Aufnahme, Unterbringung, Versorgung und die Verfahren ordnungsgemäß und einwandfrei ablaufen. Da gibt es in Österreich wie mehrfach in der Serie ausgeführt, erhebliche Mißstände. Wo jedoch sehr wohl staatliche Eingriffe und ordnungspolitische Schritte gesetzt werden können, ist jene Migration, in der es nicht um Leib und Leben geht, bei der Österreich ein Mitspracherecht hat, weil es um unsere Interessen geht.

Die europäische Politik, Österreich mit eingeschlossen, ist von der nahezu panikhaften Sicherheitsdebatte geprägt, die wie das Kaninchen auf die illegale Migration starrt. Seit 2015, das als Menetekeljahr umformuliert wurde, umso mehr. Für den innerösterreichischen Migrationsbedarf und den Arbeitsmarkt ist jedoch relativ unerheblich, wie die Leute nach Österreich gekommen sind. Wichtig wäre vielmehr, ob sie Chancen der Ausbildung und der Berufsausbildung wahrnehmen können bzw. ob sie die entsprechenden Qualifikationen mit bringen.

Da gibt es durchaus berechtigte Zweifel bei bestimmten Gruppen. Warum das so ist, wurde im Rahmen der Serie (siehe auch Gulis 2022) und der Asylkoordination Aktuell (siehe Asylkoordination 2020) bereits näher beleuchtet. Aber daraus zu folgern, dass dem ein Riegel vorgeschoben werden müsse, um sie vom Arbeitsmarkt und einer Integration – wie auch immer diese im Detail definiert ist – fernzuhalten, ist unschlüssig und durch nichts zu rechtfertigen; außer durch Rassismus, einer Ideologie der Ausbeutung und einem Wunsch nach reinem Blut und Angst vor Vermischung oder Bevölkerungsaustausch (great reset)[23]. Im Gegenteil nicht weniger Betreuung sondern mehr, muss die Devise sein.

Zahlreiche Länder haben Einwanderungsregeln, um den geregelten und erwünschten Zuzug zu organisieren. Ob das immer die besten Regeln sind, sei dahin gestellt, und ob sie manchmal nicht zu sehr den wirtschaftlichen Interessen unterliegen, wäre ebenso zu hinterfragen. Faktum ist jedoch, dass Gesellschaften und Länder die Migration wünschen, brauchen und organisieren, Länder und Gesellschaften sind, die sich weiter entwickeln und prosperieren. Die Impulse durch eine junge, dynamische und aufstiegsorientierte Zuwanderungspopulation sind für Gesellschaften nicht hoch genug einzuschätzen. Das lässt sich historisch vielfach belegen (siehe auch Gächter 2012). 

All das betrachtend und analysierend, muss man nüchtern festhalten, dass es um die Bedingungen für ein zukunftsfittes und aufgeschlossenes Österreich äußerst schlecht bestellt ist. Wenn sich nicht rasch etwas ändert. Dass alleinige Jammern und Raunzen, was die Anderen (insbesondere Regierungen) alles zu hätten, reicht nicht aus. Es wäre schon dringend, dass man es endlich anpackt und selbst macht. Politik ist nicht helfen und fordern, sondern entwickeln, planen und umsetzen. So das wärs erstmal von meiner Seite.

Ende.


[23] https://www.beratungsstelleextremismus.at/thema-rechtsextreme-mobilisierung-im-rahmen-der-proteste-gegen-die-corona-masnahmen/

Literatur:

Asylkoordination (Hg.): Von Afghanistan nach Österreich. Asylkoordination Aktuell, Wien, 4/2020.

Gächter, August: (Un-)ordentliche Beschäftigungspolitik. S. 48-69. In: Prader, Thomas (Hg.) Moderne Sklaven. Asyl- und Migrationspolitik in Österreich. Promedia Verlag, Wien 1992.

Gächter, August: „Migrationspolitik in Österreich seit 1945“. Arbeitspapiere Migration und soziale Mobilität, Nr.12. Wien 2008.

Gächter, August: Was braucht eine Gesellschaft, die fit sein soll für Einwanderung? S. 42 – 50. In: Ikemba (Hg.): „Fit für Vielfalt?“ Tagung anläßlich des 5-jährigen Bestehens des Vereins Ikemba, Tagungsdokumentation. Eigenverlag Graz, 2012

Fassmann, Heinz: Funktion und Bedeutung der Arbeitsmigration nach Österreich seit 1963. In: Hohenwarter, Andrea; Karl S. Althaler (Hg.) Torschluss, Wanderungsbewegungen und Politik in Europa.   Verlag f. Gesellschaftskritik Wien, 1992

Gulis, Wolfgang: „Spiel mit dem Leben Anderer“. Serie: Teil 1, Kapitel 7. Graz, 2022, online.

Gulis, Wolfgang: „Spiel mit dem Leben Anderer“. Serie: Teil 1, Kapitel 8. Graz, 2022a, online.

Gulis, Wolfgang: „Spiel mit dem Leben Anderer“. Serie: Teil 2, Kapitel 1. Graz, 2022b, online.

Gulis, Wolfgang: „Spiel mit dem Leben Anderer“. Serie: Teil 2, Kapitel 2. Graz, 2022c, online.

Gulis, Wolfgang: „Spiel mit dem Leben Anderer“. Serie: Teil 2, Kapitel 4. Graz, 2023, online.

Gulis, Wolfgang: „Spiel mit dem Leben Anderer“. Serie: Teil 2, Kapitel 6. Graz, 2023a, online.

Parnreiter, Christoph: …Alle Arbeitskräfte des Erdrunds. S. 70-91) In: Prader, Thomas (Hg.): Moderne Sklaven, Promedia Verlag, Wien 1992.

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