Der Marsch geht nicht geradeaus
Nach den Depressionsjahren 1975-1976 und dem Abbau von Arbeitskräften mit Migrationsbiografie am Arbeitsmarkt, stabilisierte sich die Wirtschaft wieder und auch der Neuzuzug von Migrant*innen nahm Fahrt auf. Jedoch wesentlich langsamer und gemässigter als in den Jahren zuvor. Ehemalige Gastarbeiter*innen und Neuzuziehende fanden wieder Arbeit.
Lichtblick
Mit dem Zusammenbruch des „Ostblockes“ wurde auch die Migrationspopulation heterogener. Schon in den späten 1980er kamen erste – zuerst noch zahlenmässig kleinere Migrationsgruppen aus Afrika, insbesondere aus Subsahara, nach Österreich. Die ersten davon kamen aus Ghana. Etwas später folgten die ersten Flüchtlinge aus Nigeria. Beide Gruppen kamen vorwiegend aus Fluchtgründen nach Österreich, hatten jedoch trotz der verherrenden Menschenrechtslage in ihren Ländern, kaum Chancen auf die Anerkennung als Flüchtling. Sie fanden aber zeitweise günstige Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt vor, sodass ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt über die Bewilligungsverfahren des Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslbG) offen stand.
Das, damals für den Arbeitsmarkt in hohem Maße relevante, AuslbG hatte eine Zugangskategorisierung im Gesetz vorgesehen. Darin wurde verschiedene Gruppe hierarchisiert und je nach Arbeitsmarktlage konnten diese Gruppe auch Zugang zu einer Beschäftigungsbewilligung erhalten; also Österreicher*innen, anerkannte Flüchtlinge, Befreiuungsscheininhaber*innen usw.; die Liste wr lange und ausführlich. Die Asylwerber*innen standen relativ weit unten in der Liste, ein völliger Ausschluß war jedoch nicht vorhanden. Rund um die Jahre 1988-1990 war die Arbeitsmarktsituation relativ günstig und so fanden einige – insbesondere ghanaische Staatsangehörige – eine Arbeitsstelle und erhielten auch die Bewilligung dafür.
Da sie einen Zugang zum Arbeitsmarkt besaßen, hatten sie auch Anspruch auf Kursmaßnahmen und so waren in einem relativ kurzem Zeitfenster Kurse für Asylwerber*innen möglich, die als Deutsch- und Integrationskurse (DiG) bezeichnet wurden. Sie dauerten mehrere Monate und wurden vom AMS finanziert. Kern der Kurse war das Erlernen der deutschen Sprache, insbesondere was relevant für deren zukünftige Jobs war; aber es gab auch Kursblöcke, die als Integrationsanteile bezeichnet wurden, in den es um verschiedene relevante, soziale, politische und kulturelle Themen ging, um die Integration in die Arbeitswelt für die Migrant*innen zu erleichtern[1]. Eine mittlerweile längst vergessene Phase des offenen Arbeitsmarktzugangs.
Kurze Zeit später wurde dieses Fenster wieder geschlossen, da sich der Zustand des Arbeitsmarktes verschlechterte und die Gruppe der Asylwerber*innen keinen Zugang mehr erhielten. Aus den Biografien der Migrant*innen, die damals in diesen Genuss kamen, lässt sich heute ablesen, dass der Zugang und die Kurse deutlich positive Auswirkungen auf die „Integration“ hatte. Der große Teil der damals Beteiligten und Begünstigten haben erfolgreiche Arbeitskarrieren hinter sich. Wenn man so will, schafften sie die Integration, zumindest in bestimmten Bereichen.
Dieses Fenster stand großteils für ghanaische Asylwerber*innen offen, was einfach ein glücklicher zeitlicher Umstand für diese Gruppe war. Die meisten der nigerianischen Flüchtlinge, die zeitlich etwas später nach Österreich kamen, hatten weniger Glück. Nur wenige „early birds“ kamen in den Maßnahmen noch unter. Für die meisten jedoch war der Arbeitsmarkt bereits wieder geschlossen.
Dieser Ausschluß aus dem Arbeitsmarkt hatte für diese Gruppe deutlich negativere Auswirkungen. Bei beiden Guppen waren die Anerkennungsquoten im Asylverfahren niedrig. Bei den ghanaischen Asylwerber*innen hatte dies i.d.R. jedoch keine Folgen, sie hatten ihren Aufenthalt in Österreich durch die Beschäftigung gesichert. Wohl mit ein Grund, dass die langen und letztlich überwiegend negativen Asylverfahren bei den nigerianischen Zuwanderern, die keine Chance hatte, in den Arbeitsmarkt zu wechseln zu deutlich negativen Entwicklungen führte: Diese waren Obdachlosigkeit, prekäre Lebensumstände, Gefahr der Abschiebung ins Heimatland, Abrutschen in die Kleinkriminalität, Drogenhandel und ähnliches.
[1] Einige dieser Kurse wurden in der Steiermark unter anderem von Isop in Kooperation mit Zebra angeboten. Die Kurse dauerten 6 Monate und die Teilnehmer*innen erhielten die Deckung des Lebensunterhaltes.
Diese negativen, integrativen Bedingungen korrelierten stark mit den Verschärfungen des damals noch gültigen und gerade erst eingeführten Bundesbetreuungsgesetzes (1992), das dazu führte, dass vermehrt Asylwerber*innen nicht in die Bundesbetreuung aufgenommen worden sind und in der Mittel- und Obdachlosigkeit gefangen waren. Also: Wenig Chancen auf die Anerkennung als Flüchtling, kein Zugang zum Arbeitsmarkt und die Verwehrung einer grundlegenden Daseinsvorsorge. Das war die Ingredienzien der Desintegration und führte zu einer verzweifelten Lage, vor allem bei afrikanischen Asylwerber*innen.
Dazu kam eine innenpolitische Stimmung, die von mehr oder minder offenem Rassismus, der durch Polizeiaktionen gegen „drogendealende Afrikanergruppen“ – insbesondere im Vorfeld von Wahlen zu beobachten waren[2].
In diesem Klima war es für dunkelhäutige afrikanische Menschen besonders schwer. Viele der afrikanischen Community, die zum Teil engagierte Mitglieder der Zivilgesellschaft waren und in Österreich arbeiteten und sich für ihre Mitmenschen engagierten und dennoch kollektiv mit vorverurteilt worden sind und die Wucht von rassistischen und diskriminierenden Anfeindungen genauso ab bekamen. Wie oft bei solchen „öffentlichen Kampagnen“ stimmte nur ein ganz geringer Teil davon. Tatsächlich gab es „drogendealende Afrikaner“, die überwiegend aus ihrer vorher beschriebenen sozialen Lage in dieses Geschäft hineinrutschten. Aber was bestimmte Poitiker*innen, Teile der Polizei[3] mit trauter Unterstützung der Boulevardmedien daraus machten, verzerrte die Realität in grotesker Weise.
„Der Vorwurf, dass die Schwarzen alle Drogendealer sind, der kam oft und sofort. Nicht nur gegenüber den Klienten, denen es oft wirklich schlecht ging. Die hatten keine Unterkunft, keine Arbeit, ihr Aufenthalt war abgelaufen und vieles mehr. Sondern wir auch, als Sozialarbeiter. Wie oft wurde mir vorgeworfen, ich sei auch ein Drogendealer. Dazu kam die Berichterstattung der Medien. Die Kronenzeitung schrieb einmal in Graz gäbe es etwa 2.000 Schwarzafrikaner und die seien alle Drogendealer (Livinus Nwoha, Verein Ikemba[4]).
Die Jahre zwischen 1989 – 1999 waren insgesamt von wechselnden Bedingungen am Arbeitsmarkt geprägt. Phasen der Entspannung folgten wieder Verschärfungen, aufgrund schlechter werdender Wirtschaftslagen. Immer deutlicher zeigte sich auch, dass das AuslbG als Instrument der Steuerung von Migration völlig ungeeignet war (Nowotny, 2003, S. 47 ff), wozu es auch nie gedacht war, jedoch aufgrund der rechtlichen Voraussetzungen und strukturellen Aussonderungen von bestimmten Personengruppen dazu wurde.
Auch hier dauerte es Jahre bis die Politik darauf zu reagieren begann und zusätzliche Regelungen schaffen versuchte, um jenen Teil der Migration zu ordnen und zu strukturieren, der sich auch ordnen lässt; hauptsächlich über den Arbeitsmarkt (siehe auch Teil 2, Kapitel 2 der Serie).
Mit dem Beitritt zur EU (1995) kamen über die Jahre hinweg zahlreiche Richtlinien und Empfehlungen zum tragen, die nunmehr auch im österreichische Rechtswesen zur Anwendung kommen mussten. So wurden zu Asyl- und Migration einige Richtlinien erlassen, die dem Prinzip der Vereinheitlichung der Verfahren und Rechtsnormen in den einzelnen Staaten zum Ziel hatte. In der EU-Richtlinie 2013/33/EU wurde der Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylwerber*innen geregelt. Die Richtlinie besagt, dass, wenn die Asylverfahren länger als sechs Monate dauern und bis dahin kein rechtsgültiger Abschluß erfolgt ist, den Asylwerbenden der Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt werden muss.
[2] http://wahlkampfbarometer-graz.at/gutachten/
[3] Im Film Operation Spring (https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Spring_(Film)) wurden die Hintergründe ausführlich beleuchtet.
[4] Livinus Nwoha, Gründer und Geschäftsführer der Grazer NGO Ikemba, wurde im Rahmen eines Buchprojektes für die Antidiskriminierungsstelle des Landes Steiermark interviewt. http://www.ikemba.at/

Der Bartensteinerlaß – eine österreichische Geschichte
Wie so oft in solchen Fällen (etwa auch bei der verzögerten Umsetzung von Antidiskriminierungsrichtlinien) wurde die österreichische Regierung findig und erließ einen eigenen nationalen ministeriellen Erlaß, der den Zugang von Asylwerbenden massiv einschränkte, ja praktisch unmöglich machte. Der als „Bartensteinerlass“ bekannt gewordene „Sündenfall“ aus dem Jahre 2004 besagte, dass Asylwerbende nur als Saisonarbeitende und Erntehelfende eingesetzt werden dürfen.
Diese Rechtspraxis des Erlaßwesens, das eine juristisch gesehen weitaus gewichtigere EU-Richtlinie übertrumpft, wurde denn auch gerichtlich beeinsprucht und ging bis zum Verfassungsgerichtshof (Vfgh). Ein ministerieller Erlaß ist ein internes Instrument, um die Verwaltung zu binden, ein Gesetz in eine bestimmte Richtung auszulegen und ist kein im Parlament zustande gekommenes Gesetz. Dennoch ist der Bartensteinerlaß seit 2004 rechtswirksam gewesen und hat die EU-Richtlinie außer Kraft gesetzt und ist damit für tausende Fälle von Asylwerbenden, die damit keinen Zugang zum Arbeitsmarkt erhielten, verantwortlich[5].
Im Jahre 2021 entschied der Vfgh, dass die bisherige Erlaßregelung nicht länger gülig sein dürfe und das bestehende Reglement neu geordnet werden müsse. Doch wer damit hoffte, dass nun endlich Asylwerbende nach einer gewissen Aufenthaltszeit (6 Monate) Zugang zu Arbeitsmarkt erhalten würde, der irrte. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Vfgh Entscheidung preschte Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) bereits wieder vor und gab zu Protokoll, dass ein neuer Erlaß kommen werde:
…„Mit dem Erlass wird klargestellt, dass Asylwerber keinen generellen Arbeitsmarktzugang haben. Vielmehr sind arbeitslose Inländerinnen und Inländer sowie Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte vorrangig zu vermitteln“[6].
Nebstbei sei erwähnt, dass die vorrangige Behandlung nie in Frage gestellt wurde, nicht Thema des Vfgh Entscheids war und auch die EU-Richtlinie dies nie vorgesehen hatte. Aber die Stellungnahme des Ministers macht deutlich, dass weiterhin an einer fast absurd anmutenden Rigidität des Zugangs festgehalten wird und das weiterhin mithilfe von Erläßen geregelt werden wird, obwohl diese Praxis eigentlich als rechtswidrig angesehen wurde.
Die gesamte Vorgangsweise war im Jahre 2021 umso bizarrer, da der Arbeitskräftemangel bereits allerorts schlagend wurde und zahlreiche Branchen händeringend nach Personal suchten. In den laufenden Asylverfahren parken tausende Menschen, die nicht arbeiten dürfen. Im Jahre 2022 handelte es sich um über 54.000 offene Verfahren, darunter eine beträchtliche Zahl, die länger als sechs Monate bereits dauern[7].
[5] https://www.derstandard.at/story/2000125089422/duerfen-asylwerber-bald-arbeiten
[6] https://orf.at/stories/3221106/
[7] https://www.bmi.gv.at/301/Statistiken/files/2022/Asylstatistik_Dezember2022.pdf
Integration kommt erstmals vor
Erst 1997 (mehr als 35 Jahre nach Beginn der neuen Bewegung) wurde im Zuge einer großen Gesetzesreform erstmals über „Integration“ überhaupt nachgedacht; also implizit damit eingestanden, dass die Gastarbeiter*innen nicht wieder heimgegangen, sondern hier geblieben waren. Damit wurde, wenn auch in restriktiver und assimilatorischer Weise erste gesetzliche Integrationsschritte umgesetzt; Gedanken zur Erlangung von Rechten durch längeren Aufenthalt in Gesetze verankert.
Das Gesetzespaket 1997 stellt eine zunächst nur wenig beachtete Zäsur in der Migrationspolitik in Österreich dar. Die Diskurse, die die Gesetzesvorlage des Innenministeriums begleiteten, drehten sich in ihrem Kern um Verschärfungen, insbesondere im Asylwesen. Doch wurde auch über aufenthaltsrechtlichen Verfestigung von Migrant*innen und über Familiennachzug gesprochen. Beides Themen, die bis dahin undenkbar waren. Es wurde das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz/ NAG(1997) aus der Taufe gehoben (siehe auch Bachinger, Schenk 2011).
Im Rahmen dieser veränderten Entwicklung um Integration, wurde der noch immer sehr populäre und in Verwendung befindliche Slogan: „Integration vor Neuzuzug“ geboren. Dieser prägte die Regierungspolitik der folgenden Jahre. Gächter [8] skizzierte, dass der Slogan in sich falsch und unlogisch ist und eine totale Versimplifizerung von sozial-, arbeitsmarkt- und Zuwanderungspolitiken darstellt.
Im Gegenteil, wenn Integration mit sozialen, ökonomischen und gesellschaftlichem Aufstieg zu „übersetzen“ ist, dann ist der Aufstieg eng mit neuer Zuwanderung verbunden. In klassischen Einwanderungsländer (USA, Kanada, Australien) ist dieser Aufstiegsmythos – „unten“ bei ganz bestimmten Jobs (Taxifahrer, Küchenhilfe, Hilfsarbeiter) zu beginnen und langsam nach oben zu steigen, damit Neue den alten Job in Anspruch nehmen können – ausgeprägt. Diese Systematik, die in liberalen Einwanderungsgesellschaften seit Jahrhunderten nachweisbar und evident ist, widerspricht genau diesem Slogan.
In Österreich hingegen kann das Gegenteil nachgewiesen werden (siehe Gächter 2012 S. 44 ff). Aufstieg/Integration kommt in der selbst eingewanderten Generation kaum vor. Viele „klassische“ Gastarbeiter*innen arbeiteten 30-40 Jahre später immer noch in den selben Segmenten. Sie sind weiterhin als „angelernte und/oder Hilfskräfte tätig. Damit ist ein Teil ihrer strukturellen sozioökonomischen Schlechterstellung erklärbar.
Diese diskriminierende Schlechterstellung wird sozusagen auf die 2. Generation „vererbt“. Obwohl diese in Österreich geboren und aufgewachsen sind, werden die gesellschaftlichen Benachteiligungen augenscheinlich. Aber auch hier wurde den Migrant*innen in der politischen Auseinandersetzung die alleinige Schuld dafür zu geschoben (Stichworte: Parallelgesellschaft, mangelnde Integrationsbereitschaft).
[8] https://www.zsi.at/users/153

EU-Beitritt 1995
Seit dem EU-Beitritt 1995 hat sich in Österreich langsam aber stetig einiges verändert. Das AuslbG, das bis Mitte der 1990 das bestimmende Gesetz der Zuwanderung (weil Regelung des Arbeitsmarktes) war, verlor sukzessive an Bedeutung. Es dauerte zwar einige Jahre bis die Freizügigkeit innerhalb der EU auch auf Österreich durchschlug, jedoch wurde ab Mitte der 2000er Jahre deutlich, dass immer mehr EU-Bürger*innen in Österreich arbeiteten, die von AuslbG nicht mehr betroffen waren und sich jederzeit in Österreich niederlassen konnten und erst nach vier Monaten den Nachweis für ihren Unterhalt erbringen mussten (siehe auch Krause, Liebig 2011).
Das AuslbG konnte somit nur mehr einen Teil der Ausländerbeschäftigung kontrollieren. Die festgelegte Höchstzahl an ausländischen Arbeitskräften in Österreich (gemeint sind hier Drittstaatsangehörige) etwa für das Jahr 2016 lag bei ca 300.000 Personen, die Gesamtbeschäftigtenzahl der ausländischen Arbeitskräfte lag jedoch 2016 bei 651.700 (Statistik Austria 2017).
Das zeigt, dass bereits weniger als die Hälfte des ausländischen Arbeitskräftepotenzials der Kontrolle durch das AuslbG unterliegt, Tendenz weiter sinkend. Und ein weiteres Indiz dafür ist, dass mittlerweile „die Deutschen“ die größte Migrant* innengruppe in Österreich geworden ist. Bis weit in die 1990er führten die Migrant*innen aus dem ehemaligen Jugoslawien (zusammengenommen) und der Türkei (Statistik Austria 2017) die Liste regelmäßig an.
Den deutschen Staatsbürger*innen folgen die rumänische Staatsangehörigen, die Ende der 1980er Jahr noch als Flüchtlinge kamen, gegen die in den 1990er scharf polemisiert wurde, als illegale Armutsflüchtlinge und die mittlerweile EU-Bürger*innen sind und damit auch nicht dem Regime des AuslbG weiter unterliegen.
Neben den zahlreichen restriktiven Verschärfungen, gab es gleichzeitig doch zaghafte Versuche das Regelwerk an die globalen Veränderungen der letzten Jahrzehnte (Fall der Mauer, neue Migrationsbewegungen, Beitritt zur EU) anzupassen und zaghafte Schritte zu setzen, die in Richtung einer Einwanderungsge-sellschaft zielten.
Damit ist etwa, die – sich mittlerweile mehrmals reformierte – Rot-Weiß-Rot Card[9] gemeint. Dies war und ist der Versuch, nicht nur „Gastarbeiter*innenzuwanderung“ zuzulassen, sondern auch neue Zuwanderungsgruppen ins Land zu holen. Diese Maßnahmen zielen vor allem auf die besser und höher qualifizierte Zuwanderer ab, um diese nach Österreich zu holen, da sie am Arbeitsmarkt gebraucht würden.
Was in den 2020er augenscheinlich geworden war, dass es an allen Ecken und Enden an Arbeitskräften fehlte, wurde in den 2000er Jahren in manchen Bereichen bereits sichtbar (siehe auch Serie Teil 2, Kapitel 4).
Insgesamt gestalten die österreichischen Bundesregierungen der damaligen Jahre die Regelungen aber derartig verschachtelt, bürokratisch, verwirrend und an den Lebensrealitäten vorbei, sodaß mit diesen Initiativen kaum die viel gerühmte „Attraktivität des Standortes“ erzeugt werden konnte, die aber notwendig gewesen wäre, um tatsächlich hochqualifizierte Arbeitskräfte – etwa in der IT Branche – nach Österreich zu locken.
Denn die Idee der gezielten Zuwanderung aufgrund von fehlenden Arbeitskräften fiel ja nicht Österreich alleine ein, sondern war in vielen EU-Länder Thema geworden. Deutschland führte etwa um das Jahr 2000 herum die „Green Card für Inder“ ein und wollte mit großer öffntlicher Aufmachung damit eine Lösung herbeiführen. Nur am Rande erwähnt, auch in Deutschland war der Erfolg der Green Card bescheiden.
Wie auch in Österreich führte das eher zu einer rassistisch konnotierte Gegendebatte, die vom CDU Politiker Jürgen Rüttgers ausgelöst wurde. Der damals CDU Spitzenkandidat im NRW Landtagswahlkampf[10] war und mit dem Spruch „Kinder statt Inder“ negativ aufmerksam machte und eine monatelange unappetliche Stimmungsmache auslöste. Die Green Card war 2004 bereits wieder Geschichte, der Erfolg bescheiden. Das Problem besteht heute 2023 in Deutschland genauso wie in Österreich weiterhin; und sogar in verschärfter Weise[11].
Wie auch später (2017) die in Kraft getretene „Integrationsvereinbarung“[12] waren dies Zeichen und in Ausrichtung und Umsetzung untaugliche Versuch, die Migrationspolitik in eine andere Richtung zu lenken. Größere Teile der Politik war sich in den 2000er Jahren bewußt, dass die Gesellschaft heterogen und zu einer Migrationsgesellschaft geworden war und dass es aus rein faktischen Gründen notwendig war, weg von der „Gastarbeiterpolitik“ und der harten repressiven Abwehrpolitik zu kommen und Regelungen zu finden, die den dauerhaften Aufenthalt von „Ausländern“ samt den Folgen, die damit zusammenhängen zu akzeptieren bereit waren.
In vielen Bereichen des Lebens – Schule, Arbeitsplatz, Sport u.v.m. – war dies auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wäre da nicht eine rabiate Gegenposition vorhanden gewesen, die durch die Boulevardmedien eine – ihrer wahren Größe in der Gesellschaft – überdurchschnittliche Bedeutung erhielten und den Diskurs dominierten und damit negativ beeinflusten.
Jede Maßnahme, die diese Abkehr von der alten Sichtweise in sich trug, wurde bekämpft und machte einen differenzierten Diskussionsprozess unmöglich. Die Kompro-misse, die schließlich auf dieser Basis getroffen wurden, waren in der Praxis zumeist nur winzige Schritte; vor allem aber praktisch überwiegend untauglich, da kompliziert, umständlich, bürokratisch und weil sie weiterhin von einer Defizitsicht und einem Generalverdacht gegen Migrant*innen generell und im speziellen geprägt waren.
Integration? Da war doch was!
Der Beitritt zur EU war für Österreich ein zweifellos prägendes Ereignis. Nicht nur das eine große Mehrheit für den Beitritt votierte, es rückte in den darauffolgenden Jahren Österreich in die Mitte Europas – nicht nur geografisch sondern auch politisch. Mental war Österreich nach dem Fall der Mauer noch immer eine Randstaat, der auch durch seine Neutralität einen Sonderstatus hatte und somit keinem Bündnis beigetreten war.
Nunmehr in der EU, folgten eine Reihe von Adaptierungen und Anpassungen, die zwar im Alltag nicht so spürbar waren, außer wenn es sich um Großereignisse handelte, wie eben die Einführung des Euros im Jahre 2002[13], der sogenannte EU-Osterweiterung[14], die mitelfristig weitreichende Änderungen nach sich zogen. Man kann durchaus behaupten, dass durch die neue Politikebene(EU-Kommission, Rat und Parlament) auch ein neuer Wind im Politikgeschehen Österreichs wehte.
Die Anbindung an verschiedenen Ebenen an die bereits seit längeren vorhandenen EU Vorgaben sowie Austausch- und Förderprogramme etwa im Bereich der Forschung, der Arbeitsmarktpolitik und der Wirtschaft löste eine konstruktive, positive Stimmung auch im Inneren aus. Das ließ sich unter Anderem auch an den Impulsen ablesen, die etwa im Bereich der Frauenförderprogramme, dem Einsickern der Begriffe wie Diversitätsmanagement, der Interkulturellen Öffnung und des verstärkten wissenschaftlichen Austausches erkennbar wurden. Mit dem Beitritt war Österreich an EU-Regeln gebunden, die es zuvor innerstaatlich nicht zu beachten galt.
Bevor wir auf diese Entwicklungen im folgenden noch genauer eingehen, da sich doch in den meisten Bundesländern erhebliche Auswirkungen und Anstrengungen nach sich zog, müssen wir noch etwas genauer auf den Begriff der Integration eingehen.
[9] https://www.migration.gv.at/de/formen-der-zuwanderung/dauerhafte-zuwanderung-rot-weiss-rot-karte/rot-weiss-rot-karte-plus.html
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Landtagswahl_in_Nordrhein-Westfalen_2000
[11] https://www.heise.de/news/Inder-Kinder-und-der-Dotcom-Hype-Vor-20-Jahren-kam-die-Green-Card-4860660.html
[12]https://www.integrationsfonds.at/sprache/integrationsvereinbarung/integrationsvereinbarung-2017-und-intg-dv/was-ist-die-integrationsvereinbarung/
[13] https://www.oenb.at/Bargeld/der-euro.html
[14] https://de.wikipedia.org/wiki/EU-Erweiterung_2004
Kleiner Umweg: Integration? Definiere!
So einfach es scheint, so schwierig ist es, den Begriff zu fassen zu kriegen. Es gibt eine schier unüberschaubare Zahl an Verwendungen, Kontexten und Interpretationen des Begriffes Integration, das kann daher im Rahmen des Beitrages nicht vollständig aufgearbeitet werden. Einige wichtige und relevante Kategorisierungen und Abgrenzungen zu anderen verwandten Begriffen seien dennoch angerissen und erläutert, da notwendig.
In der Sprachwissenschaft und den kommunikativen Wissenschaften, wie etwa der Diskursanalyse spricht man von einem „Containerbegriff“. Integration kann viel und wenig heissen, muss daher mit Attributen ausgestattet werden, die mit dem Ausgangsbegriff in Zusammenhang gebracht werden können. Hinzu kommt, dass er sich durch entsprechende Adjektivsetzungen noch einmal verbreitern lässt, z.B. soziale Integration, kulturelle Integration usw.
Integration entstammt dem lateinischen Wort integer bzw. dem griechischen „entargos“, was so viel heißt wie „unberührt, unversehrt, makellos, ganz“. Davon abgeleitet gibt es das Wort „integratio“. Dafür werden mehrere Bedeutungen angeboten. Am häufigsten wird Integration mit Erneuerung übersetzt. Mit „Widerherstellung eines Ganzen“, „Eingliederung“, „Einbeziehung“ oder „Vervollständigung“ sind aber weitere akzeptierte Abwandlungen des Begriffs[15] .
Im deutschsprachigen Raum ist die Einführung des Begriffes eng mit Hartmut Esser[16] verbunden, der zwischen einer strukturellen Ebene (Bildungsstand, Berufsposition, Einkommen, soziale Mobilität), einer sozialen Ebene (Kontakte, Partnerschaften, Teilhabe an Vereinen etc.) einer kognitiven Ebene (Spracherwerb, Wissen um Normen, Regeln) und einer identifikatorischen Ebene (Zugehörigkeitsgefühl, Anerkennung) unterscheidet (siehe auch Perchinig in Langthaler 2010, 17).
Ähnliche Versuche, den Begriff in der pädagogischen, erwachsenenbildnerischen Praxis zu vermitteln, finden sich zuhauf. Exemplarisch sei etwa auf eine Arbeitsunterlage von Mümtaz Karakurt[17] verwiesen, bei dem der Begriff Integration als Mittelpunkt verortet wird und mit anderen Begriffen/Themenfeldern in Verbindung steht.
Angelehnt an das Modell von Esser spricht Karakurt von Systemintegration, sozialer Integration und kultureller Integration, die alle drei dazu führen, dass es zu einer identifikatorischen Integration kommt.
Andere Autor*innen ergänzen diese Ebenen noch mit Aspekten der psychischen Ebene (schrittweise Entwicklung der Persönlichkeit), der Kommunikationsebene (Beziehungsaufnahme, Dialog) und der Systemebene (gemeint sind all jene Orte, wo Integration stattfindet, also Schule, Arbeitsplatz, Vereine, Universität etc.). (vgl. Patty Shore, 2010, 20-22).
Im ersten Migrations- und Integrationsbericht (siehe Fassmann, Stacher 2003) wird Integration mit „Zusammenführen“ übersetzt.
Wie sehr jedoch die Begrifflichkeiten durcheinander purzeln beginnen, lässt sich immer dann feststellen, wenn etwa ausführlichere Erklärungen hinzu kommen; wie etwa der Integrationsbericht des Expert*innenrates der Bundesregierung oder versucht wird in Abgrenzung zu anderen Begriffen genauer zu werden, was in den meisten Fällen mißlingt.
Integration beschreibt damit einen Prozess der gesellschaftlichen Eingliederung und Partizipation der zugewanderten Bevölkerung. (Fassmann in Fassmann, Stacher 2003, 12-13)
Der Begriff Integration wird im weiteren Text von Fassmann synonym mit Eingliederung gleichgesetzt und mit dem Begriff Partizipation verbunden. In den folgenden Sätzen des Integrationsberichtes wird die vorherige Definition des Integrationsbegriffes jedoch wieder relativiert.
Zum einen wird Eingliederung mit Anpassung gleichgesetzt, zum anderen wird behauptet, dass es – je nach Sichtweise – beliebige Stufen der Eingliederung/Anpassung geben könne.
Das Missverständnis beginnt mit dem Ausmaß der Eingliederung. Manche meinen, Eingliederung kann nur perfekte Anpassung bedeuten (Assimilation)…
Andere plädieren dagegen für weniger starke Anpassung… (Fassmann, Stacher 2003, 13)
Umso deutlicher wird dies, wenn wir die Politik mit einbeziehen und nachforschen beginnen, was sie dazu sagt, wenn sie von Integration spricht. Denn wir suchen letzlich vergebens, wie Bernhard Perchinig bei seinen Studien herausfand, nach einem eindeutigen Leitfaden.
Allerdings findet sich weder in der Politik noch in der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur ein allgemein akzeptierter Integrationsbegriff,… (Perchinig in Langthaler 2010, 17)
Umso mehr muss also den konkreten offiziellen Aussagen und Verwendungen Bedeutung zugemessen werden.
„Erfolgreiche Integration liegt vor, wenn jedenfalls ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache für das Arbeitsleben, für die Aus- und Weiterbildung sowie für den Kontakt zu öffentlichen Einrichtungen vorhanden ist, die wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit gegeben ist sowie die Anerkennung und Einhaltung der dem Rechtsstaat zugrundeliegenden österreichischen und europäischen Rechts- und Werteordnung vorliegen.“ (BMI 2010, 2)
In diesem Absatz wird ein beherrschendes Narrativ der Bundesregierung gegenüber den Zugezogenen deutlich und lässt den Schluß zu, dass es weniger um Integration, wie zuvor skizziert, sondern um Assimilation und Unterwerfung geht. Ein Integrationsansatz, der Partizipation und Chancengleichheit in den Mittelpunkt stellt, ist dabei in dieser Aussage nicht zu finden und in allen weiteren Ausagen der offiziellen Politik – sprich Bundesregierung oder Ministerien – die folgten ebenso wenig.
Daher ist die oben formulierte Integrationsdefinition wohl eher eine Beschreibung von assimilatorischen Theorieansätzen und einem ausgeprägten Defizitdenken gegenüber Migrant*innen.
Im Gegensatz dazu bedeutet Assimilation eine einseitige Form der Angleichung, bei der Menschen sozusagen in die Haut der anderen schlüpfen müssen, um diesen ähnlich zu werden. (Bauböck/ Volf 2001, 14)
Damit kommen wir zu einem zweiten Aspekt, der im Zitat von Fassmann enthalten ist. Ist Integration ein Ziel oder ein Prozess? Für ihn ist Integration ein Prozess.
Dem kann Reinprecht bei der Betrachtung der realen Diskurse und politischen Vorstellungen folgen. Integration wäre der Prozess, Assimilation das Ergebnis (Ziel).
In der gesellschaftlichen Diskussion werden Akkulturation und Assimilation als eine Art Ergebniszustand interpretiert. (Reinprecht in Langthaler 2010, 44)
Langthaler bemerkt zum Integrationsbegriff, dass sich dieser zu einem Kampfbegriff entwickelt habe (vgl. Langthaler 2010, 7), der wahllos ausgedehnt, eingegrenzt oder umgeformt werden kann, zumeist aber als Aufruf an die „Migrant*innen“ gerichtet wird, sich „doch endlich zu integrieren“. [18]
Nun sind wir doch schon ein Stück des Weges abgekommen und durch die Lektüre ermüdet. Bevor also endgültig niemand mehr weiter liest, machen wir hier vorerst einmal Schluß und verschieben alle weiteren Kapitel, die es zu behandeln gibt, auf das nächste Kapitel der Serie, in dem wir uns verstärkt mit den 2000er Jahren beschäftigen und zahlreichen Initiativen und Entwicklungen, die zwischenzeitlich Hoffnung schürten, es würde sich in der Migrationspolitik Österreich ein rationaler, logischer und faktenorientierter Diskurs durchsetzen.
[15] Siehe auch www.gottwein.de „Wortkunde und Online-Wörterbuch“, www.dict.de „Dictionarium latino-germanico“ sowie www.ponse.eu „Das Sprachportal“. (online Zuletztzugriff, 15.2.2023)
[16] Hartmut Esser, geb. 1941 in Elend/Harz) ist em. deutscher Professor für Soziologie und Wissenschaftslehre an der Universität Mannheim.
[17] Mümtaz Karakurt, Geschäftsführer beim oberösterreichischen Verein migrare und Vortragender an der FH Linz, Studiengang Soziale Arbeit, Arbeitsunterlage (ppt) Sommersemester 2011.
[18] Der vorliegende Text zu Integration ist eine überarbeitete und gekürzte Fassung des Kapitels: „Exkurs: Integration“ aus der Masterabeit: Migrationsdiskurs in Österreich. Entstehung eines Migrationsdiskurses in der zweiten Republik Österreichs von Wolfgang Gulis, 2012.

Literatur:
Bachinger, Eva-Maria; Schenk, Martin: Die Integrationslüge. Antworten in einer hysterisch geführten Auseinandersetzung, Deuticke Verlag, Wien 2012.
Bauböck, Rainer; Patrik-Paul Volf: Wege zur Integration. Was man gegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit tun kann. Drava Verlag, 2001
Faßmann, Heinz; Stacher, Irene (Hg.): Österreichischer Migrations- und Integrationsbericht, Drava Verlag, Celovec/Klagenfurt – Wien, 2003
Gächter, August: Was braucht eine Gesellschaft, die fit sein soll für Einwanderung? S. 42 – 50. In: Ikemba (Hg.): „Fit für Vielfalt?“ Tagung anläßlich des 5-jährigen Bestehens des Vereins Ikemba, Tagungsdokumentation. Eigenverlag Graz, 2012
Krause, Karolin; Liebig Thomas: „The Labour Market Integration of Immigrants and their Children in Austria, OECD Social, Employment and Migration Working Papers, OECD Publishing, Paris 2011.
Nowotny, Ingrid: Das Ausländerbeschäftigungsgesetz: Die Regelung des Zugangs von AusländerInnen zum österreichischen Arbeitsmarkt. S. 47 – 73. In: Fassmann, Heinz (Hg.): 2. Österreichischer Migrations- und Integrationsbericht, Drava Verlag, Celovec/Klagenfurt – Wien, 2006
Perchinig, Bernhard: Migration, Integration und Staatsbürgerschaft – was taugen die Begriffe noch? In: Langthaler, Herbert (Hg.): Integration in Österreich. Sozialwissenschaftliche Befunde, StudienVerlag Wien, 2010.
Reinprecht, Christoph: Autonomie und Anpassung – Bemerkungen zur Debatte um Integration In: Langthaler, Herbert (Hg.): Integration in Österreich. Sozialwissenschaftliche Befunde, StudienVerlag Wien, 2010.
Shore, Patty: Integration gleich Inklusion? Vortrag Bodenseetagung 2010.
Statistik Austria: Beschäftigung und Arbeitsmarkt. Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften. Wien 2017.