Spiel mit dem Leben Anderer Teil 2, Kapitel 3

Von dem was gerne nicht erzählt wird

Im zweiten Teil blickten wir bereits kurz auf das Ende der ersten Phase der Migrationsbewegung in Österreich, die von 1962 bis 1974 dauerte. Diese ist einerseits durch die Beschlussfassung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslbG) 1974 markiert, dass das sozialpartnerschaftliche Raab-Olah Abkommens ersetzte; und andererseits durch den sogenannten „Ölschock“ (siehe auch Teil 2), der die wirtschaftliche Aufschwungphase in West- und Mitteleuropa, die seit Mitte der 1950er anhielt, jäh stoppte.

Bevor wir daran anschließen und uns weiter bis zur Gegenwart vorarbeiten, müssen wir jedoch noch einige wichtige Details näher beleuchten, die in der offiziellen Version der Erzählung über diese Phase zumeist ausgespart bleiben.

Als die Sozialpartner in den frühen 1960er über die Zuwanderung von Gastarbeitern nachzudenken begannen und da hatte man nur Männer im Blick, war das Bild recht einfältig und schablonenhaft. An all die weiteren Entwicklungen und Folgen hatten die Herrschaften, die darüber entschieden, nicht gedacht. Noch deutlicher gesagt; man dachte sich insgesamt recht wenig, was solchweitreichenden Entscheidungen auf die Menschen und insbesondere auf die beteiligten Länder (Aus- und Einwanderungsländer) bedeuten könnten.

Es folgte vielmehr den recht einfach gestrickten egoistischen Interessen, dem kurzfristigen Profitstreben von Unternehmen und Betrieben, die das durchsetzen ureiegnester Interessen gewandt können und einzusetzen wissen. Es ist aber auch unterfüttert durch eine Denkweise,  die mit einer rassistischen Überheblichkeit ausgestattet ist, wie wir sie in ähnlicher Weise schon bei der Kolonialisierung und dem Sklavenhandel beobachten konnten und von Klischees, Rassismen und Vorurteilen nur strotzt.

An die kulturellen, sozialen, politischen Folgen verschwendete man keinen Gedanken. Man holte Leute, die mit Freuden nur auf die Abreise nach Österreich warteten, soe die Meinung und die nach einer bestimmten Zeit wieder „heim geschickt“ werden könnten, wenn man sie nicht mehr brauche, so der simple Gedankengang. Man täte denen schließlich doch auch was Gutes, denn man würde sie ja aus ihrem Elend holen. Man ging selbstverständlich davon aus, dass alle, die angesprochen werden, froh sein müssten, Armut und Arbeitslosigkeit in ihren Heimatländern zu entrinnen. Was das für das Gefüge der Familien in den Ländern bedeuten könnte? Da gab es keine Wahrnehmung dazu, würde man heute im Einvernahmen- und U-Ausschußjargon antworten.

Das Vehikel um die Anwerbung umzusetzen, war eine Arbeitsgemeinschaft (AG)[1], die von der Bundeswirtschaftskammer geführt wurde. Sie war verantwortlich für die Anwerbung und Rekrutierung. Ziel der AG war es nicht nur die Anwerbung in den Ländern, mittels Anwerbebüros zu betreiben, sondern auch den Firmen, die Arbeitskräfte suchten, behilflich zu sein. Schon 1961 – also bereits ein Jahr vor dem tatsächlichen vereinbarten Abkommen (Raab-Olah) trat die AG an Botschaften von ins Auge gefassten Ländern heran, um die administrativen und juristischen Fragen der Anwerbung zu klären. Man führte mit vier Ländern Gespräche, um Arbeitskräfte zu holen (siehe Parnreiter, S. 72).

Das waren: Griechenland, Spanien, Jugoslawien und die Türkei. Die Anwerbung aus ersteren Ländern gelang nie so richtig und versiegte bald wieder. Bei den anderen beiden waren die Bemühungen erfolgreicher. Dies ist der schlichte Grund dafür, dass in Österreich die Migrant*innencommunities aus dem Ex-Jugoslawien (Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Kosovo) groß sind und die griechische Migrationsbewebung nach Österreich eher eine kleine blieb und vorwiegend aus Exilant*innen bestand, die vor der griechischen Militärdiktatur[2] geflohen waren und zum studieren nach Österreich kamen.

Über die Jahre 1961 und 1962 gibt es zur Arbeit der AG der Bundeswirtschaftskammer keine Zahlen. Erst 1963 und´64 wurde Buch geführt und es war eine überschaubare Zahl an Personen, die im Rahmen der Kontingente nach Österreich gebracht wurden. Im Jahr 1964 waren dies 4.073 Personen. In diesen ersten Jahren ist jedenfalls evident, dass die Kontingente bei weitem nicht ausgeschöpft werden konnten, lediglich 25% bis 50% konnten erfüllt werden. Das Kontingent lag – laut der Sozialpartnerschaftsvereinbarung vorerst einmal bei 47.000 Personen (Lorber, 2013, S. 33). Die Mannen, die im Rahmen der AG und den Sozialpartner mit der Rekrutierung beschäftigt waren, standen also vor dem – für sie – überraschenden Phänomen, das trotz des Angebotes wenig Interesse nach Österreich zu kommen, bestand (siehe Parnreiter, S. 72).

Dass das Programm der Rekrutierung sich als Selbstläufer erweisen würde, war eine Fehleinschätzung. Daraufhin entschied man sich, die Aktivitäten zu erhöhen und an verschiedenen Attraktivitätsschrauben zu drehen, um die für den österreichischen Arbeitsmarkt zu interessieren. Es wurde die Bürokratie erleichtert bzw. die Anwerbebüros übernahmen allerlei Aufgaben für die Ausreisewilligen, wie etwa die Suche nach Unterkunft, den Transport, sowie Kostenübernahmen und warben mit finanziellen Versprechungen (siehe Lorber, 2013, S. 33 ff).

Kopfgeldprämien

Es stellte sich als überraschend mühsam dar, Menschen nach Österreich zu bringen. Erst langsam verfingen die einzelnen Maßnahmen und der Strom der Zuziehenden wurde größer. Das hatte auch damit zu tun, dass viele Firmen, die bereits Migrant*innen beschäftigt hatten, „Kopfgeldprämien“ auslobten, wenn die bei ihnen Arbeitenden weitere Freund*innen, Verwandte zur Abwanderung bewegen konnten (siehe Parnreiter, S. 74).

Die AG verlor bei der Neurekrutierung in der Folge von Jahr zu Jahr an Bedeutung. Der „Schneeballeffekt“ der eigenständigen Anwerbung der Firmen begann sich auszuwirken. Mitunter ist diese simple Tatsache aus der Frühzeit der Anwerbepolitik verantwortlich dafür, dass in bestimmten Regionen Österreichs, eine deutliche Repräsentanz von Menschen aus einigen Dörfern in Jugoslawien oder der Türkei zu finden ist und diese auch heute noch die Migrationsbeziehungen bestimmen. Dies ist schlichtweg der Tatsache geschuldet, das damals bereits in Österreich ansässige Migrant*innen Freund*innen und Verwandte aus ihrem Dorf anwarben und die diesem Ruf folgten. Die Mund-zu-Mundpropaganda funktionierte auch damals schon besser, als jedes offizielle Communiqué.   

Desweiteren verzweigte sich die Informationsweitergabe und es gab schließlich nicht mehr den einen Weg über die AG, in Österreich Arbeit zu bekommen. Neben der Anwerbetechnik über die AG wählten immer öften auch viele den „Touristenweg“. Sie reisten einfach als Tourist*innen ein, meldeten sich bei einer Firma und ihre Arbeitsaufnahme wurde legalisiert. Auch der Markt der illegalen Beschäftigung stieg. So waren 1973 geschätztwerweise etwa 40.000 illegale ausländische Arbeitskräfte beschäftigt (siehe Parnreiter, S 74).


[1] Arbeitsgemeinschaft für die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte“

[2] Von April 1967 – Juli 1974 (https://de.wikipedia.org/wiki/Griechische_Milit%C3%A4rdiktatur)

Dieser Touristenpfad wurde jedoch mit dem Einbruch der Wirtschaft 1973 und im Zuge der Debatte über ein mögliches Ausländerbeschäftigungsgesetz 1974 und mittels eines Erlasses des Sozialministers 1974 unterbunden. Damit konnte man den Status nich mehr einfach wechseln und mit einem Touristenvisum, Arbeit aufnehmen (siehe  Gächter, 2008 S. 8)

Schließlich kamen über die Familienzusammenführung auch immer öfter Frauen ins Land, die salopp als „Familienanhang“ bezeichnet wurden. Darunter waren aber auch Frauen, die für den Arbeitsmarkt vorgesehen waren und aus diesem Grund kamen bzw. angeworben worden sind. Es gab eben Bedarf an bestimmte – als „frauenspezifische Arbeiten“ – titulierte Tätigkeiten in einigen Branchen (Textil, Bekleidung, Schuhe, Leder…), zumeist angelernt und/oder als Hilfsarbeiterinnenjobs eingestuft[3]. Zeitweise überstieg der Zuzug der Frauen sogar den der Männer (Siehe Gächter 2008, S. 9)

Ab 1966 stieg die Zahl der neuzuziehenden Migrant*innen kontinuierlich an. Mitunter verdoppelten sich die Zahl von Jahr zu Jahr. Dies hielt bis 1973 an, ein Höchstand mit 226.000 wurde errreicht (siehe Münz, Zuser, Kytir, 2003).

Migrant*innen wurden bemerkbar

Ab Mitte der 1970er Jahre traten in den verschiedenen Einrichtungen, wie Kindergarten, Schule, Wohnsiedlungen, Gesundheitseinrichtungen u.v.m., Migrant*innen sichtbar in Erscheinung. Das war in der Großstadt Wien und den Landeshauptstädten oder dort wo große Betriebe angesiedelt waren, in denen Migrant*innen arbeiteten, etwa in den Industrieregionen (Großraum Linz, obersteirische Industriestädte) nachvollziehbar.

Interessanterweise wurden Migrant*innen aber auch sichtbar in Gegenden – wo man sie nicht erwartet hätte; etwa in Vorarlberger Gemeinden wie Rankweil oder in der Region um Spittal/Drau. Die Antwort warum das so war, ist einfach. Überall dort, wo Betriebe produzierten, die ungelernte Arbeit in größerer Zahl brauchten, wurden „Gastarbeiter*innen“ geholt; etwa in der lederverarbeitenden Industrie oder der Schuh- und Textilproduktion.

Es ist auch eine Mär, dass dies nur Männer gewesen seien, die nach Österreich kamen. Eine qualifizierte Minderheit von zwischen 25 und 35% waren Frauen, die insbesondere in textilverarbeitenden und ähnlich gelagerten Branchen geholt wurden. Das Gros der Migrantinnen waren nachgezogene, oder -geholte Frauen der Gastarbeiter, aber eben nicht nur. Sie erwarben sich mit der Zeit eine eigenständige berufliche Biografie, die auch mit Rechten verbunden war und die sich etwa den Anspruch auf die Befreiuung von AuslbG. erwarben, Anspruch auf Arbeitslosengeld hatten u.ä. (Siehe Hamoud-Seifried, S. 74)

Die Communities wuchsen, es folgten Kinder. Aus der überwiegend aus „Menpower“ Gemeinschaft bestehende – also junge Männer, deren Muskelkraft für die harte Arbeit am Bau oder in der Stahlproduktion benötigt wurden – entstanden heterogenere Migrant*innencommunities, die im Stadtbild und den Einrichtungen sichtbar wurden. Die Kinder kamen in den Kindergarten, wurden eingeschult, Migrant*innen brauchten die Gesundheits- und Sozialeinrichtungen. Die Communities wuchsen, Vereine entstanden, anderes, eigenes kulturelles Leben der Migrant*innen wurde gepflegt.

Aus den Gästen, die geholt worden waren, die vorübergehend da sein sollten, sind ansässige Bürger*innen geworden. Wenngleich deutlich wurde, welche Auswirkungen diese gezielte Anwerbepolitik auf die soziale und demografische Struktur der Zuwanderer hatte. Es waren in der ersten Phase überwiegend schlecht ausgebildete, oft aus ländlichen Gebieten stammende junge Männer, die wenig Schulbildung aufwiesen. Viele von ihnen fanden in ihren Heimatländern, nach Abschluß der Schule keinen adäquaten Job. Das galt sowohl für die jugoslawischen Zuwanderer, die aus der – damals noch bestehenden – kommunistischen Spähre kamen, als auch für die türkischen, die aus konservativ-ländlichen, muslimisch geprägten Gegenden kamen.

Für beide galt aber generell, dass sie dem „Westen“ aufgeschlossen gegenüber standen und innovationsfreudig waren.

Communities entstanden

Aus der Migrationsforschung kann man auch festhalten, dass Neuzuwanderer sich an die bereits ansässigen Communities orientieren und dort Aufnahme, Information und Anleitung erhalten. So war es auch in diesen Anfangsjahren, so ist es auch heute noch bei Neuzugewanderten. Die türkischen Männer etwa trafen sich in ihrer Freizeit und an den Wochenenden mit den schon länger im Land befindlichen. Die ersten Vereine und Kulturzentren, später auch Cafehäuser entstanden. Man spielte Karten, trank Tee, diskutierte, ging zum Fussballspielen, erhielt aber auch Informationen, konnte sich organisieren, etwa die Heimreise oder den Transport von Gütern aus der Heimat.

In Wien war jahrelang der alte Südbahnhof ein Treffpunkt für Migrant*innen aus dem alten Jugoslawien. Sonntagnachmittag/-abends traf man sich dort, weil Neuzugewanderte ankamen, man Infos erhielt und Freunde dort traf. Später, als das Reisen bereits leichter wurde blieb der Treffpunkt für die Ankommenden dennoch.

Die Gewerkschaften und die Arbeiterkammer kümmerten sich im beschränkten Maße um die Neuankömmlinge, förderten insbesondere sogenannte Sport- und Kulturvereine, die das gesellschaftliche Leben der Neuzuwanderer in geordnete Bahnen lenken sollten. In diesen Vereinen wurde sehr häufig Brauchtum und kulturelle Traditionen gepflegt, Feste gefeiert und sportliche Aktivitäten gefördert; Fussballturniere organisiert, Mannschaften unterstützt.


[3] https://awblog.at/migrantinnen-aus-der-tuerkei-50-jahre-an-versaeumnissen/

Da der ÖFB (Österreichische Fussballbund) sehr restriktiv war und rein serbische, kroatische usw. Mannschaften nicht in den offiziellen Meisterschaften spielen ließ, gab es auch eine eigene, nicht anerkannte „Gastarbeiterliga“ – insbesondere war diese in Wien längere Zeit aktiv – in der die Mannschaften spielten, die homogen waren, also ausschließlich aus Serben usw. bestanden, oft sogar nur aus einer bestimmten Region/Gegend.

Solange Jugoslawien noch existierte,  funktionierte die Abwicklung eines Meisterschaftsbetriebes ganz ordentlich. Mit dem Auseinanderfallen Jugoslawiens wurden die Spannungen im Heimatland auch auf die Migrant*innencommunities übertragen und gemeinsame Aktivitäten waren nicht mehr möglich (siehe auch Lorber 2016, S. 130 ff).

Als immer mehr Familien und damit Kinder in Österrech lebten, waren Vereine mitunter auch dazu da, um einen sprachlichen Unterricht zu unterstützen. Da gab es sowohl Angebote die Muttersprache zu erhalten, was damals überwiegend in der Mehrheitsgesellschaft auf Unverständnis stieß. Sollten doch die „Ausländer“ Deutsch sprechen und verstehen lernen. Dass die Muttersprache elementar für das Erlernen einer Zweitsprache ist, fand damals noch keinerlei Eingang in die Vorstellungswelt. Es wurden aber auch Deutschkurse angeboten, insbesondere für die Kinder, die in der Schule sprachliche Defizite aufwiesen.

Insgesamt entstanden jedoch Communities abseits der Mehrheitsgesellschaft. Die österreichische Gesellschaft und die Verantwortlichen hatten keinen Gedanken an Integration oder Beteiligung verschwendet. Das war ja auch nicht vorgesehen. Es waren daher auch nicht nur die „fremde Kultur“, die Sitten und Gebräuche sowie deren Aussehen, die langsam aber sicher aufzufallen begann, sondern vor allem auch ihre Position als Arbeiter*innen und ihre sozial als niedrig eingestufte Position und Lage, die sie „Anders“ sein ließ und durch Medien gefördert zu Ablehnung und Aggression führte.

Das Wohnen wurde zum Thema

Mit dem Zuzug  bzw. der Gründung von Familie stellte sich auch die Wohnsituation in einem neuen Licht dar. Die jungen Männer der ersten Jahre lebten überwiegend in Baracken und Massenquartieren, die entweder von den Firmen zur Verfügung gestellt wurden, mit Schlafsälen oder Mehrbettzimmern und Gemeinschaftsduschen oder in Fremdenpensionen (Arbeiterpensionen), in denen sie sich wochen- oder monateweise einquartieren konnten.  Die Zustände waren in der Regel einfach, meist desolat und unterster Standard, auch für die damaligen Verhältnisse. Zumeist waren diese Zimmer im Verhältnis zu ihrem Komfort und ihrer Austattung auch noch dazu überteuert. Mit der Not, Wohnraum zu brauchen, ließ sich gutes Geld machen (Siehe Lorber, 2013, S. 40).

Mit der Vergrößerung der Familie musste neuer Wohnraum angeschafft werden. Ein probates Mittel dafür waren etwa in Wien die sogenannten Hausmeisterwohnungen oder Souterrainwohnungen, die erschwinglich waren. Der Trend, das immer weniger Österreicher*innen den Job als Hausmeister machen wollten, bzw. etwas später die klassische Funktion des Hausmeisters immer öfter abgeschafft wurde, spielte eine gewichtige Rolle. Viele Migrant*innenfamilien aus dieser Zeit wurden Hausmeister*innen.

Generell aber waren jene Wohnungen, die am freien Markt verfügbar waren, im Verhältnis zu ihrem Standard teuer und lagen auch an Strassen und Plätzen, die laut, schmutzig und verkehrsreich waren. Der Gemeindewohnbau stand den „Gastarbeiter*innen“ damals noch nicht offen. Die 1960 und ´70er waren eine Ära, in den zwar einerseits viel, aber auch billig gebaut wurde und daher der Lärm an stark befahrenen Strassen eine intensive Belastung darstellte. Andererseits war das Auto zu diesen Zeiten die heilige Kuh, der die Stadtplanung und -politik alles unterordnete (siehe Kaufmann, S 140 ff).

So ist also die erste Phase der Migration nach dem 2. Weltkrieg von Unsichtbarkeit und Nützlichkeitsüberlegungen geprägt. Fragen, wie etwa Aufenthaltsverfestigung, Integrationsmaßnahmen, Bildung, Schule, Kindergarten, Beteiligung und gleiche Rechte  hatten keinerlei Bedeutung. Die erst kleine Gruppe von Zugewanderten, die erst nach Jahren zu wachsen begann, fristete ein Leben abseits der öffentlichen Wahrnehmung, geprägt von den Wünschen der Wirtschaft, den Ängsten der Gewerkschaften und der Politik, die möglichst wenig Aufheben um die Gruppe und ihre Rotationspolitik haben wollte. Mit dem Ölschock, wie schon erwähnt und dem neuen Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslbG) und einem doch deutlichen Zahlenknick ist das Ende der Phase 1 markiert.

Eintritt in die Phase 2:

Gerade erst hatten Sozialpartner und die beiden Großparteien (SPÖ/ÖVP) auf politisch-rechtlicher Ebene ein Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslbG) ausverhandelt, im Parlament 1974 beschlussreif gemacht und mit 1975 in Kraft treten lassen, da tauchten in den einzelnen Politikfeldern – Soziales, Wohnen, Gesundheit, Arbeitsmarkt, Bildung – Reformnotwendigkeiten auf, denn die Gastarbeiter*innen hatten mittlerweile ihren Lebensmittelpunkt in Österreich. 

War bis dahin das Thema kaum öffentlich präsent und nur Spezialist*innen der Sozialpartner und des Arbeitsmarktes bekannt, so begann ab Mitte der 1970er auch die Wahrnehmung sich zu verändern. Türkische oder jugoslawische Kolleg*innen kannten nur jene, die mit ihnen am Arbeitsplatz zu tun bekamen. Aber nach und nach wurden die Themen auch öffentlich und die Gesellschaft begann die Gruppe wahrzunehmen. Ging es doch um soziale Verwerfungen, um Wohnungsnot, um Ausbeutung am Arbeitsplatz, um Kinder, die ohne die Sprache zu sprechen in den Kindergarten kamen und/oder eingeschult werden sollten. Fragen, mit denen sich die Gesellschaft, die Behörden und Institutionen und nicht zuletzt vor allem die Politik, aber auch die Wissenschaft bis dato nicht oder wenig beschäftigt hatten.

„Wir riefen Arbeitskräfte…“

Man kann aus der heutigen Sicht feststellen, dass das Konzept der Rotation (beständiger Austausch und/oder Abbau der Arbeitskräfte) so wie es gedacht war, gescheitert ist. Wengleich zwischen 1974 und 1984 ein erheblicher Anteil, mehr als 40% der rekrutierten Zuwanderer wieder abgebaut wurden (Fassmann, S. 103) so musste man doch feststellen, dass die Größe der Communities nicht wesentlich geringer wurde. Durch den veranlassten Anwerbestopp und den befürchteten Abbau, verlängerten viele Migrant*innen ihren Aufenthalt und holten ihre Familien nach (siehe Bauer, S. 6). Der Anteil der Frauen und der Kinder wurde anteilsmässig größer. Es zeigte sich, nur den Arbeitsmarkt und die Wirtschaftsinteressen zu betrachten, griff viel zu kurz. Wie formulierte das der schweizer Schriftsteller Max Frisch[4] so treffend: „Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen“ (1965). Menschen hatten sich in Österreich niedergelassen und hatten nicht vor, das Land gleich wieder zu verlassen.

Daher wurden die Probleme drängender. Die Öffentlichkeit – zumeist durch Boulevardmedien repräsentiert – berichteten immer nur, wenn es Aufreger gab. Für die größer werdenden Gruppen jedoch wurden die existenziellen Sorgen (Arbeit, Wohnung, Bildung, Einkommen) dringlicher. 

Auffällig ist, dass in den wissenschaftlichen, aber auch sonstigen medialen Diskursen „Gastarbeiter“ fast ausschließlich in Zusammenhang mit „Problemen“ thematisiert wurden. Stets ging es um die „Problematik der Gastarbeiter“, um „Probleme von Arbeitsmigranten“, um „Probleme der Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften“, um „Probleme der Integration“ etc. (Payer 2004, S. 3)


[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Frisch

Damit wurde eine defizitorientierte Sicht und eine Marginalisierung (Mehr-/Minderheitenpositionen/Ausschluß) in der Öffentlichkeit deutlich und verfestigt. Dies führte dazu, dass „Gastarbeiter*innen“ vorrangig als „anders“ wahrgenommen wurden. Dieses Entstehen von Fremdheit führt in weiterer Folge zu den bekannten Exklusionsmechanismen und ist eine der Grundlagen für Rassismus bzw. rassistische Handlungsweisen. (siehe Räthzel, S. 7-16). Arbeitsmigrant*innen werden damit nicht nur stigmatisiert, sie werden von der Mehrheitsgesellschaft für ihr „Ausgesondert werden“ auch noch selbst verantwortlich gemacht, weil sie „sich ja nicht eingliedern wollen“. Diese Narrativ war sehr wirkmächtig und bestimmte die Haltung vieler gegenüber den neuen Gruppen.

Othering

In der Literatur wird diese Spirale des Fremdheitsdiskurses, in der das Anderssein nicht als eine strukturelle Herausforderung gesehen, sondern als Defizit bei den Einwanderern ausgemacht wird, als „Othering“ (Spivak, 1985) bezeichnet und steht in engem Zusammenhang mit sozioökonomische Determinanten (Wohnsituation, Gesundheit, Einkommen/Armut usw.) und den dazu gehörigen medialen Diskursen darüber, insbesondere mit Armut[5].

Es wurde auch kein Gedanke daran verschwendet, das die Politik und Verwaltung auf diese neuen hier Lebenden und Arbeitenden reagieren hätte müssen. Der Tenor war klar, die müssen sich anpassen, einfügen, unterordnen. Als gleichwertige Bürger*innen mit gleichen Rechten und Chancen wurden sie nicht gesehen und waren es auch nicht. Da sorgten schon die entsprechenden Gesetze[6] dafür.


Exkurs: Schule

Besonders deutlich wurde das in den Bildungseinrichtungen, insbesondere den Schulen. Als das Phänomen verstärkt auftauchte, dass eben Migrant*innenkinder ohne Deutschkenntnisse plötzlich in einer Klasse saßen und anfangs kein Wort verstanden, kam die Schuladministration und das Ministerium auf die Idee, sogenannte Ausländerklassen einzurichten. Die Kinder wurden zusammengefasst und erhielten eigenen Deutschunterricht. Nur einen kleinen Teil des Unterrichtes konnten sie in ihrer ursprünglichen Klasse verbringen.

Ein Konzept, das trotz des katastrophalen Misserfolges, auch heute immer wieder aus dem Hut gezaubert wird und angewandt wird. Was damals noch dazu kam, dass es kaum Erfahrungen damit gab und die Lehrmaterialien und die Didaktik dazu erst erarbeitet werden mussten und durch „learning by doing“ entstanden (siehe Schulhefte 1982).

Die Folge dieser „Segregation“ war Desintegration und eine eklatante Bildungsbenachteiligung in weiterer Folge. Denn erstmal aus dem Klassenverband ausgegliedert, war eine Integration viel schwerer. Viele konnten dem Unterricht dennoch nicht folgen, auch wenn die Sprachkenntnisse besser wurden, weil er auch der starren vorgegeben Norm entsprechend unterrichtet wurde und hier Abweichungen nicht akzeptiert wurden. Die Migrant*innenkinder blieben auch unter sich, denn in ihrem Klassenverband blieben sie Außenseiter*innen.

Kinder wurden und werden noch immer als außerordentliche Schüler*innen geführt. Das Sprachdefizit, das möglicherweise bestand, wurde auch als mangelnde Intelligenz interpretiert und die Schulkarriere wurde damit häufig (vor-)bestimmt. Die Kinder wurden in die damals noch existierende Sonderschule abgeschoben. Ihr Bildungsweg endete meist mit dem Abschluß der Pflichtschulzeit.

Dazu kam, dass die Eltern, im Hinblick auf die Bildungskarriere eine entscheidende Ressource, in der Regel ausfiel, denn auch sie hatten wenig anerkannte Bildung und sie kannten sich selbst mit dem Bildungssystem in Österreich kaum aus, weil sie es selbst auch nicht durchlaufen hatten. Also die Ratschläge, Informationen, Netzwerke und Erfahrung fiel daher flach (siehe Sprung, 2006).

Natürlich spielten auch erhebliche Vorurteile in den Bildungssystemen selbst eine große Rolle. Vielen Studien und Berichten zufolge wurde bei der frühen Schulentscheidung nach der vierten Klasse Volksschule, der Rat der Lehrer*in besonders relevant und die ist auffallend oft gegen eine höhere Schule gefallen und überproportional für die Hauptschule oder gar für die Sonderschule (Siehe Erkurt, S. 15 ff). 

Dies alles führte dazu, dass ein fataler Kreislauf entstand. Die Benachteiligung im Bildungsweg wurde manifest und führte dazu, dass für viele aus dieser ersten Generation der  „Aufstieg“ nur sehr schwer erreichbar wurde bzw. gar nicht erfolgte. Die Benachteiligung wurde sozusagen vererbt. Die Generation, die früh nach Österreich gekommen war (in den 1960er – 80er) blieb auch überwiegend in ihren beruflichen Positionen hängen.

Die wenigsten, schafften einen Aufstieg in ihrem Beruf – etwa durch Fort- und Ausbildung – die  ihnen auch großteils verwehrt blieb. Auf Fortbildung wurden die inländischen Arbeitskräfte geschickt. Sie blieben ihre gesamte Arbeiterkarriere oft ungelernte Hilfskräfte. 

Es verfestigten sich damit nicht nur Klischees, das die „Ausländer dümmer und unzivilisierter seien, wie wir“, es wurde ihnen auch dafür die Verantwortung zugeschoben. Sie seien eben nicht ambitioniert, sie wollten sich nicht integrieren usw. Dass dahinter massives politischen Versagen und eine diskriminierende Alltagspraxis die Ursachen waren, wurde kaum wahrgenommen.

Vieles davon ist mittlerweile erforscht und es hat sich so einiges geändert. Dennoch ist man immer wieder erstaunt, wie leicht es der österreichischen Politik fällt, in genau diese alten Muster zurück zu fallen. Was wurde wieder reaktivert, als das Thema der Flüchtlingskinder in der Schule debattiert wurde? Richtig, die Ausländerklassen.

Faktenbefreiter kann man eine Entscheidung gar nicht treffen. Mittlerweile weiß man hinlänglich, wie eine möglichst rasche Integration von fremdspachigen Kindern erfolgen könnte, nämlich genau nicht durch Segregation sondern durch mehr Personal, durch kleinere Klassen, durch Teamteaching und gemeinsames Lernen und die Anwendung von auf neueren wissenschaftlich evidenzbasierten pädagogisch-didaktischen Konzepten und einer verschränkten Ganztagesschule. [7]

Aber das scheint wohl schon wieder zuviel verlangt zu sein.

All das was hier kursorisch beschrieben worden, betrifft die Mehrheit und ist sozusagen der Durchschnitt. Darauf sei aber besonders hingewiesen, natürlich und glücklicherweise gab es auch Abweichungen dazu und viel Gastarbeiterkinder schafften den schulischen und beruflichen Aufstieg und Ihre Leistungen stellen nicht wegen der strukturellen Umstände sondern trotz dieser einen umso bemerkenswerteren Umstand dar. In diesem strukturell-feindlichen Umfeld, einen Aufstieg zu schaffen, ist nicht hoch genug anzuerkennen.


[5] Povertyism and ´othering`: why they matter. A talk by Prof. Ruth Lister at the conference on „Challenging Povertyism“, 17. Oktober 2008, TUC Konferenz, London.

[6] Fremdengesetz, Ausländerbeschäftigungsgesetz, Aufenthaltsgesetz

[7] https://www.derstandard.at/story/1347492743956/sprachwissenschaftler-kritisiert-kurz-gegen-stigmatisierung-in-auslaenderklassen

Straßenszenen, beobachtet vom Balkon des People’s Watch Büro.