The never ending story, Part Two
Im Rahmen der mehrteiligen Serie „Die Legitimationslegende“ wird Rassismus aus mehreren – zumeist zu kurz gekommenen – Seiten beleuchtet und analysiert. Im zweiten Teil geht es um die Kontinuitäten, der Unterscheidung zwischen rassistisch und Rassismus und den Schwierigkeiten, institutionell verankerte Ungleichbehandlung nicht nur rassistisch zu interpretieren.
Rassismus als Spurenelement
Von rassistisch …
Obwohl wir uns am liebsten mit dem Begriff gar nicht mehr beschäftigen würden, zwingen uns eine Reihe von juristischen Grundlagen dazu, dies auch weiterhin zu tun. Denn „Rasse“ oder „Rassendiskriminierung“ kommt in zahlreichen Gesetzen und im Völkerrecht vor. Etwa im Artikel 8 des österreichischen Staatsvertrages:
„Österreich wird eine demokratische, auf geheime Wahlen gegründete Regierung haben und verbürgt allen Staatsbürgern ein freies, gleiches und allgemeines Wahlrecht sowie das Recht, ohne Unterschied von Rasse, Geschlecht, Sprache, Religion oder politische Meinung zu einem öffentlichen Amte gewählt zu werden.“[1]
Ähnliches finden wir in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), in der es heißt:
„Verbot der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, politischen oder sonstigen Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, Vermögen, Geburt oder sonstigem Status begründet.“[2]
Und selbst ein/e Asylwerber*in könnte sich aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) in der es heißt:
„… wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, … verfolgt wird.“[3] (GFK 1951)
auf „rassische Verfolgung“ berufen. Wir befinden uns also in einem Dilemma. Wir wissen Rassen gibt es nicht. Wir wissen die dahinterliegende Konstruktion im Rassismus basiert auf einer Pseudowissenschaft und enthält keine Plausibilität und evidenzbasiert begründete Kategorie, aber wir müssen uns in einem Rechtsstaat mit den einzelnen Formen und Begründungslogiken weiterhin beschäftigen, wenn wir etwa juristisch gegen Rassismus und Diskriminierung vorgehen wollen.
Aus der Welt der politischen Sprach-, Kommunikations-, Kognitions- und Politikwissenschaften wissen wir mittlerweile auch um die Bedeutung von „Narrativen“ oder „Erzählungen“ in der die Hegemonie über Themen hergestellt werden kann und die Durchsetzung von politischen Inhalten und Zielen unterstützt wird.
Daher ist es nicht unerheblich, dass Initiativen gegen Rassismus den verdeckten Makel in sich tragen, dass sie die geheimen-unbewussten Rahmen (Frames)[4] und Erzählungen (Narrative)[5] weitertragen und damit indirekt die Hegemonie des Rassismus festigen. Denn ich kann nicht nicht über Rassismus – und damit den Begriff Rasse – kommunizieren, welche ich implizit mittransportiere, wogegen ich bin.
Rassismus als Kontinuum
Wir denken ja unsere Menschheitsgeschichte gerne als Entwicklung, als Geschichte der Menschwerdung, losgelöst aus der Natur, aus der Unzivilisiertheit. Damit denken wir auch einen unaufhaltsamen Fortschritt des Menschen hin zur Aufklärung, zur Zivilisation. Einiges davon stimmt ja auch, insbesondere in der Forschung und der Technik.
Daher wird es nicht verwundern, wenn wir auch gerne der Erzählung nachhängen, dass Rassismus etwas Schreckliches aus unserer Geschichte ist und heute rassistische Vorkommnisse – etwa am Fußballplatz, in der Straßenbahn oder im Job – eher eine Ausnahme, Überbleibsel aus längst vergangenen Zeiten, sind. Die Redewendung: „Leider müssen wir uns noch immer mit Rassismus beschäftigen…“ wird immer wieder gerne angewandt. Damit wird insinuiert, dass Rassismus ein Überbleibsel unserer „dunklen“ Vergangenheit wäre, der halt manchmal noch vorkomme.
Die bittere Wahrheit ist hingegen, dass die einzelnen Komponenten des Rassismus, in enger Verbindung mit dem Antisemitismus, ein Kontinuum der Menschheitsgeschichte ist, das mal stärker, mal schwächer in Erscheinung tritt, aber jederzeit wieder losgetreten werden kann. Der Nationalsozialismus – eine besonders brutale und systematische, ideologische Form von Rassismus – war einer der traurigen Höhepunkte dieser Entwicklung. Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes stand Rassismus und Antisemitismus in der Weltgemeinschaft in Verruf und war in die Defensive geraten. Aber wer dachte, dass es damit endgültig vorbei sei, irrte.
Zurückblickend ist bereits die Entstehung der Idee der Demokratie, von Rassismus (und Sexismus) durchzogen. Die alte griechische Demokratie, die auch immer wieder als Referenzrahmen für die heutigen Formen von Demokratie herangezogen wird, fußte auf den Ausschluss der Frauen, der Sklaven und der Zuwanderer.
Man könnte also die Vermutung aufstellen, dass da bereits ein rassistische Baufehler eingebaut ist. Die Legitimation dieses Ausschlusses lieferte der – auch heute noch hoch geschätzte – Aristoteles, der der damaligen Demokratie in Athen skeptisch gegenüberstand, weil er dem „normalen“ Bürger (sic!) nicht zutraute, richtig zu entscheiden; eine höhere, natürliche Ordnung würde dazu befähigen[6]. Unter „Bürger“ waren nur Männer gemeint.
Um nichts besser und daher genauso blutrünstig, verfuhren die beiden großen Missionierungsreligionen, das Christentum und der Islam. Ihr Ausbreitungs- und Unterwerfungsdrang gegenüber den „unzivilisierten Heiden“ führte zu einem mehrere jahrhundertelangem Gemetzel in fast allen Teile der Welt[7] und es ist bis heute nicht zu Ende.
Dann dachte man, die Aufklärung würde eine Wende bringen. Diese Denkrichtung, die Ende des 17. Jahrhunderts in Europa entstand und die Vernunft des Menschen in den Mittelpunkt stellte, sowie die bisherigen Ordnungen (Adel) und Erklärungen (der Religion) ins Wanken brachte, startete ihren Siegeszug. Damit verbunden war der Ruf nach mehr Freiheit, Rechten und Menschenwürde. Mit dem Zitat: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ formulierte Immanuel Kant das Credo dieser Zeit.[8]
Mit der französischen Revolution gelang der verheißungsvolle Auftakt einer neuen Epoche. Jedoch wurde bald deutlich, dass dies kein Auftakt, sondern eher eine grausame Wiederholung im neuen Gewand des Bisherigen wurde. Autokratie, Despotie, Gewalt, Willkür, Konterrevolution waren die Folge.
Die Epoche des Sklavenhandels und der Kolonialisierung sind weder von der Aufklärung gestoppt, noch geringer geworden. Im Gegenteil, der technische, ökonomische Fortschritt beschleunigte vielmehr das ganze Unternehmen und begründete die wirtschaftliche Macht späterer reicher Länder und Großmächte (USA, Großbritannien, Holland, Frankreich etc.)
Und wieder muss eine bereits zuvor erwähnte „Aufklärungslegende“ und Ikone des rationalen Denkens zur Legitimation dieser beispiellosen Unterwerfung von Menschen herhalten:
„Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften. […] Die Neger von Afrika haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege.“ (Originalzitat: Immanuel Kant)[9]
[1] Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich: Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich. Juli 1955
[2] Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: Europäische Menschenrechtskonvention, Straßburg, 1950
[3] UNHCR: Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention).
[4] Siehe auch: https://fm4v3.orf.at/stories/1767688/index.html
[5] Siehe auch: https://www.falter.at/zeitung/20160525/der-kampf-um-die-mitte
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Politik_(Aristoteles)
[7] Im, auf reale Vorkommnisse und Figuren beruhenden, Roman „Die Eroberung Amerikas“ erzählt der österreichische Autor Franzobel die Selbstverständlichkeit von rassistischer Grundhaltungen, in Verbindung mit Gier.
[8] Vgl. auch: https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-junge-politik-lexikon/319867/aufklaerung/
[9] Ausführlichere Einordnung des Zitats unter: https://www.philomag.de/artikel/kant-und-der-rassismus-0
Bei aktuell geführten Diskussionen, fällt auf, dass häufig die unterschiedlichen Ebenen durcheinander rutschen. Einzelverhalten wird gesellschaftlich interpretiert, gesellschaftliches Handeln wird nicht als politisches Phänomen erkannt; individualisiert. Es scheint daher sinnvoll zu sein, eine Einordnung und Beurteilungsmöglichkeiten anzubieten, die dem Phänomen in seiner Gesamtheit gerecht wird.
- Wir finden häufig alltagsrassistische Handlungen, Sprache, Postings/Reden vor, die als Rassismus bezeichnet und gekennzeichnet werden.
Es sind jedoch Haltungen und Handlungen von Einzelpersonen, die kein System, geschweige denn eine durchgehende Strategie und stringente Ideologie, verfolgen. Ihre alltagsrassistischen Haltungen, Handlungen und Aussagen sind oft nicht mal sonderlich durchdacht und plausibel.
Sie entstehen nicht selten aus der eigenen Lebenssituation und der damit verbundenen Frustration/Ohnmacht. Sie machen jedoch sehr deutlich, wie tief rassistische Haltungen, Sprachbilder und Aussagen in der Gesellschaft verankert sind.
Der Hintergrund für solche persönlichen Haltungen ist zumeist ein Bündel an politisch-ideologischen Vorstellungen, sozioökonomischen Rahmenbedingungen und vermeintlichen „Wahrheiten“ in der Gesellschaft, die mehr oder weniger wirkmächtig sind. Wie sehr persönliche Meinungen gesellschaftlichen Prozessen unterworfen sind, erkennt man, wenn man in die nahe Vergangenheit zurückblickt.
Antisemitismus wurde – etwa in der Zwischenkriegszeit – als völlig normal angesehen. Das Bekenntnis etwa „Ich bin Antisemit“ war durchaus üblich. Die Ungleichbehandlung von Frauen war in den 1960er und 1970er Jahren in Österreich noch gesetzlich verankert. Der gesellschaftliche politisch-juristische Rahmen bestimmt die Haltung des Einzelnen mit.
Wir erkennen Rassismus relativ leicht, wenn er außerhalb der Norm erfolgt und wenn diese von einer einzelnen Person oder einer kleinen sichtbaren Gruppe (z.B. „Identitäre“ oder „Ultragruppen“) ausgeführt werden.
Durch diese Zuordnung und Sichtbarkeit lassen wir uns gerne dazu verleiten, Diskriminierung auf einer persönlichen Ebene zu verhandeln und ausgrenzende, rassistische Motive den einzelnen Personen zu unterstellen; was in den genannten Fällen bei ersterer sicher, bei zweiterer aber nicht automatisch der Fall sein muss.
Diese Handlungen sind aber definitorisch eher als rassistisch und nicht als Rassismus zu bezeichnen, weil sie Akte von Individuen sind.
- Solche alltagsrassistischen Handlungen können jedoch gezielt eingesetzt werden, von Gruppen, Personen, Parteien die sehr wohl einen Plan, eine Ideologie verfolgen.
Durch die technische Entwicklung auf der Ebene der digitalen Medien sind dabei „Shitstorms“ durch Fake-Accounts und Social-Bots ein relativ neues Phänomen geworden und mit zu bedenken. Die Postings suggerieren uns nämlich ein handelndes Individuum, eine echte Person, was sie nicht sind. Viel eher stecken dahinter Strategien und Motive von bestimmten Gruppen.
… zum Rassismus
Rassismus selbst ist jedoch ein gesellschaftliches System, das nach bestimmten Regeln abläuft und Zutaten braucht, um als Rassismus bezeichnet zu werden. Im Folgenden 7 notwendige Aspekt zur Einordnung:
- Konstruktion von „naturgegebenen, unwandelbaren Merkmalen“.
Siehe auch die Erläuterungen im Teil zu „Rasse“.
2. Klassifizierung in höher- und minderwertig
Mit dieser Konstruktion erfolgt immer eine Klassifizierung.
3. Die Merkmale werden mit Eigenschaften verbunden.
Diese Merkmale werden naturalisiert, sie sind untrennbar mit den äußeren Merkmalen verknüpft.
4. Verallgemeinerung (Stereotypisierung) und negative Zuschreibung – Konstruktion „der Anderen“ folgt auf den Fuß.
Die Schritte 1-4 werden auf die gesamte Gruppe ausgeweitet und generalisiert. Die Zuordnung kommt fast immer vor.
5. Ausgrenzungspraktiken (Institutionalisierung)
Die Rassismen werden zu einer eingeübten Praxis in der Gesellschaft, als Legitimation in der Politik und weiten sich auf alle Bereiche des Lebens aus.
6. Element der Macht (Durchsetzung der Bilder, der Ausgrenzungspraktiken…)
Eines der wichtigsten Voraussetzungen, um all die zuvor genannten Punkte gesellschaftlich wirksam werden zu lassen: Es bedarf der entsprechenden Ressourcen, und Mittel, diese Bilder und Stereotypen zu etablieren und in der Gesellschaft wirksam werden zu lassen.
7. Rassismus etabliert sich als Mittel zur Unterdrückung und institutionellen Diskriminierung (in Polizei, Justiz/Gesetzen, Medien, Bildung, Kunst und Kultur etc.)
Dies ist der letzte Schritt und legt schließlich Zeugnis ab, dass Rassismus tief in die Gesellschaft eingeschrieben ist, wenn etwa rassistische und diskriminierende Gesetzesvorlagen als legitim gesehen werden, ausgrenzendes Verhalten akzeptiert wird und gleiche Regeln zu ungleicher Behandlung führt.
Das meiste davon erfolgt abseits der Öffentlichkeit. Dort wo es sichtbar wird, steht jedoch eine breite Mehrheit der Bevölkerung dahinter, weil sie aus der Diskriminierung Vorteile/Bevorzugung ziehen.
Beispiele dafür sind etwa in der Schule, am Arbeits- und Wohnungsmarkt zu finden. Aber auch bei der Polizei. So erhalten z. B. Kinder, die erst im Kindergarten Deutsch lernen, oftmals keine Gymnasialempfehlung, obwohl die Leistung und das Potenzial dafür vorhanden wären
Er findet sich auch bei der Polizei wieder und läuft unter „Racial oder ethnic Profiling“[10] Trotz des gesetzlichen Verbotes polizeiliche Kontrollen aufgrund von physischen Merkmalen wie Hautfarbe oder der (vermuteten) ethnischen Zugehörigkeit, Religion oder nationaler Herkunft durchzuführen, kommt es immer wieder zu solchen Kontrollen durch die Polizei.
Struktureller Rassismus findet sich auch in der ungleichen Behandlung durch die Rechtslage wieder. Demnach wird die Erlangung der Staatsbürgerschaft für eingewanderte Personen besonders erschwert oder durch Gesetzesregelungen, die die doppelte Staatsbürgerschaft verbieten, werden Menschen gezielt ungleich behandelt. Dadurch werden ihnen unter anderem gewisse Menschenrechte, wie das Recht zu wählen, verwehrt.[11]
[10]Statista (2020): Umfrage zur Durchführung einer Studie zu Racial Profiling bei der deutschen Polizei. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1171177/umfrage/umfrage-zur-durchfuehrung-einer-studie-zu-racial-profiling-bei-der-deutschen-polizei/.
[11]https://www.vielfalt-mediathek.de/kurz-erklaert-struktureller-rassismus
Struktureller (institutioneller) gesellschaftlicher Rassismus
Wir erkennen Rassismus und Diskriminierung bei „Randgruppen“ relativ leicht. Insbesondere, wenn diese uns von Politik und Öffentlichkeit als das präsentiert werden, was sie sein sollen; als nicht akzeptierte Teile unseres „Normalbegriffs“. Wenn es sich um „Radikale“ handelt: Fußballhooligans, oder Ultras, Märsche von „Schwarzen Blöcken“ oder neonazistische Aufmärsche, Aktionen der Identitären etc., da sind wir uns als Gesellschaft rasch einig.
Die werden einhellig verurteilt, abgesehen von der FPÖ und deren unmittelbarem rechtsextremen Umfeld. Dafür gibt es einen breiten Konsens. Slogans wie „Kein Platz für Rassismus“ oder „Rote Karte für Rassismus“ folgen umgehend.
Dieser Konsens geht aber in der Regel nie sehr weit. Es folgert nichts daraus. Die sozialen, gesellschaftlichen Umstände und die Maßnahmen gegen Rassismus bleiben die gleichen, wie sie zuvor auch schon vorhanden waren. Antirassistische und Antidiskriminierungsarbeit wird einigen wenigen Organisationen, zumeist NGOs überlassen, die das in einem gewissen, kleinen Umfang als staatlichen Auftrag übernehmen und dafür Projektförderungen erhalten.
Struktureller (institutioneller), gesellschaftlicher Rassismus ist jedoch wesentlich schwerer zu identifizieren:
- Weil er sich innerhalb des akzeptierten „Normalen“ abspielt,
- weil es kein „schwarzer Block oder mit Hitlergruß posierende Rechtsradikale“,
- sondern angesehene, in der Mitte postierte und innerhalb der Normen auftretende Personen sind,
- weil es auf digitalen und vernetzten Plattform erfolgt und die Personen und Gruppen dahinter meist verschwinden,
- und weil es dennoch Menschen bleiben, welche die da hinter liegenden Regeln und Normen vertreten und durchsetzen.
- Jedoch hat diese – damit verursachte – eingeschränkte Sicht erhebliche Auswirkungen auf die Lösung des Problems. Denn wesentliche Aspekte der Dimensionen und Ursachen für Rassismus und Diskriminierung bleiben unbeachtet. Das sind eben strukturelle Bedingungen. Darunter versteht man im weitesten Sinne Rahmenbedingungen, unter den Menschen aufeinandertreffen; etwa in Ämtern, in der Schule, in der Arbeit.
- Strukturelle/r Rassismus und Diskriminierung bezeichnet alle Formen, die aufgrund bestimmter Normen – sprich Normalität – und Wertvorstellungen in der Gesellschaft vorhanden sind und sich durch Gesetze, oft aber auch nur durch interne Regeln, administrative Normen manifestieren.
Zum Ziele einer gerechten Auswahl lautet die Prüfungsaufgabe für sie alle gleich:
„Klettern sie auf den Baum!“[12]
Administration, Verwaltung ist oft betroffen und gefährdet, aufgrund allgemeiner, für alle gültigen Regeln Ausschlussmechanismen zu produzieren. Denn die Regel „für alle“ ist in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle auch auf eine bestimmte homogene Dominanzgruppe abgestellt. Als Beispiel sei „Deutsch als Amtssprache“ genannt, die für Behörden und Ämter, Einrichtungen der Verwaltung und Versorgung gilt und damit all jene ausschließt oder die Hürden erheblich erschwert, die nicht oder nur ungenügend Deutsch sprechen.
Hinter diesem Postulat steht eben auch ein nach wie vor bestimmendes Bild, wie die österreichische Bevölkerung zu sein hat: nämlich weiß, katholisch, ländlich und Deutsch sprechend (siehe auch Leitbildkulturdiskussion der ÖVP).
Interessant wird das Thema dann, wenn es sich um „Beziehungen“ handelt, die durch Machtassymetrien und Rollen konstituiert werden; wie etwa im Klient*innenkontakt[13] bei Ämtern, Behörden oder in der Schule. Analysiert man die dabei entstehenden Konflikte, so kommt zutage, dass sie rasch individualisiert und, sobald es sich um einen imaginierten oder vermeintlichen „Migrationshintergrund“ handelt, auch kulturalisiert[14] werden.
Vermeintlich deswegen, weil ja gerade Menschen, die unter die Kategorie BIPoC[15] fallen, rasch unterstellt wird bzw. automatisch angenommen wird, sie seien keine Österreicher*innen und nicht hier geboren (Vorurteil und Stereotyp).
Verwechslung der Ebenen
Die Herausforderung der Bekämpfung struktureller Diskriminierung und des Rassismus besteht aber auch darin, die oft naheliegende Erklärung (Konflikt zwischen zwei Personen aufgrund der Kultur, aufgrund der rassistischen Haltung oder ähnlichem) kritisch zu hinterfragen. Denn möglicherweise handelt es sich um ein strukturelleres Problem. Denn damit wären die Lösungen (die Kommunikation verbessern, interkulturelle Kompetenz der Mitarbeiter*innen steigern, Mediation, etc.), die häufig angeboten werden, ebenfalls zu hinterfragen, weil sie am Kern des Problems vorbei gehen.
In der Praxis zeigt sich, dass die Ursachen für die Diskriminierung und den rassistischen Haltungen wesentlich schwieriger zu identifizieren sind. Es kann also konstatiert werden, dass rasche, allgemein anerkannte Lösungen der Probleme, die sich „nur“ auf eine individuelle Defizitbehebung konzentrieren, diese jedoch mitunter verschleiern und nur Symptombekämpfung sind. Nach dem Motto: „Die Mitarbeiter*in müsse eben sensibilisiert werden, da sie rassistisch denkt und agiert.“
Lohnenswert wäre vielmehr sich auf eine tiefere, differenzierte Ursachenforschung zu begeben und die organisationale, strukturelle Ebene mit einzubeziehen und den Fokus auf den Konflikt, der sich zwischen zwei Personen entfacht hat, näher zu betrachten und die Rahmenbedingungen unter denen Menschen miteinander – etwa in Organisationen (Schule, Verwaltung; Arbeitsmarktservice etc.) – in Kontakt treten, mit ein zu beziehen.“[16]
Beispiele solcher Analysen ergaben, dass – durch die Ökonomisierung und Rationalisierungstendenzen von öffentlichen Diensten – die Arbeitsbedingungen von Mitarbeiter*innen verschlechtert wurden und es mitlerweile durchaus üblich ist, dass ein Zeitkontingent pro Klient*in vorgeschrieben wird, unter dem Deckmantel der Effektivität.
Ein Beispiel aus der Praxis[17]:
In vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung ist es üblich, dass ein Zeitkontingent pro Klient*in den Mitarbeiter*innen vorgeschrieben wird. Damit wird der Druck auf die, meist schon kurze, Beziehung der beiden Parteien, da Behördenvertreter*in, dort Antragsteller*in („Bittsteller*in“) beeinflusst.
Rasch werden im Alltag „schwierige Klient*innen“ ausgemacht, identifiziert. Das sind jene, die aufgrund verschiedener „Defizite“ das Zeitkontingent ausschöpfen, ja oftmals überziehen.
[12]Traxler, Hans, in: Klant, Michael: SchulSpott, Karikaturen aus 2500 Jahren Pädagogik, Fackelträger-Verlag. Hannover, 1983
[13] Der Begriff Klient*in wird hier als Generalbegriff verwendet, da in den verschiedenen Themenfeldern (Soziales, Gesundheit, Jugend, Arbeitsmarkt etc.) verschiedene Begriffe verwendet werden, wie etwa Kund*innen, Patient*innen und ähnliches
[14] Mit Kulturalisierung und Ethnisierung wird ein politischer Prozess beschrieben, der dazu führt, dass Unterschiede betont und fixiert werden und eine Problemsicht dieser Unterschiede entsteht. Die vermeintlichen kulturellen Unterschiede werden schließlich als die Hauptursache für Konflikte ausgemacht.
[15] https://en.wikipedia.org/wiki/Person_of_color
[16] Die Absätze davor sind in redigierter Fassung dem Beitrag „Strukturelle Diskriminierung als Verhinderung der Partizipation und Inklusion“ (S. 66 ff) aus dem Tagungsband „Fit für Vielfalt?“ anlässlich des 5-jährigen Bestehens von Ikemba entnommen, Graz 2012.
[17] Die Erkenntnisse, die hier referiert werden, stammen aus einem mehrjährigen Projekt des Vereins Zebra, im Rahmen des Projektes Midas (2002 -2004), das von der EU gefördert worden war. Im Rahmen einer einjährigen Projektpartnerschaft mit einer Verwaltungseinrichtung in Graz, wurden Potenziale und Hindernisse im behördlichen Umgang mit Migrant*innen erforscht.
Schwierige Klient*innen?
Das sind Menschen, die die Sprache nicht vollständig verstehen, leseschwach sind oder schlecht sehen oder hören, die aufgrund ihres Alters generell langsamer sind, die mit solchen Situationen bei einem Amt oder einer Stelle überfordert sind und daher Dokumente nicht dabei haben, die psychisch beeinträchtigt sind, die mit 3 Kindern vor den Mitarbeiter*innen stehen u.v.m.
Daraus entsteht eine Dynamik, in der die Mitarbeiter*innen unterschiedlich darauf reagieren beginnen. Manche Behördenvertreter*innen haben Geduld und helfen den „Klient*innen“, bleiben freundlich und hilfsbereit. Sie weisen aber in der Folge regelmäßig Zeitüberschreitungen auf, bzw. können weniger Klient*innen betreuen, als andere Kolleg*innen. Was entweder zu Rügen von Seiten der Leitung und/oder auch zur Kritik von Kolleg*innen führt.
Andere wiederum bleiben bei der Zeitvorgabe, sind, um die Vorgabe zu erfüllen, abweisend und rigide im Umgang mit dem Klient*innen. Sie helfen weniger, sind ungeduldig, schicken die Personen schneller weg, wenn die Zeit um ist. Dies führt allerdings, nicht wie man vermuten möchte, zu Beschwerden der Klient*innen, sondern bleiben häufig undokumentiert, also ohne Folgen.
Viele Personen aus den oben beschriebenen Gruppen, sind aus den verschiedensten Gründen nicht in der Lage sich zu beschweren, lassen die Vorgangweise vielmehr über sich ergehen, wählen Umwege. Jene Mitarbeiter*innen, die als unfreundlich (oder als Böse oder als Rassisten) wahrgenommen werden, werden gemieden, wenn es möglich ist.
Es erfolgt weitgehend unbemerkt eine „Kund*innenstromverschiebung“. Die „schwierigen Klient*innen“ gehen zu den „freundlichen Behördenvertreter*innen“. Was wiederum dazu führt, dass bei jenen noch längere Warteschlangen entstehen und sie noch weniger mit ihren Zeitkontingenten zurechtkommen.
Der nächste Schritt ist, dass auch die „Wohlwollenden“ umschalten und rigide und abwehrend werden. Viele Mitarbeiter*innen, beider Gruppen wohlgemerkt, die derartige Vorgänge in Interviews beschrieben und die sich durch Beobachtungen bestätigen ließen, sind mit ihrer Arbeit nicht zufrieden und oft frustriert. Sie wissen insgeheim, dass sie ihren Auftrag der Kund*innenbetreuung und der Manuduktionspflicht[18] nicht erfüllen können.
Viele der Mitarbeiter*innen wissen auch, dass sie unfreundlich sind, dass sie sich diskriminierend verhalten und manchmal auch rassistisch sind. Die „Unterwerfung unter und Umsetzung der Regel“ ist ihnen jedoch wichtiger, als von den Klient*innen geschätzt zu werden.
Die Bedeutung der Peer Gruppe (Arbeitskolleg*innen) einerseits und andererseits das Rollen- und Normenverhalten der Vorgesetzten darf nicht unterschätzt werden. Je nachdem, ob es eine kritische Reflexion und interne Austauschmöglichkeiten gibt und Führungskräfte tatsächlich führen und unterstützen und damit eine aktive Rolle einnehmen oder das Verhalten still oder manchmal sogar offen fördern und damit legitimieren, entwickelt sich eine respektvolle oder diskriminierende-rassistisch abwertende Arbeitsatmosphäre.
In Einrichtungen (Administration, Verwaltung, Ämter) die sich in den letzten Jahrzehnten unter der neoliberalen Offensive ökonomischen Kriterien angeeignet haben und streng nach Effizienzkriterien arbeiten, steht die Kund*innenzufriedenheit, die Qualität der Beratung/Aufklärung auch nicht auf der Prioritätenliste der Führung. Der oben beschriebene „Teufelskreis“ wird daher in vielen Organisationen kaum wahrgenommen, keine hohe Priorität zu Teil und wird daher negiert bis akzeptiert. Der Teufelskreis dreht sich damit weiter und setzt sich als allgemein anerkannte „Organisationskultur“ durch.
Klassische Formen, die damit eihner gehen, sind das Verallgemeinerungsargument, die Stereotypisierung und die Opfer-Täter Umkehr (Nicht wir sind das Problem, sondern die „…“, weil die können ja kein Deutsch oder wollen sich nicht integrieren, oder sind zu blöd, das zu verstehen etc.), was ja häufig übernommen wird und zu einer allgemeingültigen „Meinung“ und zu einem Konsens erwächst.
Den Mitarbeiter*innen in so einem System aber generell Rassismus zu unterstellen, ist als Verallgemeinerungsargument ebenso schnell zur Hand, wird jedoch der Komplexität der Beziehung nicht gerecht.
Natürlich gibt es Menschen, die tatsächlich rasch rassistische Äußerungen und Handlungen tätigen und damit zur Stelle sind und kaum andere Sichtweisen zulassen. Aber viele Mitarbeiter*innen sind vielmehr durch die Rahmenbedingungen (Strukturen) in eine Rolle hineingedrängt worden.
[18] https://de.wikipedia.org/wiki/Manuduktionspflicht
Eine umfassende Analyse dieser Beobachtungen der Abläufe in behördlichen Organisationen und die dahinterliegenden Normen und Regeln ergeben andere Bilder, als die schnell formulierten Rezepte und Schuldzuweisungen.
Es wurde im genannten Beispiel offensichtlich, dass – durch die Ökonomisierung und Rationalisierungstendenzen von öffentlichen Diensten – die Arbeitsbedingungen von Mitarbeiter*innen drastisch verschärft und verschlechtert wurden.
Im täglichen Arbeiten werden durch die Einführung von ökonomischen Parametern und Effizienzkriterien zur Leistungssteigerung die Entscheidungs- und Handlungsspielräume der Mitarbeitenden eingeschränkt, ja genommen.
Handlungsabläufe werden strukturiert und systematisiert. Derartige, nach Effizienzkriterien eingeführte Systeme, blenden wichtige Aufgaben für die Öffentlichkeit aus. Gerade diese sind es jedoch, die eigentlich entscheidend sind. Das sind etwa Kund*innenzufriedenheit, die schon erwähnte Hilfestellung im Verfahren und das Prinzip der Dienstleistung für die Allgemeinheit.
Dass hier der allgemein öffentliche Diskurs über „Ausländer“ und die rassistischen Narrative einer Regierungspartei und/oder Teilen der Opposition und zahlreicher Massenboulevardzeitungen nicht förderlich ist, sei hier nur als Randnotiz erwähnt.
Ein Thema, welches auf der Metaebene verhandelt werden müsste, wäre die Frage nach den Mittelvergaben, sowie der Planung von Vorhaben, die die Allgemeinheit benutzt. Am Beispiel der Konstruktion von Straßenbahnen kann man das Prinzip gut erklären.
Viele Jahrzehnte waren diese nicht dafür konzipiert, dass Menschen mit Rollstühlen, Kinderwägen und/oder Einkaufstaschen die Straßenbahn benutzen. Das Vorbild war ein gesunder Mann, mittleren Alters mit maximal einer Tasche in der Hand, dem es nicht schwer fällt, drei hohe Stufen zu erklimmen, um in den Innenraum zu kommen. Barrierefreiheit und auf die Bedürfnisse der Nutzer*innen abstellen, ist erst in den letzten Jahrzehnten zum Durchbruch verholfen worden.
Bei der Mittelvergabe, wer bekommt was, um was zu erreichen, ist dies jedoch nach wie vor ausstehend. Am Beispiel der Mittelvergabe für Schulen herrscht noch immer ein „Gleichheitsprinzip“ vor: Alle Schulen bekommen das Gleiche.
Obwohl man mittlerweile weiß, dass es unterschiedliche Herausforderungen an Schulen gibt und es Standorte gibt, die aufgrund des soziodemografischen Umfeldes wesentlich mehr Aufgaben zu bewältigen haben, als andere[19].
[19] Siehe auch jüngsten Vorschlag der Armutskonferenz: https://science.apa.at/power-search/11463067348217944381