Interkulturelle Öffnung und Diversity Management

Fachbeitrag für das Projekt „Spielsucht – die stille Sucht“ des Vereins Jukus.

Begriffe, wie im Titel genannt, sind seit etwa 1994, als die Diskussion um Interkulturelle Öffnung von Sozialen Diensten in Deutschland durch Stefan Gaitanides (1995) und Wolfgang Hinz Rommel (1994) gestartet wurde, im deutschsprachigen Raum eingeführt. Etwas verspätet wurde die Debatte in Österreich aufgegriffen und in bestimmten Fachzirkeln und Themenfeldern diskutiert. Ihre Herkunft ist höchst unterschiedlich, sie werden oft und schnell synonym verwendet und erfahren eine gewisse Austauschbarkeit in der Praxis.

Inhaltsverzeichnis:

1. Vorbemerkungen …………………………………………………………………… 2

1.1. Österreichische Rahmenbedingungen……………………………………………… 3

1.2. Flucht…………………………………………………………………………………………………… 3

1.3. Zuwanderungsbewegungen………………………………………………………………. 4

2. Gesundheitsförderung und Migration ……………………………………… 6

2.1. Was hat das mit Migration zun tun?………………………………………………….. 7

3. Kurzer Exkurs zu den Begriffen Integration und Inklusion ………. 10

4. Zur Geschichte von Diversity Management……………………………….. 14

4.1. 3 DiM Stränge……………………………………………………………………………………….. 18

4.2. Widersprüche und aktuelle Tendenzen……………………………………………… 20

5. Interkulturelle Öffnung …………………………………………………………….. 23

5.1. Zur Geschichte der Interkulturellen Öffnung (IKÖ)……………………………. 23

5.2. Österreich und die Steiermark……………………………………………………………… 24

5.3. Öffnung…………………………………………………………………………………………………… 26

5.4. Interkulturell………………………………………………………………………………………….. 27

5.5. Der IKÖ Approach?………………………………………………………………………………… 28

5.6. Führungskräftepotenzial………………………………………………………………………. 30

6. Zusammenfassung und Ausblick………………………………………………… 32

7. Literatur …………………………………………………………………………………… 33

1.     Vorbemerkungen

Begriffe, wie im Titel genannt, sind seit etwa 1994, als die Diskussion um Interkulturelle Öffnung von Sozialen Diensten in Deutschland durch Stefan Gaitanides (1995) und Wolfgang Hinz Rommel (1994) gestartet wurde, im deutschsprachigen Raum eingeführt. Etwas verspätet wurde die Debatte in Österreich aufgegriffen und in bestimmten Fachzirkeln und Themenfeldern diskutiert. Ihre Herkunft ist höchst unterschiedlich, sie werden oft und schnell synonym verwendet und erfahren eine gewisse Austauschbarkeit in der Praxis.

Diese und noch andere in ähnlichen Kontexten verwendeten Begriffe haben eine gewisse Konjunktur erfahren – manche bösen Zungen sprechen auch von einem „Hype“. Doch je bekannter die Begriffe werden und desto öfter die dahinter stehenden Programme und Instrumente eingesetzt werden, desto schneller passiert es, dass eine „Verflachung, Einebnung“ und damit verbunden Trivialisierung erfolgt, die zu Recht KritikerInnen auf den Plan ruft. Diese entlarven Diversity Management (DiM) als Verkaufsmodell im Beratungs-, Coaching- und Unternehmensberatungskontext oder der Erwachsenenbildung. Damit gehen – so die KritikerInnen –gesellschaftskritische Ansätze, reflexive, multifaktorale und intersektionale Herangehensweisen verloren bzw. werden aufgrund der Marktkonformität unterbunden.

Diese Kritik ist bei genauerer Durchsicht der Angebote am Markt und der Präsentationen vieler „TrainerInnen“ und Unternehmen berechtigt, sollte jedoch nicht den Blick auf die grundsätzlichen Fragestellungen, die die beiden Begriffe aufwerfen, verstellen. Trotz all der Nutzungsschwierigkeiten und manchmal auch „missbräuchlichen Verwendungen“, die die Konzepte erfahren haben, ist es sinnvoll auf die ursprünglichen Konzepte, Ideen und Strategien zu blicken und der Frage nach zu gehen, welche davon für ein Gesundheitsförderungsprojekt wie es Jukus umsetzt „Spielsucht – die stille Sucht“, adäquat und sinnvoll erscheinen. Dabei gilt es den theoretischen Unterbau und die die Grundlagen zu reflektieren, welche Chancen zu nützen sind und welche Risiken und Fallen sich auf dem Weg der Umsetzung in den Weg stellen könnten.

  1. Österreichische Rahmenbedingungen

Bevor ich mich näher mit den Begriffen  auseinandersetze, muss der gesellschaftliche Rahmen, in dem die Themen diskutiert werden, skizziert und eingegrenzt werden. Daher gilt es einen kurzen Überblick über die integrations- und migrationspolitischen Rahmenbedingungen Österreichs zu geben.

Österreich besitzt eine lange Tradition der Zu- und Abwanderung, der multikonfessionellen, -sprachlichen und –kulturellen/ethnischen Bevölkerung (bis in die K.u.K. Monarchie zurückreichend), die durch die Zerrüttung der ersten Republik und den Nationalsozialismus nachhaltig unterbrochen bzw. zerstört worden ist. Während des Zweiten Weltkriegs gab es eine erzwungene „Zuwanderung“ durch Zwangsarbeiter sowie deutschsprechende Südtiroler, davon zeugt heute noch die ein oder andere Südtirolersiedlung, etwa in Kärnten. Nach Ende des Krieges befanden sich 300.000 Kriegsvertriebene und 650.000 displaced persons auf österreichischem Bundesgebiet. Je nach Quellen blieben davon zwischen 365.000 und 530.000 In Österreich. (siehe Gächter 2001, 3) Herkömmlicherweise werden die Migrationsströme in Flucht- und in Zuwanderungsbewegungen unterschieden.

  1. Flucht

Hier werden üblicherweise Personen registriert, die das „Recht auf Asyl“ in Anspruch nehmen. Als Rechtsgrundlage für die jeweiligen nationalen Asylrechte dient einerseits die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 (EMRK), andererseits die Genfer Flüchtlingskonvention (1951, GFK). Österreich hat diese Pakte nach 1955 (1956 bzw. 1958) ratifiziert.  Ab dem Jahr 1956 waren drei große Flüchtlingsbewegungen zu registrieren, die mit der damaligen Weltlage des „Kalten Krieges“ zu tun hatten. Im Jahre 1968 wurde ein erstes innerösterreichisches Asylgesetz vom Parlament verabschiedet. Flüchtlinge aus Ungarn (1956), der Tschechoslowakei (1968) und Polen (1981/82) kamen zu uns, sahen Österreich jedoch überwiegend als Transitland bis zur endgültigen Auswanderung in die klassischen Einwanderungsgesellschaften (USA, Kanada, Australien). Während und nach dem Zusammenbruch des „Ostblocks“ gab es weitere Schwerpunktfluchtphasen, zuerst die rumänischen Flüchtlinge (1989/90), dann die Opfer der jugoslawischen Zerfallskriege (1991- 1999)[1] und schließlich sind in den letzten Jahren mehrere globale Krisenherde Ausgangspunkt von größeren Flüchtlingszuzügen nach Österreich, etwa Tschetschenien (ab 2002), Afghanistan (ab 2003) und Irak.

Zu ergänzen wäre noch, dass sich obwohl hier von AsylwerberInnen und Flüchtlinge die Rede ist – diese Flüchtlingsbewegungen teilweise in den offiziellen AsylwerberInnenstatistiken nicht widerspiegeln, da die österreichische Verfahrenspraxis immer wieder mit dem Instrument des „De-Facto-Status“[2] operierte. Dieser Status wurde erstmals schon bei den tschechoslowakischen Flüchtlingen angewandt und später auch bei den bosnischen und kosovarischen Flüchtlingen. Der De-Facto-Status sah ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht (während der Dauer der Krise bzw. der kriegerischen Auseinandersetzungen) vor, es wurde jedoch kein Asylverfahren abgewickelt und auch kein dauerhafter Flüchtlingsstatus zuerkannt.

  1. Zuwanderungsbewegungen

Die zweite Migrationsform nach Österreich steht nahezu ausschließlich mit arbeitsmarktpolitischen und wirtschaftlichen Aspekten in Verbindung. Ihr Startpunkt kann in Österreich mit dem Raab-Olah Abkommen[3] 1962 markiert werden. Dieses sozialpartnerschaftliche Abkommen legte die Bedingungen fest, unter denen „Fremdarbeiter“ nach Österreich kommen konnten. Ab dem Jahre 1964 gab es bis zum Jahre 1973 ein beständiges Steigen von jugoslawischen und türkischen (ab 1966) „Gastarbeitern“, die in der Folge und bis heute so benannt werden. Ab dem Jahre 1973 – der sogenannte „Öl Schock“ hielt Europa in Atem – fanden verschiedene Phasen des Auf und Abs von wirtschaftsbedingter Zuwanderung statt, die ab dem Jahre 1975 mit dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslbG.) eine gesetzliche Grundlage erhielt.

Durch markante globale Ereignisse veränderten sich die Position, Identität und die Rahmenbedingungen in Österreich in den letzten Jahrzehnten erheblich. Aus dem randständigen, kleinen neutralen Land, wurde ein Mitglied der Europäischen Union (1995), das im  Herzen Mitteleuropas liegt. Ab- und Zuwanderung, heterogene Bevölkerungsstrukturen wurden mittlerweile längst zum Alltag, der sich in den Städten, in der Schule, am Arbeitsplatz und auch in der Österreichischen Fußballnationalmannschaft widerspiegelt.

Trotz dieser langen Tradition haben große Teile der österreichischen Politik, Boulevardmedien, Teile der Sozialpartner, der Bevölkerung  sowie maßgebliche Institutionen Österreichs ein „Problem“ mit der Vorstellung, dass Österreich ein Einwanderungsland ist. Besieht man sich die Zahlen, so ist dieser Umstand jedoch eindeutig belegt. Mehr als 17% der Bevölkerung (1.422.000) sind MigrantInnen oder Kinder von MigrantInnen (siehe Statistik Austria 2012, 21). Zwar hat sich das Klima und das Bild von Migration über den Zeitraum der letzten 50 Jahre und auch die politischen Initiativen dazu verändert; so wurden etwa Leitbilder erarbeitet (Tirol, Oberösterreich), Chartas des Zusammenlebens (Steiermark, Wien)  beschlossen und ein Staatsekretariat für Integration installiert. Dennoch sind nach wie vor erhebliche Defizite und Leerstellen in der Migrationspolitik Österreichs und vor allem in der konkreten Umsetzung von inklusiven Strategien und integrativer Praxis zu orten.

In dieses, hier nur grob umrissene makropolitische Umfeld stießen die Begriffe Interkulturelle Öffnung und Diversity Management hinein und etablierten sich in den letzten Jahren. Da es hier um einen gesellschaftlichen Veränderungsprozess auf vielen verschiedenen Ebenen geht, muss dieser Rahmen, der für Veränderungen mühevoll und schwerfällig ist, mit bedacht werden. Sozialpartner, machtvolle Boulevardmedien, starke föderale Strukturen und schwache demokratisch Traditionen sowie ein weit verzweigtes und voneinander abhängiges Netzwerk von Institutionen und Verantwortlichkeiten prägen die verbürokratisierte Verwaltungspraxis und liefern den ungünstigen Boden für Migrationspolitik und Diversitätsstrategien. Dass Diversity Strategien und Interkulturelle Öffnungsprozesse sich etabliert haben, ist jedoch zweifellos ein Merkmal des sich verändernden Bewußtseins und der Diskursentwicklung.

  • Gesundheitsförderung und Migration

Gerade das österreichische Gesundheitssystem ist für Diversitätsstrategien ein besonders schwieriger Boden. Das österreichische Gesundheitssystem ist durch den staatlichen Einfluss noch immer ein einigermaßen egalitäres, wenngleich viele Tendenzen dafür sprechen, dass die sogenannte „Zwei Klassenmedizin“ immer mehr Realität wird; z.B. durch Privatisierungen und die Einführung von ökonomischen Kennzahlen und Effizienzkriterien. Auch ist das österreichische Gesundheitssystem eines, das mit sehr viel Geld ausgestattet ist. Dieses wird schwerpunktmäßig in den medizinischen – kurativen Bereich investiert. Innerhalb des medizinisch-kurativen Bereiches konzentrieren sich die Mittel auf Krankenhäuser, Spitäler und High-Tech Medizin. Diese Einengung entstand unter anderem durch finanzkräftige Lobbys, biomedizinische-industrielle Komplexe und Konzerne (u.a. aus dem Bereich der Pharmazeutik). Dazu kommt, dass eine Vielzahl an AkteurInnen in den Bereichen tätig sind, die dringend notwendige Lösungen zur Verbesserung des Systems nur schleppend voranbringen. Derzeit ist hauptsächlich von Kosteneinsparungen, Spitalszusammenlegungen und Effizienz die Rede. Gesundheitspolitisch müsste jedoch eigentlich eine Ziel- und in weiterer Folge Strategiediskussion geführt werden. Diese findet zwar in Fachzirkeln statt und ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch in die verschiedenen politischen Ebenen eingedrungen. Die Umsetzung und Konkretisierung dieser „großen Zielsetzungen“, wie sie etwa durch die WHO[4] mit der richtungsweisenden Ottawa Charta (1986) und mittlerweile auch durch die österreichischen Gesundheitsziele (Rendi-Wagner/Peinhaupt 2012) definiert und gefordert werden, stellen sich in der Praxis auch aufgrund der Komplexität des Themas  jedoch als schwierig und langdauernd dar.

Gesundheitspolitik muss als Querschnittsmaterie verstanden werden, da auch die Einflüsse auf die Gesundheit der Menschen vielfältig sind. Von den fundamentalen Grundlagen (gesundes Wasser, ausreichende Ernährung) über die sozialen, politischen Rahmenbedingungen (Wohnraum, Bildung, stabile demokratische Verhältnisse) bis hin zu den eher in postindustriellen Staaten aktuellen Fragestellungen des gesunden Lebensstils (Stichwort Adipositas, Herz Kreislauf Erkrankungen) – immer wird deutlich, dass nicht nur das individuelle Handeln des/der Einzelnen eine Wirkung auf die Gesundheit hat, sondern nicht minder die Rahmenbedingungen oder die sozialen Determinanten (Wilkinson, Marmot 2004). Daher sprechen „public health“ ExpertInnen auch von einer „health in all policies“ Strategie; also einer Gesundheitspolitik, die nicht nur kurativ – medizinisch eingreift und präventiv auf das Verhalten des Individuums Einfluss zu nehmen versucht (AntiraucherInnenkampagnen, Fitnessprogramme usw.), sondern auch und vor allem die politischen, ökologischen, sozialen und strukturellen Rahmenbedingungen ins Blickfeld rückt.  Daher wird auch in der Präventionsebatte die Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Verhältnisprävention vorgenommen. Beides Präventionsbegriffe, setzen sie jedoch an verschiedenen Ebenen an. Verhaltensprävention zielt darauf ab, die im persönlichen Lebensstil verankerten gesundheitlichen Risikofaktoren und Verhaltensweisen zu beeinflussen. Verhältnisprävention bezieht auch die Umgebung von Personen und ihre Lebensverhältnisse mit ein. Dahinter steht die Vorstellung, dass Menschen sich nur dann wirklich wohl fühlen können, wenn auch das Umfeld, in dem sie leben, arbeiten, lernen, wohnen und lieben gesundheitsförderlich und nicht krank machend ist. Nicht bloß um die individuelle Lebensführung geht es also in der Gesundheitsförderung, sondern auch darum, die Kontrolle über Gesundheit zu erlangen und sie zu verbessern. [5]

Die unter dem Begriff der „neoliberalen Offensive“ verstandene Entwicklung im politischen Feld, die von Deregulierung, Flexibilisierung  und generell einem Abbau des  Staates und da damit auch eines europäischen Modell des Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaates ausgeht und die jüngste als „Finanzkrise“ bezeichnete Entwicklung, haben den Druck auf die öffentlichen Systeme nicht verringert, im Gegenteil. Das Credo der Kosteneffizienz, von Einsparungen, Deregulierungen und Privatisierungen führt im öffentlichen Gesundheitswesen zu einem gezielt entwickelten Kostendruck, der einer gesundheitsfördernden Strategie und dem Ziel, das öffentlichen Gesundheitswesen im Sinne der oben genannten Gesundheitsziele zu reformieren, entgegen steht. Es bedürfte nämlich vor allem einer Umleitung der nach wie vor vorhandenen Gelder in Richtung Gesundheitsförderung, Verbesserung der präventiven Angebote aber auch dessen Öffnung für alle hier in Österreich lebenden Bevölkerungsgruppen.

  • Was hat das mit Migration zu tun?

Nun ein staatliches, möglichst egalitäres Gesundheitssystem, das Prävention sowie Gesundheitsförderung ausbaut und auch den medizinischen Bereich umbaut (hin zu einem integrierten Hausarztsystemen im Zusammenspiel mit anderen Gesundheitseinrichtungen sowie den Spitälern und niedergelassenen FachärztInnen) erlaubt und fördert Inklusion und Systemöffnung/-anpassung. Es baut strukturelle, bauliche, soziale und kulturelle Barrieren ab. Sozioökonomische und andere Determinanten und daraus resultierende Benachteiligungen würden sich dann im System nicht verschärfen, sondern werden kompensiert und ausgeglichen. Das System dient den Menschen und nicht umgekehrt, wie es vielfach empfunden wird.

MigrantInnen, Flüchtlinge und Menschen mit Migrationserfahrung zeichnen sich häufig durch zahlreiche Vorbedingungen aus, die dazu führen können, dass sie keinen Zugang zu präventiven und gesundheitsfördernden Maßnahmen finden. Die potenziell vorhandenen strukturellen Diskriminierungen führen dazu, dass vorhandene Defizite – wie etwa mangelnde Sprachkenntnisse, fehlende soziale Netzwerke, erhöhte Gesundheitsrisiken, mangelndes Wissen, geringe Bildung, schlechte Jobs u.a. – mitunter verschärft und verfestigt werden. Dies sind im Detail keine allgemeinen Regeln, die zu irgendeinem Automatismus im System führen müssen, machen jedoch deutlich, dass Barrieren aufgebaut sind und Bedingungen vorhanden sind, die schneller und leichter zu einer Benachteiligung führen können. Aus zahlreichen Studien und umfangreicher Literatur wissen wir, dass MigrantInnen nicht nur durch den Migrationsprozess und die Flucht (Gewalt, Folter) ein erhöhtes Erkrankungsrisiko haben.  Auch das System stellt Barrieren und Hindernisse (rechtliche, strukturelle, sozioökonomische, sprachliche) auf, die den Zugang verhindern.

Dieses Thema kann hier nicht näher ausgeführt werden, es sei hier auf die einschlägige Literatur und praxisnahe Diskussion von Spezialeinrichtungen (etwa ZEBRA – Interkulturelles Beratungs- und Therapiezentrum[6]) verwiesen.

Exklusion und ausschließende, diskriminierende Mechanismen, wie rechtliche Ungleichbehandlung, fehlende Information und Partizipationsmöglichkeiten, massive Diskriminierungen im Bereich von Bildung und Arbeitsmarkt sind dafür verantwortlich, dass MigrantInnen von bestehenden Angeboten der Gesundheitsförderung und Prävention nicht oder nicht ausreichend profitieren können. Diesen Prozess des Ausschlusses und der Aussonderung haben Stefan Gaitanides und Wolfgang Hinz-Rommel bereits in den 1990er in Studien erläutert und analysiert. Ähnliche Mechanismen lassen sich für Österreich ebenso konstatieren, die Ergebnisse sind vergleichbar. Die Situation hat sich trotz zahlreicher positiver Initiativen und Einzelmaßnahmen in den letzten Jahren jedoch strukturell kaum verbessert.

Diesbezüglich sind gewissen Hoffnungen in den Umsetzungsprozess der steirischen Charta zu setzen, die sich in einem wesentlichen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die öffentliche Verwaltung und Regeldienste konzentriert (siehe Land Steiermark, 2012).

Deutlich wird aber, dass die Systemfrage bei der Betrachtung von MigrantInnen und Menschen mit Migrationserfahrung im Zusammenhang mit pathologischem Spielsuchtverhalten eine besonders wichtige ist. Einerseits gilt es, spezielle Maßnahmen zu entwickeln, die die besonders gefährdeten Zielgruppen erreichen. Andererseits gilt es aber auch einen besonders sensiblen und kritischen Blick darauf zu richten, welche Dimensionen bei der Zielgruppe eine ebenso große wenn nicht größere Rolle spielen.

Es ist also im Sinne der „health in all policies“ Politik die Frage zu stellen, ob z.B. die soziale und familiäre Lage, die schlechte ökonomische Situation, die mangelnde Bildung bzw. die schlechten Chancen für die Bildungsverwertung oder die tristen Arbeitsmarktchancen nicht ein Bündel von Erklärungen dafür bieten, dass eine bestimmte Gruppe von jungen Männern (die u.a. auch aus Migrationsfamilien stammen) erhöhtes Potenzial für pathologische Spielsucht entwickeln. Im anderen Falle würde man wohl den „Migrationshintergrund“[7] eine Ausschließlichkeit zu schreiben und damit einer Ethnisierung Vorschub leisten, die politisch zweifelhaft und wissenschaftlich nicht haltbar ist.

  • Kurzer Exkurs zu den Begriffen Integration vs. Inklusion

Der Begriff der Integration kam in Österreich in den 1970er Jahren auf und wurde damals überwiegend im Zusammenhang mit der „Integration von behinderten Menschen“ in Verwendung gebracht. So entstanden etwa in Schulversuchen auch die „Integrationsklassen“. Nach und nach wurde er auch im Zusammenhang mit MigrantInnen gebraucht und erfuhr dort in den 1990er und 2000er Jahre eine inflationäre Verwendung und Ausbreitung.

Da es keine allgemein gültige Definition, was Integration ist, gibt es eine Fülle von Erklärungen und Erläuterungen. Der Begriff muss daher immer im Kontext betrachtet und beurteilt werden um dessen Gehalt zu verstehen bzw. interpretieren zu können.

Im deutschsprachigen Raum ist die Einführung des Begriffes eng mit Hartmut Esser[8] verbunden, der zwischen einer strukturellen Ebene (Bildungsstand, Berufsposition, Einkommen, soziale Mobilität), einer sozialen Ebene (Kontakte, Partnerschaften, Teilhabe an Vereinen etc.) einer kognitiven Ebene (Spracherwerb, Wissen um Normen, Regeln) und einer identifikatorischen Ebene (Zugehörigkeitsgefühl, Anerkennung) unterscheidet (siehe auch Perchinig, in Langthaler 2010, 17).

Zahlreiche AutorInnen haben sich mittlerweile mit dem Begriff auseinandergesetzt. So finden sich Definitionsversuche bzw.-annäherungen bei Fassmann (2003) und bei Perchinig in Langthaler (2010).

…je nach Interessenslage und politischer Orientierung stehen verschiedene Bedeutungen im Vordergrund.  (Perchinig in Langthaler 2010, 17 f.).

Andere AutorInnen ergänzen diese Ebenen noch mit Aspekten der psychischen Ebene (schrittweise Entwicklung der Persönlichkeit), der Kommunikationsebene (Beziehungsaufnahme, Dialog) und der Systemebene (also überall wo Integration stattfindet: Schule, Arbeitsplatz, Vereine, Heim, Universität,…) (vgl. Patty Shore 2010, 20-22).

Auf einer Seite des Integrationsbegriffs ist er auf jeden Fall zum Begriff Assimilation abzugrenzen. Der US-amerikanische Soziologe Milton M. Gordon hat den Begriff Assimilation ausführlich fomuliert und kategorisiert, demnach ist  Assimilation aus der geschichtliche Verwendung und der praktischen Interpretation des Begriffes heraus stärker mit einem Dominanzverhältnis und mit kolonialen Unterwerfungsstrategien in Verbindung gebracht. Eine Mehrheitsgesellschaft – die aus einer core society[9] – besteht, stellt die Regeln auf und versucht alles zu unternehmen, die hereindrängende Gruppe anzupassen und durch sieben verschiedene Subprozesse und alles versucht, um die hereindrängende Gruppe anzupassen und über sieben verschiedene Subprozesse:

  1. kulturelle Assimilation (cultural assimilation) – dieses Stadium bezeichnet er synonym auch als Akkulturation (acculturation)
  2. strukturelle Assimilation (structural assimilation)
  3. eheliche Assimilation (marital assimilation)
  4. identifikationale Assimilation (identificational assimilation)
  5. attitude receptional assimilation
  6. behavior receptional assimilation
  7. civic assimilation

zu assimilieren.  (Han 2005, 334 ff.)

In vielen Fällen wird man bei näherer Interpretation des Gesagten im entsprechenden Kontext feststellen, dass Integration synonym für Assimilation verwendet wird.

Auf der anderen Seite muss sich die Integrationspraxis mit drei Kritikpunkten auseinanderetzen.

  1. Die Zwei Gruppen Theorie:

Integration unterscheidet in zwei Gruppen (Einheimische – Ausländer; Behinderte – Nicht Behinderte, usw.)

 Der Begriff Integration enthalte – so die Kritik – diese  Dichotomie der Mehr- und Minderheitenposition (der Fokussierung auf eine Dimension). Der integrative Blick blende damit andere Dimensionen (Alter, Geschlecht, Soziale Schicht usw.) aus und betone die Assymetrie.

  • Assimilationstendenz:

Implizit gehe es also bei Integration doch wieder nur um eine Anpassung an das Herrschende, an das, was derzeit als Ordnung verstanden wird. Es werden die MigrantInnen (und andere „Minderheiten“) an die Bedingungen angepasst und nicht die Strukturen und Rahmenbedingungen an die Vielfalt der BürgerInnen und deren Bedürfnisse angepasst.

  • Defizitäre Integrationspraxis:

Die konkrete Umsetzung der Integration sei verflacht, halbherzig, seggregierend und ginge an den tatsächlichen großen „Problemzonen“ vorbei.

In diesem Kritikumfeld entstand der Begriff der Inklusion und kam verstärkt (wieder in pädagogischen und sonderpädagogischen Fachzirkel) Mitte der 1990er auf. Markstein dabei war die Salamaca Konferenz 1994[10] über das Thema „Special Needs Education: Access and Quality“. Sander[11] analysiert den Prozess, den der Begriff Inklusion gegangen ist und weist in dem Beitrag nach, dass bereits durch die Übersetzung aus dem englischen (inclusion) die ersten Vewirrungen entstanden sind und es bei weitem nicht so klar war, dass Integration der alte, politisch nicht mehr aktuelle Begriff sei und Inklusion der neue, auf dem letzten Stand der Debatte befindliche. Zumindest in den Originaltexten von Salamaca werden noch beide Begriffe synonym und gleichgesetzt verwendet.

Inklusion geht in Anlehnung zum Kritikpunkt 1 an Integration  von heterogenen – intersektionalen Gruppen aus, deren Situation multidimensional analysiert wird. Kritikpunkt 2 heisst in der Inklusionsdebatte, dass es zu einer Umgestaltung der Gesellschaft kommt, in der Inklusivität gelebt und praktiziert wird und Barrieren und Hindernisse abgebaut werden, in der Organisationen nach dem Wünschen und Bedürfnisse der Menschen gestaltet werden; insbesondere das Schulsystem. In Ermangelung von breiter inklusiver Praxis (vor allem im Migrantionsbereich), ist der Inklusionsbegriff – vorläufig noch – fein raus und kann sich als die optimierte oder verbesserte Variante von Integration präsentieren und verstehen.

Hinz (2004) ist dieser Frage (des Theorieunterschiedes, Anm. d. A.) nachgegangen und hat die  Konzepte prominenter Integrationstheoretiker (Feuser; Preuss-Lausitz; Reiser; Sander) auf den Prüfstand gestellt. Das Prüfergebnis stellt einem rundum entlastenden Freispruch der Integrationstheorie dar. Die theoretischen Konzepte der Integration, so das Urteil, seien immer schon und von Anbeginn an inklusiv gewesen, auf der theoretischen Ebene gebe es keinerlei Korrektur-, Ergänzungs- oder Nachholbedarf. Inklusion ist in mancher Hinsicht nicht eine Weiterentwicklung der Integration, sondern „eine wichtige Rückbesinnung“ (Schnell in Wocken 2009, 8) auf ihre Ursprünge. (Wocken 2009, 8 f.)

Wenn also das Theoriegebäude beider Begriffe keine nenenswerten Unterschiede aufweist und dennoch recht deutlich wird, dass es teilweise berechtigte – teilweise ungerechtfertige Kritik an Integrationsvorhaben und -strategien gibt, an der Inklusionstrategie derzeit jedoch kaum etwas auszusetzen ist,  dann liegt der Verdacht nahe, dass es sich eher um ein Problem der Theorie – Praxis Umsetzung handelt.

  • Zur Geschichte von Diversity Management

Diversity Management geht von der grundsätzlichen Idee aus, dass es in jeder Gesellschaft Vielfalt gibt. Homogenität wie sie vor allen in einem nationalstaatlichen Denken suggeriert wird, geht davon aus, dass dies ein Konstrukt der Politik, der sozialen Sphären ist, in denen wir leben, um nationale Identitäten – um ein „Wir Gefühl“ zu schaffen, das zur Stabilisierung von Gesellschaften beiträgt. Daraus entstanden Konstrukte der Nationalkultur (die Franzosen, die Türken), die weder in der Vergangenheit real waren; noch in der Gegenwart haltbar sind, vor allem angesichts der Internationalisierung von Politik, der Globalisierung, des vermehrten Austausches und der IT-Revolution. Mit dieser konstruierten Homogenität findet jedoch auch die Konstruktion „des Anderen – des Fremden“ statt. Diese Schaffung von nationalen Identitäten (Zugehörigkeiten), geht eng mit rassistischen Stereotypkonstruktionen einher, die das „Andere“ nicht nur benennen, sondern auch bewerten – in der Regel[12] negativ – und schließlich konsequent exkludieren.

Dieses Machtverhältnis bildet auch den Kernbegriff von Rassismus. Robert Miles (1991) spricht von einem Rassismus ohne Rassen, also die ideologische Konzeption der rassistischen Vorstellungen. Dazu braucht es weder Juden (in Form des Antisemitismus) noch Andersfarbige (Rassismus). Bei den modernen Formen von Rassismus ist das wesentliche Merkmal die Möglichkeit der Herrschaftsausübung und die Macht der Definition über den Anderen. Ich nehme nicht nur das Andere wahr, ich werte es auch und kann mit dieser Bewertung Dominanz, Unterdrückung, Exklusion herstellen und in letzter Konsequenz auch Vernichtung betreiben.

Nora Räthzel (2000) hat dies in zahlreichen Studien untersucht und den Begriff der rebellierenden Selbstunterwerfung (Räthzel 1996) als sozialpsychologische Erklärung in die Debatte eingeführt.

Als rebellierende Selbstunterwerfung bezeichnet sie ein Phänomen, bei dem Widerstand gegen soziale Ausgrenzung nicht gegen dessen Verursacher gerichtet werde, sondern in Form eines Sündenbocks gegen einen unbeteiligten Dritten in Form des Anderen, des Fremden. Diese Ersatzhandlung diene letztlich der eigenen Unterwerfung unter die Zustände, die man zu bekämpfen suche[13].

Als Individuum unterwerfe ich mich einem System, dem Staat. Es gibt dafür eine Reihe von Gründen: Die Zugehörigkeit zu einem Nationalstaat bedeutet Schutz: Schutz vor dem Abfallen ins vollständige Nichts, z.B. bei Arbeitslosigkeit, Schutz vor Kriminalität, Schutz vor grenzenloser Ausbeutung. Anders gesagt: Ausbeutung findet in geordneten und geregelten Formen statt.  (Räthzel 1996, 21).

Von Rebellion spricht Räthzel auch deswegen, da diese Unterwerfung natürlich nicht ohne Selbstaufgabe, der eigenen Wünsche und Sehnsüchte, geht. In der Ablehnung von „Ausländern“ bricht sich oft nicht nur die Angst vor ihnen Bahn sondern auch der geheime Wunsch, nach einem anderen Leben, wenn etwa „Ausländer“ Dinge tun, die man bei uns nicht tut (Grillen im Park, sitzen auf der Wiese).

Damit ist auch die radikal einfache Idee von Diversity Management (DiM) umrissen. Das Anerkennen von Vielfalt stellt jedes homogene, streng normierte Gesellschaftskonzept in Frage. Mit dieser Vielfaltsidee wird deutlich, dass jeder Mensch nicht nur „einer Kategorie“ zugehörig ist sondern viele verschiedene Identitäten besitzt. Diese Erkenntnis führt uns zu dem sperrigen Begriff der Intersektionalität (vgl. Crenshaw 1995) und dem sogenannten Diversitäts-Rad. (nach Gardenswartz und Rowe, 1995, erweitert und adaptiert von Engel, Abdul Hussain, in Abdul Hussain, Baig 2009, 31)

Mit diesem Rad ist gekennzeichnet, dass in vier Ebenen verschiedenste identitätsstiftende und -prägende Kategorien eine Person bestimmen können.

  • Die persönlichen Ebene
  • die innere Dimension (Alter, Geschlecht, Hautfarbe…)
  • die äußere Dimension (Soziale Schicht, Einkommen, Sprache/Dialekt…)
  • die organisationale Ebene (Netzwerke, Zugehörigkeit zu einer Organisation/Partei, Funktion, Rolle…)

Noch detaillierter und differenzierter geht insbesondere der Artikel 21 der EU-Grundrechtecharta, die seit Ende 2009 auch in Österreich Gültigkeit besitzt mit dem Thema um:

 „Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten.“[14]

Dabei fällt auf, dass das Diversity Rad eine Erweiterung erfährt und der Artikel 21 auch von politischen und weltanschaulichen Anschauungen, von Vermögen oder aufgrund der Geburt spricht und hier nicht Unterschiede aufzählt, sondern Diskriminierungsfaktoren benennt und damit den strukturell-politischen Bezug herstellt und den Managementaspekt, der ja bereits im Begriff Diversity Management enthalten ist, in den Hintergrund treten lässt.

Die Intersektionalität entstammt vor allem der Theoriebildung in der Frauenbewegung, die sich mit den Mehrfachursachen von Diskriminierung und Unterdrückung beschäftigte. Im Kern lehnt die Intersektionalität monokausale Erklärungen ab und bezieht verschiedene Dimensionen in die Analyse ein. Daraus ergeben sich auch multidimensionale Arbeitsansätze und Veränderungsstrategien.

Eine wesentliche Frage bleibt bei DiM jedoch offen und muss in der inhaltlichen Auseinandersetzung und Adaptierung des Diversity Ansatzes erst für europäische Spielarten erarbeitet werden, inwieweit nämlich der Staat – wie ihn Räthzel auch als Schutzmacht beschreibt – als Referenzrahmen für Diversity Management dienen kann. Die US-amerikanische Identität und Tradition trägt eine tiefe Skepsis gegenüber staatlichen Einrichtungen in sich und damit ist ein Ziel, den Staat möglichst schwach zu sehen, um größtmögliche Freiheit und Verwirklichungsmöglichkeiten für das Individuum zu erzielen, durchaus prominent verankert und weit verbreitet. Diese Vorstellung ist für progressive, linke und christlich-konservative Kräfte in Europa jedoch nicht das Staatskonzept, das mit dem Wohlfahrtsstaat in Verbindung gebracht werden kann und daher auch mit Skepsis betrachtet wird. Die klassischen DiM Wurzeln und Traditionen lassen darauf schließen, dass im DiM Konzept im Laufe der Zeit die sozialstaatliche Hinwendung verloren gegangen ist. Bei der Umsetzung von „affirmative actions“ etwa – die wesentlich von der Bürgerrechtsbewegung gefordert und getragen wurde – sind diese dirigistischen, staatlich verordneten Ansätze durchaus noch vorhanden.

Viel eher ginge es bei einer „europäischen Variante“ von Diversity Management darum, das Verhältnis zu einem europäischen sozialen Wohlfahrtsstaat zu definieren und darin die DiM-Strategien zu integrieren bzw. diese zu adaptieren.

Diese hier angesprochene Vielfalt ist keinem simplen „Alles ist so schön bunt und verschieden“ geschuldet, sondern besitzt eine gesellschaftliche – politische Dimension. Sowohl AnwenderInnen als auch KritikerInnen des Konzeptes vergessen gerne auf diese gesellschaftliche und politische Position und unterstellen dem DiM-Konzept eine individualistische, manchmal naive bzw. eine rein wirtschaftlich begründete Nützlichkeitsüberlegung. Diese Strömung ist zweifelsohne präsent und erfolgreich, jedoch nicht alles, was DiM ausmacht.

Um zu sehen, dass es hierbei nicht einfach nur um verschiedene Konzepte eines Ansatzes/einer Denkrichtung geht, muss man näher auf die Geschichte von DiM zurück blicken und da gibt es wesentliche und richtungsweisende Wurzeln. Entstanden ist DiM in der US-amerikanischen „schwarzen“ Bürgerrechtsbewegung. Dabei ging es nicht nur um die Anerkennung der afroamerikanischen Bevölkerung sondern vor allem um Rechte und Antidiskriminierung. In der Bürgerrechtsbewegung wurde das Bewusstsein geschaffen, dass es hier nicht um einen simplen genetischen Rassismus geht (also aufgrund einer biologistischen Determiniertheit), sondern dass es sich um Macht- und Dominanzverhältnisse, um Ausschluss, Verweigerung von Rechten und pure Diskriminierung handelt, die in der US-amerikanischen politischen Kultur tief verwurzelt waren und sind. Bald stellte sich aber nicht nur die Frage nach Rassismus sondern es folgten andere Sektionen, wie das Infragestellen des Patriachats und der ökonomischen Verhältnisse. Mary Mac Leod Bethune[15] thematisierte als eine der ersten die – damals noch nicht so benannte Intersektionalität – und fokussierte auf die Mehrfachdiskriminierung[16].

4.1. 3 DiM Stränge

Wir finden in der DiM Entwicklung im Wesentlichen drei Stränge (Ansätze und Politiken) vor.

  1. Fairness & Antidiscrimination
  2. Access & Legitimacy
  3. Learning & Effectivness

Diese drei Stränge sind stark an die USA Traduitionen angebunden und historisch aufeinander aufbauend.

Der erste Strang – wie schon erwähnt – entstammt der US-Bürgerrechtsbewegung und hatte zum Ziel, so rasch als möglich Verhaltensänderungen und Normen zu entwickeln, um Diskriminierung zu bekämpfen. In dieser Phase entstanden die Affirmative Actions, Quotensysteme, Verhaltencodices sowie Leitbilder. Die Sicht, wie Veränderung erfolgen soll und erfolgreich sein kann, war strukturell „politisch“ (ja auch staatlich). Strukturelle Diskriminierung wurde in den Fokus genommen.

Der zweite Strang – der Access & Legitimacy Ansatz – folgte in den 1980er, etwa durch den Workforce Bericht 2000[17]. DiM wurde als Marktstrategie (market based view) entdeckt. Die Ziele der ersten Generation erweiterten sich um Gewinnmaximierung und Marktanteilsgewinne. Dabei erlangte die Kundenorientierung eine wichtige Funktion. Einerseits ist die Kundenorientierung ein wichtiger Ansatzpunkt, um Bedürfnisse von Menschen wahrzunehmen (etwa in Verwaltung, Gesundheitsdiensten u.a.) andererseits birgt sie die Gefahr in sich, KundInnen als Nützlichkeitsobjekte zu sehen, um sie besser anzusprechen, um damit „Märkte zu erobern“. US-Unternehmen und Konzerne entdeckten DiM als Instrument der Imagepolitur, um PR Kampagnen zu betreiben und sich heterogen (multikulturell) zu geben. In Verbindung mit den Codices und Leitbildern, wurden damit gezielt in der Öffentlichkeit Werbung gemacht. Aber im Laufe der Zeit reichten diese „Oberflächlichkeiten“ oft nicht aus und die Unternehmen mussten auch weitergehende, strukturelle Veränderungsmaßnahmen setzen.

Diese erfolgreiche Strategie führte auch dazu, dass DiM immer öfter auch in europäischen Organisationen zur Anwendung kam. In vielen multinationalen Unternehmen ist es mittlerweile selbstverständlich, dass es eine DiM Strategie, DiM Beauftragte gibt und DiM Prozesse gestartet werden. Inwieweit diese jedoch nachhaltig und strukturell verändernd angelegt werden und sind, also demokratisierend und antidiskriminierend wirken, muss jeweils von Fall zu Fall geprüft werden. Skepsis ist jedoch angebracht.

Die dritte Stufe „Learning & Effectivness“ entstand Anfang der 2000er Jahre, wieder überwiegend im anglosächsischen Raum (USA und GB). Sie reagiert auf die zunehmende Kritik an der Stufe zwei von DiM, verbindet mehrere Ansätze und möchte auch bewusst die beiden vorhergehenden Stränge ergänzen und weiter entwickeln (siehe auch Engel 2007). Ziel ist es dabei, sowohl Dominanzkulturen abzubauen und Antidiskriminierung organisational zu betreiben, jedoch MitarbeiterInnen-Vielfalt auch als wirtschaftliche Ressource für Organisationen und Unternehmen zu nutzen und den Aspekt der Nützlichkeit als einen Teil der Strategie einzusetzen (etwa in der oben erwähnten positiven Nutzung von Kundenorientierung). Auch bei der Methodenwahl fächert sich die Stufe drei auf und wird umfassender. Nicht nur, dass die Gesamtorganisation (als lernende Organisation) ins Blickfeld rückt, es wird auch darauf Bedacht genommen, DiM Prozesse nachhaltig zu gestalten und in Organisationsentwicklungsprozesse (Veränderungsprozesse, Qualitätsmanagementprozesse udgl.) einzubetten.

Das Problem der Stufe 3 ist vor allem jenes, dass die Bearbeitung und die Inklusion möglichst aller Dimensionen in der Praxis rasch zu einer sehr komplexen und umfangreichen Materie wird, in der Ressourcen und Engagement vorausgesetzt werden müssen, um Erfolge zu erzielen. Die Stufe 2 tut sich – und das macht wohl auch ihren Erfolg aus – leichter, da das Thema und das Ziel eingeschränkt ist, der Auftrag bewusst marktkonform und damit Widersprüche, Ambivalenzen außen vorgelassen werden und man auf raschen „Gewinn“ aus ist (Image, Markterschließung…).

4.2. Widersprüche und aktuelle Tendenzen

Wie zuvor schon erwähnt, sind zahlreiche Widersprüche zu umschiffen. Bei all der Kritik an manchen konkreten und praktischen DiM Prozessen, muss die Frage gestellt werden, ob der grundsätzliche theoretische Ansatz, wie zuvor beschrieben, dem Ziel der Demokratisierung dient und dazu führt, dass Dominanzverhältnisse, Diskriminierungsstrukturen und gesellschaftliche Barrieren abgebaut werden können. Wenn dies nicht der Fall ist, dann würde es auch notwendig sein, DiM kritisch zu hinterfragen bzw. abzulehnen. Meiner Ansicht nach und die vieler KritikerInnen (siehe u.a. Sprung 2011) ist die theoretische Grundlage von DiM nicht abzulehnen, sondern die Kritik muss an der praktischen Umsetzung von DIM Maßnahmen ansetzen und sich an jene richten; die „Schnellsiedekurse in Diversity Management“ anbieten, die DiM als kritiklose, system- und marktangepasste  „Bildungs“- und Sensibilisierungsaktivität desavouiert haben, die fragwürdige Kulturtrainings und interkulturelles Management unter einer „Dachmarke“  verkaufen und die ohne größere organisationspolitische und Antidiskriminierungsansprüche an die Praxis herangehen.

Da diesbezüglich der „Beratungs- und Bildungsmarkt“ in Österreich weiter expandiert, ist davon auszugehen, dass die DiM Strategien sich weiter verflachen und nicht dazu beitragen werden, einer barrierefreieren Gesellschaft näher zu kommen. Diese Kritik an den praktischen Erscheinungsformen sollte jedoch nicht davon abhalten an den DiM Strategien und Leitsätzen festzuhalten und adäquate DiM – Prozesse durchzuführen.

Ein anderes Problem ergibt sich in der praktischen Umsetzung aus der Komplexität des Themas. In Wirklichkeit kann nahezu niemand, der sich mit dem Thema näher beschäftigt, alle Dimension ständig im Blickfeld behalten. Daher zerfällt die „Diversity Community“ vorerst einmal in Subgruppen, die sich jeweils aufgrund einer spezifischen Spezialisierung heraus, dem Thema nähern; also etwa aus dem Blickwinkeln von Gender, oder aus der Expertise der Sonder- und Behindertenpädagogik oder schließlich aus der „Ecke der Migrations-Integrationspolitik“. Die Komplexität der intersektionellen und multidimensionalen Sichtweise wird in der Praxis durch eine oft eingeschränkte Zielgruppen- bzw. Dimensionsproblemsicht (Benachteiligung von jugendlichen Migranten) eingeschränkt. Gleichzeitig ist in einem prozesshaftem organisationspolitischen, aber auch individuellen Sensibilisierungsverlauf, die Fokusierung und das Aufmerksammachen und Sichtbarmachen von Problemlagen, von Barrieren, Diskriminierungspotenzialen ein wichtiges und unverzichtbares Zwischenstadium in der Entwicklung einer barrierefreien und diskriminierungsarmen Gesellschaft. Diese Dichotomie lässt sich nicht nur nicht vermeiden, sondern ist notwendige Voraussetzung eines DiM Prozesses.

Die vorerst einmal eingenommen problemorientiere Defizitsicht und der Blick auf gesellschaftliche Missstände führt zur Sensibilisierung und besonderen Aufmerksamkeit, zu einer politischen Auseinandersetzung über Mehrheit und Minderheit, über Zugehörigkeit und Rechten einer Minderheit. Zumeist ist sie der Ausgangspunkt und der gesellschaftspolitische Anstoß für Auseinandersetzung und Konfrontation und in der Lage, darauf aufmerksam zu machen, dass Menschen mit „bestimmten Merkmalen“ ausgeschlossen werden und ihre Lage in der Gesellschaft prekär ist und dass dies in einer demokratischen Gesellschaft inakzeptabel ist.

Da DiM Veränderungsprozesse im günstigsten Fall länger dauern, finden wir in Organisationsentwicklungs- und Veränderungs-, manchmal auch in Qualitätsmanagement-prozessen verschiedene Zyklen vor, die von den AkteurInnen durchlaufen werden. Daher ist ein Pendeln zwischen Öffnung und Perspektivenentwicklung, Konzentration auf Problemsichten und Analysen des Status Quo durchaus üblich und erforderlich, um den Prozess erfolgreich zu gestalten.

Als letzter Punkt sei noch zu erwähnen, dass DiM aber auch die folgende Spezifizierung der Interkulturellen Öffnung kein Randthema einer Organisation betrifft, sondern zentrale Werte, Haltungen und Konzepte einer Organisation in den Fokus nimmt und damit auch auf Strukturen, operative Ebenen und MitarbeiterInnen einwirkt. DiM ist keine „ausschließliche Strategie“ um etwa eine „vermeintliche Minderheit“ – etwa durch Quoten, durch gezielte Förderung und Repräsentation in bestimmten Positionen und Funktionen von Organisationen zu fördern[18]. Denn das Problem stellt sich oft in der Praxis, dass zwar gezielte Förderung gelingt, jedoch die Strukturen, Barrieren und Hindernisse und damit diskriminierende Praxen in den Organisationen unangetastet bleiben.

Und DiM ist auch kein alleiniges Bildungsprogramm für MitarbeiterInnen, die oft als das Zielpublikum für DiM Maßnahmen auserkoren werden, wenn es etwa um die Probleme mit Diversity im KundInnenkontakt geht. Im Einzelfall mag es durchaus sinnvoll erscheinen, Diversity Trainings für MitarbeiterInnen abzuhalten. In vielen Fällen wird damit jedoch ein impliziter Sündenbock für „schlechtes Verhalten“ präsentiert und „die diskriminierenden MitarbeiterInnen müssten dann eben sensibilisiert und geschult werden“. Solcherart gestaltete „Analysen“ blenden strukturelle Komponenten und politisch-organisationale Strukturbedingungen aus und fokussieren auf einseitige Aspekte. Um zu einer barrierefreien Organisation zu gelangen, bedarf es der umfassenden Analyse der inneren und äußerten Bedingungen, unter denen Menschen arbeiten.

Leider muss auch konstatiert werden, dass sich vielfach Führungskräfte der Verantwortung, die sie für eine barrierefreie und diskriminierungsarme Organisation besitzen, entziehen und lieber ein Weiterbildungsseminar „Richtiges Umgehen mit…“ für MitarbeiterInnen bewilligen als sich mit den tatsächlichen strukturellen Ursachen zu befassen.

  • Interkulturelle Öffnung?

Bevor wir genau klären, was Interkulturelle Öffnung (IKÖ) tatsächlich meint und was darunter zu verstehen ist, sind hier einige Vorbemerkungen zu tätigen. Wie schon zuvor im Kapitel Diversity Management erwähnt, sind die Dimensionen so vielfältig, dass für bestimmte gesellschaftspolitische Problemlagen spezifische Programme und Konzepte notwendig erscheinen.

Das Entstehen einer Migrationsgesellschaft und einer heterogenen, multilinguistischen, -ethnischen, -religiösen und schließlich -kulturellen Gesellschaft ist ein Spezialfeld innerhalb der breiten DiM Sicht, dass es notwendig ist, die speziellen migrationsspezifischen Aspekte in eigenen „Formaten und Prozessen“ zu behandeln.

Dieser spezielle Fokus schließt die anderen Aspekte von DiM nicht aus und das Migrationsthema ist gleichzeitig ein wichtiger Aspekt für jeden DiM Prozess, kann jedoch nicht in dieser Ausführlichkeit bearbeitet werden, wie dies in einem Interkulturellen Öffnungsprozess erfolgen kann. Ebenso ist die Intersektionalität und Multidimensionalität ein besonders hervorzuhebender Blickwinkel, passiert doch gerade im Migrationsfeld oft eine rasche und allzu einfache Einschränkung auf den Migrationshintergrund und eine manchmal sehr diffus dahinter stehende „Kultur“, die im Diskurs über Migration oftmals eine viel zu große Bedeutung erhält.

Beide Prozesse haben den Fokus darauf eine Organisation zu schaffen, die für möglichst alle Gruppen (und damit Dimensionen) weitestgehend offen und frei gestaltet ist, so dass weder bauliche, strukturelle noch organisational politische, noch inhaltlich-rechtliche Barrieren vorzufinden sind. Die IKÖ geht jedoch vor allem und insbesondere unter dem Blickwinkel der Migrationsgesellschaft an diese Aufgabe heran.

5.1. Zur Geschichte der Interkulturellen Öffnung

Der Begriff der IKÖ ist mittlerweile sowohl in theoretischen als auch praktischen Fachkreisen eingeführt und wird seit Mitte der 1990er, aus Deutschland kommend, verwendet. In Österreich hat er sich erst etwa gegen Ende 1990 Anfang der 2000er Jahre etabliert.

Wolfgang Hinz Rommel (1995) und Stefan Gaitanides (1995) haben den Begriff  im Zusammenhang mit der mangelnden Bereitschaft von öffentlichen Einrichtungen (im speziellen Falle der deutschen Jugendwohlfahrt) entwickelt, die nicht imstande waren, auf die neue(n) Zielgruppen(n) von Jugendlichen mit Migrationserfahrung einzugehen. Sie konstatierten eine konsequente Exklusion. Folglich kommen statistisch MigrantInnen überproportional in „Sonder- und Notdiensten“ (Frauenhäuser, Notschlafstellen, Jugendheime, Notfallambulanzen usw.) vor. Mit der, oft nur notdürftigen, strukturellen und finanziellen Versorgung von MigrantInnen, wurden und werden (nichtstaatliche) Hilfsorganisationen und NGOs betraut.

Die Probleme der KlientInnen wurden damit „privatisiert“ und „ausgelagert“. Aus dieser Analyse ergaben sich die Forderungen nach einer „Öffnung“, nach der Entwicklung eines Problembewusstseins innerhalb der Organisationen und der verantwortlichen Politik, sich der Themen anzunehmen. Eine Folge dieser Haltung war ja auch, dass die Institution die Probleme gar nicht sehen konnten, da im Inneren die Problemlagen von MigrantInnen nicht auftauchten und sich „draußen vor der Tür“ abspielten, bei den Hilfseinrichtungen und NGOs. Die Politik konnte wiederum behaupten, sie stelle ja die Mittel zur Verfügung, um „den Ausländern zu helfen“.

Dieser wichtige Anstoß der Debatte führte in Deutschland zu einer Reihe von Aktivitäten, mit der Folge, dass öffentliche Verwaltung und Einrichtungen sich mit dem Thema zu beschäftigen begannen. Man kann jedoch weder in Deutschland noch in Österreich wirklich sagen, dass IKÖ Prozesse nachhaltig verankert wurde. Vielmehr erscheint es auch hier so zu sein, dass ein wildes Sammelsurium von Ansätzen und Projekten gestartet wurden, die teilweise im Laufen sind, teilweise jedoch in  Einzelmaßnahmen verhaftet blieben, teilweise zu Alibi Aktionen „verkamen“. 

5.2. Österreich und die Steiermark?

Ein Ausdruck dieser IKÖ Strategien sind jedenfalls vermehrt Leitbildprozesse, die auf kommunaler (Dornbirn 2002 fertiggestellt) und Landesebene (Tirol, Oberösterreich) durchgeführt worden sind bzw. Chartas des Zusammenlebens und Vielfalt in der Steiermark und in Wien beschlossen wurden. Diese Chartas sind durchaus ähnlich den Leitbildern, als Grundsatzbeschlüsse und –positionen zur Zuwanderung, zur Integration und zur Diversität gedacht. Auch anhand der Umwandlung der Wiener Zuständigkeiten für den Migrationsbereich lässt sich der Veränderungsprozess nachzeichnen. In den 1990er wurde der Wiener Integrationsfonds gegründet, der mittlerweile in die Magistratsabteilung 17 Integration und Diversität umgewandelt wurde.

In der Steiermark wurde das Thema lange Zeit völlig vernachlässigt. Erstmals erhielt das Land eine gesetzliche Zuständigkeit mit der Einführung des Landesgleichbehandlungsgesetzes[19] und dem steiermärkischen Grundversorgungsgetzes 2005, in jetziger geltender Fassung (STGVG 2007) Kompetenzen; im zweiteren Falle eingeschränkt auf den Bereich der „AsylwerberInnenunterbringung“. Das Flüchtlingsreferat[20], das für die Unterbringung und Versorgung  von Asylwerberinnen verantwortlich ist, wurde im Ressort Soziales untergebracht. Integrations-, Zuwanderungs- und Migrationsfragen wurden in Ermangelung einer kompetenten Ansprechperson nicht selten ebenfalls im Sozialressort mit behandelt und von den Beamten des Flüchtlingsressorts mitbearbeitet.

2002 gab der damalige Landesrat für Soziales Kurt Flecker (SPÖ) eine Studie in Auftrag, die sich unter dem Titel „Integration von MigrantInnen in der Steiermark. Interkulturelle Öffnung – Weiterbildung – Selbstorganisation“ (Siehe Schröttner, Sprung 2003) erstmals mit dem Thema Migrationsgesellschaft und MigrantInnen beschäftigte und u.a. auch eine Status Quo Analyse beinhaltete. Ein Kapitel davon widmete sich dem Thema: „Interkulturelle Öffnung des Sozialwesens“.

In weiterer Folge entstand eine Integrationsplattform (2008)[21], die die Vorarbeiten zur Erarbeitung eines „Leitbildes“ leistete. Zwar wurde dieses Leitbild in der Form wie von der Integrationsplattform vorgelegt nicht beschlossen, jedoch wurde unter LRin Bettina Vollath[22], die die Agenda Integration aus dem Sozialressort von Flecker übernommen hatte und seit November 2010 führt, aus den umfangreichen Unterlagen, Vorschlägen und Handlungsanleitungen eine „Charta des Zusammenlebens in Vielfalt in der Steiermark“ auf der Ebene der Landesregierung erarbeitet. Diese wurde im Landtag am 21. Juni 2011 beschlossen. 

An diesem kurzen Abriss zeigt sich, dass sich die Beschäftigung mit dem Thema über Jahrzehnte hinweg entwickelte . Eine ausführliche Kritik und Würdigung der Charta muss an dieser Stelle entfallen, da diese den Rahmen des Beitrags bei weitem sprengen würde. Sie stellt jedoch erstmals eine Grundsatzposition dar, die eine Zieldefinition zum Thema Migration und politische Bekenntnisse beinhaltet, die in Zukunft strategisch, rechtlich und politisch von Bedeutung werden könnten, wie das Bekenntnis zu einer vielfältigen Steiermark, zu einer gesellschaftlichen Barrierefreiheit, zu Teilhabechancen und zu einer konsequenten Antidiskriminierungspolitik.

1.8. Diskriminierung wird in all ihrer schädlichen Wirkung als solche erkannt, benannt und rigoros abgestellt. (Charta der Vielfalt, Seite 10, 2011)

Nun, wie häufig der Fall werden Begriffe im Laufe der Zeit und durch die Praxis auch einer Kritik unterworfen, so auch der Begriff IKÖ. Er ist aber, trotz so mancher Vorbehalte und praktischer, wie theoretischer Unschärfen, verwendbar und – zumindest in Fachkreisen – eingeführt und etabliert Begriff.

5.3. Öffnung:

Der Begriff Öffnung vermittelt ja geradezu ein Bild der geschlossenen Türen und in diesem Sinne ist diese Öffnung tatsächlich ein gesellschaftlicher Auftrag. Alles andere würde sich mit Integrations-/Inklusionsbestrebungen nicht vertragen. Mit Öffnung ist die Vorstellung einer inklusiven Gesellschaft verbunden, die diskriminierungsarm, barrierefrei und rassismussensibel – in Anlehnung an Sprung (2011, 316) – ist, sich zumindest eindeutig in diese Richtung bewegt.

Ein Nachdenken über Öffnung führt aber auch zu weiteren Konnotationen (…) Öffnung setzt Geschlossenheit voraus. Geschlossenheit geht auf bewusste oder unbewusste Ausgrenzungsmechanismen zurück.

(Handschuck, Schröer 2012, 44)

Öffnung bedeutet aber auch, dass es nicht alleine reicht, Bekenntnisse abzugeben, Chartas zu beschließen und politische Prozesse einzuleiten. Öffnung heißt auch, ganz konkret vor Ort (in den Institutionen, an den Regeln, bei den Strukturen) einwirken zu beginnen und Veränderungsprozesse zu starten, die diese Öffnung ermöglichen. Eine wohl berechtigte Kritik an dem Begriff ist, dass er so neutral und „unbedarft“ daher kommt und die handfesten Dominanzverhältnisse, Machtkonflikte sowie realen gesellschaftlichen Verhältnisse auf ein Sinnbild reduziert, das so interpretiert werden könnte, als bräuchte man „nur eine Tür zu öffnen und dann sei man drinnen“.

Dieser Vorwurf ist nicht ganz von der Hand zu weisen, denn in der Praxis reicht es natürlich nicht, eine Tür zu öffnen, sondern es bedarf einer langfristigen Strategie und konkreter Auseinandersetzungen, um Veränderungen vor Ort und auf allen Ebenen zu erzielen.

Im Begriff Öffnung steckt ein struktureller Aspekt, der die Veränderung von politischen, organisationalen Rahmenbedingungen zumindest denkmöglich macht und „das Bestehende“ nicht als absolut versteht. Die Antworten auf die Herausforderungen einer zunehmend heterogenen Gesellschaft kann nicht die individuelle Kompetenzsteigerung sein, wenn diskriminierende, homogenisierende/assimilierende und rassistische Strukturen in der Gesellschaft Inklusion verhindern. Daher gilt es konsequenterweise den Fokus auf Strukturöffnungsmaßnahmen zu legen.

5.4. Interkulturell

An dem Adjektiv „Interkulturell“ entzünden sich noch weit mehr Diskussionen und lässt sich Kritik festmachen. Die Hauptkritik vieler AutorInnen ist, dass sie darin eine Kulturalisierung und Ethnisierung der Migrationsdebatte sehen und dahinter einen verkappten Rassismus, der den „Pfui Begriff“ durch „Kultur“ ersetzt hat. Das Rassismus in Verbindung mit Migration von den herrschenden Eliten nicht gerne gesehen werden, zeigt sich etwa daran, dass in Mitte der 1990er ein wissenschaftliches Förderprogramm aufgelegt wurde, das „Forschungsschwerpunkt Fremdenfeindlichkeit“[23] hieß. Die wissenschaftlichen Arbeiten und Studien, die zum Großteil höchst kompetent waren, mussten das Thema Rassismus permanent „umschiffen“ obwohl die überwältigende Mehrheit der Ergebnisse der verschiedenen Arbeiten genau zu dem Schluss gekommen waren, dass es sehr wohl bei der Integrationsdebatte auch und insbesondere um rassistische Unterströmungen und mit Rassismus konnotierte Herrschaftselemente ging.

Die Auseinandersetzung mit Kultur und dem Kulturbegriff und dessen Veränderung und Entwicklung sprengt den Rahmen der Arbeit. Festzuhalten ist jedoch, dass die große Zahl an MigrationsforscherInnen, betont, dass Kultur ein hybrider, sich ständig verändernder und fließender Begriff ist, der zur politischen Kategorisierung und Eingrenzung hinsichtlich sozialer und wirtschaftlicher Phänomene kaum tauglich erscheint.

In der Praxis ist die „Kulturdiskussion“ jedoch in vollem Gange und eine Überbetonung des „Kulturellen“ zu vermerken, vor allem auch unter sogenannten SpezialistInnen im Interkulturellen Bereich, aus Beratung und Bildung, die sich dazu noch als „interkulturelle kompetent“ bezeichnen. Damit verbunden ist die Gefahr von „Kulturalisierung“ der Themen, Beziehungen und Konflikte, die eine Eindimensionalität in der Betrachtungsweise nicht selten nach sich zieht. 

Eng verwoben mit IKÖ wird der Begriff der „Interkulturellen Kompetenz“ verwendet, ja manchmal sogar synonym eingesetzt. Diesem Begriff ist hinsichtlich mehrerer Aspekte Skepsis entgegen zu bringen.

Zum ersten rekurriert er auf Kompetenzen; und Kompetenzen werden – zumindest im üblichen Sprachgebrauch und auch im pädagogischen Alltag – als individuelle Entwicklung verstanden.

Soziale, politische und wirtschaftliche Sachverhalte kulturell zu deuten führt dazu, dass auch individuelle Differenzen und Konvergenzen als kollektiv betrachtet werden. Wenn somit kollektiv kulturelle Differenz als Quelle gegenwärtiger gesellschaftlicher Konflikte, Kämpfe ja sogar Kriege (Problem) festgemacht und Interkulturalität als vermittelndes, Brücken schlagendes „Dazwischen“ (Lösung) gepriesen wird, müssten solche interkulturellen Interventionen ebenfalls kollektive Lösungen anbieten können. Doch genau das Gegenteil wird als Heilung vermarktet: Interkulturelle Kompetenz, also: eine individuelle Tugend.

(Gürses, S 19, 2011)

Migrationspolitik und Öffnungsprozesse, Antidiskriminierung und Inklusionspolitiken stellen jedoch politisch-gesellschaftliche Prozesse dar. Diese interkulturellen Interpretationstendenzen, die Gürses kritisiert, führen in der Praxis verstärkt zu einer individualisierenden Entwicklung. Nach dem Motto: „Die MitarbeiterInnen brauchen interkulturelle Kompetenz um mit anderen Kulturen umzugehen und die MigrantInnen müssen sich besser anpassen“.

Bezugnehmend auf diese Kritik kann es auf kollektive, gesellschaftliche Prozesse wiederum nur kollektive gesellschaftliche Antworten gegeben und diese sind in der IKÖ Theorie bei weitem besser aufgehoben.

Zwischen dem relativistischen und kulturbetonenden Blick (multikulturelle Konzepte) und dem universalistischen und kulturverleugnenden Blick (transkulturelle Konzepte) – denn beide Konzepte führen in der Praxis zu nicht erwünschten Nebenwirkungen[24] – gilt es ein „interkulturelles Dazwischen zu entwickeln (siehe auch Demorgon, Kordes). Gürses betont den interkulturellen Blick oder die interkulturelle Haltung vor allem auch aus einer Neupositionierung und kritischen Reflexionsebene, die nicht nur eine Reflexion über das Andere beinhaltet und die Grenzen des eigenen Denkens ins Bewusstsein hebt, sondern Kultur und Kulturen als ein System der Ordnung(en) begreift. (vgl. Gürses 2011, 20)

Kulturalität taucht hier als ein Bewusstsein auf, das die eigene Genese in den Blick nimmt. Darum ist Kultur eine Form der Unterwerfung von Individuen und deren „Gegengift“ zugleich; in ihr steckt die Möglichkeit der Ordnungskritik, da sie diese Ordnung aufzeigt. (Gürses 2011, 21)

5.5. Der IKÖ Approach?

Der Umbau mittels „interkultureller Öffnung“ sollte mit diesen ausführlichen Vorbemerkungen klarer geworden sein. IKÖ geht tiefer, stellt die „Ordnungen“ und die Machtverhältnisse, die diesen Ordnungen zugrunde liegen in Frage. IKÖ zielt auf strukturelle Veränderungen, auf ein Aufbrechen von bestehenden Denkkategorien und Traditionen ab. Stellt beispielsweise die Frage, warum „Deutsch als Amtssprache“ noch immer pragmatische Lösungen, um Kommunikations- und Informationsprobleme in Ämter und Behörden zu lösen, behindert. Stellt die Frage, warum es interne Vorgaben und Regeln gibt, die ausschließend sind und MitarbeiterInnen dazu bringt, diskriminieren (zu müssen), wollen sie die Regel einhalten.

Ziel von Interkultureller Öffnung ist es, eine gerechtere/inklusive, demokratischere, rassismussensible und diskriminierungsarme Migrationsgesellschaft zu schaffen.

Inklusionsgesellschaften lassen multiple und heterogene Identitäten zu und anerkennen hybride Formen von „Kulturen und Migrationsformen“[25]. Der Realzustand wird also nicht mehr zugunsten einer ideologischen Vorstellung von Nation oder Nationalkultur bekämpft und auch nicht mühsam toleriert, sondern ist legitimer und geförderter Teil Europas. Davon sind wir noch ein Stück weit entfernt.

IKÖ stellt – in Analogie zur zuvor beschriebenen DiM Strategie –  ebenso einen vielschichtigen Prozess dar, der partizipativ ist, gleichzeitig individuell aber auch kollektiv-gesellschaftlich wirkt, um sich in weiterer Folge globaleren Fragen stellen zu können, die drei Aspekte beinhalten:

  1. Gerechtigkeit (im Sinne der Arbeiten von Wilkinson/Pickett 2010 und Wilkinson 2004),  Verminderung struktureller Ungleichheiten und deren Auswirkung auf die soziale, wirtschaftliche und gesundheitliche Situation von Menschen.
  2. Rassismuskritisch und -sensibel – Rassismus als System der Ausübung von Herrschaft und Dominanz, das es zu überwinden gilt.
  3. Anerkennung und Partizipation – als ein Mittel der Inklusion, Aufnahme und Teilhabe in und an der Gesellschaft.

Interkulturelle Öffnung (IKÖ) zielt – wie bei DiM schon erläutert – nicht auf Einzelmaßnahmen ab. IKÖ erfordert zuerst eine Ist-Stand Analyse, eine Erhebung des Bestehenden und folgt erst danach den Fragen und Problemstellungen, die in Organisationen zu Tage treten. Diese können höchst unterschiedlich sein, sind aber immer der Ausgangspunkt eines länger dauernden Prozesses, der als einen wichtigen Zwischenschritt die Erstellung eines Status Quo Berichts beinhaltet und aus dem sich weitere Teilprozesse und Entwicklungsschritte ergeben.

Mit IKÖ wird kein ausschließliches Management-Tool bezeichnet, sondern IKÖ entwickelt einen organisationspolitischen, umfassenden Blick, leitet einen Veränderungsprozess ein und steuert diesen. Die Erfahrungen zeigen auch, dass die Wirksamkeit höher wird, wenn IKÖ in entsprechende und bereits bestehende Systematiken integriert wird (Organisationsentwicklungsprozess, Change Management, Qualitätsmanagement, udgl.).

Ein Prinzip von IKÖ ist, dass nicht die Menschen an die Strukturen angepasst werden, sondern die Strukturen an die Menschen (sei es als MitarbeiterIn, als PatientIn, als KundIn, als KlientIn).

Damit richtet sich in einem nächsten Schritt der Fokus weg von „Problemgruppen“ oder „der Zielgruppe MigrantInnen“, hin zu bestehende Strukturen, die durch formelle und informelle Hindernisse Problemgruppen erst schaffen oder Bedürfnisse von Gruppen ignorieren und damit im- oder explizit aussondern.

Viele praktische Beispiele zeigen, dass bestehende Systeme die Diskriminierung erst auslösen und Regeln und Normen, die in Organisationen bestehen, vordergründig mit dem Thema MigrantInnen nichts zu tun haben. Die Fokussierung auf eine „spezielle Zielgruppe“ würde genauso zu unzureichenden Antworten führen, wie die ausschließliche Beachtung der MitarbeiterInnenperspektive. Beides wichtige Aspekte, aber beides für sich allein stehend nicht ausreichend.

5.6. Führungskräftepotenzial

Führungskräfte sind ein wesentlicher Schlüssel zum Gelingen von interkulturellen Öffnungsprozessen. Nicht nur, dass sie als Vorbild fungieren (müssen), sie sind auch diejenigen, die Mission, Vision und Leitbilder mitbestimmen, zumindest jedoch daran beteiligt sind, Missionen der Organisation in die Realität umzusetzen. Leitendes Personal ist für die konkreten Regeln, Umsetzungsschritte und deren „Überwachung“ verantwortlich bzw. leitet zur Veränderung dieser an, wenn sie nicht praktikabel, effektiv und qualitätsfördernd sind. 

Die Praxis sieht leider meist nicht so rosig aus. Führungskräfte verstärken immer wieder den Eindruck, dass das Thema generell ein Randthema sei, mit dem sie sich eigentlich nicht auseinandersetzen müssen. Die verschiedenen schulischen und tertiären Ausbildungen haben das Thema zumeist nicht oder nur am Rande in ihre Curriculas aufgenommen (Als Frei- oder Wahlfächer), daher sind die Kompetenzen, mit IKÖ Strategien umzugehen, nach wie vor gering.

Leider muss in der Praxis auch immer wieder die Erfahrung gemacht werden, dass Weiterbildungsangebote zu DiM und IKÖ bei Führungskräften wenig Anklang finden. Daraus resultiert oft mangelnde Führungsverantwortung, die dazu führt, dass MitarbeiterInnen keine Leitlinien vorfinden, wie mit auftauchenden Problemen umzugehen ist.

Beobachtet und verfolgt man ein wenig den Diskurs in der Praxis und die Angebote in der Weiterbildung und Erwachsenenbildung, so fällt auf, dass sich viele Angebote des Interkulturellen Managements und/oder der Interkulturellen Kompetenzen zumeist an MitarbeiterInnen der unteren und mittleren Ebenen richten, interkulturelle Öffnungsprozesse als Angebote für die Führungsebene sind jedoch rar gesät.

Zusammengefasst seien noch einige Rahmenbedingungen genannt: erstens hat IKÖ am meisten Strahlkraft, wenn sie nicht als „Spezialprozess“ geführt wird, sondern in bereits bestehende Organisations-, Entwicklungs- oder Qualitätsmanagementprozesse integriert werden kann. Ohne das Bekenntnis der Leitung zur Interkulturellen Öffnung ist diese zum Scheitern verurteilt. Die Diskussion um Bottom up oder top down Prozesse ist relativ müßig.

Für die Implementierung und den Auftrag ist klar, dass dieser Top down gestartet werden muss, also von der Leitung gewollt, kommuniziert und mit entsprechenden Ressourcen, Regeln ausgestattet werden muss und – das Wichtigste – sich diese mit beteiligen muss. Denn gerne initiieren Führungskräfte einen IKÖ Prozess, tun in weiterer Folge jedoch so, als hätte er mit ihnen nichts zu tun. Sie sind jedoch genauso Zielgruppe des Prozesse wie alle anderen MitarbeiterInnen in Organisationen.

Breite Beteiligung (bottom up) ist jedoch unbedingt erforderlich, will der Prozess nicht nur umfassend und nachhaltig, sondern auch tatsächlich den neuralgischen Problemen und deren Lösung auf der Spur sein.

  • Zusammenfassung und Ausblick:

Raimund Geene, Mitbegründer und langjährige Führungskraft bei Gesundheit Berlin, hat im Rahmen einer Tagung 2005 in Berlin (Siehe Geene in Geene et al. 2006, 15-26) darauf hingewiesen, dass die Hinwendung zu einer bestimmten gesundheitlichen Problemstellung, die durch Gesundheitsförderprogramme gelöst oder verringert werden soll, auch Fragen des Herangehens an die Zielgruppe, des Settings, der Methodik und der Bedingungen nach sich ziehen. Geene verweist dabei auf das Aufkommen von HIV/Aids und dem damaligen Aufbau von Informationskampagnen, Beratungsstellen und Präventionsarbeit der 1980er und 1990er. Zwangsläufig stellen sich Fragen nach der Wirksamkeit von Maßnahmen, nach den Strukturen und den Zugangsmöglichkeiten zu der oder den Zielgruppen.

Mit dem geplanten Projekt von Jukus zum Thema „Sucht und jungen Männern aus sozial benachteiligten, bildungsfernen Schichten und mit Migrationserfahrung stellen sich mehrere Fragen.

Erstens ist die Hinwendung mit einer Fokussierung zu einem Migrationshintergrund richtig, um adäquate, für die Zielgruppen und deren Bedarfe entsprechende Angebote zu entwickeln? Dabei ist der Ansatz der von Jukus gewählt wurde, nämlich Information, Austausch und Netzwerke zu entwickeln ein erfolgversprechender, weil er nicht  eine neue Struktur für eine spezielle „Gruppe“ aufzubauen vorgibt, sondern in den bestehenden Strukturen für einen Entwicklungsprozess sorgt, in dem die Interkulturelle Öffnungsstrategie als ein zweites wichtiges und praktikables Element erscheint.

Die Konzentration auf die Zielgruppe ist ein notwendiger jedoch nicht hinreichender Blick. Vor allem ist auch der „interkulturelle“ Blick, der die bisherige(n) „Ordnungen“ in der Spielsuchtbekämpfung und den Unterstützungsprogrammen ins Blickfeld nimmt und in Frage stellt, erforderlich.  Dieser Blick fördert den fachlichen Diskurs, der die institutionellen Rahmenbedingungen, die sozialpädagogischen, beraterischen und psychologischen Methoden, die Zugangsbedingungen und -beschränkungen sowie die Öffnung der Organisationen ins Blickfeld rückt. Dies wäre somit thematisch, Gruppen und Organisationsübergreifend und grenzüberschreitend.

Das Projekt wäre somit ein Beispiel für eine Strategie von „health in all policies“ im besten Sinne und würde den Ottawa Zielen ein gehöriges Stück näher kommen.

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Räthzel, Nora: Einige Ursachen und Wirkungen von Rassismus. In: Aus der Geschichte lernen – die Zukunft gestalten. Enquete zu Rassismus und Antisemitismus in Österreich, Zebratl Dokumentation 4/96, Graz 1996

Rendi-Wagner, Pamela; Peinhaupt Christa (f.d.I.v.): Rahmen-Gesundheitsziele. Richtungsweise Vorschläge für ein gesünderes Österreich, BM f. Gesundheit, Wien 2012

Schröttner, Barbara; Sprung, Annette: Integration von MigrantInnen in der Steiermark. Interkulturelle Öffnung – Weiterbildung – Selbstorganisation, Arbeitspapier 1/2003, peripherie Institut für praxisorientierte Genderforschung, Graz 2003.

Shore, Patty: Integration gleich Inklusion? Vortrag Bodenseetagung 2010.

Sprung, Annette: Zwischen Diskriminierung und Anerkennung. Weiterbildung in der Migrationsgesellschaft, Waxmann: Münster 2011

Statistik Austria: Migration&Integration. Zahlen, Daten, Indikatoren. 2011, Statistik Austria, BM. für Inneres, Wien 2012

Wilkinson, Richard; Pickett, Kate (Hg.): The spirit Level. Why Equality is better for Everyone. Penguin Verlag, New York 2010

Wilkinson, Richard; Marmot, Michael (Red.): Die Fakten. Soziale Determinanten von Gesundheit, International Centre for health and Society, WHO, Zweite Ausgabe, Denmark 2004

Wocken, Hans: Inklusion & Integration, Frankfurt 2009


[1] Zuerst die slowenische Separation, dann folgt der Kroatien-Serbien, schließlich der Krieg in Bosnien. Zuletzt folgten die kriegerischen Auseinandersetzungen im Kosova mit der Bombardierung Belgrads durch die NATO.

[2] Zur näheren Erklärung siehe auch www.asyl.at/Fakten9/basis_2.htm  und www.zebra.or.at/lexikon

[3] Benannt nach dem beiden damaligen Präsidenten des ÖGBs (Franz Olah) und dem Bundeswirtschaftskammerpräsidenten (Julius Raab)

[4]  http://www.who.int/en/

[5] http://www.fgoe.org/gesundheitsfoerderung/glossar/verhaltenspravention-und-verhaltnispravention

[6] http://www.zebra.or.at/projekte/hb_gesundheit/Start.htm

[7] Siehe auch – Petition: Stopp dem falschen Gerede vom Migrationshintergrund! (http://www.sosmitmensch.at/stories/6058/)

[8] Hartmut Esser, geb. 1941 in Elend/Harz) ist deutscherProfessor für Soziologie und Wissenschaftslehre an der Uni Mannhein

[9] In den USA seien dies etwa die aus Nordeuropa abstammenden weißen, angelsächsischen, protestantischen Männer, die die Macht in den USA besitzen.  

[10] An der UNESCO-Weltkonferenz „Pädagogik für besondere Bedürfnisse: Zugang und Qualität“, die von 7. bis 10. Juni 1994 in Salamanca in Spanien stattfand, nahmen über 300 Vertreter von 92 Regierungen und 25 internationalen Organisationen teil.

[11]  http://bidok.uibk.ac.at/library/sander-inklusion.html#id720466 (online Zuletztzugriff, 24.7.2012)

[12] Ausnahmen davon sind etwa Formen des sogenannten positiven Rassismus, bei dem anderen „Völkern“, „Kulturen“ in  stereotypen Verklärungen positive Eigenschaften zugeschrieben werden. „Die Afrikaner können so gut tanzen (trommeln).“

[13] http://de.wikipedia.org/wiki/Fremdenfeindlichkeit

[14] https://www.vfgh.gv.at%2Fcms%2Fvfgh-site%2Fattachments%2F7%2F9%2F1%2FCH0003%2FCMS1336116410068%2Fgrundrechtechartapresseinformation.pdf

[15] Mary Mac Leod Bethune (geb. 1987, gest. 1955) war eine afroamerikanische Frauen- und Bürgerrechtlerin, der Gründerin des National Council of Negro Women (NCNW) und Mitglied des National Association for the  Advancment of colored People (NAACP), 1945 wurde sie Beraterin von Präsident Harry S. Truman.

[16] Etwa durch die bekannt gewordene Dreiteilung von Race, Class and Gender

[17] In diesem Bericht wird eine Ausblick und Szenarien für das Jahr 2000 beschrieben, in dem im wesentlich die Dynamisierung der Arbeitsmärkte prognostiziert wird und der Bedarf benannt wird, Frauen, ältere Menschen, Afroamerikaner, MigrantInnen und andere Minderheiten in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

[18] Ich habe hier bewusst den Begriff der vermeintlichen Minderheit verwendet, obwohl dies etwa auch für Frauen gilt und diese ja demografisch gesehen sogar die Mehrheit sind.

[19] http://www.verwaltung.steiermark.at/cms/ziel/74835769/DE/

[20] http://www.verwaltung.steiermark.at/cms/ziel/58826532/DE/

[21] http://www.soziales.steiermark.at/cms/beitrag/10925927/5408/

[22]  http://www.politik.steiermark.at/cms/ziel/5470069/DE/

[23] Forschungsreihe des damaligen Bundesministeriums für Bildung, Forschung und Kultur. Die Arbeiten wurden mit 2,2 Millionen Euro gefördert. Als Resultat liegen nun sieben im Drava-Verlag erschienene Publikationen vor – unter anderem verfasst von der Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak, dem Politikwissenschaftler Rainer Bauböck, dem Raumforscher Heinz Fassmann und dem Psychologen Klaus Ottomeyer.

[24] http://www.gulis.at/schreiben/2012/01/19/das-kreuz-mit-der-kultur/

[25] Damit sind Formen der Migration gemeint, die sich in den letzten Jahren massiv ausgebreitet haben, wie etwa transnationale Migration, Pendelmigration usw.