Du nix feiern!

Dieser Beitrag ist im ZEBRATL 2/2012 „Altersunterschiede“ Ende Juli erschienen. (www.zebra.or.at)

50 Jahre Anwerbeabkommen und die Folgen.

 Das offizielle Österreich hüllt sich in Schweigen. Kein Festakt,nicht mal eine Aussendung. Das sogenannte Raab- Olah Abkommen und der Beginn von arbeitsbedingter Zuwanderung nach Österreich aus dem Jahr 1962[1] ist der Bundesregierung keine Erwähnung wert.

 Es ist wohl ein markantes Zeichen für den Umgang mit der eigenen Migrationsgeschichte, dass es die Grünen[2] braucht, die damals politisch noch nicht mal existierten, um des historischen Ereignisses in einem Festakt zu gedenken. Alev Korun, grüne Integrationssprecherin sprach, stellvertretend für das offizielle Österreich, den Dank an jene aus, die die Entwicklung Österreichs nachhaltig mit ihrer Arbeitskraft und Leistung veränderten.

 Eine Erfolgsgeschichte? Für Österreich! 

 Wie Österreich sich wirtschaftlich ohne GastarbeiterInnen entwickelt hätte, lässt sich seriöserweise nicht sagen. Aber es ist schwer vorstellbar, dass es noch besser ohne GastarbeiterInnen gehen hätte können. Österreich wurde in den letzten 50 Jahren zu einem der reichsten Länder der Welt. Der Wohlstand und die soziale Versorgung wuchs in diesen Jahrzehnten exponentiell. Österreich der 1960er Jahre ist mit dem des Jahres 2012 kaum mehr vergleichbar. Bei einer großen Zahl der österreichischen Familien stieg innerhalb der letzten beiden Generation die Bildung, der Wohlstand und das Einkommen beträchtlich.

 Mittlerweile wissen wir mehr über diese „Bewegungen“, die ab dem Jahre 1962 – für Österreich sehr bezeichnend – nicht von der Regierung gesetzlich geregelt, sondern durch die Sozialpartner (Wirtschaft/ÖGB) vereinbart wurde. Wir wissen mittlerweile, dass sie geholt wurden, ja dass sie dringend gebraucht wurden, den Anfang der 1960er Jahre wurde der Arbeitskräftemangel in Österreich und Deutschland bereits spürbar und eklatant.

 Arbeitskräftemangel stellt einen wesentlichen Hemmschuh für bestimmte, arbeitskräfteintensive Branchen dar – wie etwa die Baubranche, die produktive Industrie und die Dienstleistungsbranchen. Zuwanderung schafft nicht nur neue sondern auch andere Jobs, die ohne diese verloren gehen oder gar nie entstehen würden. Innovation, Mobilität, Flexibilität, Mut zum Risiko – also alles sogenannte „unternehmerische Tugenden“ – sind bei MigrantInnen verstärkt vorzufinden, weil der Wunsch nach besserem Leben, nach Aufstieg, nach Verwirklichung (auch im ökonomischen Sinne) eine treibende Kraft für sie und ihre Kinder war und ist.

 Wir wissen mittlerweile auch, dass das „Rotationsprinzip“ – also der dem „Gastarbeitersystem“ zugrunde liegende beständige Austausch der Arbeitskräfte – nicht nur inhuman und weltfremd, sondern auch ökonomisch dumm und praktisch undurchführbar war. Dennoch lebt der „Gastarbeitergeist“ in der Vorstellungswelt der Arbeits- und Sozialbürokratie ebenso fort, wie in den Gesetzen. Insbesondere im Ausländerbeschäftigungsgesetz, das mit seiner Spezialgesetzgebung und Bewilligungspflichten[3] Arbeitskräfte zu „Ausländer“ macht, sie damit in ihrer subalternen und ausgegrenzten Rolle festschreibt. Die Folge derartiger struktureller Ausgrenzungspraxen ist, dass es am Arbeitsmarkt  Menschen gibt, die eine erhöhte Arbeitswilligkeit an den Tag legen müssen und diese nebstbei billig und abhängig (etwa vom Unternehmen) werden. Daran hat sich bis 2012 wenig geändert. Angesichts dessen, dass heute immer öfter von Integration und Vielfalt, von Antidiskriminierung und Gleichstellungspolitik die Rede ist,ein unhaltbarer Zustand.

 Ein verschämtes Thema

Ein anderer Aspekt, der bisher weitgehend unbeachtet blieb, ist die Verknüpfung von Arbeitsmigration und dem Flüchtlingszuzugs. Trotz aller Restriktionen, Verschärfungen und „Ausländer raus“ Propaganda blieb ein Zuzug von Arbeitskräften auf den österreichischen Arbeitsmarkt – rund um die 100.000 pro Jahr – immer bestehen; wirtschaftliche Stagnation und Rezession hin oder her.

 Bei den Flüchtlingsbewegungen wird gerne so getan, als würde das mit dem Arbeitsmarkt nichts zu tun haben und als würde diese jährlich erkleckliche Anzahl von „Neuzuwanderung“ nicht relevant sein. Flüchtlingsbewegungen waren und sind hingegen immer Teil der Arbeitsmigration in Österreich, manchmal mehr (bis zur Hälfte) manchmal weniger (ca 1/3) der rund 100.000.

Das betraf im geringeren Ausmaß afrikanische Flüchtlinge in den späten 1980er – wie etwa Flüchtlinge aus Ghana und teilweise aus Nigeria. Ab 1990 kamen die weit größere Zahl der Flüchtlinge aus Rumänien und später, ab 1992 aus Bosnien. Auch die Kosova Flüchtlinge und später Afghanen und Tschetschenen, alles „Flüchtlingswellen“, die durch gesetzliche fremdenpolizeiliche und aufenthaltsrechtliche Maßnahmen drangsaliert, ausgesperrt und sogar vom Asylverfahren[4] weitgehend ferngehalten wurden, gleichzeitig aber still und unbemerkt in den folgenden Jahren in den Arbeitsmarkt einsickerten und sich darin „integrierten“[5]. Und es gibt nicht wenige Hinweise darauf, dass all diese Mikrobewegungen, von der Öffentlichkeit und der Oberflächlichkeit der Politik unbemerkt, Hinweise darauf sind, dass der Arbeitsmarkt sehr wohl – August Gächter spricht von einer imaginären, magischen 40.000er Grenze – diese Anzahl an Arbeitskräften immer verkräften würde.

 Lüfterl of chance?

 In Fachkreisen wurde in den letzten Jahren oft über die qualifizierte Zuwanderung gesprochen. Dabei bemängelten viele, dass die damals geholten Gastarbeiter ja eigentlich alles ungelernte Kräfte waren und man jetzt ja Fachkräfte (Facharbeitermangel) brauche. Zum einen stimmt das pauschale Bild des ungelernten Arbeiters nicht, als Beispiel wird gerne dann der Bauernbub aus Südostanatolien herangezogen. Es gab auch einen anderen Arbeitskräftezuzug, die jedoch unter ihrer Ausbildung eingestellt und entlohnt wurden und in die untersten Segmente der Tätigkeiten gedrängt (u.a. durch das Ausländerbeschäftigungsgesetz und den Quotensystemen).

 Es gibt genug gut ausgebildete MigrantInnen in Österreich[6], deren Potenziale werden durch zahlreiche Diskriminierungsfaktoren jedoch nicht ausgenützt.[7] Formelle Anerkennungshürden, strukturelle Diskriminierung, überbordende und barrierenschaffende gesetzliche Regelungen führen dazu, dass viele Menschen, die mit mittlerer bis hoher Ausbildung nach Österreich kommen, bzw. sich im Laufe der Zeit diese in Österreich erwerben, entweder unter ihrem Niveau eingestellt werden, oder gar keine Arbeit finden. Viele MigrantInnen scheitern auch an den „Nostrifizierungshürden“ und können daher ihren ursprünglichen Beruf nicht ausüben. Für MigrantInnen oder jene, die als solche identifiziert werden, gilt, dass der Bildungsstand weniger relevant ist, insbesondere jedoch die Bildungsverwertung von Bedeutung ist. Also die Frage, ob es adäquate und der Ausbildung entsprechende Jobs gibt, entscheidend ist.

 Könnte es jedoch sein, dass so etwas wie Hoffnung keimt? Etwa durch die Charta des Zusammenlebens der steiermärkischen Landesregierung, die erstmals so etwas wie eine Zielformulierung für die Zukunft beinhaltet, Diskriminierung benennt und Barrierefreiheit (in jeglicher Hinsicht) fordert. Dann könnte es doch auch sein, dass man im Jahre 2022 anläßlich des 60jährigen Jubiläums tatsächlich wie selbstverständlich der Verdienste der GastarbeiterInnen gedenkt und ihnen dankt; so wie dies in der Bundesrepublik im November vergangenen Jahres in einem Festakt auf höchster politischer Ebene stattfand. Bundeskanzlerin Merkel wies auf die bedeutenden Leistungen der MigrantInnen aus der Türkei hin und bedankte sich für deren Leistungen. Eine derartige Geste steht in Österreich noch aus und wir sind noch ein ordentliches Stück davon weit entfernt. Aber: Schau´n wir mal.


[1] Siehe Artikel vom Christoph Hochegger in dieser Nummer.

[2] Siehe auch http://www.gruene.at/menschenrechte/artikel/lesen/83884/

[3] Das Ausländerbschäftigungsgesetz sieht drei Stufen der Arbeitsmarktintegration vor, die Beschäftigungsbewilligung, die Arbeitserlaubnis und den Befreiungsschein.

[4] Die Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, insb. die bosnischen Flüchtlinge wurde durch den sogenannten De Facto Status in einem zeitweiligen Aufenthaltsstatus versetzt, erhielten jedoch überwiegend keinen Flüchtlingsstatus.

[5] Zu problematischen Verwendung des Begriffes gibt es eine Unzahl an Studien, Arbeiten und Literatur, zwei exemplarisch herausgegeriffen: Eva Maria Bachinger/Martin Schenk; „Die Integrationslüge.“, Deuticke Verlag  Wien, und Herbert Langthaler (Hg.) „Integration in Österreich“, StudienVerlag Wien.

[6]        Siehe auch: „Qualifizierte Einwanderinnen und Einwanderer in Österreich und ihre berufliche Stellung“ ZSI Diskussionspapier, August Gächter 2006.

[7]        Diese Thesen werden etwa durch Studien von August Gächter, Gudrun Biffl und der OECD erhärtet.