Die Skala geht bis 180

Schreibkraft #40

„Himmelherrgottsakrament“, als das Wort aus meinem Mund entfleuchte, musste ich auch schon lachen. Das war ein Schimpfwort, das mein seliger „Liebenau Opa“ gerne verwendete, wenn irgendwas nicht so funktionierte, wie er es wollte. „Kreuzkruzitürkn“ hat er oft dazu gefügt, um es richtig stark zu machen. Da wussten wir alle, „Ui, jetzt klemmts“. Opa war cholerisch veranlagt. Grad war er noch ganz freundlich und lieb und im nächsten Moment war er schon auf 180 – wie man bei uns so sagt. Ich kenne die Skala ja nicht, wie weit die geht. Aber 180 war richtig hoch. Da ging man lieber in Deckung und aus der Schusslinie.

„Was?“ fragte die Gattin am Beifahrersitz.

„Ich hab´ meine Jacke im Zug vergessen.“

Sie sah mich an: „Welche?“

„Die rotblaue Mammut Jacke.“

„Na geh.“

„Ja leider, ich hab‘ sie aufgehängt, hinterm Vorhang.

„Die hab ich einmal gekauft, aber selten getragen.“

„Ja … Hmm, was mache ich jetzt?“

„Vielleicht gibt es da eine „Lost and Found“ Rubrik auf der Homepage. Ich schau gleich.“ Sie begab sich ins Netz.

Wenn er arbeitete und am Boden lag, um den Badezimmer Abfluss der elterlichen Wohnung zu reinigen, dann sah er weniger wie ein Installateur, der er war, aus, denn eher wie eine schwere, unbewegliche Robbe, die am Felsen lag und sich in Fischernetze verheddert hatte. Der Abfluss verstopfte schnell, weil das Rohr einen zu geringen Durchmesser hatte und irgendwo so nach 1 Meter plötzlich einen Bogen machte und offensichtlich dort auch enger wurde; ein Baufehler offensichtlich. Das war also nicht sein Fehler. Da lag er also am Boden, in die Eingeweide der Wohnung vertieft und fluchte vor sich hin.

Mein Vater hat von ihm, seinem Vater, keinerlei handwerkliche Fertigkeiten übernommen. Der hatte zwei linke Hände, interessierte sich auch nicht dafür und überließ das – an sich männliche Metier – lieber meiner Mutter. Wenn es was auszuwechseln oder zu reparieren gab, dann war das ihr Job; sei es die Glühbirne am Klo, der kaputte Mixer oder die Reparatur des Syphons. Aber sie hatte sowieso viele Jobs in der Familie.

Was er jedoch gerne von Opa übernommen hatte, war das aufbrausende, cholerische Gemüt, das als Erziehungsmethode und als Gesprächsführung für ihn perfekt war. Als Ausrede dient sie ihm bis heute. Er könne nichts machen, das habe er geerbt. Sein Vater wäre auch schon so gewesen und dagegen könne er nichts machen.

Mit uns Kindern konnte er eigentlich wenig anfangen. Es fehlte ihm an Empathie. Da spielte die häufig auftretende Lieblosigkeit der Nachkriegsgeneration eine Rolle, aber durch seinen Job als Verkäufer, später Filialleiter wurde diese noch verstärkt, denn er konnte sehr freundlich und zuvorkommend sein; eben in seinem Job. Die langen Arbeitszeiten und die verantwortungsvolleren Posten, die mit zunehmender Karriere einhergingen, überforderten ihn offensichtlich, sodass er eigentlich nur zum ausrasten und ausrasten heimkam.

Ausrasten und ausrasten

Todmüde, hungrig und genervt von der Kundschaft und jetzt noch von den Litaneien der Mutter, die ihm über meine Verfehlungen des Tages zu berichten hatte, um die Bestrafung an ihn zu delegieren, war der cholerische Ausbruch und eben die folgende Bestrafung das einzige, was ihm noch gelang, zwischen Ankunft, Essen, Zeit im Bild und Erschöpfung. Das verhinderte auch jedwede Form von Diskussion oder Interesse, was es im Leben seiner Kinder sonst noch zu entdecken gegeben hätte.

„Insoferne…“ und ich lächle, sitze auf der anderen Seite des Autos und halte das Lenkrad, sehe zu ihr hinüber.„… ist das jetzt was wir an Diskussionskultur grad haben, mir nicht so was besonders Neues. Ich kenn´ eigentlich nix anderes. Das verstörende daran ist nur, dass manche Dinge im Leben einen immer wieder einholen und dass alles öffentlich mittlerweile passiert“.

„Wo bist du jetzt wieder, dein Gedankensprünge kann ich nicht mit vollziehen“ sie blickt auf ihr Handy …

„Ah da ist es ja, du kannst das alles online machen und eine Verlustanzeige bei der Northwestern Railway aufgeben. Das machen wir, aber erst, wenn wir wieder ein WLAN zur Verfügung haben.“ 

Wir kommen einem Auto näher, das ich überholen sollte. Mittlerweile schaue ich automatisch in die für den Linksverkehr richtige Richtung und will auch nicht mehr mit der rechten Hand schalten, greife nicht mehr in die Seitentür und stoß´ mir die Finger, weil da kein Schaltknüppel zu finden ist, sondern bin mit der linken Hand bereit zu schalten, blinke rechts, schere aus, gebe Gas, bin am Auto vorbei und reihe mich wieder links ein.

„Auch bei den Hubers war´s nicht viel anders … nein, stimmt nicht, die diskutierten wenigstens leidenschaftlich gerne“.

Ich setze die ursprüngliche Diskussion fort, die wir hatten, bevor mir der Verlust der Jacke eingefallen war. „Die politisierten und am Abend wurde Zeit im Bild geschaut und danach weiter gestritten.“

„Wer?“ Sie sah mich an.

„Na die Hubers!“

„Aha und wie …“

„Aber ihr Diskussionsstil war unter jeder Sau. Innerhalb kürzester Zeit war ein infernalischer Lärm, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstand. Alle redeten – was heißt redeten — schrien durcheinander und keiner hörte auf den Anderen. Irgendwie blieb aber trotzdem dann und wann was hängen.

„In unserem Haus war Politik auch ein wichtiger Teil des Lebens“, erwiderte sie.

„Alle beiden Oldies waren leidenschaftlich dabei. Zeit im Bild war Pflicht. Das ist sogar bei den Enkelkindern noch so. Wenn auch Mutter eine christlich-fundamentalistische Hardlinerin war, aber sie saß nicht daneben und war still. Sie stichelte gerne, vor allem gegen die SPÖ. Sie hasste die Roten.“ Lacht.

„In all den Jahren meines Berufslebens habe ich gerade über persönliche Kommunikationsstile und öffentliche viel gearbeitet und gelernt und ich glaube, ich bin auch ein wenig weitergekommen.“

„So, so?“

„Nicht?“

„Doch, doch, ich mach´ nur Spaß.“

Ah gut, sonst hätte ich jetzt zu zweifeln … aber die jetzige Situation ist doch …verrückt, oder?“

„Hm.“

„Es ist so offensichtlich, dass die Entwicklungen der Digitalisierung jede Form von gemeinsamer Basis der Übereinkunft zerstört hat. Es kann jeder alles behaupten und es wird ernst genommen.“

„Bleib´ hinter dem Auto, es müsste die Abzweigung demnächst kommen, eine ½ Meile vielleicht noch.“

„Und die Rechten und Antidemokraten spielen das Klavier hervor…“

„Bereiten Sie sich vor, in einer ½ Meile nach links abzuzweigen.“ Meldete sich das Navi seit längerem wieder.

„Siehst du, sie gibt mir recht!“

„Jetzt sind es noch 4-5 Meilen.“

Ich nicke.

„Aber ehrlich, du kennst sie ja, was soll ich mit meiner Schwester reden? Die ist so von einem anderen Stern, dass ich, selbst wenn ich wollte, nur scheitern muss.“

„Das beschäftigt dich, gell.“

„Naja, net wirklich, eher aus einem professionellen Interesse heraus, wie man mit solchen Leuten umgehen könnte.

„Aber tröst´ dich, sie macht mich eh auch fertig. Ich halte sie kaum aus. Ihren Stuss, denn sie da vor sich her redet. Und dann auch noch mit dem Brustton ihrer Überzeugung.“

„Derweil und das ist das Absurde, hat sie mit politischen Vorgängen nie etwas am Hut gehabt, die kennt sich hinten und vorne nicht aus, hat sie nie. Und plötzlich … Verschwörungen, Pharmakonzerne und Gefahren des Impfstoffes und lauter so politisches Gewäsch…

Weißt du, was sie zur Mutter gesagt hat, dass sie und die Caroline die nächsten 3 Wochen sie nicht besuchen könne, bevor die Impfung nicht ausgedampft wäre.“

Wir schweigen.

„Sie trifft damit die Mutter voll. Denn die will ihr Enkerl natürlich so oft wie möglich sehen. Eine Bestrafung, weil sie nicht tut, was ihre erleuchtete Tochter von ihr verlangt hat …

„Schau, da drüben im Nebel, da ist es: Lindisfarne. Wir sind gleich da.

Wir schweigen.

„Lass deine Schwester im Nebel verschwinden.“

„Das fängt gut an, eine Burg, die aus dem Nebel geheimnisvoll auftaucht. Gleich kommen ein paar Ritter angeritten und wollen mich…“

„Komm, komm lass es. Wir haben jetzt noch sechs Stunden Ebbe bis das Wasser zu hoch wird, bis dahin müssen wir wieder runter sein.“

Derweil im Universum …

Der Shuttlefahrer war eine schwer zu definierende Wesensform, die er nicht kannte und die kaum Universalsprachkenntnisse besaß und noch dazu so nuschelte, dass er kaum was verstand und auch der Übersetzer passen musste. Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten und führte durch Tunnel und Gänge. Sie bogen in die Röhre zur Konzernzentrale ein und er gelangte mittels Gangway zur Lobby.

Ihn beschlich das Gefühl, das irgendwas nicht stimmte. Er war nicht in der Konzernzentrale … er stand in der schmalen, engen Lobby eines alten Gebäudes, das einmal irgendwo in Amsterdam der 1990er gestanden war. Die Wände waren mit Poster verziert von Untergrundkonzerten aus dem 21. Jahrhundert. Alles war alt und schäbig. Der Portier sah ihn an, als wäre er von einem anderen Stern, was er ja tatsächlich war. Es schien ihn schon zu verwirren, dass sich wer hierher verirrte. Josef war sich nunmehr sicher, dass er falsch sein müsse. Denn er wollte ja zum GGP-Konzern – zur Zentrale, zum Headquarter auf diesem Planeten. Das konnte nicht stimmen.

„Ein schönes friedliches Leben wünsche ich Ihnen, Sir. Sie scheinen mir unschlüssig zu sein, ob sie hier richtig sind, kann ich ihnen in irgendeiner Form behilflich sein“.

Mit der nasalen und schnurrend-knarrenden Stimme sprach ihn der Portier, der eine luzide, schwer fassbare und wabernde, einem Wattebausch ähnlichen Form angenommen hatte und am oberen Ende, eine Mütze trug, an. Es schlug ihm ein Duft entgegen, der ihn an eine frisch gesäuberte Großküche erinnerte. Bei der sich die starken Tenside und Salmiakgeistgerüche mit Limonen und anderen Duftstoffen zu einem typischen aber nicht unbedingt angenehmen Gemisch vermengten.

„Nun ja, in der Tat bin ich unsicher, ob ich hier richtig bin, suche ich doch die Zentrale von GGP“.

„Da sind sie hier richtig“, meinte das Portierswesen, „Zu wem wollen Sie denn?“

„Auf jeden Fall zum Chef, der ranghöchsten Person im Haus“.

Das Wesen tat so etwas, das Josef als Kratzen am Kinn interpretierte und wiegte den vermeintlichen Kopf.

„Sie haben mich erwischt. Eigentlich stehen sie schon vor dem Ranghöchsten, das wäre nämlich ich“. Das Wesen verströmte eine neuerliche Dosis an Großküchenreini-gungsduft. Josef sackte Herz, Blut und Gehirn in ein tiefes inneres Loch, das sich auftat.

„Wissen Sie, wir brauchen hier nicht viel. Da funktioniert eigentlich alles klaglos und wenn was los ist, dann bin ich da. Von der GGP-Konzernzentrale war vor, lassen sie mich kurz nachdenken, 66 Jahren, nein 67 Jahren sind es schon, jemand da. Das war damals eine Aufregung meine Güte“.

Josef hatte sich an die klebrig wirkende Theke gewagt, seine Konsole abgelegt und daran abgestützt, aber gleich wieder davon abgestoßen.

„Da ging es richtig ab, das Haus war voll mit Gästen und Diplomaten und Securitys und allem Drum und Dran.“ Obwohl ja der Alte Krämer selbst nicht mal da war. Da lebte ja der Alte damals noch, der Krämer, der IV.  Der wird ihnen nix mehr sagen, sie sind da wohl zu jung dafür. Es war nur sein jüngerer Sohn. Der war aber nicht mal der Thronfolger. Ich sage ihnen, das war vielleicht ein eitler Fatzke …

Das Wesen entfleuchte mit seinen Erinnerungen, bis er dem Fremden vor sich wieder gewahr wurde.

„Gut, wo war ich stehen geblieben. Ach ja, auf jeden Fall, da war drei Tage wirklich was los und das Haus war voller Leute und es ging rund, denn die ganze Entourage logierte bei uns und die – kann ich ihnen sagen – waren nicht so eitel und prüde, wie der junge Krämer.“

Mit den letzten Worten näherte sich der Portier verdächtig nahe Josef und wollte damit was andeuten.

Josef: „Aha“.

„Jaaa…“ waberte das Wesen.

„Was ich da an Drogen und „Unterhaltungsprogramm“ und er deutete dabei Ein- und Ausführungszeichen in der Luft an, „beschaffen musste, Jessas, das war nicht von schlechten Eltern“.

Josef schaute auf seine Konsole und der Portier ließ eine Pause entstehen.

„Na ja, ist schon lange her, waren auch schöne Zeiten … aber es hat auch was Gutes, dass sich niemand mehr um uns kümmert. Nicht wahr? Wir haben unsere Ruhe und können den Krämer einen guten Mann sein lassen.“

Der Portiert lehnte sich wieder ein wenig zurück und schaute Josef an.

„Das stimmt“, fühlte sich Josef bemüßigt, etwas zu sagen und dachte sich, wenn du wüßtest.

„Also sie sprachen von wir, sind hier zuständig?“ versuchte Josef sich ein Stück weiter vorzutasten.

„Und wer ist dieses wir noch mal? Sie werden doch sicher eine Reihe von Angestellten und Untergebenen haben, oder?“ Das Wesen richtete sich auf.

„Ja sicher, also für uns arbeiten ja eigentlich, genau genommen, sozusagen alle hier auf dem Planeten, die verschiedenen Lebensformen, sowie die ganzen anderen Hilfskräfte und so weiter“.„Aber mein wichtigster unmittelbarer Mitarbeiter ist unser XXS22, der Administrationsroboter“, auf den er offensichtlich ein wenig stolz war.

„Nun gut, kommen wir zur Sache, was wollen Sie eigentlich?“  „Nun ja, ich sollte angemeldet sein und mit jemanden reden, der sich hier…“„… und wer soll sie angemeldet haben?“ unterbrach der Portier.„Tja, das sollte der Niederbauer gewesen sein…“„Naa … der Niederbauer … den gibt’s auch noch? Ich dachte, der sitzt irgendwo bei GGP in der Zentrale rum.Mensch, so klein ist das Universum. So, so, wissen´s der Niederbauer war damals ganz jung und auch dabei im Gefolge vom Krämer und da habe ich ihn kennen gelernt. Ein ganz netter Mensch, der nächtelange bei mir da hinten im Kammerl und mit mir geredet, ein ganz, ein Netter. Wenn´s ihn sehen, dann lassen´s ihn schön grüßen, den alten Niedi“.

„Aber, sind sie von GGP?

„Nein ich bin nicht bei GGP. Ich bin nur…

Der Portier hatte sich unvermittelt nach hinten gewandt und zur Hälfte in ein Loch hineingezwängt, das durch seinen Körper verstellt war, sich jetzt aber aufgetan hatte.

„Na dann schau ma mal“. Man hörte ein Rascheln und Surren, ein Blinken und Rauschen. Der Portier schnaufte hörbar.

Hearst 22 – wo ist die Ankündigung? Keine Reaktion außer den bestehenden Gesurre und Geblinke hörte man nichts Neues.

„22? Wo bist?“ Nichts.

„Hergottseitn. Immer wenn ma´n braucht und des ist eh nur olle poa Joa, ist er net do“.

XXS 22 stand mittlerweile neben Josef. Es war ein kleiner Mittelklasse Administrationsroboter aus den späten 2100er Jahren, ein grundsolides kompaktes Modell, das zwar technisch längst überholt war, aber noch immer gute Dienste leisten konnte und all zu viel, so schien es zumindest, strengte ihn hier ja nicht an. Der Portier war im Begriff seinen fluffeligen Watteebauschkörper wieder umzudrehen.

„Zwarazwa…“

bricht ab, weil er ihn sieht.

„Hearst warum meldst di net, wenn i di ruaf?“

XXS22 hatte eine ruhige tiefe Stimme, die keinerlei Abnützungserscheinungen aufwies, wie normalerweise üblich bei so lange dienenden Roboterstimmen.

 „Wie oft habe ich dir gesagt, dass du mich per elektronischem Signal rufen sollst und hier nicht rumschreien brauchst“.

„Weißt du, wo die Ankündigung und die Erlaubniszertifikate von dem Herrn sind?“ Der Portier war wieder zu einer offizielleren Sprechweise zurückgekehrt.

„Nein, weiß ich nicht, ich kenne den Herrn nicht, weder du hast ihn, noch er hat sich mir vorgestellt.“ XXS 22 musterte Josef eindringlich.

„Gut, dann tu ich das hiermit“, ließ sich Josef nicht beeindrucken und startete mit seiner Begrüßungsformel.

„Ich heiße Josef Meder und bin im Auftrag der Fa. DPAAP für GGP hierher beordert wor …“

„Das Zertifikat und die notwendigen Zusatzinformationen liegt in der Ablage dhfekkke 987645286.“ ratterte XXS 22.

„Moment, Moment, das war mir zu schnell.“

Der Portier beugte sich wieder nach hinten und es begann ein Rauschen, Brummen, ein seltsames Schmatzen war noch dabei. „Shit, wie war die Nummer noch mal?“, hörte man den Portier herausfragen. XXS 22 war sichtlich genervt, obwohl man sich immer wieder wundern musste, wie Roboter solche Gefühlsregungen, für die sie ja nicht gebaut wurden, ausdrucken konnten, aber sie taten es.

„98“, ja „76“, ja „45“, ja „28“, ah, wart, Pause … Ja weiter“. „6“.

„Gut“. Es dauerte eine Weile, als plötzlich ein Würgen aus dem hinteren Teil des Raumes kam, das verdächtigt an einen unerwünschten Ausscheidungsvorgang – sprich Erbrechen – erinnerte. Der Portier hielt ein Papier oder so etwas Ähnliches in der Hand, voll triefendem, rostbraunem Schleim. Er war rot – vorzugsweise in seinem vermuteten Gesicht – vor Anstrengung und/oder vor Verlegenheit.

„Tja ein etwas ungustiöser Scherz der damaligen Technikerinnen“ und er deutet auf das Loch hinter ihm.

„Aber wir haben es leider nie geschafft, den Modus zu verändern…“

Josef ging einen Schritt zurück, das war das letzte, was er brauchte, auch noch einen besudelten Anzug…. eine Küchenreinigungsduftwolke machte sich breit, um den modrigen Gestank des Schleims zu unterdrücken. Sogar an die Riechorgane hatte die verspielte Technikerin gedacht.

XXS 22 begann – ohne Papier – zu rezitieren.

„Josef Meder hat alle erforderlichen Zertifikate zum Aufenthalt und zur umfassenden Einsichtnahme in alle ihm relevant erscheinenden Dokumente und Papiere. Sicherheitsprotokolldokument des GGP- DPAAP Kontrakt Zahl Nr: 256544 Bindestrich MEDE-DPAAP/AV. Für gesperrte Bereiche ist es erforderlich, dass Meder Sicherheitsprotokoll XXCCFSG 84677128/ges., gemäß der Erteilung auf Einsicht einholt. Diese ist, um den Verwaltungsweg zu verkürzen, über XXS 22 einzubringen, (vereinfachtes Verfahren)“.

„Und warum lässt du mich den ganzen Scheiß da ausdrucken, wenn du die Datei sowieso gespeichert hast?“

„Du hast mich nur gefragt, wo die Unterlagen sind?“ gab XXS 22 trocken zurück. Der Portier warf das papierähnliche Dokument mit samt dem Schleim durch das Loch nach hinten hinein, wischte sich die Finger an der Wand ab, bei der es wirklich nicht weiter auffiel.

…nimmt alles seinen Lauf

Bei offenem Fenster hört man das Meer. Es hängen dunkle schwere Wolken über der Nordsee, es nieselt leicht. Nachmittags geht es zu einer Burg. Wir liegen am Bett, lesen, blicken aufs Handy.

„In Isjum haben sie schon wieder Massengräber gefunden?“

„Furchtbar, fürchte nur, wird nicht das letzte sein.“

„Bitte hör auf, das zu lesen. Das macht jetzt keinen Sinn.“

Geh bitte …“

„Was ist?“

„Mein Text ist abgelehnt worden.“

„Hast grad ein Mail bekommen?“

„Mhm“

„Oje, du Armer. Was war es denn für einer?“

„Die suchten Texte zu dem Thema ´verstörende Begegnungen` und ich hab´ ihnen den Ausschnitt vom Sci-Fi Roman geschickt. Weißt?“

„Ja.“

„Dort wo der Meder ankommt und sich mit einer neuen Spezies als Portier auseinandersetzen muss.“

„Kann mich erinnern, und?“ 

„Na und dann schreiben sie das – wart mal: Sehr geehrter…. ideenreich und amüsant … wart … Aber wir sind für diese Publikation nicht an Science Fiktion interessiert. Es tut uns leid… und blabla.“

„Hm. Traurig.“

„So als hätten sie nur wahrgenommen, dass es Sci-Fi ist und sich sonst gar nicht mehr weiter dafür interessiert…

… und sie haben ja auch nicht geschrieben, dass sie nur bestimmt Genre haben wollen! … ich hätte gute Lust, ihnen zurückzuschreiben.

„Nein, lass es, hör auf … lass es. Bringt nix und wir sind auf Urlaub. Mach die Augen zu und hör lieber dem Meer zu.“