Die heilige Triade

Folgender Beitrag erschien in der Ausgabe der Zeitschrift „ZEBRATL“ 5/2011. Der Schwerpunkt der Nummer beschäftigt sich mit den Veränderungen in der Medienwelt und den demokratiepolitischen Verwerfungen, die sich gerade in Österreich besonders stark auswirken. Aufgrund von Medienkonzentrationen und Komerzialisierung kommt es zu demokratiepolitisch gefährlichen Entwicklungen. Das so notwendige Korrektiv durch Medien steht in Gefahr.

Österreichische Besonderheiten am Medienmarkt

Die österreichische Medienlandschaft ist nach demokratischen Maßstäben besorgniserregend. Medien und Presse werden nicht umsonst oft als die vierte Gewalt eines ausbalancierten und funktionierenden Staatswesens bezeichnet. Wir sollten uns Sorgen machen. Österreich ist mancher Hinsicht einzigartig.

So manch eine/r wird sich fragen, was denn an der österreichischen Medienlandschaft so besonderes sein soll. Denn in anderen Ländern finden wir ebenso aggressiv-reißerische Boulevardblätter und Medienkonzentrationen vor, sowie staatliches, von den herrschenden Parteien und Lobbys beeinflusstes Fernsehen. Stimmt und doch gibt es einige erhebliche Unterschiede, die es zu analysieren gilt und die Österreich zu einer Anomalie und zu einem meinungsbildenden Ödland werden ließ.

Erstens: Das setzt einem doch die Krone auf.

Bei dem Thema stößt man unweigerlich auf die Kronen Zeitung. Ganz nüchtern betrachtet ist sie – mit einer geschätzte Auflage von 900.000 Stück (Tendenz laut neuester Media Analyse[1] leicht sinkend) –  unter den 50 auflagenstärksten Zeitungen der Welt zu finden; und das obwohl sie aus einem zahlenmäßig, kleinen Land stammt (acht Millionen EinwohnerInnen). Sie spielt mitten unter Zeitungen aus Ländern wie Japan, Großbritannien, Deutschland, China und Indien (letzt genannten Länder haben mehr als 1 Milliarde EinwohnerInnen) mit. Würde man die Reichweite[2] der Zeitungen als Vergleichswert heranziehen, so ist die Kronene Zeitung eine der weltgrößten Zeitungen (aktuell mit einem LeserInnenanteil von 40% und etwa 2,5 Millionen Auflage pro Tag). Um diese Zahlen richtig einordnen zu können, sei ein Vergleich zu unserem bundesdeutschen Nachbarn bemüht. Die „Bildzeitung“ – größte und mächtigste deutsche Boulevardzeitung –  hat eine Auflage von ca. 3,5 Millionen und eine Reichweite von etwa 8,5 Millionen LeserInnen täglich. Bei jüngst erhobenen 48 Millionen LeserInnen täglich in Deutschland müsste die Bildzeitung – wäre sie so stark wie die Kronen Zeitung – 19 Millionen LeserInnen haben.

Diese beherrschende Stellung wurde in den letzten Jahrzehnten sukzessive ausgebaut und gefestigt. Insbesondere durch die öffentliche Bundespresseförderung, die ganz auf große Player[3] zugeschnitten ist. Landesfördermittel, Sonderkooperationen zwischen Land, Gemeinden und Kronen Zeitung sowie großzügige Förderung von Events und Festen, die die Krone mit veranstaltet, tun ihr übriges und verleihen ihr eine spezielle Position in einem an sich schon fragwürdigen Markt[4]. Das spielt sie gekonnt am Inseratenmarkt aus.

In den letzten Jahren jedoch veränderte sich der „Markt“. Es drängten neue Medien ins Feld, die durch großzügige Förderungen, vor allem durch die Inserate der herrschende Politik und Parteien, entstanden sind. Insbesondere die SPÖ spielte hier eine „beachntenswerte“ Rolle. Wolfgang Fellners „Österreich“  und die Gratiszeitung „Heute“ stehen für diese neue Ära. Durch die deutliche Hinwendung der SPÖ zu den Fellner Produkten ist man geneigt, der These zu folgen, dass man hier den Belzebub mit dem Teufel austreiben möchte. Denn angesichts dieses neuen Boulevards wirkt die Kronen Zeitung nahezu hausbacken.

Zweitens, ORF was sonst

Das öffentlich-rechtliche Monopol besteht zwar de jure nicht mehr, aber de facto beherrscht der ORF sowohl im Fernsehen wie auch im Radio den Markt nach wie vor. Über die Bedeutung von politischen Einflüssen auf den ORF wird – seit es den ORF gibt – diskutiert und trotz aller Einbußen und Reichweitenverluste ist der ORF nach wie vor das zweite österreichische Leitmedium und der Stabilisierungsfaktor von herrschenden Meinungsmonopolen. Insbesondere in den Bundesländern wird dies durch die Nähe der Landesstudios zu den regierenden Landeshauptleuten deutlich.

 Drittens: Die Länderromanzen

Aufgrund der historischen Gegebenheiten und des aufgeblähten Föderalismus in einer derart klein strukturieren Gesellschaft wie Österreich, haben so genannte Bundesländerzeitung und Lokalpresse erhebliche Bedeutung erlangt. In der Steiermark etwa ist die Kleine Zeitung, vom katholischen Styria Verlag der dritte Teil der Machtkonzentration. Immerhin mit mehr als 330.000 Auflage täglich für Steiermark und Kärnten kein geringer Anteil.

In anderen Bundesländern gibt es ähnliche Vormachtsstellungen. Die bereits in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg installierten zentralen Bundesländerorgane (Oberösterreichische, Salzburger, Tiroler, Vorarlberger Nachrichten) sind die Platzhalter. Daneben fristen die Qualitätszeitungen ein Schattendasein. Der Kurier, der als Massenqualitätszeitung ein seltsames Hybrid darstellt, weist mit etwa 9% noch die größte Reichweite auf, wobei der Schwerpunkt der Berichterstattung und Verbreitung auf Wien, Niederösterreich und Burgenland liegt. Österreichweit sind dann nur mehr die rechtskonservative „Presse“ und der linksliberale Standard mit 6% Anteil zu nennen.  Die schon kleine Medienlandschaft (von zwischenzeitliche etwa über zwanzig Tageszeitungen) in Österreich schrumpfte weiter und liegt derzeit nur bei 14 Produkten.

Strukturell unterversorgt

Anhand der Asyl- und Migrationsdebatte in Österreich lässt sich das fehlende Korrektiv einer vierten, unabhängigen und pluralistischen Presse- und Medienlandschaft  erläutern. Nicht nur, dass ein grassierender Verlautbarungsjournalismus um sich greift, der im wesentlichen Nachrichten und Meldungen von „offizieller Seite“ nahezu unbearbeitet wider gibt[5] und jede Form von journalistischer Sorgfaltspflicht vermissen lässt; andere Sichtweisen oder Gegenstandpunkte kommen kaum vor. Die Stigmatisierung von AsylwerberInnen etwa, die in den 1990ern und frühen 2000er Jahren zu generell und pauschal zu Drogendealern und Kriminellen gestempelt worden sind, war nur durch den breiten kampagnenartigen Hetzjournalismus der Boulevardzeitungen möglich.

In der Frage der Asylpolitik war das Innenministerium immer und regelmäßig daran interessiert, diese „Kooperation“ zu nutzen. Dahinter standen nicht selten politische Interessen, etwa gesetzliche Verschärfungen im Asyl-, Fremden- oder Staatsbürgerschaftsgesetz für die Öffentlichkeit auf- und vorzubereiten.

Die österreichische „Szene“ ist zudem nicht groß genug, um nicht der „Verhaberung“ anheim zu fallen. Im wesentlichen sind es zumeist eine Handvoll an AkteurInnen, die das Geschehen auf beiden Seiten – da Politik, dort Medien – beherrschen.

Beispiele dafür lassen sich in der Vergangenheit haufenweise finden; etwa dass Journalisten exklusiv bei einer Razzia in einer AsylwerberInnenunterkunft vor einigen Jahren dabei sein durften.[6] Der Einsatz – bestehend aus einer Dutzendschaft von bewaffneten Einheiten unfd Hundestaffel – wurde in einer zweiseitigen „Reportage“ und zahlreichen Fotos lebhaft und dramatisch geschildert, so als wäre ein Al Kaida Lager gestürmt worden; dass es sich hier um ein Heim – überwiegend von Familien und Kindern bewohnt – handelte, ging nahezu unter und dass das „Fahndungsergebnis“ mehr als mager war, wurde gänzlich unterschlagen. Eine Aufarbeitung der Aktion erfolgte nie.

In Österreich ist die mediale Unterversorgung chronisch und dramatisch, es fehlt der Pluralismus und die qualitative – faktenorientierte Aufarbeitung von Themen. Dominiert wird die Berichterstattung von pauschalen Vorurteilen, politischen Statements, die dem Populismus, die Emotionalisierung und Hysterie fördern. Öffentliche, differenzierten Debatten sind jedoch das Salz der demokratischen Suppe. Gesellschaftliche Entwicklungen brauchen die Ausdifferenzierung, die Sachlichkeit und die Faktenorientierung; ohne die kommt die öffentliche Sache und damit die Politik nicht voran.

Medien haben ihren Anteil an der pluralistischen, demokratischen Gesellschaft. Dieses Element fehlt in Österreich gänzlich und das sieht man etwa an den Unterschieden von Wahlkämpfen in Österreich und Deutschland deutlich. Rassistische und hetzerische Ausländerwahlkämpfe wie in Österreich wären bei unserem Nachbarn nicht möglich.

Es stellt sich die Frage, ob es nicht eigentlich die hegemoniale Mediensituation ist, die wesentlich dazu beiträgt, dass sich Österreich nicht ins 21 Jahrhundert aufgemacht hat. Was das in Zukunft bedeutet, wäre in weiterer Folge noch ausführlicher zu diskutieren.

[1]        Media Analyse 2011, November 2011

[2]        Die Reichweite sagt aus wie viele LeserInnen die Veröffentlichung tatsächlich erreicht. Es wird allgemein von einem Mittelwert, der  2,5 (vgl. Yaverbaum 2007) beträgt, ausgegangen.

[3]      Unter anderen Kriterien muss, wer Förderung erhalten will, regionale Verbreitung nachweisen, daher auch der Aufbau der Bundesländerkronenzeitungen.

[4]        Angesichts der Bedeutung von Medien für eine rechtsstaatliche dominierte und demokratische Gesellschaft – wie eingangs erwähnt – sollte der Begriff Markt hinterfragt werden. Allein aufgrund der massiven Einflüße durch Presseförderung und Finanzierungen aus der Politik kann schon nicht von einem Markt gesprochen werden.

[5]        Zu diesem Behufe sollten sie einfach einmal mehrere Zeitungen zu einem einzigen Thema lesen; dabei ist es ein leichtes, die Sätze und Satzteile wieder zu erkennen, die der offiziellen Aussendung entnommen worden sind.

[6] Siehe ZEBRA-Stellungnahme: „Skandalöser Gendarmerieeinsatz – noch skandalösere Berichterstattung?“, www.zebra.or.at/aktuelles_archiv2004.html.