Leitlinien um in die Spur zu kommen

Migration

Leitlinien, um in die Spur zu kommen

Die aktuelle Flüchtlingskrise macht deutlich, wie dringend notwendig es ist, das Thema Migration[1] in den Mittelpunkt von Diskussionen und Denkprozessen zu stellen. Die Leitlinien[2] bieten dazu die notwendige Orientierung, denn leichte Antworten und Lösungen gibt es nicht.

 Als im März 2015 am Bifeb im Rahmen einer Tagung die Endfassung der „Leitlinien für die Erwachsenenbildung in der Migrationsgesellschaft“ verabschiedet wurde, war damit ein wichtiges Zwischenziel in einem mehr als 1-jährigen Denk-, Diskussions- und Schreibprozess erreicht. Erstmals liegt ein in 5 Themenfeldern geordnetes Dokument vor, das die Herausforderungen und Potenziale von Migration für das breite Feld der Erwachsenenbildung (EB) benennt. Damit bietet es eine inhaltliche und strukturelle Orientierung für alle, die in der EB tätig sind und nach grundsätzlichen Antworten und Lösungen suchen.

In den fünf Themenfeldern Selbstverständnis/Leitbild, Personal, Angebote, Kommunikation innen und außen sowie strukturelle, organisationale Ebene werden kurze und prägnante Analysen geboten und Positionierungen vorgenommen. Das Thema Migration wird als Querschnittsmaterie verstanden, eingebettet in größere soziale, ökonomische und politische Zusammenhänge.

„Kollektiver Diskussions- und Schreibprozess“

Das besondere an den Leitlinien ist die Entstehungsgeschichte. Denn dutzende Leute aus der Praxis, aus den unterschiedlichsten Organisationen der EB und aus der Wissenschaft waren an der Textbearbeitung beteiligt. Es handelte sich um einen kollektiven „Diskussions- und Schreibprozess“, der im Projekt mig2eb[3

] an der Uni Graz Frühjahr 2014 seinen Ausgang nahm und nach Ende des Projektes vom Bifeb) organisatorisch und inhaltlich weiter begleitet wurde.

Gesellschaftliche Aufgabe und persönliche Verantwortung

Der im Dokument gewählte Blickwinkel weicht von den üblichen, öffentlich transportierten Sichtweisen ab. Es nimmt zu Erscheinungsformen Stellung, die in der Gesellschaft auftreten und die den Umgang mit Migration beeinflussen; etwa die zunehmende „Ökonomisierung und Verwertbarkeitsansprüche von Bildung“, sowie „Tendenzen des Aussschlusses einer größer werdenden Zahl von Personen, die an Bildungsprozesse und am gesellschaftlichen Leben nicht teilhaben können“.

Die Leitlinien wählen vor allem einen „strukturellen Blick“. In einer öffentlichen Diskussion umso bedeutsamer, in der die „Personalisierung“ und die „Individualisierung“ zunehmen und vermeintliche Lösungstrategien oftmals auf das Individuum abgewälzt und in Weiterbildungsprozesse indivudalisiert werden. „Migration sollte nicht auf den Umgang des/der Einzelnen damit reduziert werden, sondern gesellschaftliche Regeln und Rahmenbedingungen stehen im Fokus.“

Gerade die EB ist im hohen Maße vom Thema betroffen. Obwohl in der Öffentlichkeit überwiegend nur über den schulischen Bereich gesprochen wird, ist die EB wohl eine der Berufsfelder, die am meisten mit Migration zu tun hat – etwa bei den Bedarfen an Kursen, Schulungen, Trainings … Daher wurde – so die Leitlinen – der Blick auf Maßnahmen gerichtet, die „strukturell-organisationale Wirkung“ zeigen. Nicht ohne jedoch darauf aufmerksam zu machen, dass es die Verantwortung jeder/jedes Einzelnen auf den verschiedenen (Mikro-, Meso-, und Makro-) Ebenen braucht, um Positionierung anzuregen und Veränderung mitzugestalten.

Selbstverpflichtung und Orientierung

Die Leitlinien stellen eine Selbstverpflichtung dar, mit der sich die Unterstützer_innen für eine „antidiskriminatorische Politik und eine diversitätsorientierte, rassismuskritische Haltung“ einsetzen. Sie bieten eine Orientierung, wie Organisationen der EB die notwendigen Umgestaltungs- und Öffnungsprozesse in Gang setzen, umsetzen und weiterentwickeln können. Schließlich schaffen die Leitlinen einen Rahmen, auf dessen Basis migrationsgesellschaftlich relevante Veränderungsprozesse nachvollziehbar gemacht werden können. Denn mittlerweile liegen auch Erkenntnisse darüber vor, welche Faktoren für das Gelingen von Veränderungen ausschlaggebend sind. Beteiligungsmöglichkeiten, Rahmen für Austausch und Reflexionsmöglichkeiten, Vernetzung und Kooperation sind solche, um nur einige davon zu nennen.

Die jüngste „Politik- und Öffentlichkeitskrise“ die mit der Fluchtbewegung  über den Balkan einhergeht, offenbart die Dringlichkeit des Diskutierens, des Standpunkt entwickelns oder -beibehaltens und des gemeinsamen strukturierten, geplanten Vorgehens. Denn tun wir dies nicht, drohen uns angesichts der politischen Entwicklungen Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und  Menschenrechte – sprich Fundamente unserer Gesellschaftsordnung – verloren zu gehen.

Wolfgang Gulis

(koordinierte den Leitlinienprozess im Auftrag des Bifeb)

[1] Migration wird hier als Überbegriff verwendet und bezeichnet damit die häufigsten Formen wie Flucht und Arbeitsmigration.

[2] Leitlinien für die Erwachsenenbildung in der Migrationsgesellschaft, unter: http://www.bifeb.at/fileadmin/samba/Diverses/Leitlinien_für_die_Eb_in_der_Migrationsgesellschaft.pdf

[3] mig2eb (Angehörige der 2. Generation von Migrant_innen als Fachkräfte in der Erwachsenenbildung) gefördert aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Frauen.