Arztbrief: Patientin Demokratie (Geburtsjahr 1955)

Erschienen im bifeb 2/2019: Veränderung.

Symptome:

Die Patientin leidet unter Schwächegefühlen, fühlt sich ausgelaugt, motivationslos; ist aber gleichzeitig unruhig und hat Schlafstörungen. Sie berichtet von Leere, Einsamkeit und Isolation. Gleichzeitig hat sie Angstzustände und fürchtet sich vor Ausländern. Ablehnung von Fakten und Wahrheiten sowie gesicherten Ergebnissen bestimmen den Alltag. Konzentrationsfähigkeit ist eingeschränkt, Hinwendung zu Verschwörungstheorien, Anfälligkeit für Propaganda und Falschmeldungen sind ausgeprägt.

Diagnose:

Der psychiatrische Befund zeigt deutliche Anzeichen von Angstneurosen und Panikattacken. Über ihre eigene Zukunft kann sie keine konkreten Aussagen treffen, außer allgemeiner Floskeln und sentimentaler Rückbesinnung auf die Vergangenheit. Darauf näher angesprochen, verfällt die Patientin in dystopisch-depressive Zukunftsszenarien.

Im Verlauf des Gespräches wird deutlich, dass sie seit längerem Neoliberalismus zu sich nimmt, dadurch unter Individualismus, übertriebene Erwartungen an sich selbst und unterernährtem, dysfunktionalem Staat leidet.

Das Blutbild ergibt eine anämische Schwächung des Immunsystems. Der Bazillus der Saturiertheit konnte nachgewiesen werden, hervorgerufen durch schwach ausgebildeten demokratischen Stoffwechsel, dem sogenannten „Pseudomiddleclasssyndrom“. Ein erhöhter Spiegel an allgemeinem und politischem Bildungsdefizit wurde nachgewiesen. Die Infiltration durch nicht erkanntes antidemokratisches und staatsablehnendes Gedankengut hat sich zu einer manifesten „Insuffizienz“ entwickelt, der durch den opportunistischen Virus „in extremus de dextris vulgaris“ (gemeiner Rechtsextremismus) verstärkt wurde.

Therapie:

Aufgrund der multiplen Schädigungen der Patientin wird eine integrative Breitband -Therapie vorgeschlagen.

  1. Sofortiges Absetzen der Einnahme von Neoliberalismus, um den Abbau des Sozialstaates und der eigenen demokratischen Lebensgrundlagen zu stoppen.
  2. Gruppenangebote und -aktivitäten, um soziales Leben, lokale Gemeinschaftserlebnisse und Solidarität zu erfahren und gegen das Isolationsgefühl vorzugehen.
  3. Überweisung an Gesprächsgruppe zur Erarbeitung von eigenen Narrativen und Zielen, insbesondere durch „agenda setting“ und „framing“ Übungen. Eine positive, auf eigene Stärken beruhende und selbst gestaltbare Zukunft ist das Ziel.
  4. Reduzierung weiterer schädigender Einflüsse (skandalisierende Einzelfallerzählungen, Falschmeldungen und Propaganda), die den Extremus de dextris vulgaris fördern; Einschränkung der öffentlichen Förderung und Werbung bzw. wirksame gesetzliche Regelungen gegen multinationale IT-Medienkonzerne.
  5. Zuführung von Qualitätsstandards und Förderung von investigativem, ethisch motiviertem, kontextbezogenem und konstruktivem Journalismus und öffentlicher Kommunikation. (Hochdosierung vor allem zu Beginn wird empfohlen)
  6. Stärkung des Immunsystems durch eine langzeittherapeutische Breitband Behandlung mit Bildungsextrakten, auf grund- und menschrechtlicher Basis, die zur Stärkung der Medienkompetenz und politischer Bildung führen.
  7. Bewegung (Wanderungen) und der Aufenthalt in der Natur (Demonstrationen) für positive Ziele sind anzuraten.
  8. Die Patientin wird an ein Beschäftigungsprogramms verwiesen, mit dem Ziel die Wirtschafts-, Landwirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der EU rasch zu verändern.

Weitere Konsultationen der geschätzten Fachkräfte sind in absehbarer Zeit (nächstes Quartal) anzustrengen.

Mit kollegialer Hochachtung.

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